Protocol of the Session on May 19, 2011

(Beifall bei der FDP – Dirk Kienscherf SPD: Das ist aber schlecht vorbereitet!)

Schönen Dank. – Die Abgeordnete Özdemir hat das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Frau Fegebank hatte schon erwähnt, dass die Bundesfamilienministerin vor wenigen Tagen angekündigt hat, eine Werbekampagne für den neuen Bundesfreiwilligendienst zu starten. Das hat sie auch schon getan. Das Motto lautet: Zeit, das Richtige zu tun. Aber viel Zeit, um das Richtige zu tun, bleibt uns nun wirklich nicht mehr. In wenigen Wochen wird es zu Engpässen bei der Versorgung von Menschen mit Assistenz- und Pflegebedarf kommen. Bei der Stiftung Bodelschwingh in Hamburg beispielsweise werden 17 Schwerstbehinderte von unter anderem 35 Zivildienstleistenden betreut. Ausreichend Bewerberinnen und Bewerber für den Bundesfreiwilligendienst gibt es noch nicht und wird es wohl auch trotz Werbekampagne nicht geben. Ab Oktober sind somit 50 Prozent aller Assistenzen nicht mehr gesichert und wir müssen uns fragen, was das eigentlich für die Betroffenen in Hamburg bedeutet. Das bedeutet zum Beispiel, dass ein auf einen Rollstuhl angewiesener Mensch nicht mehr seine Wohnung verlassen kann, oder es bedeutet, dass die über eine Assistenz gewährleistete Teilhabe am gesellschaftlichen Leben wegfällt. Es bedeutet auch, dass Schwerstbehinderte massiv in ihren Rechten eingeschränkt werden.

Der Zivildienst war ein Zwangsdienst. Als Fraktion DIE LINKE begrüßen wir natürlich die Aussetzung, aber die Alternative kann und darf nicht sein, dass der Bundesfreiwilligendienst eingeführt wird, wenn es auch noch das FSJ und das FÖJ gibt, die auch gestärkt und erweitert werden könnten.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielmehr müssen neue sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze geschaffen werden. Menschen, die in sozialen Berufen arbeiten möchten, gibt es genug, sie müssen nur qualifiziert werden und auch einen Mindestlohn erhalten.

(Beifall bei der LINKEN)

Der Bundesfreiwilligendienst ist ausdrücklich auch offen für Arbeitslose, die SGB-II-Leistungen bezie

(Martina Kaesbach)

hen. Für eine psychisch und physisch belastende Vollzeitbeschäftigung im Rahmen des Bundesfreiwilligendienstes beispielsweise in der Assistenz für Schwerstbehinderte erhalten sie dann 60 Euro zusätzlich im Monat. Sollen Schwerstbehinderte künftig von Menschen betreut werden, die den Schikanen der Jobcenter entfliehen wollen? Der Bundesfreiwilligendienst sieht eine Mindestdauer von sechs Monaten vor. Auch in dieser Hinsicht kann er keineswegs die durch die Aussetzung des Zivildienstes entstandene Lücke füllen. Schwerstbehinderte sind in der Betreuung auf Kontinuität angewiesen. Jeder personelle Wechsel bedeutet für sie eine große Belastung, die nicht sein muss und nicht sein darf.

(Beifall bei der LINKEN)

Bereits beim Zivildienst war die Arbeitsmarktneutralität nicht gewährleistet, die Zivildienstleistenden wurden immer seltener für zusätzliche Arbeiten eingesetzt. Ein Drittel der Zivildienstplätze in der Pflege und Betreuung sind in gewinnorientierten Betrieben des Sozialbereichs angesiedelt. Wäre das Gebot der Arbeitsmarktneutralität beim Zivildienst eingehalten worden, wären die jetzt entstehenden Engpässe weniger dramatisch. Jetzt ist durch den Bundesfreiwilligendienst zu erwarten, dass – wie schon bei den Ein-Euro-Jobs – reguläre Arbeitsplätze durch Taschengeldjobs ersetzt werden. Kurzum, es müssen reguläre qualifizierte Arbeitsplätze im sozialen Bereich geschaffen werden. Es wird gesagt, dass die Zuständigkeit beim Bund liege, aber wenn die Betroffenen in Hamburg leben, dann ist es wohl auch unsere Sache. Deshalb plädiere ich dafür, dass dieser Antrag auch von der SPD an den Ausschuss überwiesen wird, damit er dort so schnell wie möglich behandelt wird. Man muss auch bedenken, dass die parlamentsfreie Zeit bald kommen wird und am 1. Juli bereits der Wehrdienst ausgesetzt wird. Deshalb müssen wir so schnell wie möglich handeln. – Danke.

(Beifall bei der LINKEN und bei Christa Goetsch GAL)

Schönen Dank. – Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen vor.

Wer stimmt einer Überweisung der Drucksache 20/153 an den Ausschuss für Soziales, Arbeit und Integration zu? – Gegenprobe. – Enthaltungen? – Damit ist die Große Anfrage überwiesen.

Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 23, der Drucksache 20/412, Antrag der FDP-Fraktion: Gefährdung durch Radfahrer.

[Antrag der FDP-Fraktion: Gefährdung durch Radfahrer – Drs 20/412 –]

Wer wünscht das Wort? – Herr Schinnenburg, bitte.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich hoffe, Ihnen allen liegt das Thema Gesundheit von Radfahrern am Herzen. Deshalb bitte ich Sie, nicht nur mir zuzuhören, sondern auch unserem Antrag zuzustimmen.

Es gibt ein Zerrbild in der Öffentlichkeit. Es wird immer gesagt, die Radfahrer seien die Opfer und die Autofahrer seien die Täter. Das stimmt in dieser Schlichtheit nicht.

Erstens: Tatsächlich werden 40 Prozent der Unfälle, an denen Fahrradfahrer beteiligt sind, von Fahrradfahrern verursacht. Das können Sie im Fortschrittsbericht des Senats vom Januar 2011 auf Seite 32 nachlesen.

Zweitens: Das sind nicht nur ein paar wenige Fälle, sondern es sind etwa 1 000 Unfälle pro Jahr, die von Radfahrern verursacht werden, das heißt, etwa drei pro Tag, davon zwei mit Personenschäden. Mit anderen Worten: Jeden Tag werden im Straßenverkehr zwei Menschen durch Fahrradfahrer verletzt.

Drittens: Das rüpelhafte Verhalten einiger Fahrradfahrer …

(Zuruf von Heike Sudmann DIE LINKE)

Sie nicht, Frau Sudfrau. Entschuldigung.

Rüpelhaftes Verhalten von Fahrradfahrern ist täglich zu beobachten und das ist in diesen Statistiken nicht enthalten. Darin stehen nur die Fälle, die tatsächlich zur Anzeige gebracht wurden und bei denen es Verletzte und Sachschäden gab. Jeden Tag erleben wir, dass Fahrradfahrer – natürlich nur einige wenige, die Masse nicht – sich rüpelhaft im Verkehr verhalten und Fußgänger und Autofahrer gefährden. Wir wollen, dass auch dieser Punkt genauso ernst genommen wird, wie die in der Tat zahlreichen Vergehen von Autofahrern, denn wir wollen auch kein falsches Zerrbild in der umgekehrten Richtung erreichen. 54 Prozent dieser Unfälle mit Radfahrerbeteiligung werden von Autofahrern verursacht. Keine Frage, es ist nicht etwa so, dass immer die Radfahrer schuld sind, es ist ungefähr in gleichem Maße. Es ist eine erschreckend hohe Zahl an Personenschäden und Sachschäden, die von Fahrradfahrern verursacht werden; deshalb unser Antrag.

Erster Punkt: gleichmäßige Verkehrsüberwachung. Wir wollen natürlich, dass Autofahrer überwacht werden und auch bestraft werden, wenn sie Verkehrsvergehen begehen und dabei Menschen verletzen. Aber das muss in gleicher Intensität auch mit Radfahrern passieren.

(Cansu Özdemir)

Zweiter Punkt: Wir wollen eine statistische Untersuchung, um Ursachen und Zusammenhänge genauer zu erfahren, genauer gesagt, die Schwerpunkte der Unfallverursachung durch Radfahrer. Bisweilen wird auf eine Anfrage der SPD-Fraktion aus der letzten Legislaturperiode, Drucksache 19/5353, verwiesen. Das reicht nicht. Dort wird nur das Alter der Beteiligten und aller Hauptverursacher, auch der Autofahrer, bekanntgegeben. Deshalb wollen wir eine genauere Statistik. Auch im Fortschrittsbericht 2011 ist dies nicht enthalten. Dort geht es nur um die Orte ohne die Erfassung der Verursachung durch Radfahrer und auch ohne die Unfallsituation.

Dritter Punkt: Wir wollen den Umbau des Radwegenetzes und der Velorouten so ausrichten, dass solche Unfallschwerpunkte entschärft werden. Das können Sie natürlich gar nicht machen, wenn Ihnen die von uns geforderten Zahlen noch nicht vorliegen. Deshalb: Statistiken erheben und daraus Konsequenzen für den Bau von Fahrradwegen und Velorouten herbeiführen.

Vierter Punkt: Bei der Verkehrserziehung in Schulen sollte besonderes Augenmerk auf Radfahren gelegt werden. Dazu habe ich schon gehört, dass das schon passiere. Dazu müssen Sie bitte auch einmal im Fortschrittsbericht, diesmal auf Seite 31, nachlesen. Die Verkehrserziehung bezüglich des Radfahrens konzentriert sich auf die Klassen 3 bis 6. Gerade in diesem Alter, also bis maximal zwölf Jahre, gibt es nach meiner Kenntnis keinerlei Fahrradrowdys. In den Jahren danach gibt es welche, aber die kennen für gewöhnlich die Verkehrsregeln und handeln bewusst dagegen. Deshalb ist aus unserer Sicht auch eine Nachsteuerung im Bereich der Verkehrserziehung in den Schulen erforderlich.

Uns liegen erschreckende Zahlen vor, in der Bevölkerung besteht erhebliche Unsicherheit. Deshalb ist dieser Antrag dringend notwendig und wir bitten um Zustimmung. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Danke schön. – Der Abgeordnete Münster hat das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Schinnenburg, ich habe mich immer gefragt, als ich den Antrag gelesen habe, wo Sie Ihr traumatisches Erlebnis erlebt haben.

(Beifall und Heiterkeit bei der SPD, der CDU, der GAL und der LINKEN)

Alles, was Sie eben gesagt haben, ist fast Schnee von gestern. Wir haben eine Fahrradstaffel in der Stadt, die überwacht. Sie ist nicht so stark wie eine Hundertschaft, aber sie überwacht. Sie ist permanent mobil unterwegs, sie erfüllt ihre Aufgaben und

sie bleibt auch erhalten. Der Vorgängersenat wollte sie abschaffen aber wir haben gesagt, die Fahrradstaffel muss bleiben, sie ist wichtig.

Letzte oder vorletzte Woche habe ich in meinem Abgeordnetenfach einen Flyer gefunden. Darin standen detailliert Bremswege, Unfälle vor Schulen mit einer Uhrzeit, wann dieses alles passiert ist. Es ist eine detaillierte Statistik erstellt worden, nur, um das Bewusstsein zu wecken, was im Umfeld von Schulen an Unfällen passiert. Diese werden meistens, wenn nicht sogar überwiegend, von Autofahrern verursacht.

(Finn-Ole Ritter FDP: Das war das Gleiche, was er gesagt hat!)

Die Statistik, die Sie beantragen, ist aus 2009. Es gibt eine neue aus 2010. Die haben Sie nicht gefunden, ich kann Ihnen sagen, wo man sie nachlesen kann: www.hamburg.de/Fahrrad. Da leuchtet sie auf.

(Beifall und Heiterkeit bei der SPD, der GAL und der LINKEN und vereinzelter Beifall und Heiterkeit bei der CDU)

Sie können sich wieder setzen, ich habe nur knappe Redezeiten. Ich lasse keine Zwischenfragen zu, der Parlamentarische Geschäftsführer hat gesagt, ich soll nicht allzu lange reden.

(Beifall und Heiterkeit bei der SPD, der GAL und der LINKEN und vereinzelter Beifall und Heiterkeit bei der CDU)

Im Vergleich zu 2009 sind 2010 die Unfallzahlen um 17,2 Prozent und die Verunglückten um 15,2 Prozent gesunken. Sie haben in Ihrem Antrag nicht einmal das Wort Fahrradforum in den Mund genommen. Ich glaube, Sie wissen gar nicht, dass diese Stadt auch ein Fahrradforum hat, das sich intensiv mit solchen Themen beschäftigt. Dass an neuralgischen Punkten noch Nachholbedarf besteht, will niemand bestreiten, aber die Fahrradwege werden immer besser und immer angenehmer für Radler, weil eine Großstadt Fahrradverkehr auch zulassen muss.

(Finn-Ole Ritter FDP: Ich glaube, Sie haben auch ein Trauma!)

Sei haben sicherlich ein Erlebnis mit Fahrradkurieren gehabt. Das ist auch ein Schwerpunkt der polizeilichen Überwachung. Man sieht sogar im Fernsehen, insbesondere in Hamburg, wo die Defizite liegen. Aber Hamburg wird sich nach wie vor dementsprechend für Fahrradverkehre weiterhin öffnen und wir sehen im Moment überhaupt keinen Bedarf, über das Maß hinaus zu kontrollieren. Das wäre auch den Fahrradfahrern gegenüber nicht gerecht.

(Beifall bei der FDP und bei Anjes Tjarks GAL)

(Dr. Wieland Schinnenburg)

Ich mache das, wie gesagt, als Kurzfassung. Fazit: Alles, was die FDP fordert, gibt es schon. Man merkt, dass Sie ein paar Jährchen nicht in der Bürgerschaft waren. Es ist etwas an Ihnen vorbeigegangen. Außerdem kommen Sie mit alten Statistiken, die Homepage haben Sie nicht gefunden, deswegen lehnen wir den Antrag auch ab. – Vielen Dank.