Protocol of the Session on April 24, 2013

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Hamburg wird heute nach Bremen als zweites Bundesland ein Landesmindestlohngesetz verabschieden. Wir GRÜNE haben es lange gefordert und freuen uns, dass wir mit unseren Anträgen gemeinsam mit der Fraktion DIE LINKE dazu beitragen konnten.

(Beifall bei den GRÜNEN – Ksenija Bekeris SPD: Und SPD!)

Mit dem Hamburger Mindestlohngesetz wird heute zum Ausdruck gebracht, dass die Stadt Hamburg sich verpflichtet, ihren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern existenzsichernde Löhne zu bezahlen und dafür die Spielräume der Landesgesetzgebung ausschöpft. Das Gesetz soll sicherstellen, dass da, wo öffentliches Geld eingesetzt wird, ein Mindestlohn von 8,50 Euro gezahlt wird. Hier wird nicht für alle Branchen pauschal ein gleicher Mindestlohn festgesetzt. 8,50 Euro ist die unterste Grenze, Frau Föcking, das haben Sie wahrscheinlich missverstanden.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei Jens-Pe- ter Schwieger SPD)

Wir haben über den Gesetzentwurf mehrfach in den bürgerschaftlichen Gremien diskutiert. Einige wichtige Punkte, die im bremischen Gesetz enthalten sind, wurden in Hamburg leider weggelassen. Nachdem unser Ergänzungsantrag bei der öffentlichen Anhörung im Sozialausschuss, wie schon erwähnt, abgelehnt wurde, versuchen wir nun, in der Bürgerschaft erneut die SPD davon zu überzeugen, dass das Gesetz ohne diese Ergänzungen seinem Zweck nicht gerecht wird.

Wir freuen uns, dass sich inzwischen auch die CDU zu einer Verfechterin des Mindestlohns und der Landesmindestlohnkommission gewandelt hat,

(Ksenija Bekeris SPD: Das hieß doch ir- gendwie anders!)

obwohl Sie das explizit nicht so erwähnen. Vielleicht inspiriert diese Entwicklung auch die SPD heute.

Ihr Gesetzentwurf, wie ich eben erwähnt habe, liebe SPD, hat Lücken. Wir haben im Oktober 2012 ein Expertengespräch zu dem Thema in Hamburg geführt. Folgende Punkte haben auch die Expertinnen und Experten bemängelt.

Erstens: Der Hamburger Entwurf sieht keine Landesmindestlohnkommission vor. Senator Scheeles Aussage, die Höhe des Mindestlohns alle zwei

(Dr. Friederike Föcking)

Jahre über eine Ermächtigungsverordnung anzupassen, reicht nicht. Hamburg sollte dem Bremer Beispiel folgen und eine Landesmindestlohnkommission ins Gesetz schreiben.

In der zur Abstimmung gestellten Drucksache steht, dass der Senat der Auffassung sei, dass es nach der Bundestagswahl 2013 einen bundesweit einheitlichen Mindestlohn geben werde und eine Lohnkommission nach britischem Vorbild. Das ist reine Kaffeesatzleserei.

(Beifall bei den GRÜNEN – Jens-Peter Schwieger SPD: Da arbeiten wir doch dran!)

Sie suchen hier nur Ausreden, liebe SPD. Geben Sie wenigstens zu, dass Sie in 2014, kurz vor der Bürgerschaftswahl, den Mindestlohn per Senatsbeschluss erhöhen wollen und damit Wahlkampf machen.

Zweitens: Das beste Gesetz nützt nichts, wenn es keine Kontrollmechanismen gibt. Der Senat muss eine Einhaltung des Gesetzes kontrollieren. Das aktuellste Beispiel hierfür ist der Lohndumping-Skandal bei der igs. Der Senat muss eine Beratungs- und Beschwerdestelle für Betroffene einrichten.

Drittens: Bei der Vergabe müssen besonders Unternehmen, die mit Subunternehmen arbeiten, besser kontrolliert werden. Hier ist es wichtig, die Haftung des Generalunternehmens im Gesetz festzuschreiben. Hamburg verdient ein Mindestlohngesetz, das in der Lage ist, prekäre Beschäftigungsverhältnisse im Auftrag der Stadt zu beenden und die Einhaltung des Mindestlohns zu kontrollieren.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Machen Sie keine halben Sachen, liebe SPD. – Danke schön.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Das Wort bekommt Herr Dr. Kluth.

(Ksenija Bekeris SPD: Jetzt kommt eine flammende Rede für den Mindestlohn!)

– Das haben Sie richtig erkannt.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Bei Lichte betrachtet ist dieser Gesetzentwurf im Grunde eine ziemlich durchsichtige Wahlkampfveranstaltung des SPD-Senats, nicht mehr und nicht weniger.

(Beifall bei der FDP – Jens-Peter Schwieger SPD: Es ist doch noch kein Wahlkampf!)

Wir haben lange kein Gesetz mehr debattiert, das mit einem so großen Getöse präsentiert wurde, aber in der Praxis so gut wie keinen Effekt, vielmehr einen Nulleffekt hat.

(Beifall bei der FDP)

Sie erwecken nämlich den völlig falschen Eindruck, dass es um die Einführung eines generellen Mindestlohns für alle Hamburger und Hamburgerinnen geht, 8,50 Euro, also genau der Stundensatz, den Sie gerade im SPD-Wahlprogramm als flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn beschlossen haben.

(Gabi Dobusch SPD: Wir sind da konse- quent!)

Und Herr Schwieger hat diesen Eindruck in seinem Debattenbeitrag eben versucht vorzutäuschen.

Aber was ist die Wahrheit? In Wahrheit geht es bei dem vorliegenden Gesetz nicht um einen gesetzlichen Mindestlohn für alle Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen in Hamburg. Das hat Senator Scheele völlig richtig in den Ausschussberatungen eingeräumt. Es geht bei dem vorliegenden Gesetz im Kern um nichts anderes als eine Selbstverpflichtung der Stadt ihren eigenen Beschäftigten gegenüber und denjenigen der öffentlichen Unternehmen

(Ksenija Bekeris SPD: Das ist doch was! – Jens-Peter Schwieger SPD: Ist das nichts?)

und auch um eine Selbstverpflichtung bei der Vergabe öffentlicher Aufträge und Zuwendungen. Weil das so ist, ist Ihr Gesetz nichts anderes als eine Mogelpackung. Es ist zugleich auch überflüssig wie ein Kropf, und das aus zwei Gründen.

Erster Grund: Zum einen brauchen wir für eine solche Selbstverpflichtung der Stadt und der öffentlichen Unternehmen überhaupt kein neues Gesetz. Da reicht der entsprechende politische Wille, da reichen tarifliche Vereinbarungen und tariftreue Klauseln in den Vergabe- und Zuwendungsbestimmungen, wie das heute schon überwiegend Praxis ist.

Zweiter Grund: Zum anderen ist das, was Sie im Gesetz festschreiben wollen, schon heute Realität, denn bereits heute liegt für Beschäftigte der Stadt die niedrigste Stufe der niedrigsten Entgeltgruppe bei 8,78 Euro, also bereits oberhalb des gesetzlichen Mindestlohns, den Sie festschreiben wollen, und nicht unterhalb. Und für die öffentlichen Unternehmen gilt nichts anderes. Fast alle zahlen oberhalb von 8,50 Euro die Stunde und nicht unterhalb. Und die wenigen, die nicht 8,50 Euro zahlen, sind Tochterunternehmen von Sanierungsfällen wie die "hamburger arbeit" oder das Berufsbildungswerk, oder sie bilden die wirklich absolute Ausnahme.

Weil das so ist, betragen die Mehrbelastungen für die öffentlichen Unternehmen – das ist doch im Umkehrschluss genau das, was bei den Arbeitnehmern mehr in der Tasche bleibt – pro Jahr gerade einmal 474 000 Euro. Und wenn Sie bei den wenigen öffentlichen Unternehmen oder den Vergabeund Zuwendungsempfängern, die wirklich weniger als 8,50 Euro zahlen, etwas ändern wollen, wofür

(Phyliss Demirel)

ich sogar Verständnis hätte, dann gibt es einen ganz einfachen Weg. Erhöhen Sie die Vergütung oder kündigen Sie einfach die entsprechenden Verträge und schließen Sie zu anderen Bedingungen neue Verträge ab. Ein Gesetz brauchen Sie dafür wirklich nicht.

(Beifall bei der FDP)

Aber das vorliegende Gesetz ist nicht nur ohne Nutzwert, es ist an verschiedenen Stellen auch falsch, schädlich und gefährlich.

(Ksenija Bekeris SPD: Wir teilen Ihre Ein- schätzung ausdrücklich nicht, Herr Kluth!)

Nach Paragraf 5 Absatz 1 wird der Mindestlohn von 8,50 Euro erstmals durch die Bürgerschaft festgelegt; Frau Föcking hat darauf hingewiesen. Künftige Erhöhungen aber soll der Senat durch Rechtsverordnungen festlegen. Wozu lädt das ein? Es ist völlig klar – zu Wahlgeschenken. Wer einen gesetzlichen Mindestlohn einführt, der muss es auch dem Gesetzgeber vorbehalten, diesen gesetzlichen Mindestlohn zu ändern. Das ist bereits eine Frage der Logik. Aber Sie, Herr Schwieger – das haben Sie noch einmal deutlich gemacht –, und die SPD-Fraktion sind nicht einmal bereit, die zukünftige Mindestlohnfindung zumindest in die Hände einer unabhängigen Kommission zu legen, etwa paritätisch besetzt mit Vertretern der Tarifparteien und der Stadt. Das macht zugleich deutlich, wohin die Reise mit diesem Mindestlohngesetz gehen soll: Tarifsetzung nicht mehr durch die Tarifparteien, sondern durch die Politik.

Auch die Änderungen des Vergabegesetzes sind zum Teil falsch und schädlich. Bei Zeitarbeit nimmt "equal pay" ab dem ersten Tag den öffentlichen Auftragnehmern, darunter auch vielen Handwerksbetrieben, die notwendige Flexibilität bei Arbeitsspitzen oder Krankheitsfällen. Das bringt keine Beschäftigung, es kostet Beschäftigung.

(Beifall bei der FDP)

Und wenn öffentliche Auftragnehmer zukünftig das Vorhandensein von Umweltmanagementsystemen als Voraussetzung für eine Auftragsvergabe nachweisen sollen, dann kostet das die betreffenden Betriebe zunächst einmal viel Geld für Zertifizierungen. Wir sprechen hier von kleinen Handwerksbetrieben. Das verteuert öffentliches Bauen, das schließt viele kleine Handwerksbetriebe aus und beeinträchtigt den Wettbewerb.

Die FDP wird daher den vorliegenden Gesetzentwurf ablehnen.

(Ksenija Bekeris SPD: Das hätte ich jetzt nicht gedacht!)

Das gilt auch für die Zusatzanträge der anderen Fraktionen.

(Jens-Peter Schwieger SPD: Und große Tei- le der CDU!)

Meine Damen und Herren! Einen Aspekt möchte ich Ihnen allerdings nicht vorenthalten, den diese Debatte zumindest aus unserer Sicht lohnenswert macht. Die Einführung eines bundeseinheitlichen gesetzlichen Mindestlohns fordern die SPD, die GRÜNEN und die LINKEN in ihren Wahlprogrammen zur Bundestagswahl. Würden diese Programme nach einer Bundestagswahl in ein Gesetz umgesetzt, dann würde das hamburgische Mindestlohngesetz schlicht überflüssig.

(Gabi Dobusch SPD: Ja, hoffentlich!)