Schließlich geht es bei diesem Thema im Kern um unser Bild von der Gesellschaft. Was für eine Gesellschaft wollen wir und wohin wollen wir gehen? Die Idee der doppelten Staatsbürgerschaft ist nicht ganz neu. Unser Vorstoß ist umso wichtiger, da das Konzept einer exklusiven nationalen Identität hoffnungslos überholt ist.
Natürlich fühlen sich in Deutschland geborene und aufgewachsene Menschen als Teil der deutschen Gesellschaft, doch auch Tradition und Sprache der Eltern und das Narrativ der Familie werden als identitätsstiftend empfunden. Die Identitäten junger Menschen sind somit erweiterte Identitäten, die ein moderner Staat respektieren sollte. Junge Menschen zu einer Entscheidung zwischen den integralen Bestandteilen ihrer Identitäten zu zwingen, heißt, ihnen diesen Respekt zu versagen. Das machen wir nicht mit.
Warum sollten Loyalitäten automatisch und zwingend im Konflikt stehen? Können diese von ihren Trägern nicht vielmehr als Verpflichtung empfunden werden, selbst für die Verständigung der Staaten einzutreten, deren Staatsbürger sie sind? Empfiehlt es sich vor diesem Hintergrund nicht, statt von geteilten Loyalitäten von erweiterten Loyalitäten zu sprechen? Eine vielfältige Gesellschaft und ein moderner Staat wären gut beraten, diese erweiterten Identitäten zu akzeptieren und die Akzeptanz erweiterter Loyalitäten auch in Form doppelter Staatsangehörigkeiten zum Ausdruck kommen zu lassen, denn dies hieße, die Menschen dieses Landes und ihre Diversität zu akzeptieren und anzunehmen. Das ist eine gute und moderne Gesellschaftspolitik.
Warum sollte, was für Otto und Harald gilt, nicht auch für Mehmet und Namir gelten? Warum wird die doppelte Staatsbürgerschaft unter westlichchristlichen Ländern hingenommen, während junge Deutsche mit türkischen oder arabischen Wurzeln zur Aufgabe eines wesentlichen Teils ihrer Identität gedrängt werden?
Meine Damen und Herren! Trotz reflexartiger ideologischer Proteste gegen die Mehrstaatigkeit ist das Konzept der doppelten Staatsbürgerschaft auch in den bürgerlichen Lebenswelten seit Langem fest verankert. Der ehemalige Ministerpräsident von Niedersachsen hat zwei Pässe. Der verstorbene CSU-Politiker Otto von Habsburg besaß die Staatsbürgerschaften von Österreich, Deutschland, Ungarn und Kroatien; über etwaige Loyalitätskonflikte ist nichts bekannt.
Auch die Bundesregierung selbst hat das Konzept Doppelpass jüngst zumindest implizit goutiert, indem sie mit Harald Leibrecht, FDP, einen Doppelstaatler zum neuen Koordinator für die deutschamerikanischen Beziehungen ernannte. Dieser FDP-Abgeordnete ist in den USA geboren, er besitzt den deutschen und den US-Pass.
Meine Damen und Herren! Hamburg setzt sich auf Bundesebene dafür ein, dass die Hinnahme der Mehrstaatigkeit möglich gemacht und der Optionszwang abgeschafft wird. Mit der Bundesratsdrucksache 461/13 hat der Senat gemeinsam mit den Ländern Baden-Württemberg, Brandenburg, Bremen, Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen einen Gesetzesantrag auf den Weg gebracht, der dieses Anliegen aufgreift. Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 5. Juli dieses Jahres beschlossen, den Gesetzentwurf beim Deutschen Bundestag einzubringen. Wir gehen davon aus, dass sich die neue Mehrheit des Bundestags nach dem 22. September dem Antrag des Bundesrats anschließt, den Optionszwang abschafft und das Staatsangehörigkeitsgesetz weiterentwickelt. – Vielen Dank.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Das Wesen einer Parlamentsdebatte ist dadurch gekennzeichnet, dass wir nach von uns selbst gegebenen Regeln eine inhaltliche Diskussion führen und zu einer Abstimmung kommen. Zu diesem Tagesordnungspunkt liegt Ihnen die Drucksache 20/8827 vor, in der die Präsidentin mitteilt, dass der Innensenator ihr mitgeteilt habe, dass das Ersuchen der Bürgerschaft aufgenommen worden sei und der Bundesrat beschlossen habe, den entsprechenden Gesetzentwurf an den Bundestag weiterzuleiten.
Der Bundestag tagt nicht mehr, das Ganze fällt der Diskontinuität anheim. Die einzige Möglichkeit – das haben Sie richtig erkannt, Herr Abaci – besteht nicht darin, eine Debatte über einen Antrag zu führen, der hier gar nicht vorliegt, zumal wir diese Debatte in dieser Legislaturperiode schon dreioder viermal geführt haben und auch der Rechtsausschuss sich mit der Thematik beschäftigt hat. Ihnen geht es um etwas anderes. Sie wollen noch einmal Stimmung machen vor der Bundestagswahl, aber wir werden Ihnen nicht auf den Leim gehen. Sie können versuchen, im Rahmen der Wahlen für Ihren Vorschlag eine gesellschaftliche Mehrheit herbeizuführen – das wird Ihnen schwer genug fallen –, und dann können wir uns wieder damit beschäftigen, aber heute ist das an dieser Stelle völlig überflüssig.
7 Millionen Menschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit, sondern auch fast 9 Millionen Deutsche mit ausländischen Wurzeln. Es haben also zusammengerechnet rund 16 Millionen Menschen in unserem Land einen sogenannten Migrationshintergrund. Das ist fast jeder Fünfte. Deutschland ist vielfältig und wird künftig noch bunter. Das ist keine Drohung, sondern eine Realität im Zuge der Globalisierung, des zusammenwachsenden Europas und des demographischen Wandels. Die Integrationspolitik sollte daher alles daransetzen, dass hier lebende Menschen Deutsche werden wollen und dies auch bleiben können.
Durch diesen schwarz-gelben Irrsinn Optionspflicht werden in den nächsten Jahren weit über 300 000 junge Deutsche gezwungen, sich bis zu ihrem 23. Lebensjahr zwischen ihrem deutschen Pass und der Staatsbürgerschaft ihrer Eltern zu entscheiden. Wer sich nicht entscheidet, wird zwangsweise ausgebürgert.
70 Prozent der Optionspflichtigen haben türkische Wurzeln. Das zeigt uns, dass dieser Optionszwang zielgerichtet in eine Richtung ausgeübt wird. Was für ein Bild vermitteln wir diesen jungen Menschen damit eigentlich? Das ist nicht nur integrationspolitisch kontraproduktiv, sondern auch diskriminierend.
Die Bundesregierung wollte die Optionspflicht schon 2009 prüfen. Das ist bis heute nicht geschehen. Während ihrer Untätigkeit verlieren viele junge Menschen ihren deutschen Pass.
(André Trepoll CDU: Wissen Sie, wie viele in Hamburg ihren deutschen Pass verloren ha- ben? – Einer!)
Zu einer Gesellschaft der Vielfalt gehört auch die Mehrstaatigkeit. Deutsche haben heutzutage unterschiedliche Wurzeln. Seit Jahren erfolgen mehr als 50 Prozent der Einbürgerungen unter Hinnahme der Mehrstaatigkeit. Warum soll diese generelle Hinnahme der Mehrstaatigkeit, die in vielen europäischen Ländern erfolgreich praktiziert wird, nicht auch in Deutschland funktionieren? Die Antwort sind Sie uns bis heute schuldig geblieben, meine Damen und Herren von CDU und FDP. Da Ihnen die inhaltlichen Gründe fehlen, argumentieren Sie nicht in der Sache und werfen den Menschen Illoyalität und gar Kriminalität vor. Ich frage Sie: Warum fordern Sie nicht auch von Herrn McAllister, dass er seine deutsche Staatsangehörigkeit aufgibt? Er ist doch auch englischer Staatsbürger. Wenn wir ein Gesetz haben, dann muss es für Herrn McAllister genauso gelten wie für einen Türken. Sie erwarten von Menschen mit Migrationshintergrund, dass sie sich integrieren, sperren
aber gleichzeitig Zugänge zu einer gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft. Das passt nicht zusammen.
Die FDP scheint ihre Liberalität gerade wiederentdeckt zu haben; im Wahlkampf macht sie eine liberale Staatsbürgerschaftspolitik. Schauen wir einmal auf Ihre Wahlkampfreden und auf die namentliche Abstimmung. Sie werben mit diesem schönen liberalen Wahlplakat: "2 Sprachen, 2 Kulturen, 2 Pässe – nur mit uns!"
Aber hier unten stehen die namentlichen Abstimmungsergebnisse, und da sehen wir das wahre Gesicht der FDP. Bei der namentlichen Abstimmung im Bundestag über die Abschaffung des Optionszwangs waren zwei FDP-Abgeordnete für die Abschaffung, der Rest dagegen. Die Wählerinnen und Wähler sind nicht so dumm, darauf hereinzufallen, was Sie im Wahlkampf veranstalten.
Ich komme zu der Drucksache. Wir freuen uns über diese Bundesratsinitiative und haben sie auch mit Anträgen unterstützt, aber realistisch gesehen bringt diese Initiative nichts mehr; der Bundestag tagt vor der Wahl nicht mehr. Die Anträge der Fraktionen zur Bundesratsinitiative sind Anfang 2012 gestellt worden. Sie, liebe SPD, haben über ein Jahr gebraucht, um diese Anträge auf die Tagesordnung des Ausschusses zu bringen. Der Ausschuss hat im April entschieden und jetzt ist es zu spät. Wir werden mit dieser Initiative keinen Erfolg mehr haben. Wir können nur noch hoffen, dass ein Regierungswechsel kommt,
oder wir werden die FDP auf ihre liberale Wahlkampfkampagne festnageln müssen, damit sie ihre Tour ändert und dann vielleicht in der nächsten Legislaturperiode im Bundestag ist.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Nach den Beiträgen meiner durchaus geschätzten Kollegen ist eines festzuhalten: Das Interesse an der FDP nimmt deutlich zu,
während SPD und GRÜNE ihre Integrationspolitik anscheinend darauf reduzieren, die Optionspflicht abschaffen zu wollen.
Ich möchte aber ein bisschen mehr zur Integrationspolitik sagen und von vier guten Jahren für die Integrationspolitik mit der FDP in der Bundesregierung sprechen. Die schwarz-gelbe Bundesregierung hat in diesem Bereich viel erreicht, Frau Demirel. Für minderjährige und geduldete Ausländer gibt es ein von Eltern unabhängiges Bleiberecht und für von Zwangsheirat betroffene Frauen ein Rückkehrrecht.
Wir haben im Bund das Gesetz zur Anerkennung ausländischer Abschlüsse bereits 2011 verabschiedet und die Blue Card mit einer unbegrenzten Niederlassungserlaubnis für Fachkräfte eingeführt. Ich glaube, wir haben viel dafür getan, dass sich Menschen, die zu uns kommen, hier aufgenommen fühlen.