Protocol of the Session on May 15, 2013

Zweitens: Wichtig sind uns die Eingliederungsplanungen und das Übergangsmanagement. Freiheitsorientierung heißt auch, dass der Vollzug von Anfang an auf ein Leben in Freiheit ausgerichtet ist. Mit unserem gemeinsamen Antrag wollen wir daher in Paragraf 9 eine Regelung für einen Eingliederungsplan einführen. Die Wiedereingliederung von Menschen, die teilweise jahrzehntelang im Gefängnis lebten, die in der lebensfeindlichen Welt dieser totalen Institution Gefängnis eher entsozialisiert als resozialisiert wurden, die ihre sozialen Kontakte ganz überwiegend verloren haben, ist eine schwierige Aufgabe, bei der sie dringend professionelle Unterstützung benötigen. Auch im Sinne des Opferschutzes ist es unverzichtbar, zu entlassende Sicherungsverwahrte vorzubereiten und Entlassene zu begleiten. Deshalb hat die Gewährung von Vollzugslockerungen zur Erprobung der Untergebrachten eine enorme Bedeutung.

(Beifall bei Anna-Elisabeth von Treuenfels FDP)

Sie brauchen einen Rechtsanspruch auf Vollzugslockerungen, wenn die Voraussetzungen vorliegen, namentlich, wenn kein unvertretbares Risiko der Flucht oder der Begehung von erheblichen Straftaten gegeben ist. Dem tragen wir mit unserem gemeinsamen Antrag Rechnung.

Darüber hinaus müssen Übergangseinrichtungen geschaffen werden, in denen die Untergebrachten vor der vollständigen Entlassung leben können und Unterstützung und Beratung erhalten. Das größte Sicherheitsrisiko ist nämlich, wenn die Entlassenen vor dem Nichts stehen und allein gelassen werden.

Ein letztes Wort zu den Kosten. Auch die Umsetzung des Senatsentwurfs wird nicht geringe zusätzliche Ressourcen beanspruchen, nach bisheriger Schätzung des Senats mindestens 1,8 Millionen Euro jährlich. Diese zusätzlichen Kosten sollen durch Umschichtungen im Bereich des Justizvollzugs erwirtschaftet werden. Das heißt, die Umgestaltung des Vollzugs der Sicherungsverwahrung findet auf Kosten der Strafgefangenen, auf Kosten ihrer Resozialisierungschancen und damit auch auf Kosten ihrer Menschenwürde statt. Die Schuldenbremse lässt grüßen. Da möchte ich dem Senat und der SPD ein Wort von Johannes Rau aus dem Jahr 2001 ins Stammbuch schreiben – ich zitiere –:

"Wo die Menschenwürde berührt ist, zählen keine wirtschaftlichen Argumente."

Schönen Dank.

(Beifall bei der LINKEN und bei Dr. Stefanie von Berg, Phyliss Demirel und Christa Goetsch, alle GRÜNE)

Das Wort bekommt Senatorin Schiedek.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich glaube, der Anlass unserer heutigen Debatte und der Anlass des Gesetzentwurfs mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts von vor zwei Jahren ist mehr als deutlich geworden und auch die enorme Herausforderung, vor die das Bundesverfassungsgericht damit sowohl Landes- als auch Bundesgesetzgeber gestellt hat. Heute können wir aber mit Recht sagen, dass wir in Hamburg diese Herausforderung erfolgreich bewältigen werden.

(Beifall bei der SPD)

Unsere Aufgabe ist es, für die landesgesetzlichen Regelungen zu sorgen, und das ist uns trotz eines engen Zeitrahmens gelungen, denn mit dem Gesetz zur bundesrechtlichen Umsetzung des Abstandsgebots im Recht der Sicherungsverwahrung, das den Rahmen für unsere Vollzugsgesetzgebung bildet, hat sich die Bundesjustizministerin in der Tat sehr viel Zeit gelassen. Erst im vergangenen Dezember hat der Bundestag dieses Gesetz verabschiedet. Insofern hat es sich schon ausgezahlt, dass alle Länder gemeinsam frühzeitig und parallel zum Bundesgesetzgebungsverfahren aktiv geworden sind und sich an die Arbeit gemacht haben, um die Vorgaben gemeinsam umzusetzen.

Gleichwohl hatten wir erst Ende letzten Jahres letzte Gewissheit über die Einzelheiten der bundesgesetzlichen Regelung. Entsprechend dankbar bin ich Ihnen auch allen, dass Sie den Gesetzentwurf des Senats im Justizausschuss so zügig und konstruktiv begleitet und beraten haben. Entsprechend zufrieden bin ich auch, dass der vorliegende Entwurf von einer so großen Mehrheit getragen wird. Das ist keine Selbstverständlichkeit und ein gutes und wichtiges Zeichen bei einer so sensiblen Frage.

(Beifall bei der SPD)

Das Ergebnis kann sich sehen lassen. Der vorliegende Gesetzentwurf bildet eine verfassungsgemäße und praxistaugliche Grundlage für den Vollzug der Sicherungsverwahrung. Das hat auch die Expertenanhörung ergeben. Diejenigen, die heute etwas anderes behaupten, müssen, ehrlich gesagt, in einer anderen Veranstaltung gewesen sein.

(Anna-Elisabeth von Treuenfels FDP: Das ist ja normalerweise Ihr Stil!)

Wir haben die Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts an einen therapieorientierten und freiheitsorientierten Vollzug genauso umgesetzt wie die bundesgesetzlichen Vorgaben, aber wir haben auch den zur Verfügung stehenden Spielraum genutzt, um die Bevölkerung soweit wie möglich vor hochgefährlichen Straftätern zu schützen. Die Bürgerinnen und Bürger in unserer Stadt erwarten zu Recht von uns, dass wir für ihre Sicherheit sorgen, und Resozialisierung ohne Sicherheit kann es nicht geben.

(Christiane Schneider)

(Beifall bei der SPD und bei André Trepoll CDU)

Dazu gehört, dass die Sicherungsverwahrten nach dem Gesetzentwurf einer umfassenden, an wissenschaftlichen Kriterien ausgerichteten Behandlungsuntersuchung zu unterziehen sind. Die Sicherungsverwahrten erhalten einen Rechtsanspruch auf wissenschaftlich fundierte Behandlungsmaßnahmen. Wenn Standardangebote keinen Erfolg versprechen und keine Wirkung zeigen, ist die Behandlung individuell auszugestalten.

Dazu gehört aber auch, dass wir die Sicherungsverwahrten bestimmten Regeln und auch Einschränkungen unterwerfen und unterwerfen müssen. Wenn wir insoweit in angepasster Form an Regelungen des Strafvollzugs anknüpfen, dann ist das keine Fortsetzung des Strafvollzugs. Es hat vielmehr den Grund, dass es unsere Aufgabe ist, die Sicherungsverwahrten auf ein straffreies Leben in Freiheit vorzubereiten. Und das tun wir nicht, indem wir ihnen einfach nur maximale Freiheiten gewähren, sondern indem wir ihnen einen strukturierten Rahmen mit klaren Regeln geben, der sie zu einem sozial verträglichen Verhalten befähigt,

(Zurufe von Farid Müller GRÜNE und Anna- Elisabeth von Treuenfels FDP)

und indem wir sie mit Anreizen motivieren. Nur so, das hat auch das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich anerkannt, bieten wir diesen Menschen eine Perspektive auf ein Leben in Freiheit.

(Beifall bei der SPD)

Im Übrigen liegt es in der Natur der Sache, dass es auch bei einem freiwilligen, in diesem Fall jedoch bei einem unfreiwilligen Zusammenleben auf beschränktem Raum bestimmter Spielregeln bedarf, und es muss auch die Möglichkeit geben, diese Regeln durchzusetzen.

Mit unserem Gesetzentwurf gehen wir in Hamburg keineswegs den immer wieder angedeuteten Sonderweg. Niedersachsen, das Sie immer wieder als Beispiel zitieren, hat durchaus einen Sonderweg bei einzelnen Regelungen eingeschlagen. Ansonsten basieren diese Regelungen im Wesentlichen in allen Bundesländern auf einer gemeinsamen Blaupause, die in eineinhalb Jahren intensivster Arbeit aller Länder entwickelt wurde und in den Details dann dem Landesrecht angepasst wurde. Es ist so, dass Niedersachsen und Schleswig-Holstein – Letzteres aber deutlich weniger als Niedersachsen – in Einzelfragen Sonderwege eingeschlagen haben, aber machen Sie das nicht zum Regelfall. Der Regelfall ist nämlich, dass die übrigen Länder im Wesentlichen entsprechende Regelungen wie in Hamburg vorgenommen haben. Dabei wahren wir selbstverständlich das Abstandsgebot vom Strafvollzug.

(Anna-Elisabeth von Treuenfels FDP: Das wird sich zeigen!)

So haben wir eine Mindestwohnfläche festgeschrieben, die fast doppelt so groß ist wie die Hafträume im Strafvollzug. Die Untergebrachten dürfen ihre Zimmer in erheblich größerem Maße als Strafgefangene mit eigenen Gegenständen ausstatten und haben deutlich längere Aufschlusszeiten. Sie können sich auf den Stationen und in ihrem eigenen Außenbereich, den es nur für die Sicherungsverwahrten gibt, frei bewegen. Es gibt Kochmöglichkeiten, damit sich geeignete Sicherungsverwahrte selbst verpflegen können. Und durch das Gesamtkonzept der neuen gesetzlichen Vorschriften für den Vollzug der Sicherungsverwahrung, aber auch durch die enge Verzahnung mit der Sozialtherapie am Standort Fuhlsbüttel sind wir in der Lage, ein umfangreiches und differenziertes therapeutisches Angebot zu machen und so den Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts mit unserem Gesamtkonzept zu genügen.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Der Gesetzentwurf setzt die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts um. Er bietet aber zugleich – und das möchte ich an dieser Stelle noch kurz ansprechen, weil es morgen Thema sein wird, aber mit in diesen Kontext gehört – eine gute Grundlage für den Vollzug auch für schleswig-holsteinische Sicherungsverwahrte. Im Februar haben meine Kollegin Frau Spoorendonk und ich gemeinsam den Staatsvertrag zur Sicherungsverwahrung im Hamburger Rathaus unterzeichnet. Diese Kooperation ist für beide Länder eine gute Lösung. Schleswig-Holstein erhält die Möglichkeit, die es sonst nicht hätte, einer verfassungskonformen Unterbringung seiner Sicherungsverwahrten. Und wir in Hamburg erhalten nicht nur 250 Euro pro schleswig-holsteinischen Sicherungsverwahrten pro Tag, sondern können auch unsere vorhandenen Kapazitäten in der Abteilung für Sicherungsverwahrte wesentlich besser auslasten. Teil dieser Vereinbarung, und das ist mir besonders wichtig, ist aber auch, dass die Sicherungsverwahrten aus Schleswig-Holstein grundsätzlich nach Schleswig-Holstein entlassen werden. Sie werden deshalb rechtzeitig vor der Vorbereitung auf die Entlassung in eine Einrichtung des Landes Schleswig-Holstein zurückverlegt.

Zusammen mit dem Gesetzentwurf für den Vollzug der Sicherungsverwahrung entspricht die Anfang 2011 noch vom Vorgängersenat in der JVA Fuhlsbüttel geschaffene Abteilung für Sicherungsverwahrte den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts.

(Vizepräsidentin Dr. Eva Gümbel übernimmt den Vorsitz.)

Daran dürfte spätestens seit der Entscheidung des Hanseatischen Oberlandesgerichts, das die räumliche und bauliche Ausstattung gebilligt hat, kein

(Senatorin Jana Schiedek)

Zweifel mehr bestehen, zumindest sind die Zweifler aus den Reihen der Opposition seitdem verstummt. Es freut mich sehr, dass der Justizausschuss dem Staatsvertrag mit Schleswig-Holstein ohne Gegenstimme zugestimmt hat.

Meine Damen und Herren! Wir hatten mit der Neuregelung des Rechts der Sicherungsverwahrung und dem Staatsvertrag in kurzer Zeit eine wirklich anspruchsvolle Gesetzgebungsarbeit zu bewältigen. Mit Ihrer Zustimmung können die neuen Vorschriften nun pünktlich zum 1. Juni in Kraft treten. Das ist wichtig und dafür möchte ich mich bei den Beteiligten ganz herzlich bedanken.

(Beifall bei der SPD und der CDU)

Der Abgeordnete Müller hat das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Frau Senatorin Schiedek, aus Ihrer Rede wurde sehr deutlich, wie froh Sie sind, dass Sie bei diesem Gesetz nicht allein gegen die gesamte Opposition stehen.

(Urs Tabbert SPD: Stimmt! – Dr. Andreas Dressel SPD: Ist doch gut!)

Das kam sehr deutlich rüber und ich kann das nachvollziehen, denn uns allen ist die strittige Debatte aus dem Justizbereich über den Frauenstrafvollzug noch in guter Erinnerung. Aber, Frau Senatorin, eine breite Mehrheit heißt noch lange nicht, dass man recht hat. Wenn Karlsruher Richter in einem sehr deutlichen Urteil die Mehrheitsentscheidungen der Gesetzgeber der letzten Jahre als komplett verfassungswidrig bezeichnen, dann zeigt uns das auch, dass wir mit sehr viel Sorgfalt herangehen müssen.

Herr Tabbert, wir haben diesen Gesetzentwurf vorliegen, weil Karlsruhe uns dazu aufgefordert hat. Deswegen ist es auch ganz richtig, dass wir den Bezug herstellen, ob dieser Gesetzentwurf den Vorgaben des Urteils genügt. Da wird kein Popanz hochgezogen, wie Sie gesagt haben, sondern es ist unsere verdammte Pflicht, genau das umzusetzen,

(Jan Quast SPD: Da stimmen wir gleich drü- ber ab!)

damit dieser Entwurf nicht wieder in Karlsruhe landet, auch nicht in Teilen. Das ist jedenfalls mein Verständnis als Parlamentarier, Herr Tabbert.

Und noch etwas. Frau Senatorin, Sie haben noch einmal auf die Einzelgerichtsentscheidung des Oberverwaltungsgerichts zu der Größe der Räume hingewiesen. Das war übrigens auch Thema in der Expertenanhörung. Fast alle Experten haben gesagt, dass sich Karlsruhe nach ihrer Einschätzung nicht über einzelne Regelungen hermachen wird, sondern dass es bei einer Überprüfung der landes

gesetzlichen Regelungen in der Addition der Maßnahmen darauf ankommen wird, ob Karlsruhe das Gefühl hat, dass der Gesetzgeber das Urteil verstanden hat. Wir sind zu dem Ergebnis gekommen, und das haben wir hier auch sehr deutlich gemacht, dass die Addition Ihrer Regelungen dem wahrscheinlich nicht genügen wird. Es ist zwar erfreulich, dass die SPD-Fraktion den Gesetzentwurf im Hinblick auf das Abstandsgebot noch etwas verbessert, aber trotz allem fühlen wir uns am Ende nach Addition und Abwägung nicht dazu aufgerufen, Ihrem Gesetzentwurf zuzustimmen, denn wir finden es zu wenig.

Es ist auch nicht so, dass wir in Hamburg keinen Sonderweg hätten. Wir haben an verschiedenen Regelungen deutlich gemacht, dass es in Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Bremen oder Niedersachsen gerade im Bereich des Abstandsgebots oder was die Vorbereitung auf die Freiheit betrifft wesentlich bessere Regelungen gibt als in Hamburg. Der Hamburger Weg ist ein Sonderweg und sonst gar nichts, da reden Sie sich etwas ein, Frau Senatorin.

Man kann nur hoffen, dass wir nicht allzu viele Störmanöver aus Schleswig-Holstein bekommen werden, denn wir haben eine Verantwortung. Dem Staatsvertrag werden wir Grüne zustimmen, das hat die Frau Senatorin schon erwähnt. Wir haben aber auch eine Verantwortung für die Menschen, die aus Schleswig-Holstein nach Hamburg kommen, und der schleswig-holsteinische Entwurf differiert, gerade nach der Nachbesserung, erheblich von dem Hamburger Entwurf. Wir haben große Sorge, dass das zu Unruhen führen wird und letztendlich nicht Ruhe in die Sicherungsverwahrung bringt; deswegen werden wir nicht zustimmen. – Danke.

(Beifall bei den GRÜNEN und vereinzelt bei der FDP)

Meine Damen und Herren! Ich sehe keine weiteren Wortmeldungen. Dann kommen wir zur Abstimmung.

Zunächst zum gemeinsamen Antrag der Fraktionen der GRÜNEN, der FDP und der LINKEN aus Drucksache 20/7967.

Wer möchte diesem Antrag zustimmen? – Gegenprobe. – Enthaltungen? – Damit ist dieser Antrag abgelehnt.