Protocol of the Session on May 23, 2012

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Keine Frage, der Wissenschaftsstandort Hamburg braucht guten wissenschaftlichen Nachwuchs und dieser braucht gute Beschäftigungsverhältnisse, und insbesondere kurze Befristungen von Beschäftigungsverhältnissen sind keine gute Perspektive. Aber es gibt

durchaus Gründe für eine Befristung, diese wurden zum Teil schon genannt. Wenn man nicht befristet, sind die Stellen relativ bald besetzt und neue Nachwuchswissenschaftler bekommen keine Stelle. Es muss also sorgfältig abgewogen werden zwischen dem Interesse, öfter einen Wechsel zu haben und Stellen freizumachen, und dem berechtigten Interesse, als Nachwuchswissenschaftler eine Perspektive zu haben. Eine sorgfältige Abwägung ist erforderlich und dies war im Wissenschaftsausschuss möglich, weil es eine Große Anfrage der GAL-Fraktion mit vielen Fakten gab. CDU, GAL und FDP hatten deshalb eine Expertenanhörung auf Basis dieser Großen Anfrage beantragt, die SPD hat das abgelehnt. Daraufhin war die Erwartungshaltung besonders groß, dass Sie vieles, was wir noch nicht wussten, in Form eines tollen Antrags vorlegen. Diese Drucksache wird diesen Erwartungen in keiner Weise gerecht. Nehmen Sie zum Beispiel diesen Satz: "Der Senat soll auf Bundesebene darauf hinwirken, das Gesetz auf den Prüfstand zu stellen." Andere sollen also ein Gesetz, was Sie mitbeschlossen haben, prüfen, nicht einmal Sie selbst. Das ist ein Armutszeugnis.

(Dora Heyenn DIE LINKE: Richtig!)

Mit solch einem Antrag kann man nichts anfangen. Der Antrag ist so schlecht, dass man ihn nicht einmal ablehnen kann. Wir werden vorsichtshalber zustimmen, um die Sache möglichst schnell zu erledigen.

(Ksenija Bekeris SPD: Abenteuerliche Be- gründung!)

Nicht besser übrigens beim Senat. Ich hatte während der Sitzung des Wissenschaftsausschusses zwei Fragen an den Senat gestellt, es sollte Protokollerklärungen geben. Diese sind genauso nichtssagend und wertlos wie dieser Antrag Ihrer Fraktion. Dem Senat ist unbekannt, wie viele Stipendien es in Hamburg gibt. Die lapidare Antwort auf meine Frage bezüglich der Belastung der Stipendiaten mit Verwaltungsaufgaben lautet, dass das unzulässig sei. Das haben wir uns schon gedacht, wir wollten Zahlen haben. Der Senat weiß offenbar nichts über die Lage der Nachwuchswissenschaftler und der Stipendien. SPD-Fraktion und Senat haben, anders als die vollmundigen Worte von Herrn Tode vermuten lassen, zur Frage nichts zu bieten.

Meine Damen und Herren! Es geht auch anders. Ich hatte in der letzten Sitzung bezüglich der Finanzierung des Hochschulbaus auf das Beispiel Hessen verwiesen. In diesem Zusammenhang möchte ich nun auf den Bund verweisen. Machen Sie sich doch einmal die Mühe und lesen Sie die Bundestagsdrucksache 17/9396, den gemeinsamen Antrag der CDU/CSU- und FDP-Fraktion mit dem Titel: "Exzellente Perspektiven für den wissenschaftlichen Nachwuchs fortentwickeln". Dieser ist für Sie vielleicht noch ein bisschen neu, vom 24. April 2012. Es gibt nämlich nicht nur eine Eva

(Dr. Eva Gümbel)

luation, wie schon gesagt wurde. CDU, CSU und FDP haben dort minutiös aufgelistet, was passieren muss, und Sie haben noch nicht einmal mit dem Prüfen angefangen. Das ist ein 15-PunkteProgramm, ich nenne Ihnen nur wenige Punkte, die hier von Interesse sind:

1. Befristung an die Laufzeiten der Projekte koppeln. 2. Hochschulrektorenkonferenz soll Leitfragen für die Nachwuchswissenschaftler entwickeln. 8. Juniorprofessuren sollen in Assistenzprofessuren aufgehen, unbefristete Beschäftigung, Promotionsrecht. 11. Befristung auf weniger als einem Jahr nur, wenn Qualifizierung mit Anschlussvertrag abgeschlossen werden kann. Und Sie ahnen es: 10. Die Länder müssen eine entsprechende Finanzierung bereitstellen.

Meine Damen und Herren! Was Sie vom Bund fordern, haben CDU/CSU und FDP längst gemacht, das haben Sie nur noch nicht mitbekommen. Das Problem liegt in Hamburg. Wenn Sie solch eine geringe finanzielle Ausstattung der Hochschulen herbeiführen, dann müssen Sie sich nicht wundern, wenn die Hochschulen versuchen, mit dem wenigen Geld klarzukommen. Es hat keinen Sinn, nach dem Bund zu rufen, es geht ganz einfach: Wenn Sie weniger Befristungen wollen, müssen Sie den Hochschulen mehr Geld geben. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und bei Dr. Eva Gümbel GAL)

Frau Heyenn, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Von Max Weber stammt folgende Aussage – ich zitiere –:

"Denn es ist außerordentlich gewagt für einen jungen Gelehrten, der keinerlei Vermögen hat, überhaupt den Bedingungen der akademischen Laufbahn sich auszusetzen. Er muss es mindestens eine Anzahl Jahre aushalten können, ohne irgendwie zu wissen, ob er nachher die Chancen hat, einzurücken in eine Stellung, die für den Unterhalt ausreicht."

Das war 1917. Was die soziale Absicherung anbetrifft, hat sich bis heute nicht viel geändert.

Die Fraktion DIE LINKE hat die Debatte am 8. Juli 2009 mit einer Großen Anfrage eröffnet. Das Ausmaß an unsicheren und prekären Beschäftigungsverhältnissen an deutschen Hochschulen, insbesondere auch in Hamburg, ist erschreckend und abschreckend. Die rechtliche Grundlage allen Übels, das ist schon angeklungen, ist das Wissenschaftszeitvertragsgesetz. Darin ist unter anderem

die erwähnte Tarifsperre verankert; die Tarifpartner dürfen keine abweichenden Regeln vereinbaren. Wissenschaftliches und künstlerisches Personal mit akademischer Ausbildung kann bis zu sechs Jahre befristet beschäftigt werden. Nach einer Promotion ist nochmals eine Befristung von sechs Jahren zulässig, in der Medizin sogar von neun Jahren. Unsere Große Anfrage aus der letzten Legislaturperiode hat deutlich gemacht, dass sich ein expandierender Sektor prekärer akademischer Beschäftigung entwickelt hat. Dieser wurde in den letzten drei Jahren immer stärker ausgeweitet.

Der wissenschaftliche Nachwuchs wird ständig angehalten, Drittmittel zur Finanzierung seiner Studien zu organisieren. Dies hat weitreichende Konsequenzen für die Freiheit von Forschung und Wissenschaft. Die private Wirtschaft nimmt über Stiftungslehrstühle, Sponsoring und Forschungsprojekte Einfluss auf die Inhalte von Forschungsinhalten. Das finden wir gefährlich.

(Beifall bei der LINKEN)

Auch öffentliche Drittmittel werden durch Fachgutachterkommissionen und Ministerien vergeben, und sie verstärken die Abhängigkeit von Forschung und Lehre. In der Großen Anfrage der GAL-Fraktion "Traumjob Wissenschaft?" taucht der Begriff "Tenure- Track" auf. Mit dem Tenure-Track soll erreicht werden, dass nach einer befristeten Bewährungszeit eine Lebenszeitprofessur vergeben wird. Das Tenure-Verfahren kann eine dauerhafte Beschäftigung ermöglichen und persönliche Abhängigkeiten vermindern bis verhindern. Deshalb stimmen wir dem GAL-Antrag zu.

(Beifall bei Antje Möller und Phyliss Demirel, beide GAL)

Alles, was auf Landesebene möglich ist, sollte getan werden, um prekäre Beschäftigung abzuschaffen. DIE LINKE im Bundestag hat sich kritisch mit dem Wissenschaftszeitvertragsgesetz auseinandergesetzt. Wir fordern die Abschaffung zugunsten sachgerechter, tarifvertraglicher Regelungen, und zwar für alle Beschäftigungsgruppen.

(Beifall bei der LINKEN)

Es geht nicht nur darum, dass bis zu 90 Prozent aller Beschäftigungsverhältnisse an den Hochschulen befristet sind, sondern es geht auch um die grandiose Unterbezahlung, von der die Wissenschaftler nicht leben können.

(Beifall bei Dr. Eva Gümbel GAL)

Anlässlich der Verabschiedung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes im Deutschen Bundestag im Januar 2007 erklärte der bildungs- und forschungspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Jörg Tauss, damals noch als Regierungspartei – ich zitiere –:

"Der Deutsche Bundestag hat mit dem Wissenschaftszeitvertragsgesetz verlässliche

(Dr. Wieland Schinnenburg)

Rahmenbedingungen für drittmittelfinanzierte Projekte geschaffen und damit den Arbeitgebern und den Beschäftigten eine klare, verlässliche Perspektive gegeben."

Das Ergebnis sind "Lehrknechte und Betteldozenten" an den Hochschulen, so der Titel eines Beitrages des ZDF-Magazins Frontal 21, der erst kürzlich gesendet wurde. Das wurde durch Beispiele belegt. In Frontal 21 wurde – ich zitiere – Folgendes verlautbart:

"An unseren Unis lehren Dozenten, die für ihre Lehrveranstaltungen in etwa so wenig verdienen wie das Reinigungspersonal des Instituts. Viele Lehrbeauftragte hängen jahrelang fest in befristeten, prekären Arbeitsverhältnissen. Doch Stellen gibt es immer weniger, dafür eine wachsende Masse von Studenten. Und die chronisch klammen Unis bauen inzwischen voll auf die billigen Lehrkräfte."

(Glocke)

Ich bitte das Plenum um mehr Ruhe und Aufmerksamkeit für die Rednerin. Fahren Sie bitte fort.

– Danke schön.

2008 hat das zuständige Bundesministerium die Hochschul-Informations-System GmbH HIS beauftragt, das Gesetz zu evaluieren, und kürzlich ist der Bericht erschienen. Die Ministerin Schavan und die HIS sind zu der Ansicht gekommen, dass das Wissenschaftszeitvertragsgesetz sich "grundsätzlich bewährt" habe. Jetzt zur Aussagekraft dieser Evaluation, Herr Kleibauer. Der Beraterkreis bestand ausschließlich aus Vertretern der Arbeitgeber, der Forschungsförderer, der Hochschulen und der Forschungseinrichtungen der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Gewerkschaften, Betriebs- und Personalräte sowie Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte blieben außen vor; so geht das nicht.

(Beifall bei der LINKEN und bei Dr. Sven To- de SPD)

Die Diskussion um die Perspektiven für den wissenschaftlichen Nachwuchs ist in den letzten Monaten in Bewegung geraten, auch im Bundestag. Ohne neue Vorgaben auf der landes- und bundespolitischen Ebene wird es keine nennenswerten Veränderungen geben. Aber leider enthält der SPD-Antrag – das ist schon von einigen Vorrednern gesagt worden – keine Konkretisierung. Von einer aktiven Bekämpfung der prekären Beschäftigung im Uni-Bereich, wie Herr Tode gesagt hat, kann ich in diesem Antrag nichts lesen. Deshalb wird sich die LINKE bei dem SPD-Antrag enthalten, und wir unterstützen ausdrücklich die Meinung

von Herrn Kleibauer, dass eine Expertenanhörung keinen Sinn ergibt. Wenn wir heute ein Gesetz beschließen, dann wäre die Anhörung nur noch eine Showveranstaltung. Wir sollten beide Anträge überweisen, nur dann hätte eine Expertenanhörung Sinn. Sonst fühle ich mich als Abgeordnete hinter die Fichte geführt.

(Beifall bei der LINKEN und bei Dr. Stefanie von Berg, Christa Goetsch und Dr. Eva Gümbel, alle GAL)

Frau Senatorin Dr. Stapelfeldt, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir sind uns einig darin, dass die Situation des wissenschaftlichen Nachwuchses an den deutschen Hochschulen teilweise sehr unbefriedigend ist. Der heute zur Debatte stehende Antrag der SPD-Fraktion greift ein sehr wichtiges und komplexes Thema auf. Die Argumentation, dass die Situation des wissenschaftlichen Nachwuchses etwas mit aktuellen Haushaltsplanungen oder den Hochschulvereinbarungen zu tun habe, greift nicht nur zu kurz, sondern ist auch schlicht nicht richtig. Die Hochschulen können sich darauf verlassen, dass wir die Vereinbarungen einhalten werden.

(Beifall bei der SPD)

Die starke Ausbreitung prekärer Beschäftigungsverhältnisse an den Hochschulen ist ein bundesweit zu beobachtendes und sich seit Jahren entwickelndes Phänomen. Das hat auch die GAL in ihrem Antrag dargestellt.

(Vizepräsidentin Barbara Duden übernimmt den Vorsitz.)

Es gibt eine ausufernde Handhabung des Befristungsrechts durch die Hochschulen. Aber Befristungsdauern von drei, vier, fünf oder sechs Monaten für einzelne Projekte sind mit Budgets nicht zu erklären, sondern haben ganz andere Gründe.

(Dora Heyenn DIE LINKE: Aber auf sechs Jahre!)

Die gibt es auch, aber es gibt auch drei-, vieroder sechsmonatige Befristungen, und da fragt man sich wirklich, was das für eine Situation ist.

Wir tun deshalb gut daran, uns dieses Themas sachlich und entschlossen anzunehmen. Dazu gehört zunächst eine klare Analyse des Ist-Zustandes und der vielfältigen Gründe für prekäre Beschäftigungsverhältnisse an den Hamburger Hochschulen. Wir haben als eine Handlungsebene das Wissenschaftszeitvertragsgesetz und als andere Handlungsebene die Situation an den Hochschulen selbst. Es gibt zahlreiche Hinweise darauf, dass die gesetzlichen Grundlagen von vielen Hochschulen, und das ist nicht nur auf Hamburg

(Dora Heyenn)

bezogen, sehr weit im Sinne prekärer Beschäftigungsverhältnisse ausgenutzt werden.