Protocol of the Session on February 29, 2012

(Kersten Artus)

untersuchungen bei Kindern von Substituierten anfangen könnten.

(Dietrich Wersich CDU: Die werden dann aus der Familie genommen!)

Deshalb kann man auch nicht grundsätzlich davon ausgehen, dass der Nachweis von Drogen in einer Haarprobe immer ein Beleg für die Gefährdung des Kindeswohls ist, aber auch nicht den Umkehrschluss zulassen, dass, wenn in den Haarproben der Kinder nichts gefunden wird, alles in Ordnung ist. Dann wäre gerade bei Chantal kein auffälliger Befund da gewesen. Das Ergebnis ist hier schon zitiert worden, Chantal hat nie Kontakt mit Drogen gehabt bis auf die eine Methadontablette. Deswegen wundert es mich, dass die CDU-Fraktion gerade den Fall Chantal anführt, um damit ihre Kehrtwende in dieser Frage zu begründen. Ich will noch einmal deutlich sagen, dass im Gesundheitsausschuss parteiübergreifend Einvernehmen bestand, dass die regelhafte flächendeckende Entnahme von Haarproben nicht zielführend ist, dass aber sehr wohl anlassbezogen gehandelt werden muss, und es wird auch gehandelt. Im Übrigen geht man auch in Bremen nicht den Weg einer flächendeckenden Untersuchung von Haarproben, sondern man entwickelt dort ein Konzept einer risikoadäquaten Kontrolle.

Grundsätzlich muss es das Ziel der Suchthilfe sein, suchtkranke Menschen dabei zu unterstützen, auch ihre Erziehungsverantwortung wahrzunehmen. Aber wenn Hilfebedarf für Kinder erkennbar ist und wenn der Verdacht besteht, dass das Kindeswohl gefährdet ist, dann spreche ich mich klar dafür aus, dass Maßnahmen eingeleitet werden, die dazu beitragen können, die Situation zu klären und konsequent im Sinne jedes Kindes zu handeln, und dann sind im Einzelfall auch Haarproben nötig und werden durchgeführt.

(Beifall bei der SPD)

Natürlich haben wir uns angesichts der Bremer Ergebnisse, aber auch angesichts des Schicksals von Chantal gefragt, was noch zusätzlich zu den bestehenden Regelungen der Kooperation zwischen Jugendhilfe und Ärzten, Jugendhilfe und Drogenberatung getan werden muss, um Kinder vor Gefährdungen zu schützen. Erste Konsequenzen sind gezogen worden. Im Hinblick auf die Pflegeeltern sind flächendeckend Gesundheitsattests und Drogentests eingeführt worden, und zwar mit Hilfe von Haarproben. Es sind die Akten der Pflegeeltern überprüft worden, und bei 3 Prozent sind hinsichtlich einer möglichen Suchtproblematik Auffälligkeiten zutage gekommen; diesen Fällen geht das Jugendamt nach. Es ist in der Anhörung im Gesundheitsausschuss auch deutlich geworden, dass die Zusammenarbeit zwischen substituierenden Ärztinnen und Ärzten und den Allgemeinen Sozialen Diensten und auch der Suchtberatung zu verbessern ist. Ein besonderes Augenmerk ist da

bei auf die Problematik der Take-home-Dosen zu richten, auf Fragen wie Beikonsum anderer Substanzen, auf psychische Erkrankungen, auf Armut und Verelendung. Hier gilt es genauer hinzusehen, hier gilt es auch, die bestehenden Hilfesysteme enger miteinander zu verzahnen, sie müssen besser kooperieren. Wir müssen die Zusammenarbeit zwischen der Suchthilfe, den Allgemeinen Sozialen Diensten und den substituierenden Ärzten und Ärztinnen stärken.

(Beifall bei der SPD)

Ziel ist, dass all diese Institutionen die Situation der Kinder in den Blick nehmen, sich untereinander austauschen und so für größere Sicherheit sorgen und den nötigen Unterstützungsbedarf rechtzeitig zur Verfügung stellen. Wir haben uns deshalb entschlossen, und das vor Monaten schon umgesetzt, dass Menschen in Substitutionsbehandlung mit minderjährigen Kindern im Haushalt ohne zeitliche Begrenzung psychosoziale Betreuung bekommen. Damit haben wir übrigens die Beschränkung des Vorgängersenats in dieser Frage aufgehoben.

(Beifall bei der SPD)

Außerdem haben wir, und auch das schon vor dem Fall Chantal, einen Runden Tisch eingerichtet, an dem die Ärztekammer sitzt, die Kassenärztliche Vereinigung, die substituierenden Ärztinnen und Ärzte selbst, die Bezirksämter, die Suchthilfeträger und die beiden Fachbehörden BASFI und BGV. Sie kritisieren das Instrument des Runden Tisches in Ihrem Antrag und meinen, es sei doch notwendig, dass die Exekutive Senat die Ärzte anweist, wie sie mit Substituierten vorgehen sollen. Ich bin erstaunt über das merkwürdige Verständnis der CDU von medizinischer Behandlung und den Umgang von Ärzten mit ihren Patienten. Natürlich gibt es keine zentrale Erfassung in Deutschland von substituierten Patientinnen und Patienten, denn es handelt sich hier um eine medizinische Behandlung. Deshalb sind wir selbstverständlich darauf angewiesen, dass substituierende Ärzte und Ärztinnen kooperieren, dass sie sich freiwillig zu diesem Verfahren verpflichten, ihre Patientinnen und Patienten nach Kindern zu fragen, nach der Situation der Kinder und das dann auch an die Jugendhilfe weiterzugeben.

(Beifall bei der SPD)

Wir sind auf gutem Weg, zügig eine Kooperationsvereinbarung abzuschließen, auf deren Basis die Allgemeinen Sozialen Dienste der Bezirke, die substituierenden Ärztinnen und Ärzte und die Suchtberatungsstellen verbindlicher miteinander kooperieren und ihre Informationen austauschen. Die Kooperationspartner werden sich entsprechend ihrem Auftrag nach dem Gesetz für Kooperation und Information im Kinderschutz über ihre Beobachtungen und Feststellungen gegenseitig berichten und auf dieser Grundlage Maßnahmen

(Senatorin Cornelia Prüfer-Storcks)

ergreifen, damit Hilfen zum Schutz der Kinder frühzeitig und wirksam einsetzen können. Künftig werden substituierende Ärzte und Ärztinnen darauf hinwirken, von ihren Patientinnen und Patienten von der Schweigepflicht entbunden zu werden, damit sie den Jugendämtern weitergeben können, ob Kinder in den Haushalten vorhanden sind. Sie werden einen Katalog von Indikatoren nutzen, der gemeinsam vereinbart wird, um daraus Schlüsse auf die Situation der Kinder, auf eine mögliche Gefährdung des Kindeswohls zu ziehen. Zu diesen Indikatoren gehört unter anderem Beikonsum, dazu gehören Gewalterfahrungen der Patientinnen und Patienten in ihrem eigenen Umfeld, dazu gehören aggressives Verhalten, psychische Auffälligkeiten, das Zusammenleben mit aktuellen Drogenkonsumenten oder auch der Abbruch des Kontakts zum Arzt. Alles das sind Hinweise auf eine mögliche Gefährdung des Kindeswohls. Andererseits, denn das soll keine Einbahnstraße sein, werden auch die Allgemeinen Sozialen Dienste den Ärztinnen und Ärzten Rückmeldungen über ihre Patientinnen und Patienten und die eingeleiteten Maßnahmen geben.

(Beifall bei der SPD)

In Zukunft werden substituierte Patientinnen und Patienten, die Kinder haben, regelhaft an die psychosoziale Beratung und Betreuung verwiesen. Außerdem wird sich der Runde Tisch mit Fragen wie Take-home-Dosen und Beikonsum befassen. Ich stimme mit der Ansicht überein, dass es hier wahrscheinlich weniger darum geht, neue Regeln zu erfinden, sondern darum, darauf zu dringen, dass die bestehenden eingehalten werden. Es gibt jedenfalls Hinweise, dass vielleicht die Praxis in dieser Hinsicht etwas zu großzügig sein könnte.

Nach dem Tod von Chantal müssen wir uns damit befassen, ob und in welchen Fällen solche Takehome-Dosen überhaupt möglich sind, wenn Kinder im Haushalt leben, und welche Medikamente dafür geeignet sind und welche nicht. Aber das liegt letztendlich in der Verantwortung der Ärztinnen und Ärzte, und deshalb sind wir hier auf ein gemeinsames und abgestimmtes Vorgehen angewiesen.

Ich glaube, dass wir mit diesen Maßnahmen schon den überwiegenden Teil der in dem Antrag enthaltenen Aufträge umgesetzt haben, was noch fehlt, das gehen wir an. Ich glaube, dass die heute vorgeschlagene Erhebung der flächendeckenden Haarproben nach wie vor überflüssig und kontraproduktiv und auch ein Rückschritt im Sinne eines sinnvollen Jugendschutzes wäre. – Danke schön.

(Beifall bei der SPD)

Das Wort bekommt Herr de Vries.

(Dirk Kienscherf SPD: Wollen Sie sich jetzt entschuldigen?)

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Frau Senatorin, die Verharmlosung, die Sie eben bezüglich der Testreihen in Bremen betrieben haben, macht mich sprachlos und fassungslos.

(Beifall bei der CDU – Sylvia Wowretzko SPD: Das ist ja wohl nicht wahr!)

Ich wollte Sie heute Abend nicht mit Empirie langweilen, aber jetzt will ich Ihnen doch einmal die Ergebnisse nennen, weil das anscheinend bei Ihnen nicht angekommen ist. Es gab in Bremen im Frühjahr 2011 28 Proben, davon waren fünf ohne Drogen, 23 Fälle waren positiv, davon in elf Fällen harte Drogen, in sieben Fällen, also in 25 Prozent der Fälle, gab es eine hohe Konzentration und damit nicht das, was Sie sehr harmlos als unkritisch bezeichnet haben.

(Beifall bei der CDU)

Im Mai 2011 wurden 30 Proben genommen, davon waren nur neun ohne Drogennachweis, 15 mit geringen Mengen, sechs erneut mit hoher Konzentration. Im Herbst 2011 gab es bei 14 Proben nur drei ohne Drogennachweis, elf mit geringen Mengen. Wir hatten jetzt – und das ist wichtig für den Prozess, weil sich seit damals einiges verändert hat – in Bremerhaven wieder Tests. Dort sind 24 Haarproben genommen worden. Bei 17 Kindern, acht von ihnen sind unter drei Jahre alt, wurden Drogenrückstände in unterschiedlicher Konzentration gefunden, bei zehn von 24 Kindern lagen die Werte im kritischen Bereich, sie lagen so sehr im kritischen Bereich, dass das Familiengericht angeordnet hat, diese Kinder zu ihrem Schutz aus den Familien zu nehmen. Jetzt frage ich Sie, ob Sie immer noch der Meinung sind, dass dieses Ergebnis nicht für uns Veranlassung sein sollte, endlich zu handeln.

(Beifall bei der CDU – Sylvia Wowretzko SPD: Es wird gehandelt!)

Jetzt will ich gern auf die Details eingehen. Herr Schinnenburg, Sie haben damals sehr sporadisch an der Anhörung teilgenommen, da ist vielleicht das eine oder andere an Ihnen vorbeigegangen.

(Sylvia Wowretzko SPD: Sie waren gar nicht da!)

Herr Schinnenburg, Sie haben gesagt, der Haartest von Chantal hätte nichts gebracht, weil sie vorher noch nie mit Methadon in Kontakt gekommen wäre. Das ist richtig, aber das ist nicht der Punkt. Wenn Sie in unseren Antrag schauen, dann fordern wir im ersten Punkt eine zentrale Erfassung dieser Kinder und eine Meldepflicht an die Jugendämter. Das Erstaunliche im Fall Chantal ist doch, dass möglicherweise alle im Nachhinein von der

(Senatorin Cornelia Prüfer-Storcks)

Drogenproblematik in der Familie wussten, nur das Jugendamt nicht. Hätte es diese Meldepflicht und eine zentrale Erfassung gegeben, dann wäre das dem Jugendamt mitgeteilt worden. Es wäre eine wichtige Information gewesen, um zu entscheiden, ob der Verbleib des Kindes in der Pflegefamilie richtig ist oder ob das Kind aus der Familie genommen werden muss.

(Beifall bei der CDU)

Jetzt wird gefragt, warum wir das jetzt fordern, nachdem wir zehn Jahre lang regiert haben. Die Antwort ist einfach, diese Tests in Bremen sind im März 2011 bekannt geworden. Das war bekanntlich nach dem Regierungswechsel,

(Dirk Kienscherf SPD: Selber haben Sie sich da nie Gedanken gemacht?)

und wir haben nach einer Anfrage relativ zügig bereits im Mai dieses Jahres den Antrag eingebracht. Das heißt, wir hatten eine neue Situation, auf die wir sofort reagiert haben.

(Beifall bei der CDU)

Offensichtlich ist, dass das vorhandene Hilfesystem diese Missstände nicht erkennt. Die Maßnahmen, die wir im Ausschuss gemeinsam beschlossen haben, sind richtig,

(Andy Grote SPD: Warum haben Sie es dann zurückgezogen?)

aber sie lassen eines vermissen – und das ist eine kritische Überprüfung des Umstands, den wir im Fall Chantal hatten –, und zwar der unkritische Blick und das Vertrauen in die Aussagen der Klienten. Wir finden, ob in Pflegefamilien oder Familien mit Erziehungsproblemen, immer Bühnenbilder vor, wenn Mitarbeiter des Jugendamts oder andere Vertreter staatlicher Stellen in die Familien gehen. Natürlich sagen die Eltern dieser Kinder nicht, wir weisen Sie freiwillig darauf hin, dass wir Drogenprobleme haben. Die Eltern haben Sorge, dass die Kinder aus den Familien genommen werden. Deswegen ist es umso wichtiger, dass wir einmal einen flächendeckenden Test machen, um zu sehen, ob es Gefährdungen gibt. Wir haben in unserem Antrag geschrieben, wenn es einen begründeten Verdacht gibt, dann muss man regelhaft in den Familien, bei denen es kritische Ergebnisse gab, regelmäßig nachhaken. Mich wundert Ihre Kritik, mit der Sie in Bausch und Bogen diese Maßnahmen ablehnen. Die rot-grüne Koalition in Bremen sieht das offenbar ganz anders als Sie. Staatsrat Horst Frehe ist vor einigen Tagen in "der tageszeitung" zitiert worden, er halte diese Maßnahmen für unbedingt notwendig.

(Beifall bei der CDU)

Und Herr Buschkowsky, ein beliebter Bezirksbürgermeister in Berlin, hat am Sonntag in der Sendung bei Jauch gesagt, wer aus den Vorfällen, die

sich in Bremen ereignet haben, nichts lerne, dem sei nicht mehr zu helfen. Dem kann ich nur zustimmen.

(Beifall bei der CDU)

Eines will ich zum Schluss noch sagen, was die Wahrhaftigkeit anbetrifft. DIE LINKE hat mehrfach den Ausschussbericht zitiert. Wir haben den Maßnahmen, die auf das Verhältnis zwischen Therapeut und Klient abzielen und allem, was im psychologischen Bereich liegt, zugestimmt. Aber lesen Sie sich noch einmal Ziffer 1 der Ausschussempfehlung durch:

"[…] mehrheitlich mit den Stimmen der SPD-, GAL- und FDP-Abgeordneten sowie der Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE gegen die Stimmen der CDU-Abgeordneten, den Antrag […] mit dem in Ziffer 2 geänderten Petitum abzulehnen."

Das Petitum in Ziffer 2 war zum einen die zentrale Erfassung und zum anderen die Haartests bei Kindern. Es ist richtig, wir sind von dieser ersten Forderung der flächendeckenden Haartests abgerückt und sind zurückgegangen – das will ich gern als Fehler konstatieren –, weil es keine erkennbare Haltung in Ihren Reihen gab, auf diese Forderungen einzugehen. Leider hat auch dieses Entgegenkommen mir nicht geholfen. Aber es ist doch nicht zu bestreiten, dass wir jetzt eine andere Situation haben. Ich habe darauf verwiesen, dass in Bremerhaven bei 24 Tests zehn Kinder aufgrund akuter Kindeswohlgefährdung aus ihren Familien genommen worden sind. Das ist eine neue Entwicklung, auf die wir reagieren müssen. Ich hoffe, dass sich bei Ihnen die Familienpolitiker durchsetzen. – Danke.

(Beifall bei der CDU)