Protocol of the Session on April 11, 2013

(Beifall bei der SPD)

Liebe Frau von Berg,

(Zurufe von der CDU: Oh!)

Sie sagen, die SPD lehne alle Themen ab, und im Schulausschuss würden keine wichtigen Themen behandelt. Wer hat die Expertenanhörung zur Inklusion beantragt? Das war die SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD und bei Dr. Anjes Tjarks GRÜNE)

Wir haben eine öffentliche Anhörung zur Inklusion durchgeführt, und wir haben das Thema mindestens dreimal, wenn nicht viermal in der Bürgerschaft debattiert.

(Beifall bei der SPD – Glocke)

Erster Vizepräsident Frank Schira (unterbre- chend): Herr Holster, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Frau Dr. von Berg?

(Kersten Artus)

Selbstverständlich.

Lieber Herr Holster, wie sieht es aus mit dem Antrag zum Inklusionsfonds? Sie merken, dass es Ihnen jetzt gerade um die Ohren fliegt, da Sie eben nicht diesen Inklusionsfonds, eine frei verfügbare Masse für die Schulen, haben. Das hatten wir vorgeschlagen, und Sie haben es abgelehnt, oder nicht?

Liebe Frau von Berg, mit dem Antrag zum Inklusionsfonds wollten Sie die Vertretungsmittel in dieser Stadt plündern, und das haben wir nicht zugelassen.

(Beifall bei der SPD – Dirk Kienscherf SPD: Sehr gut, sehr gut!)

Wir haben mehrfach in der Bürgerschaft das Thema ganztägige Bildung debattiert, und wir haben hierzu im Ausschuss eine öffentliche Anhörung durchgeführt. Wir haben das Thema Schulbau Hamburg mehrfach debattiert. Und wer war es denn, der das Thema Unterrichtsentwicklung auf die Tagesordnung gehoben hat?

(Christiane Schneider DIE LINKE: Zum The- ma!)

Wir haben dazu eine Selbstbefassung beantragt, und eine Expertenanhörung findet nächsten Dienstag statt. Wir haben die Themen auf die Tagesordnung gesetzt, und hier wird überhaupt nichts abgelehnt, sondern wir kümmern uns um die wichtigen Themen in der Schulpolitik. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Gibt es weitere Wortmeldungen? – Das ist erkennbar nicht der Fall, dann kommen wir zur Abstimmung.

Wer stimmt einer Überweisung der Drucksache 20/7358 federführend an den Ausschuss für Wirtschaft, Innovation und Medien sowie mitberatend an den Schulausschuss zu? – Die Gegenprobe. – Enthaltungen? – Somit ist die Überweisung mit Mehrheit beschlossen.

Meine Damen und Herren! Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 22, Drucksache 20/7360, Senatsmitteilung: Stellungnahme des Senats zum Ersuchen der Bürgerschaft vom 9. Februar 2012 "Interkulturelle Kompetenz in den gesundheitlichen Versorgungsstrukturen Hamburgs".

[Senatsmitteilung: Stellungnahme des Senats zum Ersuchen der Bürgerschaft vom 9. Februar 2012 "Interkulturelle Kompetenz in den gesundheitlichen Ver

sorgungsstrukturen Hamburgs" (Drucksache 20/3016) – Drs 20/7360 –]

Diese Drucksache möchte die SPD-Fraktion an den Gesundheitsausschuss überweisen.

Wird hierzu das Wort gewünscht? – Frau Wowretzko, Sie haben das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Fast ein Drittel aller in Hamburg lebenden Menschen hat nach Aussage des Statistikamts Nord einen Migrationshintergrund. Heute sprechen wir über die gesundheitlichen Versorgungsstrukturen für diese Mitmenschen, die aus den unterschiedlichsten Teilen der Welt zu uns nach Hamburg gekommen sind. Sie gehören seit Kurzem oder schon seit Langem zu unserer Gesellschaft. Sie gehören der ersten, zweiten, dritten oder vierten Generation von Migranten an. Sie sind unterschiedlichen Alters, sie haben unterschiedliche gesundheitliche Voraussetzungen, manche verfügen über gute Deutschkenntnisse, andere nicht. All diese Menschen, so unterschiedlich sie auch sind, stellen einen Gewinn für unsere Gesellschaft dar. Wir sehen sie als Bereicherung für unsere Stadt, denn sie beschenken uns mit Vielfalt.

(Beifall bei der SPD)

Der SPD-geführte Senat hat in den letzten zwei Jahren mit verschiedenen Schritten eindrucksvoll gezeigt, dass er gewillt ist, diese Vielfalt in allen Bereichen zu würdigen und zu fördern. Vor allem das Konzept Teilhabe, interkulturelle Öffnung und Zusammenhalt, besser bekannt als Hamburger Integrationskonzept, hebt drei Aspekte hervor: Willkommenskultur, Vielfalt und Zusammenhalt. Mit diesem Konzept sorgen wir dafür, dass erstmals alle zentralen Themenfelder von Integration mit Indikatoren und Zielwerten überprüft werden. Und unsere Stadt tut gut daran, auch ihre gesundheitlichen Versorgungsstrukturen immer wieder auf die interkulturelle Kompetenz hin zu untersuchen. Daher haben wir als SPD-Fraktion mit unserem Antrag vom 25. Januar 2012 den Senat um einen differenzierten und umfassenden Überblick über die derzeit vorhandenen Angebote gebeten. Unter anderem war es uns wichtig zu erfragen, welche Erkenntnisse es über besondere gesundheitliche Risiken von Menschen mit Migrationshintergrund gibt und wie es um den Zugang zu den Angeboten im Bereich der gesundheitlichen Prävention steht, auch vor dem Hintergrund von Genderfragen und Sprachbarrieren. Die detaillierte Antwort des Senats zeigt, dass wir in Hamburg schon jetzt über ein nachfrageorientiertes und interkulturell kompetentes Angebot verfügen.

(Beifall bei der SPD)

Das möchte ich Ihnen gern an drei Beispielen verdeutlichen. Erstens mit dem Keyperson-Projekt,

das im Bereich der Suchthilfe muttersprachlich darüber informiert, welche Angebote es in der Suchtprävention gibt und mit der Muttersprachlichkeit Menschen mit geringen Deutschkenntnissen den Zugang zum Hamburger Suchthilfesystem ebnet. Im Bereich der fremdsprachlichen psychotherapeutischen Betreuung erhalten Menschen mit Migrationshintergrund Unterstützung in unterschiedlichen Sprachen von Farsi über Türkisch, Schwedisch, Dari und so weiter. Einen weiteren Schritt in die richtige Richtung erleben wir beim Thema Pflege ganz konkret in Harburg. Seit 2011 sind im dortigen Pflegestützpunkt je eine Beraterin aus dem türkischen und dem russischen Sprach- und Kulturkreis beschäftigt.

(Beifall bei der SPD)

Die Antwort des Senats zeigt, dass interkulturelle Kompetenz in einer dynamischen Gesellschaft mit vielen unterschiedlichen Kulturen unverzichtbar ist, um auf die Bedürfnisse der Menschen eingehen zu können und unsere Angebote für alle Menschen offen und zugänglich zu halten. Auch stellt die von mir erwähnte Vielfalt eine Bereicherung für unsere Stadt dar.

Lassen Sie mich das noch einmal unterstreichen. Die Förderung der interkulturellen Kompetenz, also die kultursensible Überprüfung von Standards und Routinen und die Integration von Fähigkeiten wie Mehrsprachlichkeit und kulturelles Wissen, steigert die Qualität und Leistungsfähigkeit unseres Gesundheitssystems.

(Beifall bei der SPD)

Wie die Mitteilung des Senats zeigt, ist unser Gesundheitssystem bereits jetzt gut auf die von mir eingangs erwähnte Heterogenität eingestellt. Gleichwohl ist die Stärkung der interkulturellen Kompetenz in unserem Gesundheitswesen eine dauerhafte Aufgabe. Die Drucksache enthält eine ganze Reihe interessanter Punkte, die wir im Gesundheitsausschuss vertiefen sollten. Ich bitte Sie deshalb um Zustimmung für eine Überweisung an den Gesundheitsausschuss und bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD)

Herr Stemmann hat das Wort.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen!

"Ohne Kultur wüssten wir nicht, wie wir fühlen sollten."

Der Ausspruch des amerikanischen Ethnologen Clifford Geertz macht deutlich, dass das Gesundheits- und Krankheitsverständnis kulturell unterschiedlich geprägt ist. Die Verknüpfung von Emotion, Motivation und Kognition, der Gesamtheit aller

Prozesse, die mit Wahrnehmen und Erkennen zusammenhängen, prägt das Körperverständnis und die physiologischen Prozesse. Sie kann somit Einfluss auf das Gesundheitsverhalten sowie auf medizinische Therapieentscheidungen haben. Für den Gesundheitszustand und die adäquate Nutzung der bei uns zur Verfügung stehenden medizinischen Angebote sind weniger die Nationalität oder der Zeitpunkt der Zuwanderung entscheidend als vielmehr der soziale und kulturelle Kontext, in dem sich die Betreffenden bewegen, sowie Form und Verlauf der Interaktion innerhalb des Gesundheitssystems.

Nehmen wir einmal einen Krankenhausaufenthalt als Beispiel, so sind die kultursensiblen Bereiche für die Patienten, die Ärztinnen und Ärzte sowie das betreuende Pflegepersonal gleichermaßen vielfältig verteilt. Das rituelle Gebet, Essgewohnheiten und Speiseverbote, Betreuung durch andersgeschlechtliches Personal, Hygienenormen, Besonderheiten bei Sterbenden und Todesfällen, Bedeutungen der Familie und von Angehörigen, professionelle und transkulturelle Pflege – all diese Aspekte gilt es zu kennen, und man muss ihnen im oftmals hektischen und streng getakteten Klinikalltag Rechnung tragen.

Ich habe das Mitte der Achtzigerjahre selbst erlebt, als ich als Hilfskrankenpfleger in den Semesterferien im AK Sankt Georg gearbeitet habe. Am Morgen vor einer Operation stand die ganze Familie um das Bett ihres Familienoberhauptes und wollte dem armen Mann etwas zu essen geben, weil er solchen Hunger habe. Ich wurde abgestellt um aufzupassen, dass er für die bevorstehende OP nüchtern bleibt, was auf großes Unverständnis bei den Familienangehörigen stieß.

In der gesundheitlichen Alltagsversorgung, angefangen bei der Beratung und Aufklärung über den Arztbesuch und die Therapie bis hin zur häuslichen oder stationären Pflege, ist die Sprachbarriere nach wie vor die größte Hürde, die es zu überwinden gilt. Das in der Senatsdrucksache als ein BestPractice-Beispiel beschriebene Gesundheitsheitsprojekt "MiMi" Hamburg schlägt hier eine Brücke, indem gut integrierte Migrantinnen und Migranten mit gleichermaßen guten Kenntnissen der deutschen Sprache sowie ihrer Muttersprache als Mediatorinnen und Mediatoren fungieren. Genau dieser richtige und wichtige Brückenschlag kommt sowohl im Ursprungsantrag der SPD als auch in der entsprechenden Antwort, also der hier debattierten Senatsdrucksache, zu kurz. Genauer gesagt findet er, bezogen auf das medizinische Fachpersonal, keinerlei Erwähnung.

(Beifall bei der CDU)

An dieser Stelle darf ich mich und meine Kollegen der CDU-Fraktion aus der Drucksache 20/3920 einmal selbst zitieren.

(Sylvia Wowretzko)

(Dirk Kienscherf SPD: Das ist das Beste!)

"Mindestens genauso bedeutsam aber ist die Frage nach den Leistungen von Menschen mit Migrationshintergrund für die gesundheitlichen Versorgungsstrukturen Hamburgs. […] Bereits heute leisten viele Zuwanderer und Menschen mit Migrationshintergrund ihren Beitrag zum Funktionieren der gesundheitlichen Versorgungsstrukturen Hamburgs."

Doch sowohl dieser Beitrag als auch die noch unerschlossenen Potenziale der genannten Bevölkerungsgruppe kommen in der öffentlichen und politischen Diskussion oft viel zu kurz. Hier gilt es nachzusteuern.