Protocol of the Session on February 8, 2012

Meine Damen und Herren! Ich hoffe, dass der Senat bei der Dekadenstrategie nun den Worten auch Taten folgen lässt,

(Beifall bei Dr. Thomas-Sönke Kluth FDP)

das Parlament kontinuierlich einbezieht und bei Fehlentwicklungen auch tatsächlich nachsteuert.

(Beifall bei der FDP)

Das Wort bekommt Herr Yildiz.

(Martina Kaesbach)

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Herr Neumann, seien Sie nicht traurig, dass ich Ihnen als einziger Abgeordneter heute nicht gratuliere. Ich möchte die Dekadenstrategie kritisch betrachten.

(Beifall bei der LINKEN – Vizepräsidentin Dr. Eva Gümbel übernimmt den Vorsitz.)

In der Dekadenstrategie steht – ich zitiere –:

"Hamburg schafft seinen Bürgerinnen und Bürgern noch bessere Sport- und Bewegungsmöglichkeiten."

Zugegeben, das klingt nicht schlecht.

(Dirk Kienscherf SPD: Wie oft waren Sie ei- gentlich im Sportausschuss?)

Aber ist es wirklich so? Stellt Hamburg wirklich bessere Sport- und Bewegungsmöglichkeiten für alle bereit, egal in welchem Alter, von welcher Herkunft und ob mit oder ohne körperliche oder geistige Behinderung? Kann die Dekadenstrategie dazu beitragen, dass allen Hamburgerinnen und Hamburgern die gleichen Bedingungen angeboten werden? Nach genauerem Hinschauen kann man sagen: wohl kaum. Ich möchte dies mit einigen Beispielen begründen.

Erstens wird in der Dekadenstrategie deutlich, dass Innensenator Neumann auf die Fortführung der unter Schwarz-Grün geplanten Sanierung der Sportstätten und öffentlichen Turnhallen setzt. Dies ist sehr problematisch, weil sich die Stadt damit nach und nach aus ihrer Verantwortung verabschiedet. Dass großen Vereinen und anderen Trägern die Verfügungshoheit über die öffentlichen Anlagen überlassen wird und Instandhaltung, Sanierung und Betrieb nur noch nach Kassenlage stattfinden, kann nicht sein.

(Beifall bei der LINKEN)

Zweitens wird die Ausführung von PPP-Projekten mittel- und langfristig darauf hinauslaufen, dass Stiftungen und private Geldgeber entscheiden, ob und wer die Sportanlagen nutzen darf. Ein aktuelles Beispiel ist das Pestalozzi-Quartier in Sankt Pauli. Dort überlässt es die Stadt den privaten gewinnorientierten Investoren, ob und unter welchen Bedingungen eine Turnhalle erhalten bleibt. Vereine und Mitglieder, die über wenig Geld verfügen, sind die Leidtragenden. Das hat mit Sport, Herr Senator, gar nichts zu tun.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Stadt ist gefordert, jedem Verein und allen Sportlern und Sportinteressierten kostengünstigen Zugang zu Sportanlagen zu ermöglichen. Der Senat ist davon jedoch weit entfernt. Unter dem Deckmantel einer vermeintlichen Sportoffensive wird der Ausverkauf öffentlicher Anlagen vorangetrieben.

Kritikwürdig sind drittens die Pläne des Senats in Bezug auf die Einführung einer Spitzensportlerquote für Bewerberinnen und Bewerber an Hamburger Hochschulen. Problematisch ist dabei nicht nur, dass gleichzeitig die Härtefall- und Ausländerquoten, also die Quoten, die den Zugang von benachteiligten Menschen verbessern sollen, massiv gekürzt werden, zweifelhaft ist auch, dass ein Hochschulgesetz verändert werden soll – hören Sie bitte zu – wegen zehn von 58 Spitzensportlern, die in den letzten drei Jahren nicht zugelassen worden sind.

Bedenklich ist außerdem das Vorhaben des Senats, jährlich zehn Großveranstaltungen nach Hamburg zu holen. Allein die Bewerbung um die Schwimmwettbewerbsmeisterschaften 2013 hat die Steuerzahler, das heißt den Hamburger Haushalt, mit knapp 50 Millionen Euro belastet. Wenn man bedenkt, dass in benachteiligten Stadtteilen wie Billstedt oder Veddel teilweise nur jedes zehnte Kind schwimmen kann, während in Blankenese die Quote bei nahezu 100 Prozent liegt, dann ist es sinnvoll, Steuergelder nicht für die Anwerbung von Sportwettbewerben zu verschenken, sondern benachteiligten Stadtteilen zukommen zu lassen.

(Beifall bei der LINKEN)

Wenn zum Beispiel nur ein kleiner Bruchteil der Bewerbungskosten für Großveranstaltungen in den Breitensport investiert würde, könnte jedes Kind und jeder Erwachsener unabhängig von finanziellen Hintergründen Sport treiben. Die Breite des Sports lege die Basis für die Spitze, heißt es in der Dekadenstrategie. Dies bringt das ganze Problem zum Ausdruck, dass nämlich die Masse für die Spitze instrumentalisiert wird.

(Glocke)

(unterbre- chend) : Meine Damen und Herren! Bitte hören Sie dem Abgeordneten zu. Wenn Sie sich unterhalten wollen, gehen Sie bitte hinaus. Fahren Sie fort, Herr Abgeordneter.

Vielen Dank. – Wir verlangen eine stärkere Förderung des Breitensports, weil die breiten Massen und die Menschen in den benachteiligten Stadtteilen auf Förderung angewiesen sind, während im Spitzensport diese Förderung und Subvention nicht gegeben ist.

Es ist schön, dass sich beim Thema ganztägige Bildung und Betreuung auch die Sportverbände beteiligen. Ich habe den Senator bereits in den letzten Bürgerschaftssitzungen gebeten, die Sportverbände zu einem Gespräch einzuladen. Die Träger sollten in diesem ganztägigen Bildungs- und Betreuungskonzept ernst genommen und mit in Betracht gezogen werden und nicht darum bitten

müssen, mitmachen zu dürfen, weil sie sonst keine Zukunft mehr haben. – Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Senator Neumann hat das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Dekadenstrategie, die der Senat Ihnen in einer Mitteilung vorgelegt hat und die Sie jetzt im Sportausschuss, wenn ich das richtig verstanden habe, debattieren wollen, ist aus meiner Sicht und aus Sicht des Senats eine Drucksache, die sich auf eine Strategie bezieht, nämlich auf die Anerkennung des Sports als Querschnittsaufgabe. Sie haben völlig richtig zu beschreiben versucht, Frau Blömeke, ähnlich wie der Kollege von der CDU, dass es in Zukunft darauf ankommen wird, dass wir mit weiteren Drucksachen mit dem Haushaltsplan-Entwurf der Jahre 2013/14 der Bürgerschaft konkret benennen werden, welche Maßnahmen wir finanziell hinterlegen. Die Bürgerschaft wird nach ihrem Budgetrecht natürlich beteiligt, da muss sich niemand Sorgen machen.

Vielleicht hat nicht jeder, der sich bisher mit der Dekadenstrategie beschäftigt hat, deren Konzeption wirklich verstanden, Frau Blömeke. Der Hamburger Sport hat sich, unterstützt durch das Sportamt und die Politik, auf den Weg gemacht, seine Ziele für 2020 zu formulieren. Der entscheidende Punkt ist, dass dieser Senat gesagt hat, dass er die autonom vom Sport formulierten Ziele als seine Ziele übernimmt, also nicht politisch und schon gar nicht parteipolitisch oder wahlkreispolitisch eingreift, sondern das als Dekadenziele für die Senatspolitik übernimmt, was der Sport in Hamburg in seiner Breite erarbeitet hat. Und wenn Sie sagen, dass das aus Ihrer Sicht nur ein Papiertiger sei, dann muss ich Ihnen offen sagen, dass ich enttäuscht darüber bin, dass Sie diese Ambitionen, die Sie in der Sportpolitik entwickelt haben, nicht vor einem, zwei oder drei Jahren verfolgt haben, als Sie selbst die Verantwortung trugen und die Möglichkeit dazu gehabt hätten.

(Beifall bei der SPD und bei Carl-Edgar Jar- chow FDP)

Wenn man mich sieht, dann kommt man nicht auf den Gedanken, dass ich sehr viel Sport mache, schon gar nicht in meinem Dienstzimmer. Daher weiß ich nicht, wie Sie zu der Formulierung kommen, dass Sport jetzt im Dienstzimmer des Senators gemacht werde.

(Heiterkeit bei der SPD)

Es gab in den letzten Jahren und Jahrzehnten keinen so breiten Beteiligungsprozess, angefangen mit dem Sportgutachten des Vorgängersenats von Herrn Wopp. Es wurde vom Hamburger Sportbund

initiiert, dieser hat über Jahre darauf gedrängt, auch daran will ich erinnern. Es war keine freiwillige Entscheidung des Vorgängersenats, ein Sportgutachten in Auftrag zu geben, sondern das fast jahrzehntelange Drängen des Präsidenten des Hamburger Sportbunds, der immer wieder im positiven Sinne genervt hat. Irgendwann war der Druck so groß, dass der Vorgängersenat nicht mehr anders konnte, als dieses Sportgutachten in Auftrag zu geben. Solch eine Beteiligung hat es im Hamburger Sport in den letzten zehn, zwanzig Jahren nicht gegeben. Daher wird Sport nicht im Dienstzimmer des Senators gemacht, sondern dort, wo er hingehört, nämlich in den Sportanlagen und Sporthallen, wo die Menschen selbst Sport betreiben und wo sich die Sportfunktionäre einbringen und beteiligen können, und nicht als Vorgabe des Senats oder gar der Bürgerschaft.

(Beifall bei der SPD)

Denn drittens ist der Sport autonom. Es gibt in unserem Land Gott sei Dank keinen Staatssport. Das Modell ist 1989 gescheitert, wie auch vieles andere gescheitert ist, und die Autonomie des Sports muss und soll weiter bewahrt und ausgebaut werden. Auch das ist ein Bekenntnis des Senats mit seiner Entscheidung, die Dekadenstrategie als seine Strategie zu übernehmen, nämlich die Anerkennung der Autonomie des Sports. Das ist ein hohes Gut, hat Verfassungsrang und große Anerkennung. Der Sport legt zu Recht Wert darauf, dass er diese Autonomie genießt. Der Hamburger Senat unterstützt ihn dabei, und ich bin mir sicher, die Bürgerschaft in der Breite auch.

(Beifall bei der SPD)

Ich möchte mich nicht an einzelnen Formulierungen, die ich vorhin gehört habe, abarbeiten, aber auf zwei Dinge will ich eingehen. Es wurde gesagt, dass der Sport eine von mir zugewiesene Rolle eingenommen habe. Die Denke, die dahintersteht, ist völlig falsch. Es ist nicht die Politik, die dem Sport eine Rolle zuweist, sondern es ist der Sport, der sich selbst eine Rolle zuschreibt, der sie sich nimmt, der sie ausfüllt und der sie vor allem jeden Tag lebt. Wir sollten uns bei unserem Regulierungswahn, den Bürgerschaft und Senat häufig gemeinsam haben, vielleicht manchmal einfach zurücknehmen und dem Sport Freiheit zubilligen und Möglichkeiten geben. Denn die Menschen, die sich im Sport ehrenamtlich engagieren, sind von hoher Kompetenz geprägt, und Vertrauen in die Ehrenamtlichkeit innerhalb des Hamburger Sports zu setzen, ist eine gute Entscheidung. Wenn wir die Rahmenbedingungen richtig stellen, werden wir das Beste aus dem Hamburger Sport herausholen. Es ist nicht die Politik, die ihm die Rolle zuweist, sondern es ist das Selbstverständnis des Sports, dass er diese Rolle in unserer Gesellschaft hat und haben soll.

(Beifall bei der SPD)

(Mehmet Yildiz)

Es fiel auch das Wort, dass nicht nur nach Kassenlage Politik gemacht werden dürfe. Das ist eine alte Formulierung, auf die ich allergisch reagiere. In den letzten Jahrzehnten wurde leider eben nicht nach Kassenlage Politik gemacht. Man muss darauf achten, dass das Geld auch auskömmlich ist. Und zu sagen, dafür müsse aber Geld da sein, ist mit unserem Ansatz "pay as you go", nicht politische Schwerpunkte zu setzen, gefolgt worden, und daran will ich erinnern, wenn gefragt wird, wie die Finanzierung aussieht. Diese Bürgerschaft hat im letzten wie in diesem Jahr jeweils 4 Millionen Euro für die Instandsetzungsoffensive zusätzlich investiert. Das war die Entscheidung des Parlaments. Deswegen bin ich etwas überrascht, wenn Abgeordnete danach fragen, wie das finanziert werden soll. Dieses Parlament hat die Entscheidung getroffen, jedes Jahr zusätzlich 4 Millionen Euro in die Instandsetzung von Sportplätzen zu investieren. Es erinnert sich vielleicht nicht mehr jeder daran, aber es war der Beschluss dieser Bürgerschaft und ich danke dafür.

(Beifall bei der SPD und bei Carl-Edgar Jar- chow FDP)

Sie haben die Kooperationen von Schule und Verein angesprochen, eine große Herausforderung, um die ich meinen Kollegen Rabe nicht beneide. Es ist wirklich eine große Herausforderung, so wie das auch der Kollege von der CDU beschrieben hat, sich dort auf Augenhöhe zu begegnen. Meine Erwartung ist – und ich weiß, dass das auch die Haltung von Senator Rabe ist –, dass sich die Akteure im Stadtteil und in der Schule auf Augenhöhe begegnen. Deswegen müssen wir das auf der einen Seite den Schulen so anbieten, aber auch den Vereinen deutlich stärkend immer wieder sagen, dass sie nicht nachgeordnet sind, sondern Akteure im Stadtteil, die sich auf Augenhöhe begegnen. Genau auf dieser Ebene der Gleichheit wollen wir die enge Kooperation zwischen den Schulen und den Sportvereinen im Stadtteil, denn das ist der einzige Weg, auch die Schulen so aufzustellen, dass sie mit dem Schwerpunkt Sport erfolgreich arbeiten können. Das geht aber nur auf Augenhöhe, und deshalb erinnere und mahne ich in Richtung Schule und fördere und stärke den Anspruch in Richtung Vereine.

Bei der zweiten inhaltlichen Einlassung ging es um das Thema Lärmschutz und Lichtemissionen. Das ist ein großes Problem. Man wundert sich über manche Haltung in unserer Stadt, was Kinder angeht, aber auch den Sport generell. Wir haben darüber bereits mit Herrn Vesper und Herrn Bach vom DOSB gesprochen. Es gibt Vorschläge seitens des DOSB, die der Senat übernehmen wird, und eine entsprechende Initiative im Bundesrat ergreifen wird. Darüber habe ich bereits mit dem Bundesinnenminister gesprochen. Der entscheidende Punkt ist, dass wir es gemeinsam machen. Nutzen Sie auch die Möglichkeiten, Einfluss auf die Länderkol

legen in den anderen Bereichen zu nehmen, denn die Frage der Lärmemission stellt sich in einem Stadtstaat anders als in einem Flächenland. Der bayerische Dorfbürgermeister sagt, kein Problem, wir bauen den neuen Sportplatz einfach an den Rand unseres Dorfes. Das können und wollen wir in Hamburg aber nicht machen. Erstens haben wir in Bergedorf schon viele Sportanlagen, und zum anderen müssen die Menschen Sportanlagen fußläufig erreichen können. Man kann den Menschen in Sankt Pauli nicht sagen, dass sie nach Niendorf, Schnelsen oder Bergedorf gehen sollen, um dort Sport zu treiben. Deshalb bitte ich darum, sich auf den Fraktionsvorsitzenden-Konferenzen der verschiedenen Parteien – das gilt auch für die Grünen – deutlich dafür stark zu machen, dass unserer Initiative zur Privilegierung des Sportlärms gefolgt wird und nicht mit der Arroganz des Flächenlandes geschaut wird. Wir haben als Stadtstaat eine besondere Bedeutung in diesem Themenfeld, und deshalb brauche ich dafür die Unterstützung aller Parteien, auch auf Bundesebene. Und wenn Sie Möglichkeiten haben, hier Einfluss zu nehmen, dann nutzen Sie sie bitte.

(Beifall bei der SPD)

Ich freue mich auf gute, gerne auch strittige Diskussionen innerhalb des Sportausschusses. Ich hoffe, dass wir es gemeinsam hinbekommen, das Signal aus der heutigen Debatte, aber auch aus den Debatten im Sportausschuss an den Hamburger Sport zu senden, dass er gewollt ist und wir alles tun wollen, um ihn in seinen verschiedenen Facetten zu fördern. Wir sollten nicht in einen parteipolitischen Streit um des Streites willen geraten – ich habe manchen Debattenbeitrag so begriffen –, sondern uns zusammenreißen und gemeinsam an dem Ziel arbeiten, Hamburg sportlicher aufzustellen und die Ziele der Dekadenstrategie im Jahre 2020 gemeinsam zu erreichen.

Frau Kaesbach, Sie haben vielleicht bewusst oder unbewusst die Formulierung benutzt, dass Sie das ganz interessiert beobachten werden. Beobachten Sie nicht, bringen Sie sich mit ein. Wenn wir sagen, Hamburg macht Sport, dann bezieht sich das auch ausdrücklich auf das Parlament gemeinsam mit dem Senat. Wir sollten nicht nur im Sinne der Metropolregion-Werbung "Runter vom Sofa" zugucken und beobachten, sondern Sport als eine tägliche Aufgabe begreifen, der wir selbst gerecht werden müssen, im politischen wie auch im persönlichen Bereich. Dazu lade ich Sie ganz herzlich ein und hoffe, dass der konstruktive Weg, der von den Fraktionsvertretern deutlich beschrieben worden ist, in Zukunft fortgesetzt wird und von heute das Signal ausgeht, dass Hamburg zur Dekadenstrategie steht und Bürgerschaft und Senat am selben Strang ziehen. – Herzlichen Dank.

(Senator Michael Neumann)