Protocol of the Session on May 10, 2012

Übrigens waren es vor der letzten Wirtschafts- und Finanzkrise, vor 2007, nur 34 Prozent. Das bedeutet nicht zwingend, dass auch die psychischen Erkrankungen in der Bevölkerung im gleichen Maße gestiegen sind, aber wir haben eine Entwicklung, bei der psychische Erkrankungen besser erkannt und ehrlicher diagnostiziert werden. Deshalb haben wir auch hier eine Änderung und einen Bewusstseinswandel bei der Bevölkerung.

Die Zunahme der psychischen Erkrankungen, aber selbstverständlich auch der Spitzenplatz, den Hamburg an dieser Stelle hat und den wir gern abgeben würden, belegen die Notwendigkeit einer verbesserten Prävention und einer verbesserten betrieblichen Gesundheitsförderung.

(Beifall bei der SPD)

Die Arbeitswelt spielt tatsächlich eine Schlüsselrolle dabei. Und gelingen kann dieser Prozess nur, wenn Unternehmen Gesundheit bei all ihren Entscheidungen mitdenken, wenn sie ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an Veränderungsprozessen und auch schon an der Analyse vorher beteiligen

(Arno Münster SPD: Genau richtig!)

und wenn sie mit ihnen gemeinsam eine zukunftsfähige und gesunde Arbeit gestalten.

(Beifall bei der SPD)

Viele Großunternehmen haben das auch schon erkannt und wirklich gute Programme auf den Weg gebracht, auch einige kleinere und mittelständische Unternehmen. Aber gerade die kleineren Unternehmen brauchen unsere Unterstützung auf dem Weg hin zu einem systematischen Arbeitsund Gesundheitsschutz, und gerade sie sind es, die die meisten Menschen beschäftigen. Deshalb legen wir da auch den Schwerpunkt in der Beratung im Arbeitsschutz.

Deshalb hat auch die "Gemeinsame Deutsche Arbeitsschutzstrategie" aus Arbeitsschutzbehörden der Länder und der Unfallversicherungen das Thema psychische Erkrankungen am Arbeitsplatz und Stärkung der Beschäftigten auf diesem Feld zum Topthema der nächsten Jahre erklärt. Wir werden in Hamburg diese Selbstverpflichtung mit Nachdruck einlösen.

(Beifall bei der SPD – Dirk Kienscherf SPD: Bravo!)

Die Arbeitsschutzbehörde in Hamburg unterstützt die Betriebe bei allen Fragen des Arbeits- und Gesundheitsschutzes, und die Kontrolle der Einhaltung von Arbeitsschutzbestimmungen ist dabei natürlich die notwendige Basis und auch in Zukunft unverzichtbar. Aber das ist der Pflichtanteil.

Genauso unverzichtbar ist auch die Kür, und die Kür ist der aktive und der präventive Gesundheitsschutz. Das ist die Beratung der Betriebe bei ihren Strategien, wie Krankheiten und Belastungen am

Arbeitsplatz vermieden werden können und wie aktiv die Gesundheit der Beschäftigten und der Belegschaften gefördert werden kann.

Konkret heißt das, dass bei jedem Einsatz des Arbeitsschutzes und bei jeder Überprüfung eines Betriebs auch regelmäßig ermittelt wird, welche psychischen Belastungen vorhanden sind und wie sie minimiert werden können. In diesem Zusammenhang werden die Betriebe dann auch beraten, wie man das Problem angeht. Große Unternehmen haben da schon Ansätze, kleine brauchen stärker unsere Hilfe. Deshalb konzentrieren wir uns auch bei der Entwicklung von Hilfsmitteln und bei Leitfäden auf die kleinen und mittleren Betriebe, und zwar branchenspezifisch und spezifisch für die Betriebsgrößen.

Wir haben Kooperationsprojekte aufgelegt, zum Beispiel mit der ambulanten Pflege, haben hier mit Pilotbetrieben praxisnahe Ansätze erarbeitet, und die werden jetzt auch ausgerollt auf alle Betriebe und auch auf die stationäre Pflege.

Auch die EU sieht das Problem und hat in diesem Jahr den Schwerpunkt bei Unternehmen der Transportbranche gesetzt. Das tun wir auch in 2012. Die Kontrolle der Unternehmen in der Transportbranche, insbesondere der Fokus auf psychische Belastungen, wird absolut im Zentrum des Arbeitsschutzes in diesem Jahr stehen.

Neben der Unterstützung einzelner Betriebe geht es auch darum, insgesamt Unternehmen und Beschäftigte zu überzeugen, dass es sich lohnt, systematisch Arbeits- und Gesundheitsschutz in die betrieblichen Abläufe einzubinden und dass dies mit ein Garant für den Unternehmenserfolg ist.

(Beifall bei der SPD)

Ich bin schon der Auffassung, dass Wirtschaftsverbände, Kammern und Gewerkschaften bei der Vermittlung dieser Botschaften eine zentrale Rolle spielen müssen, denn sie sind häufig näher am Betrieb und näher an den Belegschaften, als es die Aufsichtsbehörde sein kann. Deshalb leben wir auch tatsächlich eine Arbeitsschutzpartnerschaft mit diesen Organisationen. Ich setze hier wirklich mehr auf partnerschaftliches, gemeinsames Vorgehen und nicht auf ein An-den-Pranger-Stellen einzelner Betriebe.

Wir haben auch schon gezeigt, dass wir in diesem regionalen Verbund mit Handels- und Handwerkskammer, Unternehmensverbänden, Gewerkschaften, Berufsgenossenschaften und der Arbeitsschutzbehörde sehr erfolgreich vorgehen können.

(Beifall bei der SPD)

Eine wesentliche Funktion – ich würde das nicht geringschätzen, Frau Artus – ist immer wieder die Verbreitung guter, praktischer Lösungen und Beispiele, zu zeigen, wie es geht, wie andere es gemacht haben. Deshalb zeichnen wir mit der Ar

(Senatorin Cornelia Prüfer-Storcks)

beitsschutzpartnerschaft auch vorbildliche Betriebe aus. Sie bekommen die Arbeitsschutzanerkennung, eine sehr hochwertige Auszeichnung, für die man einiges vorweisen und leisten muss. Deshalb wollen wir gute Ansätze auch mit Fortbildungen und Informationskampagnen verbreiten. Absolut im Fokus stehen hier die psychischen Belastungen am Arbeitsplatz.

Dass auch der Pakt für Prävention seinen Beitrag leistet, ist schon genannt worden. "Gesund arbeiten in Hamburg" ist ein Schwerpunktthema in diesem Jahr. Aber natürlich beraten wir nicht nur andere, wie man es tun könnte, sondern wir tun auch selbst etwas, denn wir sind Arbeitgeber und als solcher haben wir auch Vorbildungsfunktion in Hamburg. Hamburgweit gibt es eine Vereinbarung mit den Spitzenverbänden der Gewerkschaften zur betrieblichen Gesundheitsförderung. Schwerpunktthema ist auch dort in diesem Jahr das Thema psychische Belastung, Gefährdungsanalyse am Arbeitsplatz und natürlich auch das individuelle Eingliederungsmanagement für erkrankte Beschäftigte.

Ich verzichte darauf, Ihnen im Einzelnen darzulegen, welche Projekte wir aufgelegt haben, obwohl man das auch sehr ausführlich und lang tun könnte. Hier ist wirklich einiges in Bewegung und auf dem Weg. Ich will nur einen Punkt nennen, denn ich bin schon der Meinung, dass die für Gesundheit und Arbeitsschutz zuständige Behörde hier eine besondere Vorbildfunktion einzuhalten hat. Wir haben uns gemeinsam mit der Personalvertretung auf den Weg gemacht, eine Gefährdungsanalyse, eine Analyse psychischer Belastungen nach dem Arbeitszeitschutzgesetz auf den Weg zu bringen, in Abstimmung auch mit dem Unternehmen, das diese Analyse vornehmen wird. Wir nehmen da insbesondere die Führungs- und Zusammenarbeitsstrukturen ins Visier, denn das ist häufig eine Ursache, wenn es an dieser Stelle nicht stimmt, für psychische Belastungen.

Ich bin übrigens der Meinung, dass Stellenabbau eine psychische Belastung – nicht nur, aber auch – am Arbeitsplatz darstellt. Deshalb geht das in meiner Behörde mit Aufgabenkritik einher und nicht nur mit dem puren Abbau von Stellen.

(Beifall bei der SPD)

Aber Sie haben vollkommen recht, auch die bundesrechtlichen Rahmenbedingungen müssen stimmen. Ich glaube, dass ich schon an anderer Stelle gezeigt habe, dass ich nicht warte, bis die richtigen bundesrechtlichen Rahmenbedingungen vom Himmel fallen, sondern dass ich gemeinsam mit Bündnispartnern versuche, zum Beispiel über den Bundesrat etwas auf den Weg zu bringen. Das geschieht auch in den eben angesprochenen Bereichen.

Auf europäischer Ebene haben Sozialpartner und Kommission schon im Jahr 2004 eine Rahmenvereinbarung zur Reduzierung von arbeitsbedingtem Stress getroffen. Diese Vereinbarung hat in vielen Mitgliedsstaaten dazu geführt, dass man entweder rechtliche Regelungen auf den Weg gebracht hat oder aber kollektive Vereinbarungen mit den Tarifpartnern geschlossen hat. In Deutschland fehlen diese verbindlichen Regelungen, gerade zum Thema psychische Belastungen am Arbeitsplatz. Deshalb werde ich gemeinsam mit den Länderkolleginnen und -kollegen, die dieses Problem auch sehen – es sind die A-Länder, das kann man deutlich sagen –, versuchen, die gesetzlichen Grundlagen zu schaffen, damit wir insbesondere die psychischen Belastungen am Arbeitsplatz über die Arbeitsschutzbehörden noch besser angehen können.

(Beifall bei der SPD)

Zweiter Punkt. Wir brauchen endlich ein Bundespräventionsgesetz, nicht zuletzt als Schub für die betriebliche Gesundheitsförderung. Wir müssen in einem solchen Präventionsgesetz auch die Arbeitslosenversicherung zur Finanzierung von Maßnahmen der Gesundheitsförderung heranziehen. Denn arbeitslose Menschen brauchen ebenfalls Unterstützung beim Erhalt ihrer Gesundheit; das ist mindestens so wichtig wie der Erhalt ihrer fachlichen Kompetenz. Diese Form der Finanzierung war bisher noch nicht geplant.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren! Ich glaube, Gesundheit und Sicherheit im Unternehmen kommt nicht nur den Beschäftigten und damit auch den Unternehmen zugute, sondern auch unserer Gesellschaft. Gesunde Beschäftigte helfen mit, Unternehmen wettbewerbsfähig zu halten, aber sie tragen auch dazu bei, gesellschaftliche Kosten von Krankheit und Frühverrentung zu senken. Das müssen wir angesichts der demographischen Entwicklung mit Sicherheit tun. Nicht zuletzt ist in einer alternden Gesellschaft die Gesundheitsförderung auch deshalb ein Muss, weil wir zusehen müssen, dass uns nicht die Fachkräfte ausgehen. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Frau Senatorin, ich muss Sie darauf aufmerksam machen, dass Sie weit mehr als das Doppelte der den Abgeordneten zur Verfügung stehenden Redezeit in Anspruch genommen haben.

Gemäß Paragraf 22 Absatz 3 unserer Geschäftsordnung haben jetzt alle Fraktionen die Gelegenheit zu erwidern. – Ich erteile das Wort Frau Artus.

Frau Präsidentin, sehr geehrte Herren und Damen! Die FDP hat sich mit Ihrem Beitrag, Herr Dr. Schinnenburg, wieder einmal gesundheitspolitisch völlig disqualifiziert.

(Senatorin Cornelia Prüfer-Storcks)

(Beifall bei der LINKEN und der SPD)

Mir ist meine Redezeit zu schade, um auf die einzelnen Punkte einzugehen, aber vielleicht kommen wir einmal zu einer Selbstbefassung im Gesundheitsausschuss zum Thema betrieblicher Gesundheitsschutz. Die Ausführungen der Gesundheitssenatorin fordern wirklich dazu heraus, dies noch näher zu erörtern und zu begleiten. Wir sollten das nächste Woche einmal besprechen.

(Vizepräsidentin Barbara Duden übernimmt den Vorsitz.)

Herr Stemmann, Sie haben ausgeführt, wie viele Unterlagen und Papiere vorliegen. Mir sind die geläufig, ich persönlich arbeite auch gut mit dem Amt für Arbeitsschutz zusammen und das war mir schon häufig sehr hilfreich. Es reicht noch nicht aus, weil – das ist statistisch belegt – die Entwicklung auf eine Zunahme von Ausfalltagen aufgrund psychischer Erkrankungen verweist, trotz vorhandener Gesetze, trotz der Gefährdungsbeurteilung, trotz der bislang geltenden Mitbestimmung. Das reicht nicht aus und die Behörde gibt es auch nicht erst seit gestern. Es ist klar, dass sie nicht alles kontrollieren können. Ich glaube, sie würden nicht weiterkommen, selbst wenn jetzt alle Beamtinnen und Beamte in die Betriebe gehen würden. Es würde nichts dabei herauskommen, weil die vorhandenen gesetzlichen Rahmenbedingungen nicht jene sind, die zur Gesunderhaltung der Menschen beitragen, weil die Mechanismen andere sind. Es geht nicht nur darum, Gesundheitsförderung zu forcieren, auch wenn konkrete Gesundheitsförderung ein wichtiger Baustein ist. Deswegen habe ich auch bewusst im Eingang zu meinem Beitrag den Hamburger Gesundheitspreis hervorgehoben, und auch die Maßnahmen, die hier geschildert wurden, sind alle nicht verkehrt. Aufgrund der Entgrenzung des Arbeitslebens – was natürlich bewusst von oben gesteuert wird, das ist doch klar – bedarf es klarer Grenzziehungen. Das bedeutet letztendlich mehr Demokratie und Mitbestimmung in den Betrieben. Anders werden wir das Thema nicht in den Griff bekommen.

(Beifall bei der LINKEN und bei Phyliss De- mirel GAL)

Freiheit, auch unternehmerische Freiheit, ist nämlich dann keine Freiheit mehr, wenn sie krank macht. Es kann von Managern nicht einerseits Selbstbestimmung gefordert werden nach dem Motto, arbeitet wann ihr wollt und wie ihr wollt, Hauptsache es kommt dabei heraus, was ich will, und andererseits werden wichtige Entscheidungen, wann entlassen wird und wie das erwirtschaftete Vermögen investiert wird, ohne Mitbestimmung getroffen. Wir sind hier bei einer zentralen Frage unseres heutigen Wirtschaftens. Wir brauchen eine andere Kultur des Arbeitens. Ich hoffe, dass wir heute einen Beginn haben machen können, diese Debatte konstruktiv und mit der FDP gern auch

kontrovers weiterzuführen. Wir müssen etwas tun. Ich sehe seit 30 Jahren Menschen krank werden, sie werden ursächlich durch die Art des Arbeitens krank, anders krank als noch vor 30 Jahren. Das ist heute schlimmer, und es besteht wirklich dringender Handlungsbedarf.

(Beifall bei der LINKEN und vereinzelt bei der GAL)

Das Wort bekommt Herr Dr. Scheuerl.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren! Ich möchte an dieser Stelle meine schulische Kompetenz in die Waagschale werfen

(Zurufe von der SPD – Dr. Andreas Dressel SPD: Sind Sie jetzt Lehrer?)

und Sie auf einen wichtigen Umstand hinweisen. Warum werden Menschen krank und welche Berufsgruppen werden besonders oft psychisch krank? Reine Fakten: Bei den Lehrern beträgt der Anteil der Pensionierungen wegen Dienstunfähigkeit 54 Prozent. Ich kann Ihnen sagen, woran das liegt. Lehrkräfte bekommen keine vernünftigen Arbeitsplätze, müssen sich Schreibtische teilen,