Protocol of the Session on March 28, 2012

(Antje Möller GAL: Über was reden Sie ei- gentlich? – Jens Kerstan GAL: Sie wollen al- so zustimmen, oder was?)

Der Kemal-Altun-Platz ist tief in den Stadtteilmythen verankert. Das will ich all den Kolleginnen und Kollegen, die nicht verstehen, woher die Aufregung kommt, mitteilen, denn diese Stadtteilmythen sind vielleicht nicht überall und bis in den Osten der Stadt bekannt. Das treibt mittlerweile ganz neue Blüten, übrigens bei Jung und Alt gleichermaßen. Manche meinen, dass Kemal Altun länger in Altona ansässig war. Wie gesagt, die Mythen leben, das sollten wir keineswegs außer Acht lassen. Zusammenhalt und Gemeinschaftlichkeit – ich hoffe, von uns allen gewünschte Ziele – entwickeln sich auch entlang solcher Linien und sind nicht beliebig von oben dirigierbar.

(Glocke)

Frau Dobusch, entschuldigen Sie die Unterbrechung, aber für so wenige anwesende Abgeordnete ist es eindeutig zu laut.

Danke, Frau Präsidentin.

(Antje Möller GAL: Für diese Rede ist die Redezeit eindeutig zu lang!)

Schön, dass Sie darüber nicht zu bestimmen haben, Frau Möller.

Übrigens war an der Stelle des Kemal-Altun-Platzes auch der erste Bauwagenplatz in Hamburg. Auch die Akzeptanz solcher alternativer Lebensformen steht durchaus in Zusammenhang mit dem eben erwähnten Gemeinschaftsgefühl.

Ich komme zu dem Punkt, auf den Frau Möller so drängt. Nun hat die offizielle Benennung des Geländes, auch unter diversen Vorregierungen, nicht stattgefunden. Ich darf auf Gesche Boehlich verweisen, die als GAL-Bezirksfraktionsvorsitzende 2005 gesagt haben soll, das sei einfach nicht durchsetzbar. Das hat sie natürlich als Antwort auf den Antrag der SPD-Bezirksfraktion von 2005 gesagt, die damals die Umbenennung wollte. Es gibt also aus dem Bezirk nachhaltig den Wunsch nach Umbenennung. Aus zumindest pragmatischen Gründen wird an uns herangetragen, dass man dem folgen sollte, was vor Ort schon längst stattgefunden hat. Allerdings hat es für die Ablehnung, auch unter dem Vorgängersenat, bisher sicher Gründe gegeben, die unter Umständen weiter gelten. Wir schlagen daher vor, dass die Kulturbehörde zusammen mit dem Bezirk noch einmal ergebnisoffen prüft,

(Dirk Kienscherf SPD: Sehr gut!)

wie wir der Sache insgesamt gerecht werden können.

Der neue Tatbestand, den wir aber auch bedenken wollen, sollte nicht einen alten Tatbestand überlagern. Deshalb finden wir alle Vorschläge, die in die Richtung gehen, den Platz nach einem anderen Opfer zu benennen, nicht richtig. Das Engagement gegen rechts ist nicht gleichzusetzen mit dem Engagement für eine menschenwürdige Asylpolitik und geht darin auch nicht auf. Insgesamt würden wir allen Beteiligten einen Bärendienst erweisen, wenn wir hier versuchten, eine kleine Grünfläche mit Spielgeräten in eine eierlegende Wollmilchsau zu verwandeln.

(Zuruf von Dora Heyenn DIE LINKE)

Wenn Sie zugehört hätten,

(Dora Heyenn DIE LINKE: Ich habe zuge- hört! Was hat die Wollmilchsau mit dem Ke- mal-Altun-Platz zu tun?)

was der Sache durchaus angemessen wäre, dann wüssten Sie es. Hier geht es nämlich durchaus um eine ernste Thematik.

Zeichen gegen Rechtsextremismus können und sollten wir an anderer Stelle setzen. Ich bin mir sicher – oder sagen wir, bevor ich Sie, Frau Möller und Herr Kerstan gehört habe, war ich mir sicher –, dass es uns gemeinsam mit den Bezirken in großem Konsens gelingen wird, gute und der Sache würdige Lösungen zu finden. Mal sehen, ob uns das gelingt. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD – Dora Heyenn DIE LIN- KE: Was hat sie nun gesagt?)

Das Wort bekommt Herr Roock.

(Karl-Heinz Warnholz CDU: Jetzt kommt ein Normalbürger!)

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Frau Özdemir, uns ist nicht ganz klar, warum Sie heute einen Antrag einbringen, der bereits zweimal, 1991 und 2012, vom Senat abgelehnt wurde. Das Gleiche gilt für die SPD, die verstehe ich schon gar nicht, Frau Dobusch. Wir gehen davon aus, dass das Staatsarchiv und die Senatskommission unter Vorsitz der Kulturbehörde die Vorschläge aus dem Bezirk Altona sorgfältig geprüft haben. Uns ist bekannt, dass Kemal Altun ein türkischer Asylbewerber war, der sich 1983 während der Verhandlung seines Antrags im Berliner Verwaltungsgericht aus dem Fenster stürzte und starb. Ihm war von türkischer Seite vorgeworfen worden, an der Ermordung eines türkischen Ministers beteiligt gewesen zu sein. Das Verfahren wurde nach seinem Tod eingestellt, die seinerzeit erhobenen Vorwürfe konnten daher nie bestätigt oder entkräftet werden.

(Antje Möller GAL: Wie, das ist doch einge- stellt worden!)

(Gabi Dobusch)

So tragisch der Fall auch war, gehen wir davon aus, dass die Senatskommission alle bekannten Fakten in ihre Prüfung einbezogen hat. Deshalb werden wir uns ihrer Empfehlung anschließen und die Anträge der LINKEN und der SPD ablehnen.

Sie haben, Frau Özdemir, im Vorspann Ihres Antrags einen eminent wichtigen Aspekt angesprochen, den es weiterzuverfolgen gilt. Ich spreche hier die Morde der Zwickauer Terrorzelle an, die einen direkten Bezug zu Altona haben. Hier ist im Juni 2001 ein türkischer Ladenbesitzer in seinem Laden in Bahrenfeld durch einen Kopfschuss brutal hingerichtet worden. Ein Vergessen aller sinnlosen Tode darf im Sinne der Hinterbliebenen niemals geschehen. Dieses Nicht-Vergessen muss aber auch als Mahnung für Freiheit, Vielfalt, Toleranz und Zusammenhalt aufgenommen werden. Das Gedenken an die Opfer des rechten Terrors muss sichtbar gemacht und weiter wach gehalten werden. Der Senat ist aufgefordert, hierzu Vorschläge zu machen, und auch wir werden unsere Ideen hierzu sorgfältig prüfen. Wir stehen an der Seite des Bürgermeisters, der vorgestern sagte, die gesellschaftliche Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Toleranz sei eine notwendig bleibende Aufgabe. Dieser Aufgabe müssen wir uns jeden Tag neu stellen. – Danke schön.

(Beifall bei der CDU und bei Karin Timmer- mann SPD)

Das Wort bekommt Frau Goetsch.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren!

"Was vor 20 Jahren für die vielen Engagierten, Helfenden, Empörten unfassbar war, kann auch heute kaum erklärt werden."

Das ist ein Zitat von Wolfgang Wieland, er war 1983 Anwalt von Cemal Kemal Altun. Wie wir schon von Frau Özdemir hörten, umweht eine Menge Historie diesen tragischen Selbstmord.

Gestatten Sie mir eine politische Einordnung, bevor wir zu dem Umbenennungsansinnen kommen. Wir blicken auf die Zeit um 1980, als es den Militärputsch in der Türkei gab und in Hamburg und ganz Deutschland Zehntausende auf die Straße gingen. Am 1. Mai waren wir mit Zehntausenden auf der Straße, um gegen die Junta, gegen die Folter, gegen den Mord in der Türkei zu protestieren. In meinem Umfeld gab es viele geflohene Lehrerinnen und Lehrer, die wir über die GEW betreuten. Allerdings, schon 1980 brannten die ersten Flüchtlingsheime, um wieder den Bezug zu unserer Aktuellen Stunde zu bekommen. Schon damals gab es rechtsextreme Morde. Im Jahr 1982 gaben rechtskonservative Hochschullehrer das Heidelberger

Manifest heraus, das in wissenschaftlicher Verbrämung Rassismus kundtat. Die Situation ist also nicht plötzlich entstanden, es geschah nicht plötzlich, dass sich jemand nach 13 Monaten Einzelhaft aus Angst in Berlin umgebracht hat. Kemal Altuns Selbstmord aus Angst hat sehr viele Reaktionen hervorgerufen. Es gab die berühmte Käfig-Aktion mit Petra Kelly, Gert Bastian und Wolf Biermann. Wolf Biermann hat damals eigens eine Ballade geschrieben. Es gab einen sehr bemerkenswerten Brandbrief von Liselotte Funcke. Ich würde fast sagen, sie ist die Frau Süssmuth der FDP gewesen, eine großartige Frau mit Standing gegen Helmut Kohl. Es gab europaweite Proteste. Die Beschwerde wurde in der europäischen Kommission in Straßburg angenommen. Meine Damen und Herren und vor allen Dingen Herr Roock, Cemal Kemal Altun ist sechs Monate nach seinem Freitod mit der nachträglichen Gewährung von Asyl vom Verwaltungsgericht in Berlin rehabilitiert worden.

Wir müssen aber nicht nur auf die damalige Regierung in Berlin schimpfen, auch in Hamburg war die Situation weiß Gott nicht so, dass sich der Senat mit Blumen hätte schmücken können. Wir erinnern uns alle noch an den Überfall der Polizei auf das Kirchenasyl der Familie Alviola um sie herauszuholen und abzuschieben. Wir erinnern uns an die erste Abschiebung in Hamburg von Hüseyin Inci im Jahr 1984, als wir mit 3000 Leuten wegen einer Abschiebung auf die Straße gingen. Das war unter einem SPD-Senat.

Konsequenzen daraus wurden nur wenige gezogen. Mehr als hundert Menschen haben sich seit 1993 in Abschiebehaft umgebracht oder sind beim Versuch, sich der Abschiebung zu entziehen, gestorben. Wir haben eine Verschärfung des Asylrechts 1991 erlebt, und wir müssen auch heute, 2012, immer noch dafür streiten und dafür kämpfen, dass Leute, die in Deutschland Zuflucht suchen, nicht den Tod finden. Deshalb brauchen wir Mahnmale und Gedenkstätten.

(Beifall bei der GAL und der LINKEN)

Es gibt Gedenkstätten für Cemal Kemal Altun in Berlin und Kassel, und es gibt hier den Kemal-Altun-Platz. Immer wieder wird gesagt, Cemal Kemal Altun sei kein Hamburger. Vasco da Gama und Magellan sind auch keine Hamburger und dennoch sind Straßen nach ihnen benannt.

(Beifall bei der GAL und der LINKEN)

Das Argument ist also Unsinn. Es wurde schon angesprochen, dass es mehrere Versuche gab, den Platz offiziell zu benennen, 1991 zum ersten Mal. Ich habe mir die Niederschrift des Hauptausschusses der Bezirksversammlung angesehen. Damals hat die SPD-Fraktion erklärt, dass sie eine Benennung des Platzes nicht für erforderlich hält. Es ging hin und her, zum Schluss ist dem Antrag der GALBezirksfraktion mit sechs zu fünf zu eins zuge

(Hans-Detlef Roock)

stimmt worden, konnte aber wegen Problemen diplomatischer Art mit dem türkischen Konsul nicht umgesetzt werden. Wir müssen jetzt Zeichen setzen und auch nichts gegeneinander ausspielen. Ich halte es auch für selbstverständlich, dass es einen Ramazan-Avci-Platz geben kann oder eine Süleyman-Taköprü-Straße. Aber wir wollen jetzt ein Zeichen für Kemal Altun setzen. Sie wissen selbst, dass in Altona und Ottensen – ganz ohne Lokalpatriotismus gesagt – jeder diesen Platz kennt. Jedes Kind kennt den Kemal, wo man spielt, so wie den Fischis, den Fischers Park. Der Name kommt auch in Drucksachen vor. Der Kemal-Altun-Platz ist Realität, dieser Platz wird keinen anderen Namen akzeptieren. – Vielen Dank.

(Beifall bei der GAL und der LINKEN)

Das Wort bekommt Herr Dr. Duwe.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Das ist ein sehr ernstes Thema, ich versuche jetzt aber einmal, ein bisschen die Luft herauszulassen. Wir haben einen Kemal-Altun-Platz, ob offiziell Kemal-Altun-Platz dran steht oder nicht. Ich habe den Eindruck, dass, gerade weil dort seit Jahrzehnten kein Schild steht, die Bedeutung von Kemal Altun durch die Beschäftigung der Bevölkerung mit ihm viel stärker geworden ist, als wenn vor 20 Jahren ein Straßenschild aufgestellt worden wäre. Das wäre nämlich ein normaler Vorgang gewesen. Ich weiß, dass es gerade für Altona eine Herzensangelegenheit ist, aber ich finde es sehr sympathisch, dass es Plätze gibt, die nicht offiziell abgesegnet sind, sondern aus der Bevölkerung heraus ihren Namen bekommen. Dieser Kemal-Altun-Platz wird auch in 30 oder 40 Jahren so heißen, ob da ein Schild steht oder nicht.

Ich möchte mich kurz fassen und zwei Punkte anführen. Erstens finden wir den SPD-Antrag natürlich ein bisschen diplomatisch,

(Dr. Andreas Dressel SPD: Ja, so sind wir!)

aber wir können damit leben, Prüfanträge sind sehr schön. Zweitens ist dieser Antrag zwar bedeutend, aber der nächste Antrag auf der Tagesordnung ist noch bedeutender, und deshalb schließe ich jetzt diese Rede. Wir werden dem SPD-Antrag zustimmen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Das Wort bekommt Herr Hackbusch.

(Dr. Andreas Dressel SPD: Alle Altonaer dürfen noch mal!)

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich habe mich dar