Protocol of the Session on February 29, 2012

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, hier ist doch der entscheidende Ansatzpunkt für wirksame Hilfe, nämlich ein niedrigschwelliges Hilfesystem, das möglichst vielen Eltern die Möglichkeit der Substitution und der kontinuierlichen psychosozialen Betreuung bietet. In Ihrem Antrag setzen Sie sich mit keinem Wort darüber auseinander, was eigentlich die Folge der von Ihnen geforderten Kontrolluntersuchungen sein soll. Mit keinem Wort sprechen Sie über das, worauf Ihr Antrag angeblich abzielt, über die Hilfe für die betroffenen Kinder. Stattdessen scheint es Ihr vorderstes Anliegen zu sein, den staatlichen Zugriff auf Informationen zu erhöhen, ohne plausible Darlegung, wozu diese Informationen genutzt werden und welche konkreten Konsequenzen aus den Ergebnissen folgen sollen. Insofern ist Ihr Antrag in unseren Augen nichts weiter als Aktionismus.

(Beifall bei der GAL und der LINKEN)

Der Tod von Chantal hat uns alle aufgerüttelt, aber die Ergebnisse der Expertenanhörung aus dem Gesundheitsausschuss, wie gerade auch Herr Schäfer darstellte, wären heute keine anderen als im November letzten Jahres. Sie selbst haben damals nach der Expertenanhörung Ihren Vorschlag der regelhaften, flächendeckenden Haaranalysen zurückgezogen, weil alle Experten deutlich gemacht haben, dass dies kein sinnvoller Weg ist. Sie haben sich dem einvernehmlichen Votum des Ausschusses angeschlossen, auf anderer Ebene Maßnahmen zu ergreifen.

(Dietrich Wersich CDU: Aber Sie haben un- seren Antrag auch abgelehnt!)

Aus einer Schriftlichen Kleinen Anfrage meiner Fraktionskollegin Christiane Blömeke und mir geht hervor, dass die bereits geltenden Regeln zum Take-Home-Verfahren im Fall der Pflegeeltern von Chantal nicht eingehalten wurden. Woran dies im

Einzelnen lag, muss noch aufgeklärt werden. Vermutlich sind es aber nicht die Regeln zum Take-Home-Verfahren, die erneuert und geändert werden müssen, sondern die Überprüfung der Einhaltung dieser Regeln. Hier ist die Ärztekammer die richtige Ansprechpartnerin, und auch der bereits angekündigte Runde Tisch ein geeignetes Instrument.

Dass Sie nun reflexartig Ihren alten Antrag wieder hervorholen, obwohl unsere Diskussion im Gesundheitsausschuss schon wesentlich weiter gediehen war, ist ein bedauerlicher Rückschritt. Es ist jedenfalls kein Beitrag zu einem konstruktiven Umgang mit dieser so vielschichtigen und sensiblen Problematik. Ihr Antrag ist daher für uns nicht zustimmungsfähig. – Vielen Dank.

(Beifall bei der GAL, der SPD und der LIN- KEN)

Das Wort bekommt Herr Dr. Schinnenburg.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich bin schon ein wenig erstaunt, dass die CDU den Fall Chantal zum Anlass nimmt, ihre alte Meinung noch einmal aufzuwärmen. Man könnte rein ethisch darüber nachdenken, ob es überhaupt angebracht ist, aber das lassen wir einmal weg.

Der entscheidende Punkt ist ein anderer.

(Zuruf von Jörg Hamann CDU)

Chantal wäre gerade nicht gerettet worden, wenn es das von Ihnen geforderte Screening gegeben hätte. Chantal hat nämlich, das ist festgestellt und von Oberstaatsanwalt Möller mitgeteilt worden, zum ersten Mal Methadon genommen. Wenn sie auch nur einen Tag früher den Screening bei Chantal gemacht hätten, wäre sie nicht auffällig geworden. Gerade dieser Fall zeigt, dass Chantal nicht gerettet worden wäre.

(Dietrich Wersich CDU: Sie wäre aus der Pflegefamilie herausgenommen worden!)

Ich führe das nicht weiter aus, Herr Wersich.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Auch ist es nicht etwa so, dass Chantal dem Substitutionsprogramm zum Opfer gefallen ist. Es mag in manchen Fällen unvollständig sein und nicht perfekt, aber sie ist mit Sicherheit nicht dem Substitutionsprogramm zum Opfer gefallen, sondern einer schlampigen Behörde und möglicherweise noch anderen Personen. Auch da würde das Screening nicht weiterhelfen.

Ich erinnere Sie noch einmal daran – liebe Kollegen von der CDU, Sie waren doch dabei –, dass es mindestens vier Gründe gibt, die gegen ein flä

(Dr. Martin Schäfer)

chendeckendes Screening sprechen; einige wurden schon genannt.

Zunächst gibt es einen Generalverdacht gegen Familien. Das lehnen wir ab und es ist auch nicht sinnvoll. Alle Experten haben gesagt, es wäre nicht sinnvoll. Es wurde auch schon erwähnt, dass ein solches Screening dazu führen könnte, dass Patienten die Substitution abbrechen und aus dem Hilfesystem aussteigen. Das wäre mit Sicherheit wesentlich schlechter, als wenn sie dabei bleiben, trotz mancher Mängel.

Nächster Punkt: Bei konkretem Verdacht sind jetzt schon Haarproben möglich. Wenn also bei einer sorgfältigen Kontrolle der Pflegefamilie von Chantal ein Verdacht entstanden wäre, hätte man damals schon – es wäre bei Chantal ergebnislos gewesen – einen Haartest und sonstige Tests machen können.

Meine Damen und Herren! Generell sehe ich es als ein Problem an, auf einen sehr schlimmen Fall immer gleich zu reagieren. Dann kommen immer neue, riesige Verwaltungsvorschriften, dann kommt fast immer irgendeine Art von Screeningtest. Dabei geht es doch eigentlich nur darum, dass die zuständigen Leute sorgfältig arbeiten.

Chantal hatte nicht nur das Problem, dass sie Methadon bekommen hat. Unabhängig von Methadon ging es ihr auch sonst sehr schlecht in dieser Pflegefamilie. Und das hätte auch ohne irgendeinen Screeningtest oder andere Untersuchungen einem sorgfältigen Beobachter auffallen müssen. Das war das Problem, es fehlte kein Screeningtest, so wie bei vielen anderen auch, sondern ein bisschen Sorgfalt in der ganzen Angelegenheit.

(Beifall bei der FDP)

Deshalb wird die FDP-Fraktion Ihre Punkte 1 und 2 auch ablehnen. Herr Schäfer hatte sich das Zitat auch aufgeschrieben. Es ist augenfällig, wie Sie noch im Ausschuss vor wenigen Wochen die richtige Erkenntnis gewonnen haben und nun schon wieder etwas anderes wollen. Punkt 1 und 2 werden wir ablehnen.

Wenn Sie das Protokoll lesen, werden Sie wissen, dass ich einen Punkt doch für bedenkenswert gehalten habe, nämlich den über das Take-Home-Management. Ich hatte es dort angeregt und Herr Schäfer hatte gesagt, dass es im Rahmen der gesamten Untersuchung auch aufgenommen würde. Ich bezweifle in der Tat, auch aufgrund der Äußerungen der Experten, ob das Take-Home-Verfahren derzeit ausgereift ist. Es gibt eine Empfehlung des gemeinsamen Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen. Wir müssen darauf achten, dass die genau eingehalten wird. Deshalb werden wir – das wird Sie vielleicht überraschen – dem Punkt 3 des CDU-Antrags doch zustimmen und Punkt 4, der Berichtspflicht, natürlich auch.

Das Thema flächendeckendes Screening ist erledigt, das Thema der Gefährdung von Kindern Drogenabhängiger noch lange nicht. Wir werden uns in wenigen Monaten erneut, nach dem Bericht des Senats im Sommer, damit beschäftigen müssen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Das Wort bekommt Frau Artus.

Frau Präsidentin, sehr geehrte Herren und Damen! Kinder müssen geschützt werden vor Drogen, aber auch vor Populismus, Instrumentalisierung und Stigmatisierung. So begann meine Rede zu dem CDU-Antrag in der Bürgerschaftssitzung am 8. Juni 2011. So bitter es ist, trotz all der engagierten Debatten im Ausschuss, trotz der hochkarätigen Expertenanhörung zu dem Thema und der einstimmigen Abstimmung nach der Senatsanhörung muss das auch diesmal die zentrale Aussage sein.

Wir hatten eine Anhörung, bei der die Expertinnen und Experten betonten, dass erstens der Nachweis von Drogen im Haar allein nicht darauf schließen lässt, dass die Kinder die Drogen genommen haben, geschweige denn, dass sich damit absichtliche Drogengaben an Kinder oder Kindeswohlgefährdung beweisen lassen. Zweitens betonten sie, dass es fatale Folgen haben würde, wenn die Kinder von Opiatabhängigen und Substituierten flächendeckend mit Haarproben kontrolliert würden. Das Vertrauensverhältnis zwischen den Familien und dem Hilfesystem, das die Basis jedes funktionierenden Schutzes für die Kinder sein muss, würde zerstört.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Darstellung der Expertinnen und Experten war so eindrücklich, dass selbst die CDU-Abgeordneten bei der Senatsanhörung zu dem Thema sagten – damit Sie es auch noch einmal von uns hören, Herr Schäfer hat es bereits zitiert –, die Erkenntnisse der Anhörung hätten dazu geführt, dass sie, die CDU-Abgeordneten, die regelhafte Untersuchung nicht mehr für den richtigen Weg hielten.

Eigentlich dachte ich, wir hätten als gewählte Politikerinnen und Politiker das Richtige getan. Wir haben ein Thema, das uns allen große Sorge bereitet, das schwierig und sehr komplex ist, aufgenommen. Wir haben uns Rat bei Expertinnen und Experten geholt und viele Stunden zugehört und mit ihnen diskutiert. Wir haben viele gute Anregungen bekommen, welche Veränderungen helfen können. Beispielhaft sei hier die Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen Jugend- und Suchthilfe und den substituierenden Ärztinnen und Ärzten genannt. Dafür soll ein Runder Tisch unter Beteiligung aller relevanten Akteurinnen und Akteure die

(Dr. Wieland Schinnenburg)

Grundlage schaffen. Uns wurde sehr deutlich gemacht, dass die Kinder von Opiatabhängigen und Substituierten nur eine ganz kleine Gruppe von Kindern repräsentieren, die in Familien mit Suchtproblemen leben. Auf ein Kind, das in einer Familie lebt, in der mindestens ein Elternteil illegale Drogen konsumiert, kommen 50 Kinder, in deren Familien mindestens ein Elternteil eine alkoholbezogene Störung aufweist. Das sind immerhin 2,56 Millionen Kinder in Deutschland. Die Expertinnen und Experten führten aus, dass die gesundheitlichen Gefahren, die von Alkohol ausgehen, zum Beispiel Missbildungen beim ungeborenen Kind, Wachstumsretardierungen et cetera, wesentlich gravierender sind, als zum Beispiel die von Heroin oder Kokain. Es wurde aber auch deutlich gemacht, wo vorschnelle ordnungspolitische Aktionen die Arbeit von Jahren zerstören können. Die Diskussion unter uns Abgeordneten hat sich bisher sehr versachlicht, und das Wohl des Kindes schien tatsächlich bei allen im Vordergrund zu stehen.

Die Vorschläge der Expertinnen und Experten haben Eingang gefunden in das Petitum, das der Ausschuss einstimmig verabschiedet hat. Und jetzt kommt die CDU mit so einem Antrag und reißt das alles wieder ein. Fast sprachlos macht die Presseerklärung der CDU, die unterstellt, dass der Tod von Chantal durch flächendeckende Haarkontrollen vielleicht hätte vermieden werden können.

(Dietrich Wersich CDU: Das stimmt doch gar nicht!)

Entweder haben die Autorinnen und Autoren in den vergangenen Wochen nicht zugehört oder keine Zeitungen gelesen, oder, und das wäre wirklich bodenlos, sie behaupten dies, obwohl sie genau wissen, dass die Obduktion des toten Mädchens ergeben hat, dass kein früherer Konsum nachgewiesen werden konnte. Es gab Kontrollen, aber die wurden, wie meine Vorrednerinnen und Redner schon gesagt haben, stümperhaft und unzureichend durchgeführt. Wenn die bestehenden Gesetze und Vorschriften angewandt worden wären, würde Chantal noch leben; auch das wissen wir. Was wir in Hamburg benötigen, ist ein Mehr an qualifizierter Hilfe und Unterstützung, ein Ende der Privatisierung im Hilfesystem und einen sofortigen Stopp der Kürzungen im sozialen System.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir brauchen Einrichtungen für schwangere Frauen und Frauen mit Neugeborenen und betreute Wohnmöglichkeiten für sie. Dass trotz dieser gesammelten Erkenntnisse der vergangenen Wochen und Monate dem Café Sperrgebiet, das in St. Georg ein wichtiger Anlaufpunkt für minderjährige Drogenabhängige auch in der Schwangerschaft ist, die Mittel gekürzt werden, ist daher überhaupt nicht hinnehmbar. Die Reduzierung der bezirklichen Rahmenzuweisungen für die offene Kinderund Jugendarbeit um 10 Prozent werden zu

Schließungen von Projekten und Einrichtungen führen, die für Kinder in schwierigen Familiensituationen oft die einzige Stütze sind.

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Abgeordnete, Frau Präsidentin! Lesen Sie sich die Drucksache vielleicht noch einmal durch, sie ist aufschlussreich, sie verhindert auch weitere Versuche, auf diese Art zu beeinflussen, falsche Wahrnehmungen und Behauptungen Eingang finden zu lassen. Es ist die Drucksache 20/3118, sie liest sich hochgradig informativ. Dann sind Sie vielleicht schlauer und fallen auf solche Anträge nicht mehr herein. – Schönen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Das Wort bekommt Frau Senatorin Prüfer-Storcks.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Kinderschutz geht ausnahmslos alle an, und das betrifft natürlich auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Suchthilfe, das betrifft auch substituierende Ärzte und Ärztinnen. Wir wissen, dass Kinder von Suchtkranken im Alltag stärkeren Gefährdungen ausgesetzt sind in Bezug auf ihre gesunde Entwicklung, als andere Kinder. Deshalb ist es unbestritten, dass wir Maßnahmen ergreifen müssen, um das Kindeswohl zu schützen, aber wirkungsvolle Maßnahmen und nicht irgendwelche Maßnahmen.

Ursprünglicher Anlass für das bürgerschaftliche Ersuchen der CDU-Fraktion waren die Spuren von Drogen in Haaren und Urin bei Kindern von substituierten Menschen in Bremen. Man hat tatsächlich harte Drogen gefunden, man hat Methadon gefunden, man hat auch weiche Drogen gefunden. Aber das Ergebnis der Anhörung, die wir durchgeführt haben, war, dass allein der Nachweis der Drogen nicht darauf schließen lässt, dass den Kindern die Substanzen verabreicht wurden und schon gar nicht, dass sie absichtlich verabreicht wurden.

(Dietrich Wersich CDU: Das kommt doch auf die Lebenssituation an! – Juliane Timmer- mann SPD: Da spricht der Sozialsenator a.D.!)

Was heißt das? Der zuständige Bremer Staatsrat hat das neulich in einem Interview erläutert. Er hat nämlich erklärt, dass in den überwiegenden Fällen die Konzentration in den Haaren unterhalb der Wahrnehmungsschwelle war. Das heißt, bei einer Verkehrskontrolle zum Beispiel wären sie damit nicht aufgefallen. Deshalb schließt die Bremer Behörde aus diesen Ergebnissen, dass diese Drogen überwiegend durch Hautkontakte zwischen Eltern und Kindern übertragen worden sind. Bei diesem Ergebnis fragt man sich natürlich schon, was wir denn mit den Ergebnissen flächendeckender Haar