Protocol of the Session on April 18, 2012

Jetzt erhält Senator Scheele das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Das wird hier relativ kurzweilig diskutiert, es gibt viel Gelächter, es ist aber ein ernstes Thema, weil hier etwas geschieht, was insbesondere Kinder aus benachteiligten Elternhäusern weiter ins Abseits führt. Das wollen wir ausdrücklich nicht.

(Beifall bei der SPD und bei Jens Kerstan GAL)

Um es irgendwie schmackhaft zu machen, wird jeden Tag ein neues Angebot offeriert, das sozusagen die sozialpolitisch schädlichen Seiten des Betreuungsgeldes verdecken soll. Jetzt sind es die UUntersuchungen der Kinder, die dafür herhalten sollen; wenn man sie wahrnimmt, soll man das Betreuungsgeld bekommen. Wer sich einmal damit befasst hat, der weiß, welcher bürokratische Aufwand notwendig wäre, wenn dieses Gesetz tatsächlich das Licht der Welt erblicken würde, um ein Kontrollsystem einzuführen, das die U-Untersuchung an die Auszahlung der Herdprämie koppelt. Es ist völlig unmöglich, so etwas zu installieren, und es stellt – ich glaube, völlig zu Unrecht – insbesondere die Eltern, die die CSU im Blick hat, an den Pranger, dass sie nur unter der Bedingung einer Prämie ihre Kinder zu den U-Untersuchungen bringen würden. Das glaube ich nicht.

(Beifall bei der SPD)

(Katja Suding)

Insofern droht hier aus Koalitionsopportunismus ein reines Bürokratiemonster, wie schon beim Bildungs- und Teilhabepaket, über dessen Wirkung wir berichtet haben.

Und seit wann bekommt man denn Geld vom Staat, wenn man ein Angebot des Staates nicht annimmt? Zahlen wir bald Geld an die Autofahrer, weil sie den öffentlich geförderten Nahverkehr nicht nutzen? Oder müssen wir all denjenigen Geld auszahlen, die einen Platz in der Oper nicht annehmen? Das ist die Logik hinter dem Betreuungsgeld. Es ist eine Prämie für die Nicht-Inanspruchnahme von öffentlichen Leistungen. Das gibt es meiner Kenntnis nach im Sozialsystem Deutschlands bisher nicht, aber man kann doch mal etwas Neues machen.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Das Betreuungsgeld widerspricht allen derzeitigen Bemühungen in den Bereichen Bildungs-, Arbeitsmarkt-, Gleichstellungs- und Familienpolitik. Es belohnt Eltern dafür, dass sie ihre Kinder von Bildungseinrichtungen fernhalten. Und es hält Eltern davon ab, nach der Geburt eines Kindes nach der Familienphase auf dem Arbeitsmarkt schnell wieder Fuß zu fassen.

Es ist zu befürchten, dass gerade diejenigen Eltern ihre Kinder nicht in frühkindliche Bildungs- und Betreuungseinrichtungen geben werden, deren Kinder besonders von der Betreuung in einer Kita profitieren würden. Für einkommensschwache Familien sind die 150 Euro durchaus attraktiv. Und es wird ganz sicher in vielen Familien die Abwägung angestellt werden, ob sich der Einstieg mit wenigen Arbeitsstunden in den Arbeitsmarkt, womöglich mit einer schlechten Steuerklasse, und die damit verbundenen Bemühungen überhaupt noch lohnt. Wohlhabenden Familien, darauf ist hingewiesen worden, wird hierdurch ein schönes Zubrot offeriert. Ich weiß gar nicht, ob Herr Schäuble so ein Zubrot bezahlen kann für diejenigen, die es nicht brauchen.

Dass das Betreuungsgeld Frauen vom Arbeitsmarkt fernhält, hat kürzlich auch das Bonner Institut für Zukunft der Arbeit in einer Studie belegt. Es gibt nämlich das Betreuungsgeld schon. Untersucht wurden dafür die Auswirkungen des 2006 in Thüringen eingeführten Landeserziehungsgeldes auf die Arbeitsmarktbeteiligung von Frauen und auf die frühkindliche Bildung von Mädchen und Jungen. Laut Studie sind vor allem gering Qualifizierte, Alleinerziehende und Familien mit niedrigem Einkommen dem Arbeitsmarkt ferngeblieben, um das sogenannte Landeserziehungsgeld in Anspruch zu nehmen. Auch ältere Geschwister kamen seltener in den Kindergarten, zudem ging die Erwerbsbeteiligung der Väter ebenfalls leicht zurück. Ist es das, was die Berliner Politik will? Gering Qualifizierte und Alleinerziehende vom Ar

beitsmarkt fernhalten? Wir in Hamburg wollen etwas anderes.

(Beifall bei der SPD)

In Hamburg bemühen wir uns darum, gerade Alleinerziehende mit kleinen Kindern in den Arbeitsmarkt zu integrieren. An zwei Jobcenter-Standorten werden junge Alleinerziehende, insbesondere mit Kindern unter drei Jahren, ganzheitlich betreut. Durch fachkundige Beratung und eine an den jeweiligen Bedürfnissen orientierte, bessere Verknüpfung mit den bestehenden Betreuungseinrichtungen erhöhen wir die Integrationschancen. Das Betreuungsgeld verhindert demgegenüber eine schnelle Rückkehr in den Arbeitsmarkt und mindert die Chancen auf ein selbstbestimmtes Leben, unabhängig von Transferleistungen.

Wir setzen auf den Ausbau der Kindertagesbetreuung. Noch in diesem Jahr wird der Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz für zweijährige Kinder eingeführt und im kommenden Jahr der Rechtsanspruch für einjährige Kinder, unabhängig von der Berufstätigkeit der Eltern, umgesetzt. Bis zum Ende der Legislaturperiode wird das Grundangebot von fünfstündiger Betreuung in Hamburg kostenfrei sein. Und wir rechnen damit, dass im kommenden Jahr rund 43 Prozent aller unter drei Jahre alten Kinder eine öffentlich geförderte Betreuungseinrichtung besuchen werden. Und das ist gut so.

(Beifall bei der SPD)

Und an die Bundesregierung gerichtet: Das Geld, das für das Betreuungsgeld ausgegeben werden soll, sollten Sie lieber den Ländern für den Ausbau der Kindertagesbetreuung und frühkindlichen Bildungsangebote zur Verfügung stellen.

(Beifall bei der SPD)

Verteilt man die vom Bund vorgesehenen 1,2 Milliarden Euro für das Betreuungsgeld nach dem Königsteiner Schlüssel auf die Länder, würden auf Hamburg 30,6 Millionen Euro entfallen. Das entspricht rund 3100 Krippenplätzen in Hamburg, das wäre besser.

(Beifall bei der SPD)

Hamburg möchte nicht diejenigen Eltern belohnen, die für ein Betreuungsgeld auf die Berufstätigkeit verzichten und ihre Kinder von Bildungs- und Betreuungseinrichtungen fernhalten. Wir setzen auf die Angebote frühkindlicher Betreuung und Bildung und wollen sie ausbauen. Wir wollen den Ausbau der Kindertagesbetreuung und die Schaffung des Rechtsanspruchs auf einen Kita-Platz für ein- und zweijährige Kinder. Wir wollen, Frau Blömeke, den Ausbau der Qualität der Kindertagesbetreuung zum Beispiel durch eine bessere Erzieher-Kind-Relation ab 2013 in benachteiligten Stadtteilen und den Ausbau der Sprachförderung in Kindertageseinrichtungen, ebenso ein Netz von Familienhebammen, die sich frühzeitig nach der

(Senator Detlef Scheele)

Geburt um Familien kümmern. Wir wollen auch den Ausbau und die Weiterentwicklung der Eltern-Kind-Zentren als Anlauf- und Beratungsstellen für Eltern mit kleinen Kindern. Wir wollen den Ausbau der ganztägigen Betreuung an Schulen, die Integration von Eltern und insbesondere von Alleinerziehenden in den Arbeitsmarkt.

Das ist moderne Familienpolitik. Sie verbindet die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, sie tut etwas gegen den Fachkräftemangel und sie sorgt für Chancengleichheit für Kinder aus benachteiligten Familien. Das ist sozialdemokratische Familienpolitik, und die setzen wir in Hamburg um. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Das Wort hat nun der Abgeordnete Eisold.

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege de Vries, es ist besonders schade, dass Sie die Gelegenheit nicht genutzt haben, einen klaren Schnitt zu machen und für die CDU zu erklären, so wie es die FDP getan hat, dass Sie das Betreuungsgeld nicht mittragen. Das wäre richtig gewesen.

(Beifall bei der SPD)

Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist etwas, von dem ich den Eindruck hatte, dass es auch bei Ihnen eine große Rolle spielt. Ich frage mich, was eigentlich die Frauen in Ihrer Fraktion und Ihrer Partei zum Betreuungsgeld sagen und denken. Da hätte mich die eine oder andere Meinungsäußerung schon interessiert.

(Beifall bei der SPD und bei Anna-Elisabeth von Treuenfels FDP)

Offenbar ist es für einige schwieriger, sich frei zu äußern, aber immerhin gibt es noch 23 CDU-Parlamentarier im Bund, die einen Brief geschrieben haben. Herr Klimke hat sich daran gehängt, das ist auch in Ordnung. Herr Weinberg hat das eine erzählt, heute jedoch sagt Herr Seehofer das andere. Das Signal, das sich daraus ergibt, ist, dass Sie nicht wissen, was Sie wollen. Die FDP hat hierzu ein klares Vorbild gegeben. So sollten Sie verfahren, erteilen Sie dem Betreuungsgeld von Hamburg aus eine Absage.

(Beifall bei der SPD – Zuruf von Katja Su- ding FDP)

So erfrischend die Aussage der FDP-Bürgerschaftsfraktion an dieser Stelle ist, Frau Suding, so ist es natürlich interessant, was Ihre Kolleginnen und Kollegen heute im Bayerischen Landtag tun werden, wenn es dort um die Frage geht, wie sie es mit dem Betreuungsgeld halten. Die Signale, die wir erhalten, dass ein Betreuungsgeld eingeführt werden müsse, kommen nämlich aus Bayern,

und insbesondere der Herr Seehofer macht sich dafür immer wieder ohne Wenn und Aber stark. Da hätten Sie und Ihre Partei, die in Bayern mitregiert, die Chance, auch dort klar zu sagen, dass dies nicht ins liberale Weltbild passe und dass Sie eine andere Vorstellung von dem hätten, was Frauen in der Wirtschaft leisten können und von dem, was Familie ist, und dass dies etwas anderes ist als das, was Herrn Seehofer vorschwebt.

(Beifall bei der SPD)

Möglicherweise gibt es noch andere Gründe, Herr Senator Scheele hat die auch schon angerissen. Es geht doch schlicht um das Geld für den Krippenausbau. Und wenn wir in Hamburg davon ausgehen, dass wir 2013 im Krippenbereich eine Versorgung von 42 Prozent haben werden, sind wir bundesweit sehr gut. Wir liegen jetzt ungefähr bei 32 Prozent. Andere Länder jedoch, insbesondere Bayern, haben gerade einmal 20 Prozent. Sie werden das nicht erfüllen können, was im Krippenausbauprogramm im gemeinsamen Pakt zu Zeiten der Großen Koalition in Berlin vereinbart worden ist, nämlich bis 2013 eine Versorgungsquote von 35 Prozent bundesweit zu erreichen.

Das ist ein Skandal, und im Grunde genommen muss die CDU rot werden und erklären, dass sie sich von diesem Ziel verabschiedet hätte, die Familien zu unterstützen.

(Beifall bei der SPD)

Deshalb ist der Ansatz von Herrn Senator Scheele genau richtig. Das Geld, das für das Betreuungsgeld herhalten soll – manche reden von 1,2 Milliarden Euro, Experten gehen davon aus, dass es über 2 Milliarden Euro werden könnten –, wäre gut angelegt, um die Länder beim Krippenausbau zu unterstützen. Ich höre, dass Hamburg nach dem Königsteiner Schlüssel 30 Millionen Euro zusätzlich bekommen würde. Das wäre zu den genannten 50 Millionen Euro noch einmal eine ordentliche Summe zusätzlich. Das gäbe eine Unterstützung für die richtige Politik für Eltern, Kinder und Familien in dieser Stadt, die diesen Namen auch verdient. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Das Wort hat nun Herr Wersich.

(Dr. Andreas Dressel SPD: Jetzt sind wir aber gespannt!)

Frau Präsidentin, liebe Kollegen! Zunächst einmal möchte ich feststellen, dass die CDU-Fraktion selbst bestimmt, was sie meint und sagt, und da brauchen wir keine Belehrung von der SPD.

(Beifall bei der CDU – Heike Sudmann DIE LINKE: Ja, genau!)

(Senator Detlef Scheele)

Ein zweiter Punkt, Herr Scheele, ist, dass man bei der Frage des Betreuungsgeldes unterschiedlicher Meinung sein kann. Aber zu sagen, dass eine Prämie von 150 Euro eine Prämie sei, damit Eltern nicht arbeiten,

(Andy Grote SPD: Ist doch so!)

finde ich eine Frechheit gegenüber den Eltern, ebenso die Frage der Einschätzung, ob Eltern sich wegen 150 Euro vom Staat vorschreiben lassen, ob sie arbeiten oder nicht. Das ist kein Angriff gegen die CDU, das ist ein Angriff gegen die Eltern.

(Beifall bei der CDU – Zuruf von Andy Grote SPD)

Ehrlich gesagt, Herr Scheele, ist es auch nicht mehr vereinbar mit unserer Haltung zum Elterngeld.