Protocol of the Session on December 12, 2013

"Zu einem die Verfassung ändernden Gesetz der Bürgerschaft sind zwei übereinstimmende Beschlüsse erforderlich, zwischen denen ein Zeitraum von mindestens dreizehn Tagen liegen muss."

Diese Regelung unterstreicht gegenüber dem Verfahren der einfachen Gesetzgebung die Bedeutung, die einer Verfassungsänderung beigemessen wird. Dem verfassungsändernden Gesetzgeber wird ein besonderer Zeitraum zur Überlegung eingeräumt. Ich denke, wir haben den Zeitraum gut genutzt, wir haben eine umfangreiche Sachverständigenanhörung gemacht mit, ich glaube, sieben Experten.

Herr Professor Dr. Heun, der auch Experte bei der Anhörung im Bundestag zur 3-Prozent-Hürde der Europawahl war, hat gesagt – ich zitiere –:

"Wie gesagt, was die Wirkungen dieser Regelungen des Bundesverfassungsrechtes wohl bewirken, ist, dass es jedenfalls nicht ganz ohne Rechtfertigung machbar ist. Aber ich denke, dass jedenfalls die Rechtfertigungsgründe, die hier auch in dem Papier [er meint unseren Antrag] vorgebracht werden und die auch im Übrigen ja das Hamburgische Landesverfassungsgericht im Einzelnen debattiert hat, hier ausreichen und insofern auch dieses Votum und das Verdikt des Hamburgischen Landesverfassungsgerichts durch eine entsprechende Absicherung in der Verfassung abgesichert wird."

Professor Bull und Professor Winterhoff haben sich angeschlossen. Alle Rechtsexperten waren dieser Meinung, und wir fühlen uns ebenso bestärkt durch diese Anhörung.

(Beifall bei der CDU und der SPD)

Wir hatten zwei skurrile Auftritte im Ausschuss. Den einen hat Frau Kollegin Duden eben angesprochen, da hat uns Herr Dr. Brandt von "Mehr Demokratie" semantisch seinen Unterschied zwischen Kompromiss und Konsens erklärt. Er sagte, bei dem, was er damals mit uns abgeschlossen habe, habe er schon im Hinterkopf gehabt, dass

das verfassungswidrig sei, und deshalb konnte er dem guten Gewissens zustimmen. Die Begründung erschließt sich mir auf den ersten Blick nicht. Aber das werde ich zumindest für meine Fraktion im Hinterkopf behalten, wenn wir uns wieder zusammensetzen müssen.

Es ging sogar so weit, dass er in seinen Ausführungen davon gesprochen hat, dass Koalitionen in der BV völlig überflüssig seien, und das sei alles Teufelswerk, der Fraktionszwang sowieso.

(Christiane Schneider DIE LINKE: Nein, das hat er nicht gesagt!)

Ich glaube, es ist so ein wenig sein Auftrag, die Parteiendemokratie zu beseitigen. Aber so weit gehen wir natürlich nicht.

Der zweite Auftritt war vom Kollegen Dr. Duwe, der uns mitgeteilt hat, dass diese atemberaubende Geschwindigkeit von vier Wochen, in denen wir das machen, sie nicht in die Lage versetze, das Ganze zu verstehen oder nachzuvollziehen. Das hat er wörtlich gesagt. Ich muss das zurückweisen. Ich glaube, alle Abgeordneten sind sich der Tragweite und auch der Bedeutung dieser Entscheidung sehr wohl bewusst, unabhängig von der zeitlichen Komponente. Wir haben ein völlig entkräftetes Argument, das letztes Mal diskutiert wurde. Es gab eindeutige Äußerungen zum Zeitpunkt der Änderung. Dies hat sogar dazu geführt, dass am Ende auch Frau Schneider gesagt hat, das Ganze sei kein rechtliches Problem, sondern ein politisches.

(Christiane Schneider DIE LINKE: Das habe ich bestimmt nicht so gesagt!)

Frau Schneider, da haben Sie recht, da sollte man handeln, und wir sagen, man muss handeln. Wir wollen nicht, dass es zu einer Fragmentierung der Bezirksversammlungen und zu einer Schwächung der bezirklichen Demokratie kommt. Deshalb ist die Sperrklausel der Preis, den wir für die Ergebnisse der Verhältniswahl zahlen müssen.

Es bleibt dabei, dass es sich bei der Sperrklausel um eine Abwägung zwischen der Gleichgewichtung einer jeden abgegebenen Wählerstimme und der Arbeitsfähigkeit der Parlamente handelt, denn je größer die Zersplitterung, also die Anzahl an Einzelbewerbern und Kleingruppierungen in einem Parlament ist, desto schwieriger wird die Mehrheitsbildung und damit die Entscheidungsfindung. Deshalb brauchen wir Sperrklauseln von 5 Prozent für das Landesparlament, unsere Hamburgische Bürgerschaft, und 3 Prozent für die Bezirksversammlungen.

Wir haben es uns auch ganz praktisch angeschaut. Fraktionsvorsitzende aus den Bezirksversammlungen waren da. Und wir haben aus Harburg einen Bericht bekommen, die jetzt schon ständig die Sachen nicht debattieren können, weil die Zeit abgelaufen ist und viele Dinge, die wichtig

sind, dann nur noch ohne Debatte durchgestimmt werden können. Das sind eindeutig die ersten Anzeichen, und deshalb wollen wir handeln.

Aus meiner ehrlichen Überzeugung heraus sind die Sperrklauseln ein Erfolgsmodell unserer deutschen Demokratie nach dem Krieg, sie haben sich bewährt. Wir haben durch die Verhältniswahl, durch die Verfassung und auch durch die Parlamente einen starken Minderheitenschutz in unserem Land auch für politische Meinungen, die nicht die Mehrheit erzielen. Aber bei der Abwägung, ob man wirklich jede kleine Minderheit in einem Parlament abbilden will mit der Gefahr, dass dann keine Mehrheitsbildungen mehr möglich sind, sagen wir als CDU-Fraktion, das wollen wir nicht. Wir brauchen stabile, verlässliche Mehrheiten, die auch erreichbar sind für unser verträgliches Zusammenleben und für unser Gemeinwohl. Deshalb werden wir dem Antrag auch in der zweiten Lesung zustimmen. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU, der SPD und vereinzelt bei den GRÜNEN)

Das Wort bekommt Herr Müller.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Meine Fraktion wird natürlich nicht einem verfassungsändernden Gesetz zustimmen wollen, bei dem es ernsthafte Hinweise gibt, dass es nicht verfassungskonform ist. Die Anhörung im Verfassungsausschuss hat aber eindeutig ergeben, geäußert von allen Juristen, die geladen waren, dass das nicht der Fall ist. Es gibt keine ernsthaften Hinweise, dass es nicht verfassungskonform ist. Das muss hier gesagt werden, denn die Bürgerschaft steht natürlich in der Gesamtverantwortung. Wir wollen Ihnen, die Sie nicht an der Anhörung teilnehmen konnten oder nicht die Gelegenheit hatten, alles im Wortprotokoll nachzulesen, als Kolleginnen und Kollegen noch einmal versichern, dass das, was wir jetzt gleich beschließen, zumindest nach Aussage der von uns geladenen Experten und auch nach dem, was man in der Fachpresse dazu lesen konnte – auch die Anhörung im Bundestag mit Auswertung des Berliner Urteils et cetera –, durchaus eine Sache ist, bei der wir relativ guten Gewissens sagen können, das man sie so beschließen kann. Am Ende wird es immer so sein, dass ein Gericht noch einmal draufschauen kann, ob es so richtig ist, aber wir sind natürlich verpflichtet, im Vorfeld schon alles abzuklopfen. Das haben wir aus meiner Sicht getan.

Dann kommt der andere Punkt, der in der Anhörung noch einmal zum Tragen kam. Dies kam natürlich auch von den Fraktionen, die politisch ein Problem damit haben, was wir heute beschließen wollen. Es waren auch zwei Vertreter aus den Bezirksversammlungen geladen. In dem Zusammen

hang kam noch einmal auf, dass weder DIE LINKE noch die FDP so richtig eingesehen haben, welche konkreten Gründe uns zu diesem Schluss führen. Das hat mich am Ende ein bisschen ratlos gemacht, denn wir haben das in dem Antrag sehr gut an sehr konkreten Beispielen dargelegt. Ich habe nicht so richtig verstanden, warum nicht wenigstens auf diese Beispiele eingegangen wurde. Dann hätte man immer noch etwas dagegen einwenden können, aber das wurde gar nicht getan, sondern die Beispiele wurden ignoriert. Es wurde einfach in den Raum gestellt, es gäbe gar keine konkreten Befürchtungen.

(Christiane Schneider DIE LINKE: Es gibt keine konkrete Gefahr, Befürchtungen habt ihr!)

Dann ist es doch gut, dass Sie auch Befürchtungen haben. Wir haben auch Befürchtungen, und deswegen machen wir das doch, Frau Schneider.

Wir haben sie im Antrag auch dargelegt. Sie sind dann zwar von dem einen oder anderen Vertreter aus der Bezirksversammlung so nicht gesehen worden, weil allerdings nach meiner Ansicht für die anwesenden Kollegen nicht immer so richtig vorstellbar war, was das denn bedeutet. Wir haben ein Beispiel gebracht und den Hauptausschuss in unserem Antrag genannt. Wir haben zur Sprache gebracht, was passiert, wenn nicht mehr die Mehrheiten, die sich eigentlich in der Bezirksversammlung darstellen, im Hauptausschuss dargestellt sind. Dann dürfte der für die Bezirksversammlung – so ist es bisher geregelt – Entscheidungen treffen und die Bezirksversammlung damit in derselben Frage aushebeln. Das wollen wir nicht, das wäre eine Umkehrung des Demokratieprinzips.

Wir haben noch viele andere Beispiele genannt, wo es konkrete Probleme in den Bezirksversammlungen gibt und wo es nicht dazu kommt, dass sie den Auftrag der Wählerinnen und Wähler überhaupt wahrnehmen können, nämlich die Interessen der Bürger gegenüber der Bezirksverwaltung. Wir haben diese Befürchtungen dargelegt. Es ist auch von den Experten sehr deutlich gesagt worden, dass das durchaus ausreichend sei, um hier tätig zu werden. Ich habe keine konkreten Äußerungen von der LINKEN oder von der FDP gehört, die unsere Argumente in der Sache selbst widerlegen oder infrage stellen können. Das würde ich gern noch einmal hören, aber sie sind in der Anhörung nicht zum Tragen gekommen und auch nicht in der ersten Debatte in der Bürgerschaft.

Ein weiteres Thema spielt auch eine Rolle. Es geht darum, ob es möglich ist, ein Referendumsbegehren zu starten. Das wäre das erste Mal, wir haben das Gesetz auch erst beschlossen. Auch da gab es von den Juristen eindeutig die Ansage: nein, das werde nicht zulässig sein. Deswegen wird der Senat – das war noch einmal Gegenstand in den Diskussionen mit dem Senat – sich auch verpflich

(André Trepoll)

tet fühlen, wie das Gesetz es jetzt vorschreibt, das Ganze zum Verfassungsgericht zu bringen. Uns ist auch zugesagt worden, dass man damit nicht warten will, sondern zügig diese Frage angehen will, um am Ende für alle Beteiligten eine Rechtssicherheit zu bekommen. Das haben wir im Ausschuss begrüßt, und ich denke, wir sind in dieser Frage alle einer Meinung.

(Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der CDU)

Ich habe ein kleines, zusätzliches Argument, das den Unterschied ausmacht, weshalb die Juristen glauben, dass der Referendumsvorbehalt hier nicht greift. Im Gesetz und auch in der Verfassung steht nämlich, dass der Referendumsvorbehalt für Gesetze gilt, die das Wahlrecht verändern. Nun gibt es auch verfassungsändernde Gesetze, aber die haben einen anderen Modus in der Abstimmung, zum Beispiel in unserem Hause. Zwar wird in jedem Fall eine Zweidrittelmehrheit gebraucht, aber bei einer Verfassungsänderung brauchen wir heute auch die Anwesenheit von Dreiviertel der Abgeordneten. Mit anderen Worten: Es gibt einen entscheidenden Unterschied. Wenn man das vermischen würde, dann würde man unterschiedliche Mehrheiten für unterschiedliche Verfassungsänderungen schaffen. Das konnte sich keiner der anwesenden Experten vorstellen, ich auch nicht.

Ich bin deswegen guten Mutes, dass wir heute ein Gesetz verabschieden, das vor den Gerichten Bestand hat. Noch ein kleiner Hinweis an diejenigen, die glauben, dass das alles des Teufels ist: Ich glaube, wir haben die letzte Bezirksversammlungswahl alle gut bestanden und ich glaube, dass die Bezirksversammlungswahlen beziehungsweise die Bezirksverordnetenwahlen in Berlin auch gut über die Bühne gehen. Ich habe dort nichts von Demokratiedefizit gehört. – Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN, vereinzelt bei der SPD und bei André Trepoll CDU)

Das Wort bekommt Herr Bläsing.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die uns heute vorliegende Verfassungsänderung wird im Schnelldurchgang durchgepeitscht,

(Beifall bei Dr. Thomas-Sönke Kluth FDP – Zurufe von der SPD)

aber so etwas Grundlegendes und Wichtiges wie eine Verfassung ändert man nicht im Handumdrehen. Schon deshalb widerstrebt es der FDP-Fraktion, diesen Vorgang gutzuheißen.

Dieser Vorgang ist auch schnell beschrieben: zu schnell, zu unüberlegt und auch zu anfechtbar. Die

Antragsteller behaupten, dass eine ordentliche parlamentarische Befassung und Beratung des Antrags erfolgt sei. Aber das ist tatsächlich nicht der Fall, im Gegenteil. Im Schweinsgalopp – ich wähle das Wort ganz bewusst – soll die Verfassungsänderung durchgezogen werden. Nur vier Wochen standen für die Beratung zur Verfügung, und eine Expertenanhörung erfolgte gar erst in der vergangenen Woche. Den Abgeordneten im Fachausschuss wurde keine Zeit gelassen, sich mit Initiativen wie "Mehr Demokratie" in Ruhe auszutauschen oder sich mit den Bezirksversammlungen ausreichend rückzukoppeln und deren Meinung zu hören. Die Meinungen der Bezirksversammlungen sind Ihnen auch nicht wichtig. Es ist Ihnen nicht wichtig, bei einer Verfassungsänderung diejenigen zu beteiligen, die es betrifft.

(Jan Quast SPD: So kompliziert ist das doch gar nicht!)

Wie stand es doch gleich sinngemäß im Antrag: Die Bezirksversammlung wolle man stärken, die Meinungsbildung der Bezirksversammlungen sei wichtig. Diesem Anspruch wird das Verfahren, das Sie gewählt haben, allerdings in keiner Weise gerecht. Wir lehnen das Verfahren und den Umgang mit den Beteiligten daher strikt ab.

(Beifall bei der FDP und bei Christiane Schneider DIE LINKE)

Wir wollen die Bezirke stärken und sie nicht kleinmachen oder gar kleinhalten. Seit dem 15. Januar dieses Jahres, also seit dem Urteil des Hamburgischen Verfassungsgerichts, das die 3-Prozent-Hürde für verfassungswidrig erklärt hat, hätten Sie Vorschläge für eine Änderung des Wahlrechts einbringen können und hätten somit ausreichend Zeit gehabt, eine ordnungsgemäße Beteiligung der Betroffenen herbeizuführen. Allerdings steht die vorliegende Verfassungsänderung nicht nur deshalb auf wackligen Füßen. Es ist eigentlich ein Unding, bei einer Verfassungsänderung so vorzugehen.

Die von den antragstellenden Fraktionen benannten Experten führten in der Anhörung aus, dass die allgemeinen Wahlrechtsgrundsätze ohnehin nur bei Kommunalwahlen gelten würden, nicht aber bei den Bezirksversammlungswahlen.

(Dr. Andreas Dressel SPD: Das haben die überhaupt nicht gesagt!)

Auch das Demokratieprinzip, das unter anderem eine Chancengleichheit der Parteien sicherstellt, wäre durch die Verfassungsverankerung der 3-Prozent-Hürde nicht mehr von Relevanz.

Wir folgen dieser abwägenden Argumentationskette ausdrücklich nicht. Für meine Fraktion ist es mehr als fraglich, dass, nur weil die 3-Prozent-Hürde in die Verfassung geschrieben wird, die Wahlrechtsgrundsätze keine Anwendung mehr finden und/oder in sehr abgeschwächter Form gelten sol

(Farid Müller)

len. Der FDP-Fraktion ist, wie auch für einige Experten in der Anhörung, klar, dass Chancen und Wahlrechtsgleichheit auch bei einer Verfassungsverankerung gelten und mindestens gleichrangig nebeneinander stehen. Das allerdings würde folglich eine Abwägung nach sich ziehen. Und diese Abwägung treffen aktuell die Gerichte, unter anderem das Bundesverfassungsgericht. Die neuesten Rechtsprechungen gehen in die Richtung, dass Sperrklauseln, zum Beispiel bei Kommunalwahlen, verfassungswidrig sind, weil die Wahlrechtsgrundsätze höher wiegen.

Allein die aktuelle Rechtsprechung, auch in Hamburg, sollte uns zu denken geben. Aber die Antragsteller haben das Urteil des Hamburgischen Verfassungsgerichts auch in anderer Hinsicht missverstanden. Es wurde keine Gefahr einer Funktionsbeeinträchtigung nach einem Wegfall der Sperrklausel durch das Verfassungsgericht gesehen. Die Antragsteller konnten bisher nicht überzeugend darlegen, worin diese Gefahr begründet liegen soll. Die FDP ist überzeugt, dass diese Gefahr auch nicht existiert.