Protocol of the Session on May 29, 2013

(Robert Heinemann)

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Schuldebatte Teil zwei. Wenn man genau hinschaut, haben wir vorhin in der Aktuellen Stunde, die wir sehr ausführlich bestritten haben – Sie waren leider nicht dabei, Herr Heinemann –, jeden einzelnen Punkt schon einmal aufgerufen und ihn auch debattiert. Deshalb will ich gar nicht mehr auf alle Punkte eingehen, aber doch noch einmal auf den ersten Punkt, die beruflichen Gymnasien in die Stadtteilschulen zu integrieren.

Frau Prien hat vorhin sehr richtig gesagt, dass die Stadtteilschulen jetzt Ruhe bräuchten, sie brauchen keine großen Strukturveränderungen. Und wir sollten vorsichtig sein bei den beruflichen Gymnasien. Wir haben beispielsweise zwei sehr erfolgreich arbeitende technische Gymnasien in Farmsen und in Wilhelmsburg. Wenn man sie dort beenden und in eine Stadtteilschule integrieren würde, müsste man eine kleine Strukturdebatte führen, aber ich glaube, das ist zurzeit nicht nötig. Wir sollten bei diesem Punkt etwas vorsichtig sein.

(Beifall bei der SPD)

Zum Bereich Berufsorientierung hat Frau Heyenn in der Aktuellen Stunde sehr ausführlich Stellung genommen, und dieser Stellungnahme können wir uns anschließen.

Zum Thema Differenzierung habe ich auch schon etwas in der Aktuellen Stunde gesagt, das will ich noch einmal ein bisschen konkretisieren. Man muss sich fragen, ob sich wirklich alle Schulpolitiker überhaupt mit Schulleitern von Stadtteilschulen unterhalten. Wir haben ein hohes Vertrauen in die Kompetenzen der Lehrerinnen und Lehrer an den Stadtteilschulen, die teilweise hervorragenden binnendifferenzierten Unterricht machen. Ich glaube, dass erfolgreiches Lernen nicht nur in äußerer Differenzierung stattfinden kann.

(Beifall bei der SPD und bei Dr. Stefanie von Berg GRÜNE und Dora Heyenn DIE LINKE)

Ich würde gern noch einmal auf die Zwischenfrage von Frau von Berg an Herrn Dr. Scheuerl eingehen, und zwar auf den Punkt der äußeren Differenzierung an den Gymnasien. Wir haben an Gymnasien auch das Thema Hochbegabung, da müsste man ebenso einmal genauer hinschauen. Es ist auch richtig, dass an Gymnasien nicht alle Schülerinnen und Schüler das Abitur anstreben,

(Dora Heyenn DIE LINKE: Richtig!)

sondern auch dort einige den Realschulabschluss beziehungsweise den mittleren Schulabschluss machen wollen. Man müsste genauer betrachten, ob es nicht auch dort in die äußere Differenzierung gehen müsste. Das müssen wir noch einmal aufgreifen.

(Beifall bei der SPD und bei Dr. Stefanie von Berg GRÜNE und Dora Heyenn DIE LINKE)

Der letzte Punkt ist das Thema Inklusion, es wurde viel debattiert und besprochen. Sie wollen nun wieder zurück zur Einzelfalldiagnose. Die Sonder- und Sozialpädagogen leisten momentan eine sehr wichtige Aufgabe an den Stadtteilschulen. Sie sind mit in den Klassen und machen eine direkte Betreuung am Kind. Wenn wir das jetzt alles wieder zurückdrehen von der systemischen Ressource zur Einzelfalldiagnose, dann müssen genau diese Sonderpädagogen, die viel mehr direkt am Kind und direkt in den Klassenteams arbeiten, wieder viel mehr Gutachten schreiben. Es muss wieder alles endlos dokumentiert werden. Das Ganze muss dann in der Behörde irgendjemand bearbeiten, und es ist eine Flut von Anträgen, wie wir erlebt haben. Ich denke, dass wir diese Ressource für die Sonderpädagogen und die Sozialpädagogen, die momentan an den Stadtteilschulen arbeiten, jetzt sinnvoller einsetzen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und bei Dora Heyenn DIE LINKE)

Frau Dr. von Berg, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Wir halten den Antrag der CDU in vielen Punkten für kontraproduktiv hinsichtlich der Entwicklung der Stadtteilschule. Wir werden deshalb die allermeisten Punkte ablehnen, und ich will das auch gern begründen.

Ich fange zunächst damit an, welchen Punkten wir zustimmen, weil wir es genauso sehen. Das ist einmal die Steuerung bei der Inklusion, das wird tatsächlich jetzt auch schon durchgeführt. Es gibt also nicht mehr als vier Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf in einer Klasse, damit man überhaupt halbwegs mit der durchaus vorliegenden Schräglage der Ressourcierung klarkommt.

Wir werden auch dem Petitum 8 zustimmen, bei dem es im Prinzip darum geht, unsere grüne Idee der Magnetschule umzusetzen. Es geht dort darum, die Stadtteilschule wieder im Mittelpunkt eines Stadtteils zu verorten und regionale Bildungslandschaften zu schaffen. Das ist ein Punkt, den wir dringend befördern müssen, und es ist auch eine konkrete Forderung an den Senat, wenn wir die Schuldebatte von heute Mittag aufgreifen.

(Beifall bei Christiane Blömeke GRÜNE)

Danke, Frau Blömeke.

Welchem Punkt wir jedoch überhaupt nicht zustimmen werden, ist der ganze Bereich der beruflichen Gymnasien. Herr Holster hat es schon kurz erwähnt und hat es damit begründet, dass Ruhe in die Schulen gebracht werden müsse. Wir sehen das noch aus einer anderen Warte, und zwar aus dem Grund, weil alle Bundesländer berufliche Gymnasien haben. Es gibt dort berufliche Gymna

sien auch deswegen, weil Jugendliche manchmal Umwege, neue Wege und auch einmal neue Anfänge brauchen. Ich bin selbst Berufsschullehrerin und weiß, dass einige Jugendliche in den beruflichen Gymnasien ankommen und sie als neue Chance nutzen, um einen Neuanfang zu machen und wieder Spaß am Lernen und der Schule zu haben. Wir GRÜNE stehen für Vielfalt und nicht für Einfalt.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei Matthias Albrecht SPD)

Wir wären außerdem das einzige Bundesland, das kein berufliches Gymnasium hätte. Das berufliche Gymnasium erfüllt außerdem auch noch die Funktion der Studienvorbereitung, das darf man nicht vergessen. Das jedoch kann und soll die Stadtteilschule so spezifisch für eine bestimmte berufliche Richtung nicht leisten.

Ich habe mir vorgestellt, wie dies wohl werden soll, wenn ein Drittel der Berufsschulkolleginnen und -kollegen an den Stadtteilschulen ist. Dann werden Stadtteilschulen wirklich nur noch Gemischtwarenläden, und das werden wir nicht einfach zulassen. Deswegen stimmen wir auch gegen diesen Punkt.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wenn man sich den CDU-Antrag ansieht, hat man das Gefühl, es wird eine eierlegende Wollmilchsau. Die Stadtteilschulen sollen alles machen. Wir haben es uns so vorgestellt: Es soll im Prinzip so etwas werden wie eine vorgelagerte berufsbildende Schule. Das heißt, wenn ihre Kinder zehn Jahre alt sind, sollen sich die Eltern entscheiden, ob das Kind aufs Gymnasium, studieren und eine akademische, allgemeinbildende Laufbahn machen soll oder einen Beruf lernen, etwas Praktisches. Ab der fünften Klasse soll schon Berufsorientierung neoliberal und verwertungsorientiert erfolgen. Das lehnen wir deutlich ab. Das ist rückwärtsgewandt und kontraproduktiv, und es wird die Stadtteilschule nicht zu einer gleichwertigen Alternative zum Gymnasium machen, so, wie wir es jedenfalls mit der SPD gemeinsam anstreben. – Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Nun hat Frau von Treuenfels das Wort.

Sehr geehrte Damen und Herren, sehr geehrte Frau Präsidentin! Herr Heinemann hat mir gerade mitgeteilt, wenn ich etwas Vernünftiges sage, würde er auch klatschen. Ich werde mich sehr darum bemühen.

Trotzdem beginne ich meine Rede mit etwas, das Ihnen vielleicht nicht so gefällt. Es hat nämlich mehrere Jahre gedauert, bis die CDU jetzt ihre eigenen Versäumnisse in ihrer Schulpolitik in Sachen Stadtteilschule erkannt hat – immerhin. Wir

haben heute schon sehr viel über die Stadtteilschule gesprochen.

(Hans-Detlef Roock CDU: Was soll das denn?)

Es sollte unser aller Ziel sein, sie zu stärken und zur zweiten Säule zu machen. Ihr Bildungsauftrag ist laut Schulgesetz weit gefasst. Sie soll grundlegende und vertiefte Bildung ermöglichen. Die Schüler sollen mit dem Abitur abschließen oder den Anschluss an einen berufsqualifizierenden Bildungsgang finden. Das ist ein sehr hoher Anspruch, der an diese Schulform gestellt wird, und der Bildungsauftrag ist vielfältig. Dass die berufliche Orientierung frühzeitig und umfassend ein wichtiger Teil des Bildungsauftrags der Stadtteilschulen ist, ist unbestritten. Umso erstaunter las ich den CDU-Antrag, der sich für mich in weiten Teilen so liest, als ob die Stadtteilschule jetzt zu einer Art Berufsschule werden solle.

Zu Ihren Vorschlägen im Einzelnen.

Erstens: Berufliche Gymnasien sollen in die Stadtteilschulen integriert werden. Eine bestehende, gut funktionierende und erfolgreiche Schulform abzuschaffen, um sie in eine neue Schulform zu integrieren und dort zu etablieren, führt unserer Ansicht nach nicht zum Ziel.

(Beifall bei Dr. Stefanie von Berg GRÜNE)

Danke schön auch an Sie.

Berufliche Gymnasien haben ein besonderes Profil. Sie profitieren vom engen Austausch der Lehrkräfte an beruflichen Schulen untereinander. Die Schüler nutzen die vorhandene Infrastruktur der beruflichen Schulen und die existierende Kooperation mit der Wirtschaft. Eine Integration in die Stadtteilschulen würde diese Strukturen ohne Not zerschlagen. Kooperationen, gerade in der Oberstufe, sind sinnvoll und eine dringend notwendige Ergänzung des Angebots der Stadtteilschulen. Dazu haben wir neulich schon gemeinsam einen Antrag beschlossen.

Zweitens: Teilqualifizierende Berufsbildungsgänge sollen auch in die Stadtteilschulen integriert werden. Dabei wurden diese mit der Reform der beruflichen Bildung abgeschafft, und das aus gutem Grund. Sie waren de facto nämlich nichts anderes mehr als Warteschleifen, für die es keinen Anschluss gab. Eine Schulform, die sich eigentlich schon überlebt hat, sollte nicht an Stadtteilschulen künstlich am Leben erhalten werden.

(Beifall bei der FDP)

Wer kein Abitur an der Stadtteilschule macht, braucht eine gute Berufsorientierung. Das Ziel muss also die Vermittlung in eine duale Ausbildung sein.

Drittens: Die Stadtteilschulen sollen die Fachhochschulreife mit Praxisteil anbieten. Das hört sich gut

(Dr. Stefanie von Berg)

an, aber der Praxisteil wird in der Regel nach Abschluss der Klasse 12 im Rahmen eines Jahrespraktikums oder durch eine Berufsausbildung abgeleistet. Einen Praxisteil in die Oberstufe zu integrieren, geht unserer Auffassung nach zulasten der Unterrichtszeit und erschwert damit wieder den jedenfalls von einem Teil dieses Hauses gewollten Weg zum Abitur. Das wollen wir nicht.

(Beifall bei der FDP und bei Dr. Stefanie von Berg GRÜNE)

Die Stadtteilschule als Alternativangebot, das ein Abitur in neun Jahren ermöglicht, wird damit als gleichwertige Alternative geschwächt, weil sie nämlich überfrachtet wird. Der Fokus muss auf einer inhaltlichen Stärkung der Stadtteilschulen liegen. Ihre Petita 4 bis 10 bieten hierzu schon einige Vorschläge, die zwar zum Teil nicht neu sind, aber dennoch sehr wünschenswert. Ich nenne davon nun einige, denen Sie auch zustimmen werden: ein besserer Lehrermix mit mehr Berufsschullehrern, eine bessere Vernetzung der Schulen im Stadtteil oder eine zielgenauere Zuweisung der Ressourcen für die Umsetzung der Inklusion, die vom Senator schon zugesagt ist. Dem stimmen wir zu. Besser spät als nie, kann man die Erkenntnisse der CDU zusammenfassen. Wir stimmen dem zum Teil zu. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Nun hat Frau Heyenn das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Es schließt sich der Kreis zur heutigen Aktuellen Stunde. Was die CDU angedeutet hat, das manifestiert sich in diesem Antrag. Die Stadtteilschule soll auf Berufsausbildung festgelegt werden, und das Gymnasium ist für die wissenschaftliche Laufbahn gedacht, Klammer auf, Abitur, Klammer zu. Dabei wird, das hat Herr Holster eben schon angesprochen, völlig übersehen, dass nicht nur Schülerinnen und Schüler nach Klasse 10 einen Beruf erlernen, sondern dass auch Schülerinnen und Schüler, die mit Abitur das Gymnasium verlassen, bei weitem nicht alle studieren, sondern ebenfalls einen Beruf ergreifen. Insofern stellt sich die Frage, warum man die Berufsorientierung nur an der Stadtteilschule und nicht auch am Gymnasium macht.

(Beifall bei der LINKEN)