Ich rufe nun Punkt 47 der Tagesordnung auf, das ist die Drucksache 20/6931, Antrag der GRÜNEN Fraktion: Residenzpflicht abschaffen.
Bevor Frau Möller ans Rednerpult tritt, bitte ich das Hohe Haus, aufmerksam zu sein. Diejenigen, die sich beraten oder besprechen wollen, sollen den Raum bitte verlassen.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Man darf der Präsidentin nicht widersprechen, aber ich wäre doch sehr dafür, dass wir ein volles Haus zu dieser Debatte haben.
Wir führen sie nicht zum ersten Mal, aber man kann nicht oft genug über dieses Thema reden. Man kann nicht oft genug darüber reden, dass wir ungefähr 6000 Menschen in dieser Stadt haben, die seit vielen Jahren im geduldeten Aufenthalt leben oder in einem langwierigen Asylverfahren versuchen, Schutz und Aufenthalt in diesem Land zu bekommen, und sich während dieses jahrelangen Szenarios nicht aus der Hansestadt hinausbewegen dürfen. Diese Form der Residenzpflicht ist einzigartig in Europa. Es gibt sie in keinem anderen Land so streng, wie wir sie in der Bundesrepublik seit Anfang der Achtzigerjahre umsetzen. Für die betroffenen Menschen bedeutet das konkret, dass sie und ihre Kinder, die in den Kindergärten betreut werden, zur Schule gehen oder sich in Ausbildung befinden, die Stadt nicht verlassen dürfen. Zum Glück bewegt sich aber etwas in dieser Republik. Alle Flächenländer haben inzwischen innerhalb ihrer Grenzen die Residenzpflicht gelockert, und es gibt immer mehr Bundesländer, die auch eine bundesländerübergreifende Verordnung schaffen.
Wenn Ihnen das Thema bekannt vorkommt und Sie deswegen vielleicht nicht mehr Ihre ungeteilte Aufmerksamkeit auf mich richten: Es stimmt, wir haben vor ungefähr einem Jahr am selben Ort zu anderer Zeit schon einmal darüber geredet. Jetzt haben wir aber veränderte politische Gegebenheiten und jetzt könnte sich auch in Hamburg etwas bewegen. Wir könnten die Bundesratsmehrheit nutzen, um die Residenzpflicht bundesweit abzuschaffen.
Wir könnten die Zeit, die man diesem Vorhaben geben muss, aber auch nutzen, um uns mit den anliegenden Bundesländern Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Bremen per Verordnung darauf zu verständigen, dass die Residenzpflicht zwischen diesen Bundesländern ab sofort aufgehoben wird, und das erwarten wir als ersten Schritt vom Senat.
Sie mögen sich an unsere Debatte vor einem Jahr erinnern. Die Linie der SPD war damals – Herr Schäfer, ich sage es jetzt ganz freundlich – von Unkenntnis geprägt.
Ich zitiere einmal aus der Rede von Herrn Schäfer von vor einem Jahr, damit klar ist, was ich meine:
"Die jetzige Regelung sieht eine gleichmäßige Verteilung von Flüchtlingen über die Bundesländer vor. Das hat seinen guten Grund und sorgt dafür, dass nicht auf irgendeine Art und Weise Bevor[mundung] oder Benachteiligung stattfindet. Daher sind wir der Meinung, dass es genau so bleiben sollte."
Heute kommt kein Beifall. Ich freue mich, dass Sie in Ihrer Fraktion zumindest eine Überweisung an den Ausschuss durchsetzen konnten. Vielleicht hat es etwas damit zu tun, dass die SPD bundesweit einen ganz anderen Umgang mit diesem Thema pflegt. Im Mai 2011 gab es unter anderem von der SPD und den GRÜNEN eine Initiative auf Bundestagsebene. Ende 2012 gab es den nächsten Versuch aus der Opposition heraus, Schwarz-Gelb auf Bundesebene dazu zu bewegen, die Residenzpflicht abzuschaffen. Das ist nicht gelungen – ich erwarte interessante Redebeiträge von den Kollegen der CDU und der FDP –, aber inzwischen gibt es veränderte Bundesratsmehrheiten.
Wir sollten uns an dieser Stelle noch einmal vergewissern, was es bedeuten würde, wenn wir den Innensenator dazu bewegen könnten, eine Vereinbarung mit Schleswig-Holstein und Niedersachsen zu treffen
und eine Verordnung zu erlassen, damit diese 6000 Menschen, die hier seit mehreren Jahren oder Jahrzehnten leben, ohne die Stadt verlassen zu können, die Landesgrenzen nun schlicht und einfach ohne bürokratisches Verfahren spontan überschreiten können.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Frau Möller, Sie sagten, wir hätten schon oft über dieses Thema gesprochen. Vielleicht sollten wir, statt oft darüber zu reden, es einmal ausführlich und differenziert tun. Daher unser Ansatz, diesen Antrag an den Innenausschuss zu überweisen.
man bräuchte dafür auch eine Bundestagsmehrheit. Eine sofortige Bundesratsinitiative würde mit hoher Wahrscheinlichkeit – da bin ich mir ganz sicher – soweit auf die lange Bank geschoben, dass sie im Herbst der Diskontinuität zum Opfer fallen würde. Von daher können wir uns tatsächlich im Ausschuss die Zeit nehmen, das alles zu besprechen.
Drittens: Sie sprachen davon, dass die Residenzpflicht eine Bedeutung für diejenigen Flüchtlinge habe, die in Hamburg leben und nicht aus Hamburg hinauskommen. Es gibt aber auch die umgekehrte Richtung. Und wir sollten in aller Ruhe und differenziert betrachten, welche Auswirkungen das für welches Bundesland im Einzelnen hat.
Viertens: Hamburg ist nicht wie Bremen eine Insel in Niedersachsen oder wie Berlin eine Insel in Brandenburg, Hamburg müsste mit mindestens drei, wahrscheinlich vier Bundesländern solche Abmachungen treffen. Auch das ist ein bisschen schwieriger.
Fünftens möchte ich gerne wissen, welche Schwierigkeiten dadurch entstehen, dass die Residenzpflicht auf Antrag aufgehoben wird, und zwar im Fall von Schulbesuch oder Studium, Aus- und Weiterbildung, einer Beschäftigung, der Aufrechterhaltung der Familieneinheit oder wenn zwingende Gründe vorliegen und unbillige Härten vermieden werden sollen, und auch bei Sammelgenehmigungen für Kinder, die auf Klassenreise fahren wollen. Ich möchte wissen, wie das im Einzelnen tatsächlich aussieht,
um zu erfahren, ob es wirklich so schlimm ist, wie es im Moment ist. Das möchte ich abwägen mit der Möglichkeit, die Residenzpflicht aufzuheben oder Verträge mit diesen vier Bundesländern zu schließen. Dafür nehmen wir uns im Ausschuss alle Zeit, die dafür nötig ist. Insofern können wir dann vielleicht, anstatt oft und ständig darüber zu reden, zu einem Ergebnis kommen.
Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Es gibt Landtage und ebenso den Bundestag, in denen die Kollegen Redner ihre Wortbeiträge zu Protokoll geben dürfen, ohne sie gehalten zu haben.
In diesem Fall könnte man den Protokollauszug vom März des vergangenen Jahres komplett abgeben, weil alle Kollegen, die damals geredet haben, heute wieder auf dem Zettel stehen. Der einzige Unterschied bin ich, deswegen darf ich auch noch etwas sagen.
Tatsache ist aber, dass wir zu einem gleichlautenden Antrag – der vorliegende Antrag unterscheidet sich wirklich nur in Nuancen und ist inhaltlich vollkommen identisch – bereits vor einem Jahr eine Debatte geführt haben
mit einem sehr interessanten Ergebnis. Das gilt vor allem, wenn man sich den Beitrag des Kollegen Dr. Schäfer noch einmal vor Augen führt. Damals haben wir die Debatte im Rahmen der Fünfminutenbeiträge geführt. Warum, Herr Dr. Schäfer? Weil Sie eine Überweisung abgelehnt haben. Die Fragestellung, die Sie gerade eben formuliert haben, die ich persönlich sehr interessant finde und über die man reden muss, hätte man vom März bis zum heutigen Tage eigentlich klären können.
(Beifall bei der CDU, den GRÜNEN, der FDP und der LINKEN – Antje Möller GRÜ- NE: Da haben Sie recht!)