Protocol of the Session on March 29, 2012

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der CDU)

Aber zum Schluss möchte ich doch einige Überlegungen aufgreifen, die dankenswerterweise Frau Schneider und auch Frau von Treuenfels eingebracht haben. Herr de Vries, ich warne davor, allzu voreilige Schlüsse zu ziehen. Es ist richtig, dass mehr Gewalttaten gemeldet wurden. Gibt es auch mehr Gewalttaten oder wurden nur mehr gemeldet? Ehrlicherweise muss man sagen, dass wir das alle gemeinsam in diesem Hause nicht wissen. Ich glaube übrigens, dass noch immer nicht alle Taten gemeldet werden. Es sollen angeblich pro Schule 2,4 Taten sein. Als ich zur Grundschule Börnsen ging – und das ist lange her, in einer Zeit, die angeblich gewaltlos gewesen ist –, hat es garantiert wesentlich mehr Fälle gegeben. Ich erinnere noch, dass man sich im Großen und Ganzen zweimal in der Woche auf dem Pausenhof traubenförmig um sich kloppende Schüler versammelte.

Diese Erfahrung lässt mich vermuten, dass es mehr Vorfälle gibt, als gemeldet werden. Wenn Sie sich die einzelnen Meldungen ansehen, dann finden Sie diese Vermutung bestätigt. Ein Beispiel – Herr Ohlsen, hören Sie gut zu, es geht auch um Ihren Stadtteil –, der Bezirk Altona meldet 167 Gewaltvorfälle, Eimsbüttel mit ein paar mehr Einwohnern meldet nur 99 Vorfälle. Sicher liegt das an Ihrem heilsamen Einfluss auf die Schülerinnen und Schüler, es kann aber auch sein, dass die Schulen nicht so intensiv melden. Aber ganz seltsam ist, dass der viel größere Bezirk Nord nur 31 Fälle in derselben Zeit gemeldet hat. Nun kann man glauben, dass die Langenhorner superartig sind, aber vielleicht ist es schlicht so, dass es in diesem Stadtteil wenig verbreitet ist, Gewaltvorfälle zu melden. Insofern haben wir hier in erster Linie ein Meldeproblem.

(Beifall bei der SPD)

Zum Schluss möchte ich Ihnen sagen, dass ich dieses Problem energischer anpacken möchte. Ich habe Herrn Dr. Böhm von der Gewaltstelle Prävention darum gebeten, an allen Schulleiterversammlungen teilzunehmen und zu sagen, ihr sollt das bitte melden. Ich erwarte deshalb, dass die Zahlen deshalb steigen werden. Ich werde mir damit schlechte Zahlen für die nächste Debatte einhandeln, aber wir müssen diese Taten aufdecken, um ehrlich bilanzieren zu können und zu überlegen, was wir tun sollen und tun müssen.

(Beifall bei der SPD)

Wir können aber auch anders handeln. Wir können, Herr die Vries, das tun, was ich vor zwei Jahren, als ich an Ihrer Stelle war, getan habe. Ich habe eine energische Schriftliche Kleine Anfrage gestellt und wollte im Einzelnen wissen, welche Schule wie viele Taten gemeldet hat. Damals hat mir eine weise Regierung geantwortet, das können wir gern verraten, aber wenn wir das detailliert in die Antwort schreiben, Herr Rabe, dann werden

(Senator Ties Rabe)

diese Schulen künftig keine Gewalttaten mehr melden. Auf diese Weise könnte man das Gewaltproblem zwar auch lösen, wir hätten dann weniger gemeldete Fälle, aber es führt uns nicht weiter. Deswegen biete ich an, uns im Gesprächskreis die einzelnen Fälle genau anzuschauen, denn es ist ein ernstes Thema und taugt nicht für eine solche Auseinandersetzung. Es lohnt, das Schritt für Schritt aufzuarbeiten. – Vielen Dank.

(Anhaltender Beifall bei der SPD)

Das Wort hat Herr de Vries.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Herr Rabe, bei all Ihrem Humor, den ich durchaus zu schätzen weiß, werden Ihre flapsigen Ausführungen aber dem Thema in keiner Weise gerecht.

(Beifall bei der CDU – Dirk Kienscherf SPD: Sie müssen mal zuhören! – Dora Heyenn DIE LINKE: Was bitte?)

Möglicherweise haben Ihre persönlichen Erfahrungen an der Schule in Börnsen Spuren hinterlassen, weshalb Sie nun mit dem Thema so sensibel umgehen.

(Beifall bei der CDU)

Ich finde es bemerkenswert, wenn Sie auf Maßnahmen aus der Vergangenheit hinweisen – Cop4you, REBUS-Stellen, Antigewalttraining und so weiter. Niemand stellt in Abrede, dass all das richtig und vernünftig ist, aber es sind Maßnahmen, die unter einer CDU-Regierung eingeführt wurden. Die Frage ist, was Sie gegen den Fallanstieg vorzunehmen gedenken.

(Beifall bei der CDU – Dirk Kienscherf SPD: Das ist flapsig! Das ist unterstes Niveau!)

Ich finde es sehr widersprüchlich, das gilt auch für die Ausführungen von Herrn Holster, wenn Sie einerseits sagen, es gäbe keinen Zahlenanstieg, das zu behaupten sei unseriös. Nun habe ich die Zahlen genannt, Sie haben sie wiederholt: 507 Fälle im Schuljahr 2009/2010, das Jahr, in dem es erstmals eine verbindliche Meldepflicht gab, und im vorigen Schuljahr 883 Fälle. Das ist eine Steigerung um 74 Prozent. Ich verstehe nicht, warum es unseriös sein soll, diese Tatsache zu nennen, Herr Holster.

(Beifall bei der CDU – Lars Holster SPD: Dann haben Sie nicht zugehört! – Dirk Kien- scherf SPD: Genau!)

Ich habe Ihnen sehr gut zugehört. Ihre Argumentation war, es gäbe eine Dunkelziffer von Fällen, das haben Sie ganz zu Anfang hochgehalten, die nicht gemeldet würden. Wenn das aber so ist,

dann sind die Zahlenanstiege noch höher; Ihren Ausführungen ist kaum zu folgen.

Ich komme gern auf das Berliner Beispiel zurück. Hier in Hamburg sind es 880 Fälle, in Berlin sind es 1500. Wenn Sie sich vor Augen führen, dass die Einwohnerzahl von Berlin ungefähr das Doppelte beträgt, ist das eine durchaus nachvollziehbare Relation; dazu muss man kein Statistiker sein.

(Vereinzelter Beifall bei der CDU – Dirk Kienscherf SPD: Das hat er doch gar nicht gesagt! Schalten Sie doch mal Ihr Gehirn ein!)

Während der Einführungsphase verändert sich natürlich das Meldeverhalten, Herr Kienscherf, diese Begründung ist schlüssig, aber so etwas hat man doch nicht mehr in dem Maße im dritten und vierten Jahr. Mit der gleichen Begründung und dem Verweis auf die Dunkelziffer könnten Sie heute die polizeiliche Kriminalstatistik verharmlosen. Eine Dunkelziffer gibt es, aber das ändert nichts daran, dass wir bei Gewaltvorfällen einen Anstieg verzeichnen. Im nächsten Schuljahr müssen wir uns genau anschauen, ob, wie Frau Schneider richtig gefragt hat, der Anstieg eine Tendenz aufweist oder ob er eine Momentaufnahme ist.

(Dirk Kienscherf SPD: Alle waren sachlich, aber Sie nicht!)

Möglicherweise kommt man dann zu anderen Ergebnissen, aber präventiv zu sagen, im nächsten Jahr würden bestimmt mehr Fälle gemeldet – das kann es nicht sein.

Zuletzt zu Ihrem Hinweis auf die Bezirke. Natürlich wird es, unabhängig vom Meldeverhalten, eine unterschiedliche Anzahl von Gewaltvorfällen in den einzelnen Bezirken geben, das ist doch selbstverständlich, das sehen wir doch in der polizeilichen Kriminalstatistik auch. Wir machen es uns zu einfach, diese Unterschiede allein auf das Meldeverhalten zurückzuführen, das wird dem Thema nicht gerecht.

(Beifall bei der CDU)

Das Wort hat Frau Blömeke.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich denke, das Thema Gewalt an Schulen ist nicht nur ein schulpolitisches, sondern auch ein jugendpolitisches Thema. Zuerst möchte ich Herrn de Vries widersprechen. Haben Sie die Studie der Universität gelesen, die das Konzept "Handeln gegen Jugendgewalt" ausgewertet hat? In dieser Studie wird davor gewarnt, eine Erhöhung der Meldezahlen mit gestiegener Gewalt gleichzusetzen. Das sollten wir zur Kenntnis nehmen. Natürlich ist jede einzelne Gewalttat an

(Senator Ties Rabe)

einer Schule eine zuviel. Es ist natürlich richtig – an diesem Punkt muss ich Herrn Senator Rabe und auch Frau Schneider und meiner Kollegin Frau von Berg recht geben –, dass die Anzahl der Meldungen gestiegen ist, das wollen wir gar nicht vom Tisch wischen, und dass man jeder Meldung nachgehen muss. Aber dass darum de facto die Anzahl der Gewalttaten gestiegen ist, das ist überhaupt nicht belegt. Im Gegenteil, Frau Schneider hat darauf hingewiesen, wir haben es laut Polizeistatistik seit Jahren glücklicherweise mit einem sinkenden Trend zu tun. Die Maßnahmen des Konzepts "Handeln gegen Jugendgewalt" greifen, darüber können wir zunächst einmal glücklich sein. Das Konzept wurde 2007 ins Leben gerufen und 2010 von Schwarz-Grün weiterentwickelt. Ich glaube, dass die Vielfalt der Maßnahmen, die dort zusammenkommen, angefangen von präventiven bis zu restriktiven Maßnahmen, in die richtige Richtung weisen. Aber ein Ausruhen auf den sinkenden Zahlen kommt natürlich vor dem Hintergrund jeder einzelnen Gewalttat an Schulen überhaupt nicht in Frage. Wir betrachten aus jugendpolitischer Sicht die gegenwärtige Entwicklung eher mit viel Sorge. Von den Kürzungen im Bereich Schule hat meine Kollegin Frau von Berg schon gesprochen, aber mir bereitet auch die Politik der SPD in der Jugendhilfe große Sorge. Kürzungen plant der SPD-Senat auch in den Angeboten der offenen Kinder- und Jugendarbeit.

(Sören Schumacher SPD: Hier geht's um Schule!)

Das gehört zusammen.

(Beifall bei der GAL)

Diese Einsparungen führen zwangsläufig zum Schließen von Einrichtungen, die wohnortnah, verankert im Stadtteil sind und sehr gute Arbeit machen. Verehrte Kollegen der SPD, ich kann einfach nicht verstehen, dass Sie diese Überlegungen des Senats mittragen. Wenn wir über Jugendgewalt und Gewalt an Schulen sprechen, dann muss uns doch klar sein, dass wir Angebote für Jugendliche bereitstellen müssen, diese auch akzeptieren, Angebote, in denen sie Werte kennenlernen, die sie zu Hause möglicherweise nicht vermittelt bekommen. Der Jugendtreff um die Ecke ist für viele Jugendliche zur zweiten Heimat geworden, leider vielleicht, aber es ist so.

(Andy Grote SPD: Und die gehen dann al- ternativ zur Schule?)

Er ist ein Ort, wo auch einmal Frust abgelassen werden kann und wo über diesen Frust vor allen Dingen auch geredet wird. Es ist in der Tat – ich benutze das Wort meiner Kollegin – fahrlässig zu glauben, dass die Schule allein diese Aufgaben der Jugendhilfe übernehmen kann.

(Beifall bei der GAL)

Es wird nicht klappen, weil wir genau dort das Problem der Schulschwänzer haben. Jugendliche, die Gewalttaten verüben, sind oft identisch mit denen, die häufig die Schule schwänzen. Das heißt, wir erreichen sie in der Schule gar nicht. Ich halte solche Überlegungen vor allen Dingen vor dem Hintergrund der Debatte für gefährlich, die wir gestern geführt haben. Gestern haben wir über Rechtsextremismus gesprochen. Meine Damen und Herren von der SPD, es sollte Ihnen klar sein, dass, wenn wir die Angebote der Kinder- und Jugendhilfe in den Stadtteilen schließen, die Gefahr groß ist, dass rechtsextreme Organisationen genau diese Lücken füllen, die Ihre Kürzungen gerissen haben. Vor dem Hintergrund der geplanten Kürzungen in der Jugendhilfe wird es dann besonders absurd, wenn der Senat in der Antwort auf die Große Anfrage zu dem Ergebnis kommt, dass die gesamte Angebotspalette der Maßnahmen gegen Jugendgewalt in der Schule und in den Jugendhilfeeinrichtungen stattfinden soll. Ich frage Sie, wo die denn stattfinden sollen, wenn die Einrichtungen durch Ihre Kürzungspolitik geschlossen werden.

(Frank Schmitt SPD: Sie tun gerade so, als wenn die alle geschlossen würden!)

Das kann nicht der richtige Weg sein.

(Beifall bei der GAL)

Meine Damen und Herren! Wer sich zu Recht Sorgen über Gewalt an Schulen macht und wer sich Sorgen macht über Jugendgewalt schlechthin, der sollte sich bewusst gegen die geplanten Kürzungen in der Jugendhilfe aussprechen, denn diese Kürzungen sind in der Tat ein Nährboden für den Anstieg von Jugendgewalt und möglicherweise auch für steigenden Rechtsextremismus. Wenn Sie diesen Zusammenhang zwischen Schule und Jugendhilfe nicht sehen, dann sollten Sie sich einmal genau das Verhalten der Jugendlichen anschauen. Es spielt sich nicht alles nur in der Schule ab, und genau deswegen brauchen wir diese Einrichtungen der offenen Kinder- und Jugendarbeit,

(Andy Grote SPD: Die wird es auch weiter- hin geben!)

die ihren Beitrag dazu leisten, Jugendgewalt zu bekämpfen.

(Beifall bei der GAL und vereinzelt bei der CDU)

Das Wort bekommt Frau Heyenn.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Herr de Vries, Sie haben zu Anfang eine Gleichung aufgemacht und deutlich gemacht, wo Sie die Zunahme der Gewalt vermuten, nämlich an den Stadtteilschulen und insbeson

(Christiane Blömeke)