Protocol of the Session on November 27, 2013

Genau da sind wir an einem wunden Punkt, den die SPD gern verschweigt. Ihr Hauptargument ist nämlich, dass die Jugendlichen nirgendwo bleiben wollen und deswegen müsse man sie einsperren, um sie zu erziehen. Dieses Argument ist aber nicht stichhaltig, denn gerade hinter Mauern und geschlossenen Türen steht der Gedanke bei den Jugendlichen im Vordergrund, wie sie dort hinauskommen, aber nicht der Beziehungsaufbau. Eine Studie von Wolffersdorff und Sprau-Kuhlen belegt, dass Jugendliche aus geschlossenen Heimen genauso oft weglaufen wie aus nicht geschlossenen Betreuungen.

In der Feuerbergstraße, an deren unrühmliche Geschichte sich bestimmt noch einige erinnern, gelang es immerhin 18 von 25 Minderjährigen, aus diesem Heim auszubrechen. Auch in der Haasenburg gingen die Jugendlichen ein und aus und stellten so die Geschlossenheit mehr als infrage.

Herr Senator Scheele ist heute nicht da, aber ich bitte die SPD-Fraktion – Frau Kisseler, ich habe gehört, Sie sprechen dazu –, diese Worte ruhig an Herrn Senator Scheele weiterzugeben. Ich weiß, dass der Senator bei Amtsantritt noch ein relativer Neuling auf dem Gebiet der Jugendhilfe war. Ob er den Bericht des Untersuchungsausschusses zur Feuerbergstraße gelesen hat, weiß ich nicht. Hätte er das getan oder hätte dieser Senat das getan, dann hätten Sie dort lesen können, dass die Konzentration der Schwierigsten in einer Einrichtung zu Problemen geführt hat und nicht zuletzt auch zu Gewalt zwischen den Betreuern und den Betreuten. Das heißt, gerade die Konzentration von

Schwierigsten in einer Einrichtung fördert kriminelle Karrieren eher, als dass sie hilft.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Nun frage ich mich, warum die SPD-Fraktion, der SPD-Senat und Senator Scheele den Rat von Experten der Jugendhilfe in den Wind schlagen und Ergebnisse aus zwei Jahren des Untersuchungsausschusses Feuerbergstraße ignorieren.

(Juliane Timmermann SPD: Es gibt auch an- dere!)

Frau Timmermann, Sie waren leider nicht dabei, sonst könnte ich Ihnen das noch einmal erklären.

Warum Sie stattdessen auf ein gescheitertes Konzept zurückgreifen, ist unbegreiflich.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Anderswo ist die SPD schlauer und hat eingesehen, dass das nicht der richtige Weg ist. Es gibt viele Stimmen dazu in der SPD, die etwas anderes sagen, ich zitiere beispielsweise Dr. Spies aus Hessen, einen SPD-Kollegen. Dr. Spies sagt, die Ausübung von Zwang lasse sich mit den Grundprinzipien der Jugendhilfe nicht vereinbaren. Wer Kinder entwickeln wolle, brauche ihre Mitarbeit und nicht ihren Widerstand. Das sind kluge Worte von diesem Dr. Spies. Genauso klug ist es auch von der SPD in Niedersachsen und Schleswig-Holstein, sich zu weigern, mit diesem Senator ein geschlossenes Heim einzurichten, denn sie haben zusammen in den Koalitionsvereinbarungen mit den GRÜNEN eine Ablehnung von geschlossenen Heimen beziehungsweise deren Auflösung beschlossen.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei Mehmet Yildiz DIE LINKE)

Es ist unbestritten, dass die Erziehung dieser schwer auffälligen Jugendlichen eine Herausforderung für diese Stadt ist. Aber die Träger bieten Alternativen an, wir bieten Alternativen an, und ich fordere Sie auf, sich mit diesen auseinanderzusetzen. Als Millionenstadt müssen wir es schaffen, diese kleine, aber sehr schwierige Gruppe von Kindern in den Griff zu bekommen, ohne sie wegzusperren.

(Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN)

Frau Dr. Leonhard hat das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Um noch einmal die Dimensionen dieses Themas deutlich zu machen: Die allermeisten unserer Jugendlichen finden einen guten Weg in ihr Leben. Andere finden ihn mit kräftiger Unterstützung durch Schule, Jugendhilfe, Vereine und ehrenamtliches Engage

(Christiane Blömeke)

ment. Und es ist gut, dass es diese Hilfen gibt und dass sie in den allermeisten Fällen erfolgreich sind.

(Beifall bei der SPD und bei Anna-Elisabeth von Treuenfels FDP)

Wir haben aber die Erfahrung gemacht, dass das Leben einiger sehr weniger Kinder und Jugendlichen so aus den Fugen geraten ist, dass sie durch all diese Maßnahmen nicht mehr erreicht werden. Für Hamburg sprechen wir pro Jahr von 10 bis 15 Kindern und Jugendlichen, bei denen all diese Maßnahmen nicht greifen und die durch nichts erreicht werden können. Es sind Jugendliche, die alle Regeln immer wieder brechen und oftmals geradezu ihre Grenzen suchen. Und wir möchten eben nicht, dass die einzige Grenze, die dann hilft, später das Gefängnis ist.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Dass es Sinn macht, bei diesen Jugendlichen noch einen Versuch zu unternehmen, ihrem Leben eine andere Richtung zu geben, hatte auch der schwarz-grüne Senat längst erkannt. Und so viel gehört zur Ehrlichkeit in dieser Debatte dazu, denn auch nach Abschaffung der Feuerbergstraße wurden Jugendliche weiterhin geschlossen untergebracht, nur eben nicht in Hamburg, sondern in den Angeboten anderer Bundesländer.

(Beifall bei der SPD)

Sie waren auch in der Haasenburg, ohne Hamburgs Einflussnahme auf das Konzept, aber so wollen wir das nicht mehr machen. Die GRÜNEN nehmen für sich in Anspruch, schon immer gegen geschlossene Unterbringung gewesen zu sein, allein unter dem schwarz-grünen Korsett wollten sie es eine Weile geduldet haben, bis dann die Feuerbergstraße geschlossen wurde.

(Jens Kerstan GRÜNE: Sie ist geschlossen worden!)

Heute wissen wir, dass es um den Preis war, andere Bundesländer in Anspruch genommen zu haben. Zu diesem Thema möchte ich eine Expertin zu Wort kommen lassen, eine Hamburger Fachärztin für Psychiatrie. Sie sagte 2004, zu Zeiten der Feuerbergstraße unter CDU, FDP und Schill, also ohne Zwang des schwarz-grünen Korsetts, etwas sehr Vernünftiges, wie ich finde:

"Es kommt darauf an, dass Jugendliche nur in allerletzten Fällen, und zwar so kurz wie möglich, in eine geschlossene Unterbringung kommen, wenn alle anderen Maßnahmen der Jugendhilfe nicht möglich sind."

Diese Expertin ist eine Fachärztin für Psychiatrie, Frau Dr. Freudenberg, ehemalige Abgeordnete der GAL-Fraktion und frühere sozialpolitische Sprecherin. Ich finde, da hat sie recht.

(Beifall bei der SPD und bei Anna-Elisabeth von Treuenfels FDP)

Genau deswegen müssen wir uns – und da bin ich mit meiner Fraktion sehr entschieden – einer doppelten Verantwortung stellen. Wir sind es den Jugendlichen schuldig, ihnen eine letzte Möglichkeit zu bieten, ihr Leben zu ordnen und womöglich einen Gefängnisaufenthalt zu vermeiden. Wir tragen auch – das dürfen wir nicht vergessen – für die Menschen in dieser Stadt die Verantwortung, so ein Angebot zu schaffen. Dazu gehören verzweifelte Eltern, die ihrem Kind noch eine Chance verschaffen möchten und die nicht mehr ein noch aus wissen. Dazu gehören auch Opfer dieser Jugendlichen, meist schwächere Jugendliche, ältere Menschen und andere, die unter Traumata leiden.

(Beifall bei Ekkehard Wysocki SPD)

Es ist nämlich keinesfalls so, wie es ein Sprecher der LINKEN in einer Fernsehsendung für alle hörbar auf eine Formel brachte: heute Schule geschwänzt und morgen geschlossen untergebracht. Gescheiterte Jugendhilfemaßnahmen, ein Antrag der Sorgeberechtigten, ein jugendpsychiatrisches Gutachten und ein Beschluss des Familiengerichts sind die Voraussetzungen für eine geschlossene Unterbringung. Oftmals kommt auch eine lange Reihe von Straftaten hinzu. Ich glaube, wir dürfen das nicht verharmlosen.

(Beifall bei der SPD)

Es ist mitnichten so, wie hier gern behauptet wird, dass es eine einheitliche Fachmeinung zum Thema geschlossene Unterbringung gibt, denn es gibt zahlreiche Träger und Einrichtungen im Süden Deutschlands und auch in Nordrhein-Westfalen, die erfolgreiche Angebote machen.

(Zuruf von Farid Müller GRÜNE)

Es gibt auch Meinungen in der Fachwelt, wie beispielsweise die von Dr. Björn Hagen, die das Thema freiheitsentziehende Maßnahmen bei der Erziehung auf die Formel bringen, dass Erziehung in bestimmten Fällen Anwesenheit voraussetze.

Es ist daher richtig, dass Hamburg hierzu ein eigenes Konzept erarbeitet. Nur so können wir auch die Inhalte bestimmen. So sieht es dann eben aus, wenn man Verantwortung übernimmt und sich der Aufgabe stellt.

(Beifall bei der SPD und bei Anna-Elisabeth von Treuenfels FDP)

Herr de Vries hat das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Als ich die Anmeldung zur Aktuellen Stunde gelesen habe – wir hatten gestern schon das Vergnügen, dies im Ausschuss zu dis

(Dr. Melanie Leonhard)

kutieren –, ist mir ein sehr treffendes Zitat von Romano Guardini eingefallen, ein katholischer Theologe und Philosoph, der gesagt hat, es sei nicht gut, vor Wirklichkeiten zu tun, als ob sie nicht wären, sonst würden sie sich rächen.

Die Wirklichkeit in Hamburg und anderen deutschen Großstädten ist, dass es einen kleinen Kreis jugendlicher Intensivtäter gibt, für die es politisch keine vertretbare und verantwortbare Alternative zur geschlossenen Unterbringung gibt. Das ist die Haltung der CDU.

(Beifall bei der CDU)

Bei der Darstellung von GRÜNEN und LINKEN dieser Jugendlichen, über die wir reden, wurde gesagt, das seien Schulschwänzer, die hätten ihre Hausaufgaben vergessen oder mal dummes Zeug gemacht.

(Jens Kerstan GRÜNE: Haben Sie mal zu- gehört?)

Man muss einmal klipp und klar benennen, über wen wir sprechen. Wir reden über Jugendliche, bei denen alle Maßnahmen der Jugendhilfe zuvor eingesetzt wurden und die dann versagt haben. Wir reden über Jugendliche, die sonst keiner Erziehungsmaßnahme mehr zugänglich sind. Wir reden über Jugendliche, die massive Straftaten über einen längeren Zeitraum begangen haben. Ich kann Ihnen nur empfehlen, sich einmal die Akten anzuschauen, da wird Ihnen schwindlig. Es stehen dort schwerste Straftaten über Monate hinweg, begangen im Drei-Tage-Takt.

Das führt mich zu einem weiteren Punkt. Wir reden über Jugendliche – das hat Senator Scheele auch gesagt –, bei denen wir sogar Riesenprobleme haben, sie auswärtig in anderen geschlossenen Heimen unterzubringen, weil diese Einrichtungen sich schlichtweg weigern. In Wahrheit sind es Jugendliche, die in anderen Bundesländern längst im Jugendknast sitzen würden.

(Beifall bei der CDU und der SPD)

Deswegen ist auch richtig, was Frau Leonhard sagte, dass für diese Jugendlichen die geschlossene Unterbringung die letzte Chance vor dem endgültigen Abgleiten in die kriminelle Karriere ist. Es ist auch die letzte Ausfahrt vor dem Jugendknast.