Protocol of the Session on April 24, 2013

(Gabi Dobusch SPD: Ja, hoffentlich!)

Und wenn der SPD-Senat jetzt, also nur wenige Monate vor der Bundestagswahl, dennoch ein hamburgisches Mindestlohngesetz durch das Parlament treiben will,

(Gabi Dobusch SPD: Das hat er so vor- wurfsvoll gesagt!)

so lässt das doch nur eine Schlussfolgerung zu: Sie haben die Bundestagswahl schon verloren gegeben. Wir gratulieren zu diesem Realitätssinn. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP)

Das Wort bekommt Herr Golke.

Frau Präsidentin, sehr verehrte Damen und Herren! Herr Schwieger hat es gesagt, es ist wieder einmal die Stunde des Parlaments bei diesem Mindestlohngesetz. Das möchte ich dafür nutzen, mir das Verfahren, das wir gefunden haben, anzuschauen und dieses Verfahren mit solchen in anderen Ländern zu vergleichen.

Ich fange mit Bremen an. Bremen hat – das wissen wir, das haben wir auch heute gehört – ein Mindestlohngesetz. Dort ist es folgendermaßen geschehen: Der bremische Senat hat einen Gesetzentwurf in die Bürgerschaft eingebracht. Dieser wurde an Ausschüsse überwiesen und in diesen Ausschüssen durch Ergänzungspetita der SPDRegierungsfraktion konkretisiert, verbessert und gut gemacht.

Werfen wir einen Blick nach Schleswig-Holstein. Dort wird genau in diesen Tagen, wahrscheinlich entlang der Tagesordnung morgen oder heute am späten Abend, das Tariftreue- und Vergabegesetz des Landes Schleswig-Holstein beschlossen werden, im Übrigen mit einem Mindestlohn von 9,18 Euro.

(Beifall bei Mehmet Yildiz DIE LINKE)

Und das ohne eine parlamentarische Beteiligung der LINKEN, das ist schon erstaunlich. Die Beratungen in Schleswig-Holstein waren kein Spaziergang; ich habe versucht, es nachzuvollziehen. Die schleswig-holsteinische Landesverfassung hat Vorgaben mit dem Konnexitätsprinzip, die wirkliche

(Dr. Thomas-Sönke Kluth)

Probleme bereitet haben. Aber das Verfahren war so gestaltet, dass es öffentliche Befassungen gab, Anhörungen mit Gewerkschaften und Unternehmerverbänden, und dass dieses Gesetz haarklein im zuständigen Wirtschaftsausschuss von der Regierungsfraktion der SPD verbessert wurde.

(Arno Münster SPD: Sie haben das wohl nicht verstanden!)

Und in Hamburg? Wir haben einen Gesetzentwurf ins Parlament bekommen. Dieser ist einvernehmlich an den Sozialausschuss und federführend an den Haushaltsausschuss überwiesen worden. Im Sozialausschuss fand dann mit unserer Unterstützung auf Initiative der CDU-Fraktion eine öffentliche Anhörung statt, und im Haushaltsausschuss wurde sich auch noch einmal mit diesem Gesetz befasst. Heute nun finden wir dieses Gesetz in unveränderter Form wieder in der Bürgerschaft vor,

(Jens-Peter Schwieger SPD: Ja, weil es so gut ist!)

und nicht etwa, weil dieses Gesetz vorher so unglaublich gut gewesen wäre, sondern weil dieses Parlament offensichtlich ganz anders agiert als die beiden anderen Parlamente.

(Heike Sudmann DIE LINKE: Die Mehrheit des Parlaments! Die SPD!)

Oder die SPD in diesem Parlament. Von allen anderen hat man etwas gehört.

Ich komme zur Höhe des Mindestlohns. Ich sage es ein einziges Mal: DIE LINKE fordert 10 Euro, das wissen Sie, das steht an vielen Stellen.

(Beifall bei der LINKEN – Dietrich Wersich CDU: Wer bietet mehr?)

Aber ich will eine andere Zahl nennen, 8,68 Euro, Herr Heintze hat neulich 12,50 Euro geboten.

(Dietrich Wersich CDU: Haben Sie ausge- rechnet, um über 5 Prozent zu kommen!)

8,68 Euro muss ein Arbeitnehmer oder eine Arbeitnehmerin in Hamburg verdienen, um bei einer 40-Stunden-Woche oberhalb von Hartz IV gerade so eben leben zu können. Das ist keine Hexerei, das habe ich mir nicht ausgedacht, sondern das ist ganz einfach eine Berechnung, die sich aus dem Regelsatz von 382 Euro, aus den Freibeträgen nach SGB II von insgesamt 300 Euro und aus den tatsächlichen Kosten der Unterkunft von 400,99 Euro ergibt. Das ist auch keine ausgedachte Zahl, das ist die Statistik der Bundesagentur für Arbeit, Stand Dezember 2012.

(Dirk Kienscherf SPD: Und nun?)

Da ist doch die Frage, warum wir einen Mindestlohn von 8,50 Euro festlegen, wenn dieser ganz offensichtlich in dieser Stadt – und wir machen einen Landesmindestlohn für diese Stadt – nicht dazu führt, dass Menschen bei einer angemessenen

Stundenzahl pro Woche von ihrem Lohn leben können; das ergibt keinen Sinn.

(Beifall bei der LINKEN)

Aber, Herr Schwieger, wir lehnen keinen Mindestlohn ab, wir lehnen Ihr Gesetz ab.

(Beifall bei Heike Sudmann DIE LINKE – Finn-Ole Ritter FDP: Das ist Dialektik!)

Unser Abstimmungsverhalten haben Sie auch schon zweimal mitbekommen. Wir werden uns enthalten, das ist ganz richtig.

Ein nächster Punkt. Bei der Kommission werden die Stoßgebete offensichtlich von der SPD-Fraktion nach Berlin geschickt. Ich bin mir nicht so sicher, ob wir eine Mehrheit in Berlin haben, die dann ab dem 22. September einen gesetzlichen Mindestlohn einführen wird. An meiner Partei wird es dabei sicherlich nicht liegen.

(Jens-Peter Schwieger SPD: Wenn sie denn wieder in den Bundestag kommt!)

Ich gehe noch ein bisschen auf Artikel 2 ein, den wir im Vergabegesetz durchaus noch erweitert haben. Herr Schwieger hat recht, wenn er sagt, im Moment hätten wir in Hamburg im ÖPNV-Bereich kein Problem. Aber das kann sich ändern. Es kann sich ändern durch Liberalisierungsbestimmungen aus der EU, es kann sich ändern, wenn ausgeschrieben wird und geklagt werden wird. Und für so einen Fall brauchen wir Vorkehrungen. Der Senat hat mir im Sozialausschuss die Antwort gegeben, eine Tariftreueklausel würde doch gewissermaßen die Parteinahme für einen Tarifvertrag enthalten. Wir haben diese Lösung auch vorgeschlagen. Aber dann nehmen Sie doch die andere, denn es gibt doch zwei Varianten.

Es gibt einmal die Variante, dass in der Ausschreibung ein Tarifvertrag festgelegt wird, und es gibt die Variante, dass die Arbeitnehmer des alten Unternehmens übernommen werden müssen, und zwar zu den Bedingungen des alten Unternehmens. Wählen Sie die andere, da bin ich auch noch ganz bei Ihnen; aber Sie haben gar nichts.

Wir beantragen die Aufnahme von sozialen Kriterien im Vergabegesetz, darunter die Entgeltgleichheit von Frauen und Männern, die Förderung beziehungsweise die Einhaltung der Beschäftigungsquote von behinderten Menschen und betriebliche Antirassismus- und Antidiskriminierungsprogramme.

(Beifall bei der LINKEN)

Das tun wir nicht, weil wir glauben, dass wir Wirtschaft verhindern müssten, sondern das tun wir, weil wir glauben, dass es Unternehmen in Hamburg und darüber hinaus gibt, die genau diese Kriterien einhalten können. Und für diese Unternehmen wollen wir, dass die Stadt sie mit Aufträgen versieht – nichts anderes.

(Beifall bei der LINKEN)

Aber auch Sanktionen, die im jetzigen Vergabegesetz schon stehen, müssen kontrolliert werden. Dazu fordern wir – nach bremischem Vorbild im Übrigen –

(Finn-Ole Ritter FDP: Das ist kein Vorbild!)

das sagen Sie, Herr Ritter – eine Vergabekommission, die genau diese Aufsichten wahrnimmt und im Zweifelsfall auch mit Beteiligung von Gewerkschaften und Nicht-Regierungs-Organisationen. Herr Schwieger, wir haben ausdrücklich offengelassen, wie diese Beteiligung aussehen muss. Aber wenn ich mir vorstelle, dass die Stadt Kleidung kaufen muss, dann wird es wahrscheinlich nicht das Unternehmen sein, bei dem man diese Kleidung kaufen muss, das zugeben wird, dass Kinderarbeit beteiligt sein könnte, dass das Ganze in einer brandgefährdeten Fabrik entstanden sein könnte, sondern es werden NGOs sein, die diese Informationen beibringen können. Und es ist wichtig, dass wir diese Informationen auch für Vergaben und für die Kontrolle unserer Vergaben verwenden können.

(Beifall bei der LINKEN)

Zum Schluss noch zur Umsetzung des Gesetzes. Wenn man sich im Haushaltsausschuss den Bericht durchliest, dann merkt man Irritierendes. Herr Hackbusch hatte nach der Umsetzung des hamburgischen Mindestlohngesetzes gefragt, nach dessen Beschluss. Es ging um ein ganz konkretes Unternehmen, das unter anderem das Museum für Kunst und Gewerbe bewacht und für das der Wachmann arbeitet, der bei uns im Sozialausschuss in der Anhörung als Betroffener dieses Gesetzes aufgetreten ist. Die Kulturbehörde hat gesagt, darüber könne sie berichten. Berichtet hat uns die Kulturbehörde – auch interessant, aber ein bisschen am Thema vorbei – über die Kündigungsfristen des mittlerweile allgemeinverbindlichen Tarifvertrags im Wach- und Sicherheitsgewerbe; das war nicht die Frage. Und das lässt nur den Schluss zu, dass nicht nur ein Jahr lang offensichtlich nicht vernünftig geprüft wurde, welche Verträge angepasst werden müssten, weil dem Parlament offensichtlich nicht berichtet werden kann, in welchem Zeitraum das passieren muss, sondern hier soll offensichtlich auch am Ende noch weiter geschlafen werden.

Deswegen fordern wir ein Sonderprogramm Mindestlohn, um sicherzustellen, dass dieses Gesetz – ob nun tatsächlich 8,50 Euro oder 10 Euro – sofort umgesetzt werden kann. – Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Das Wort bekommt Senator Scheele.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! In Deutschland verdienen 5 Millionen Menschen unter 8,50 Euro, 2,5 Millionen Menschen verdienen unter 6 Euro und 1,4 Millionen Menschen verdienen sogar weniger als 5 Euro pro Stunde. In diesem Land ist unter diesem Aspekt etwas nicht in Ordnung.

(Beifall bei der SPD – Dora Heyenn DIE LIN- KE: Stimmt!)

Es ist nämlich nicht in Ordnung, wenn Menschen, die täglich zur Arbeit gehen und 40 Stunden in der Woche arbeiten, am Ende des Monats zum Amt gehen müssen, um aufstockende Sozialhilfe oder Grundsicherung zu beantragen. Das geht nicht und das möchte dieser Senat zumindest in seinem Bereich, für den er zuständig ist, künftig verhindern.

(Beifall bei der SPD)