Protocol of the Session on February 27, 2013

Jetzt gibt es Argumente gegen die Abschaffung. Im Fall einer Vergewaltigung zum Beispiel kommt es darauf an, dass auch eine Untersuchung auf sexuell übertragbare Krankheiten stattfindet und dass Beweise gesichert werden, um den Täter zu finden und später bestrafen zu können. Es ist sinnvoll, dann einen Arzt einzuschalten, denn das würde in einer Apotheke natürlich nicht passieren. Im Fall einer Verhütungspanne wird immer wieder empfohlen, die Frau über künftig sichere Verhütung aufzuklären. Auch das kann nicht in der Apotheke geleistet werden, auch dazu brauchen wir einen Arzt. Es gibt nicht weniger als drei Alternativen im Falle einer bevorstehenden ungewollten Schwangerschaft. Es wurde schon gesagt, dass es zwei verschiedene Wirkstoffe gibt, darüber hinaus gibt es auch noch die Möglichkeit der Kupferspirale. Ich will gar nicht sagen, was besser ist. Ich glaube, dass jede Frau ein Anrecht darauf hat, beraten zu werden, welche dieser drei Möglichkeiten für sie im konkreten Fall das Beste ist. Auch das kann man nicht in der Apotheke bekommen, auch dazu braucht man einen Arzt, der berät.

Nur andeutungsweise wurden Nebenwirkungen erwähnt. Es gibt davon eine ganze Reihe, die man nicht kurzerhand vom Tisch wischen kann. Es treten Blutungen, Schwindel und vor allem Erbrechen auf. Wenn eine Frau sich nach Einnahme der Pille erbricht, ist das nicht nur für sie unangenehm, sondern die Wirkung der Pille ist dann wahrscheinlich auch weg. Die Frau muss also darüber aufgeklärt

(Hjalmar Stemmann)

werden, dass sie im Fall von Erbrechen erneut den Arzt oder das Krankenhaus aufsuchen muss, um eine weitere Pille zu bekommen.

Es besteht ein erhöhtes Risiko für eine Eileiterentzündung. Auch darüber muss die Frau aufgeklärt werden. Das ist kein Grund, das Medikament nicht zu geben, aber die Frau hat den Anspruch darauf, das zu erfahren.

(Dirk Kienscherf SPD: Da gibt es eine leichte Schräglage bei Ihnen!)

Das ist keine Schräglage. Ich habe mich nur, wie Sie bemerken, sehr intensiv eingelesen, was möglicherweise der eine oder andere vorher nicht getan hat.

Weiter ist zu beachten, dass bei einem Gewicht von mehr als 70 Kilogramm die Wirksamkeit dieser Präparate deutlich verringert ist. Das spricht in vielen Fällen dann eher für eine Spirale. Bei einer gerade laufenden Antibiose ist die Wirksamkeit ebenfalls eingeschränkt. Es sind klassische Aufgaben für einen Arzt, alle diese Punkte zu bewerten.

(Sylvia Wowretzko SPD: Das ist so, wenn Männer über Themen reden, von denen sie nichts wissen!)

Aus diesem Grund spricht aus meiner Sicht im Moment mehr dafür, bei einer Rezeptpflicht zu bleiben. Das heißt aber nicht, dass wir diesen Punkt schon endgültig entschieden haben. Deshalb beantragen wir eine Überweisung an den Gesundheitsausschuss, um uns von Experten beraten zu lassen. Ich hoffe, dass Sie dem stattgeben. Wenn Sie dem nicht stattgeben sollten, dann werden wir den Antrag ablehnen, denn derzeit weist der Erkenntnisstand eher dahin, dass eine Rezeptpflicht beibehalten werden sollte. Geben Sie uns bitte die Chance, diesen Punkt von Fachleuten überprüfen und uns beraten zu lassen. Wenn die Argumente gut sind, dann ändern wir möglicherweise unsere Meinung. Ansonsten müssen wir leider beide Anträge ablehnen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Frau Artus, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin, sehr geehrte Herren und Damen! Die "Pille danach" ist eine wichtige Möglichkeit, Frauen aus einer Notlage zu befreien.

(Beifall bei der LINKEN, der SPD und den GRÜNEN)

Daher ist es unverständlich, dass dieses Medikament immer noch nicht rezeptfrei ist, und das muss schnellstens möglich gemacht werden.

(Beifall bei der LINKEN, der SPD und den GRÜNEN – Dietrich Wersich CDU: Das ist doch nicht der Punkt!)

Was mich ärgert, das sind die Scheindebatten und Unterstellungen, die immer wieder hervorgekehrt werden und die sich gegen Frauen und ihr Sexualverhalten richten.

(Beifall bei der LINKEN, der SPD und den GRÜNEN)

Mit der "Pille danach" wird nicht abgetrieben, es wird lediglich der Eisprung unterdrückt. Daher ist es umso wichtiger, dass die Einnahme so schnell wie möglich, möglichst innerhalb der schon genannten nächsten 24 Stunden, erfolgt und nicht erst, wenn Arzt oder Ärztin Sprechstunde haben. Die Zeit kann daher ebenfalls knapp werden, wenn man sich das Medikament über eine Internet-Apotheke bestellt. Bis es da ist, kann der Eisprung nämlich schon stattgefunden haben. Selbst wenn eine Schwangerschaft besteht, gefährdet das Medikament nicht den Fötus. Dieses Wissen ist nicht neu. DIE LINKE im Bundestag hat diese Erkenntnisse bereits 2010 mit einer Schriftlichen Kleinen Anfrage zutage befördert. Viele werden wissen oder auch nicht, dass ein Kondom reißen und die Pille vergessen werden kann. Ich finde es schlimm, dass hingegen den Frauen unterstellt wird, sie würden weniger oder gar nicht verhüten, wenn sie die "Pille danach" rezeptfrei erhalten.

(Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN)

Es gibt leider auch Männer, die Frauen bedrängen, ohne Kondom mit ihnen zu schlafen, völlig abgesehen von Vergewaltigungen. Nicht immer werden die sofort angezeigt, sodass dies äußerst tragische Folgen haben kann, die letztlich eine Abtreibung bedeuten. Eine Abtreibung ist aber eine wesentlich mehr belastende Angelegenheit als die Einnahme einer Tablette. Die oft vorgebrachten Positionen gegen die Pille danach wirken lächerlich, wenn Sie sich in anderen europäischen Ländern umschauen. Sie werden schnell sehen, dass sich dort im Verhütungsverhalten durch die Rezeptfreiheit überhaupt nichts verändert hat. Die Unterstellung, dass Frauen sodann verantwortungslos Sex praktizierten, ist schlichtweg frauen- und auch lustfeindlich, sehr geehrte Herren und Damen. Es entspricht nicht den Realitäten.

(Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN)

Riskant ist allein das Mauern durch die Ärzteschaft, das konservative Frauenbild von CDU und CSU sowie das Verhalten des Bundesgesundheitsministers, also in diesem Fall das der FDP, erst das von Herrn Rösler und jetzt das von Herrn Bahr.

(Olaf Ohlsen CDU: Ein Skandal ist das ja!)

In 28 Ländern Europas ist die "Pille danach" rezeptfrei. Auch dies wird gern von den Verhinderern

(Dr. Wieland Schinnenburg)

unterschlagen. Selbst in Ländern wie der Türkei und auch im katholisch geprägten Irland ist das so. Die Bundesrepublik Deutschland hinkt hinterher. Rückständig ist das, nichts anderes.

(Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD)

Die "Pille danach" ist die Verwirklichung eines Menschenrechts, das bereits 1968 bei der UNMenschenrechtskonferenz in Teheran verabschiedet wurde. Jeder Mensch hat das Recht auf Zugang zu sicheren, gesundheitsschonenden und finanzierbaren Verhütungsmitteln. Es ist unfassbar, dass das in der Bundesrepublik immer noch nicht verwirklicht ist.

(Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN)

Daher unterstützen wir den Vorstoß von Hamburg und bedanken uns sehr bei pro familia, die die Landespolitik hierauf aufmerksam gemacht hat. Wir hoffen, dass dies die Entscheidung auf Bundesebene befördert. Wenn sich CDU/CSU und FDP nicht völlig blamieren und unglaubwürdig machen wollen, dann schaffen sie die Rezeptpflicht noch vor der Sommerpause ab.

(Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD)

Frau Senatorin Prüfer-Storcks hat nun das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Es ist schon von vielen Rednerinnen und Rednern gesagt worden, dass in der weit überwiegenden Zahl der europäischen Länder die "Pille danach" rezeptfrei zu erhalten ist. Warum das in Deutschland völlig anders aussieht, warum wir gerade in einer Situation, in der es wirklich schnell gehen muss, unnötige Barrieren aufbauen, ist mir persönlich unverständlich, denn die "Pille danach" hat in Deutschland keine anderen Risiken und Nebenwirkungen als in anderen europäischen Ländern.

(Beifall bei der SPD, den GRÜNEN und der LINKEN)

Erfahrungsgemäß entsteht der Bedarf gerade zu Nachtzeiten oder am Wochenende, also zu Zeiten, in denen die Praxen regulär nicht geöffnet sind und Frauen auf den ärztlichen Notdienst mit den entsprechenden Wartezeiten verwiesen sind. Für Frauen, die nicht schwanger werden wollen, beginnt damit ein Wettlauf mit der Zeit, denn 72 Stunden sind es, binnen denen die "Pille danach" eingenommen werden muss, und je früher das passiert, desto zuverlässiger tritt die Wirkung ein. Mit der Beschaffung eines Rezeptes ist natürlich eine Verzögerung verbunden, und die kann zu einer Schwangerschaft führen, die mit der "Pille danach" nicht stattgefunden hätte.

Meine Damen und Herren! In Deutschland gab es im vergangenen Jahr mehr als 4 200 Geburten bei minderjährigen Frauen, und 92 Prozent dieser jungen Frauen sind ungeplant schwanger geworden. 50 bis 60 Prozent aller Schwangerschaften Minderjähriger enden mit einem Abbruch. Es ist relativ wahrscheinlich, internationale Studien zeigen das, dass ein großer Teil dieser Schwangerschaften und dieser Abbrüche mit einer rezeptfreien "Pille danach" zu verhindern wäre.

Die Erfahrungen der Nachbarländer haben auch gezeigt, dass eine ärztliche Verordnung und medizinische Betreuung nicht erforderlich ist; auch von der Apothekerschaft wird die rezeptfreie Abgabe befürwortet. Befürchtungen, dass mit einem leichteren Zugang möglicherweise ein riskantes Sexualverhalten gefördert würde, haben sich nicht bestätigt. Im Gegenteil, in mehreren Studien wurde ermittelt, dass die Zunahme der Verwendung von regulären Verhütungsmitteln einhergeht mit der Rezeptfreiheit der "Pille danach". Es findet also eine bessere Familienplanung statt. Studien belegen auch, dass Schwangerschaftsabbrüche in den Ländern, in denen die "Pille danach" rezeptfrei erhältlich ist, gesunken sind. Die "Pille danach" kommt nur in absoluten Not- und Ausnahmesituationen zur Anwendung. Regelverhütungsinstrument soll sie nicht sein und ist sie auch in den anderen europäischen Ländern nicht geworden. Deshalb müssen wir an dieser Stelle auch nicht den Arztvorbehalt strapazieren.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Die "Pille danach" auf der Basis von Levonorgestrel – und über diese "Pille danach" spreche ich – ist unbedenklich, sie ist einfach anzuwenden und sie wird als gut verträglich eingestuft. Es besteht keine Gefahr der Überdosierung.

(Glocke)

(unterbre- chend) : Verzeihen Sie, Frau Senatorin, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Scheuerl?

Bitte.

Frau Senatorin, können Sie dem Hohen Haus erklären, weshalb die normale Pille rezeptpflichtig bleiben soll, Sie sich aber für die "Pille danach" für die Rezeptfreiheit aussprechen?

Ich glaube, das kann ich. Die normale Pille ist ein Regelverhütungsinstrument, das in der Regel über viele Jahre eingenommen wird. Deshalb ist es auch sinnvoll, dass diese Einnahme kontrolliert

(Kersten Artus)

wird, dass kontrolliert wird, ob es Nebenwirkungen gibt und ob zum Beispiel Thrombosen entstehen.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Die "Pille danach" ist nicht zur Regelanwendung vorgesehen, und die Frauen nutzen sie auch nicht zur Regelanwendung. Es gibt auch keine Risiken, es gibt keine ernsthaften Nebenwirkungen, es gibt nicht die Gefahr der Überdosierung und es gibt keine Auswirkungen auf die zukünftige Fruchtbarkeit von Frauen. Deshalb empfehlen auch die Weltgesundheitsorganisation und das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte die rezeptfreie Abgabe der "Pille danach".

Ich bin gleichwohl der Meinung, dass Frauen mit ihren Sorgen im Zusammenhang mit einer Notfallverhütung nicht alleingelassen werden sollten. Deshalb spreche ich mich dafür aus, die "Pille danach" rezeptfrei abzugeben, aber apothekenpflichtig zu lassen. Durch ein Gespräch mit dem Apotheker oder der Apothekerin können dann besser als durch einen Blick in den Beipackzettel Fragen und Zweifel im Zusammenhang mit der Einnahme geklärt werden.