Protocol of the Session on June 13, 2012

Es war Herr Rabe, der im April 2009 in einem Antrag gefordert hat, dass es Inklusion ohne jede Vorbehalte geben solle, 100 IR-Schulen und 100 I-Schulen. Das waren Ihre Forderungen, dafür hat die SPD gestanden. Es kam dann zu weiteren Gesprächen, es kam zu einem neuen Schulgesetz im Oktober 2009, und dort haben wir im Parlament dann einvernehmlich die vorbehaltlose Inklusion festgeschrieben.

Es war also der feste politische Wille dieses Hauses, nicht zuletzt auch auf Druck der SPD, die Inklusion schneller und umfassender einzuführen als in anderen Bundesländern. Darauf kann Hamburg durchaus stolz sein, darauf kann auch Frau Goetsch stolz sein und darauf kann auch gern die SPD stolz sein. Worauf Sie aber nicht stolz sein können, ist, dass die Politik sich jetzt feiern lässt und die Schulen die Folgen ausbaden dürfen.

(Beifall bei der CDU und bei Dr. Stefanie von Berg GAL)

(Vizepräsidentin Barbara Duden)

Wir wissen doch alle, jedenfalls die, die sich mit dem Thema beschäftigen, dass Inklusion bis 2010 vor allem in den Schulen stattfand, die sich darauf lange vorbereitet hatten, bei denen auch sehr viel persönliches Engagement investiert wurde und bei denen die Entscheidung, Inklusion machen zu wollen, eine sehr überlegte, ganz bewusste war. Wir wissen auch, dass die Ausstattung der I- und IR-Klassen vergleichsweise gut war, man könnte sogar sagen, sehr gut. Nach der Schulgesetzänderung mussten nun Schulen, die sich mit Inklusion vorher nie näher befasst hatten, die über keinerlei Erfahrung verfügten und die mit der Einführung von Stadtteilschule, Ganztagsschule und anderen Themen mehr als genug um die Ohren hatten, im Sommer 2010 plötzlich behinderte Kinder aufnehmen, und das auch noch ohne die vergleichsweise gute Ausstattung der I- und der IR-Klassen.

Hinzu kam, dass meine Befürchtung leider wahr wurde. Ich hatte nämlich immer gesagt, wenn wir uns zu sehr um die Schulstruktur kümmern, dann kümmern wir uns zu wenig um andere Themen. Und siehe da, bis zum Sommer 2010 haben sich alle, auch dieses Haus, nur noch um den Volksentscheid gekümmert, Herr Dr. Scheuerl sei Dank. Alles andere ging unter und Inklusion war kaum noch ein Thema.

Der Antrag von Herrn Rabe vom April 2009 wurde im Herbst 2010 endlich einmal wieder in der Bürgerschaft debattiert. Dazwischen fand nur noch Schulstruktur statt. Es gehört zur Ehrlichkeit dazu, dass auch die Einführung der Inklusion von Behördenseite her leider zu wünschen übrig ließ. Der Abgeordnete Rabe hat das damals durchaus zu Recht kritisiert und Senator Rabe hätte das nun nach seinem Amtsantritt alles besser machen können. Er hätte erkennen können und müssen, dass eine Dezentralisierung nie ohne Synergieverluste geht und daher auch nie ohne zusätzliche Kapazitäten.

Der Bildungsforscher Klaus Klemm hat in einer Studie für die Bertelsmann Stiftung errechnet, dass wir in Hamburg allein 488 Stellen nur dafür brauchen, die Förderung nicht schlechter auszustatten als bisher. Dem ehemaligen Lehrer Rabe hätte bekannt sein müssen, dass gerade eine zieldifferente Beschulung von Behinderten nicht ohne Doppelbesetzung geht, und zwar durchgehend. Dem Senator Rabe hätte klar sein müssen, dass man auch zusätzliche Instrumente benötigt, um die behinderten Kinder besser und gleichmäßiger auf die Regelschulen zu verteilen, so wie es Bremen vormacht. Er hätte auch wissen müssen, dass die Zahl der behinderten Kinder in den Schulen nicht allein vom Sozialindex der Schule abhängig ist, und eine pauschale Ressourcenverteilung von daher ungerecht und falsch ist. Ich habe sehr viele Anfragen stellen müssen, zu Hause mit Exceltabellen gesessen und das alles entsprechend ausgerechnet, bis Sie irgendwann einmal eingesehen

haben, dass Ihr Modell mit der Realität leider nicht übereinstimmt.

Und der ehemalige Abgeordnete Rabe hätte sich auch einmal für seinen Antrag aus 2009 einsetzen können, in dem es hieß, dass keinesfalls mit der inklusiven Beschulung ein Absenken der sonderpädagogischen Förderung verbunden sein dürfe – hört, hört. Vielleicht hätte auch der SPD-Kreisvorsitzende Rabe einfach einmal das SPD-Wahlprogramm umsetzen können. Da heißt es nämlich sehr klar, dass nach dem Vorbild der seit Jahren erfolgreichen Integrationsklassen und der integrativen Regelklassen weitere Angebote geschaffen werden und deutlich mehr Sonderschulpädagogen an den allgemeinbildenden Schulen unterrichten sollten. Wo bleibt die Umsetzung, Herr Rabe?

(Beifall bei der CDU)

Nichts davon hat Herr Rabe getan. Stattdessen hat der SPD-Senat ein Konzept vorgelegt, welches die Ressourcen völlig unabhängig vom Bedarf deckelt und was die Ausstattung der I- und IR-Schulen massiv kürzt. Er hat Sonderpädagogen durch Sozialpädagogen ersetzt, behinderte Kinder in zwei Kategorien eingeteilt, Mittel für Hartz-IV-Kinder zum Stopfen von finanziellen Löchern missbraucht und als besonders sozialen Akt dann auch noch die Förderstunden für Deutsch als Zweitsprache für die Sonderschulen gestrichen. So wird Inklusion zum Sparmodell auf dem Rücken der Betroffenen.

(Beifall bei der CDU)

Herr Rabe, Sparmodell meine ich dabei wörtlich, denn der Senat will nicht nur nicht mehr Geld ausgeben, sondern laut Ihrer Drucksache ab 2014 sogar weniger Geld als bisher.

Herr Rabe, Sie haben für Ihr Konzept von allen Seiten Kritik bekommen. Nicht nur die GEW und Herr Dr. Scheuerl kämpfen neuerdings Seit an Seit, sondern auch Elternkammer, Schülerkammer, Lehrerkammer, Landesschulbeirat, Personalräte und Schulleitungen. Wen wollen Sie eigentlich noch als Gegner haben? Obwohl Sie auch zugegeben haben, dass Ihr Pauschalmodell nicht funktioniert und Sie irgendwo noch ein bisschen nachbessern müssten, wollen Sie die Drucksache heute völlig unverändert durch das Parlament peitschen.

Nun könnte es mir eigentlich recht sein, dass Sie sich den Zorn aller Betroffenen zuziehen und es einmal wieder Demonstrationen gegen sozialdemokratische Schulpolitik gibt, aber ich mache mir doch sehr ernsthafte Sorgen um die Fortführung der Inklusion in Hamburg und auch um manche Stadtteilschule. Wenn Sie es nicht schaffen, die richtigen Prioritäten im Haushalt zu setzen und ein kostenloses Mittagessen wichtiger finden als eine ausreichende Zahl von Sonderpädagogen für behinderte Kinder, dann überfordern Sie Lehrer, Schüler und Eltern an vielen Schulen, dann wer

den gerade die schwächeren Schülerinnen und Schüler an diesen Schulen zu kurz kommen.

(Vizepräsidentin Dr. Eva Gümbel übernimmt den Vorsitz.)

Sie gefährden auch die Akzeptanz, die Inklusion gerade in Hamburg bisher hatte. Wir werden erleben, dass Eltern die Inklusion umgehen. Das wäre aus meiner Sicht eine fatale Entwicklung, es wäre das Gegenteil von Inklusion und es wäre auch das Gegenteil von dem, was wir alle gemeinsam wollen.

Wir haben daher heute noch einmal unseren Antrag eingereicht, mit dem wir Sie auffordern, in zehn ganz konkreten Punkten Ihr Konzept zu überarbeiten. Die SPD hat unseren Antrag im Schulausschuss leider bereits abgelehnt, aber wir wissen inzwischen, dass bei Ihnen plötzliche Kehrtwendungen durchaus auf der Tagesordnung sind. Herr Senator, ich finde es gut, dass Sie sich als Bildungssenator als Vorbild für lebenslanges Lernen präsentieren; heute wäre es besonders wichtig.

(Beifall bei der CDU)

Herr Holster, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Herr Heinemann, dass wir das Thema Inklusion nicht häufig debattiert oder besprochen haben in den Ausschüssen, ist so nicht ganz richtig. Ich erinnere mich an eine Expertenanhörung und ich erinnere mich an eine öffentliche Anhörung. Wir haben das diverse Male diskutiert. Ich glaube, schon zum vierten Mal debattieren wir heute das Thema Inklusion. Dass sich die SPD diesem Thema verschließt, kann wohl so nicht ganz richtig sein.

Ich habe erneut bei Ihren Ausführungen wahrgenommen, dass der Fokus beim Thema Inklusion auf den Ressourcen liegt, bei der Frage, ob die Ressourcen reichen werden, um den Kindern mit besonderem Förderbedarf gerecht zu werden. Ich betrachte das aus zwei Perspektiven.

(Zuruf von Robert Heinemann CDU)

Herr Heinemann, bleiben Sie ganz ruhig.

Die eine Perspektive ist die aus der Sicht derjenigen Schulen, die bereits integrative Klassen hatten. Da sage ich Ihnen ehrlich: Ja, diese haben jetzt weniger Ressourcen.

Sie sagen, dass es viele Schulen gibt, die noch nie inklusiv gearbeitet haben. Fast alle Schulen haben bisher inklusiv gearbeitet, sie haben nur keine Ressourcen bekommen. Schauen Sie sich doch die Grundschulstandorte an. Dort hat man sich bewusst dafür entschieden, Kinder mit Sprach- oder

Lernförderbedarf nicht an eine Förderschule zu geben, sondern in das System zu integrieren. Und in den Hauptschulen gab es oftmals vier oder fünf Kinder, die nach dem heutigen Stand eigentlich einer besonderen Förderung bedurft hätten. Diese Kinder wurden in den Klassen gelassen, weil es den Schulen wichtig war, sie zu integrieren. Das war damals schon Inklusion.

(Beifall bei der SPD)

Und genau diese Schulen, nämlich alle, werden jetzt von dieser Ressource profitieren.

(Dr. Walter Scheuerl CDU: Aber nicht die Kinder! – Robert Heinemann CDU: Komisch, dass die sich alle wehren! Die wehren sich alle gegen Ihre Geschenke!)

Ich habe einige Tage gespannt auf den Zusatzantrag der CDU gewartet und überlegt, ob irgendetwas Neues kommt, da Herr Scheuerl im Vorfeld – ich erinnere mich gut an die Diskussionsveranstaltung zum Thema Inklusion bei der GEW – angekündigt hatte, dass die CDU-Fraktion mehr Geld in die Hand nehmen oder vielleicht sogar den ganzen Bildungshaushalt erhöhen wolle; vielleicht kommt im Rahmen der Haushaltsberatungen etwas dazu. Aber ich frage mich, ob Ihre Haushaltsexperten, Herr Heintze, eigentlich genau gelesen haben, was Herr Heinemann verfasst hat.

(Roland Heintze CDU: Ja!)

Ich will Ihnen zwei Punkte für den Haushalt benennen. Sie fordern eine Ressourcenausstattung wie bei den bisherigen Integrationsklassen und die durchgehende Doppelbesetzung mit einem Sonderpädagogen auf der Grundlage von KESS 1 und KESS 2. Unabhängig von der Frage, ob das fachlich unbedingt notwendig ist, ist diese Forderung nicht finanzierbar.

(Beifall bei der SPD)

Solche Anträge kennen wir sonst eigentlich nur von der Linkspartei.

(Dora Heyenn DIE LINKE: Nein, solche nicht!)

Wir haben in den letzten Debatten häufig über das Thema Haltung gesprochen. Besonders nachdenklich hat mich die Frage gestimmt, die Herr Scheuerl in der letzten Schulausschusssitzung gestellt hat. Sinngemäß haben Sie, Herr Scheuerl, den Senator gefragt, ob ein behindertes Kind an einer Grundschule oder Stadtteilschule besser gefördert werden könne als an einer Förder- oder Sprachheilschule. Ich kann mich noch genau an das Kopfschütteln im Publikum und bei den anderen Fraktionen erinnern. Wenn das die Haltung der CDU ist, dann hat die CDU-Fraktion grundlegend nicht verstanden, was Inklusion bedeutet.

(Beifall bei der SPD und bei Dr. Stefanie von Berg GAL)

(Robert Heinemann)

Inklusion soll die Barrieren doch gerade abbauen und unsere Gesellschaft enger zusammenführen, und sie widerspricht dem Selektionsgedanken und dem Mythos, dass man nur in homogenen Klassen guten Unterricht machen kann. Als aktuelles Beispiel hat die Schule Rellinger Straße heute den Deutschen Schulpreis bekommen,

(Beifall bei Sabine Steppat und Silke Vogt- Deppe, beide SPD)

und zwar für die Heterogenität in den Klassen und den jahrgangsübergreifenden Unterricht. Damit ist diese Schule erfolgreich gewesen. Herzlichen Glückwunsch an die Schule Rellinger Straße.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Jetzt will ich aufgreifen, was Sie, Herr Dr. Scheuerl, in Ihrer Pressemitteilung schreiben. Sie verurteilen dort die Erich-Kästner-Schule, vorbildlich für Integrationsarbeit, und außerdem die Max-BrauerSchule. Das Unterrichtskonzept der Max-BrauerSchule würde die Zahl der Schulabbrecher ohne Schulabschluss fördern. Das ist vollkommen absurd, und wer so etwas behauptet, der hat keine Ahnung von gutem Unterricht.

(Beifall bei der SPD und der GAL – Zuruf von Dr. Walter Scheuerl CDU)

Sie können sich gleich melden, Herr Scheuerl.

Wir sollten uns alle auf diesen Paradigmenwechsel einlassen, der uns mit der Inklusion einen wichtigen Schritt weiterbringt, denn dann kann die Inklusion in Hamburg gelingen. – Vielen Dank!

(Beifall bei der SPD)

Frau von Berg, Sie haben das Wort.