Protocol of the Session on January 25, 2012

Wichtig ist aber nicht nur der quantitative Aspekt, sondern vor allen Dingen die Frage nach den Motiven und der sozialen Strukturen der Menschen, die zu uns gekommen sind. Nicht jeder Zuwanderer im erwerbsfähigen Alter wird als Arbeitnehmer tätig, denn die in der Drucksache genannten Zahlen erfassen auch Menschen, die etwa als Studenten, als Wissenschaftler, als Unternehmer oder als erwachsene Familienangehörige nach Hamburg ge

(Phyliss Demirel)

kommen sind. So unterschiedlich die Motive für Zuwanderung sind, so unterschiedlich sind auch die soziale, der kulturelle und der wirtschaftliche Hintergrund, der Bildungsstandard und natürlich auch die Muttersprache der Menschen. Viele Zuwanderer sind also gar keine potenziellen Kunden der Beratungsstelle für mobile europäische Arbeitnehmer, sondern häufig eher Kunden für die HWF, Hamburger Wirtschaftsförderung, oder aber für eine beschleunigte Anerkennung ausländischer Schul- und Hochschulabschlüsse. Bei anderen wieder ist zu vermuten, dass der Beratungsbedarf angesichts des Bildungsstandards, aber auch der guten Sprachkenntnisse eher gering oder auch gar nicht vorhanden ist. Sowohl der quantitative Umfang wie auch die Struktur der Zuwanderung nach Hamburg lassen daher Zweifel aufkommen, ob die Einrichtung einer weiteren, möglicherweise zentralisierten Beratungsstelle für mobile europäische Arbeitnehmer wirklich Sinn macht. Wir von der FDPFraktion halten es daher für zielführender, das bestehende Beratungsangebot der Stadt, das Hamburg Welcome Center, aber auch die Beratungsangebote der Kammern, der Vereine und Verbände, der Gewerkschaften oder auch die Beratungsstellen der Sozialversicherungsträger besser miteinander zu verzahnen und aufeinander abzustimmen. Investitionen in solch eine Vernetzung oder auch in eine Beschleunigung der Anerkennung ausländischer Schulund Hochschulabschlüsse erscheinen uns daher gut angelegtes Geld. Die Mittel, immerhin 200 000 Euro, stattdessen in die Schaffung einer neuen Einrichtung zu stecken, ist aus unserer Sicht fragwürdig, insbesondere deshalb, weil der Bedarf bislang weder evaluiert noch plausibel dargelegt worden ist, sondern die Beratungsstelle in Konkurrenz zu den bereits vorhandenen Beratungseinrichtungen tätig würde. Diese, so meinen wir, machen überwiegend einen sehr guten Job.

Kurze Rede, tiefer Sinn. Wir werden die Zusatzanträge von SPD und LINKEN ablehnen, aber dem Überweisungsantrag der LINKEN zustimmen. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

Das Wort bekommt Herr Golke

Geben Sie mir einen Moment, mich kurz einzurichten. Das ist meine erste Rede in der Bürgerschaft, ich freue mich.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Herr Kluth, direkt zu Ihnen. Ich habe gehört, Sie möchten eine Verzahnung von Sozialversicherungsträgern. Wir versuchen seit Jahrzehnten, das zu tun, und es scheitert immer wieder. Warum sollte es an dieser Stelle klappen? Gemeinsame Servicestellen für Behinderte, Pflegeberatung – es gibt all diese Einrichtungen und trotzdem gibt es immer

wieder Probleme, weil sie nicht miteinander reden wollen. Deshalb habe ich meine Zweifel, ob wir eine Verzahnung an dem Punkt und bei dieser komplizierten Materie überhaupt schaffen können.

(Beifall bei der LINKEN)

Nun in Richtung der SPD-Fraktion. Es ist schön, was der Senat geschrieben hat. Es liest sich gut, es ist stimmig und offensichtlich will er auch gleich damit starten. Sie haben gute Inhalte gebracht und wir haben noch ein paar gute Ideen zusätzlich. Warum ist es wichtig, Wohnen, Mietrecht und Leistungen für Familien, insbesondere Kinderbetreuung und Bildung, mitzuberaten? Wir wollen keine richtige Rechtsberatung machen, darauf weist die Drucksache hin. Das Angebot soll keine Beratung im Sinne des Rechtsdienstleistungsgesetzes darstellen, sondern ein niedrigschwelliges Angebot darunter. Wenn wir uns nicht wieder von Schriftstellern sagen lassen wollen, dass Menschen im Zweifelsfall anderen Menschen folgen und dass nicht nur Arbeitnehmer kommen, dann müssen wir uns um Fragen kümmern, die mit Wohnen zu tun haben, die mit Mieten zu tun haben und die mit Leistungen für Familie und Bildung zu tun haben.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir haben in unserem Zusatzantrag nicht gefordert, dass die Beratungsstelle nicht befristet wird, sondern wir haben gefordert, sie zunächst nicht zu befristen. Eine Evaluation nach nur einem Jahr mag nicht ausreichen, möglicherweise stellt sich der Erfolg einer solchen Beratungsstelle erst nach mehreren Jahren ein. Deswegen sind wir für eine dauerhafte Finanzierung durch die Stadt zusammen mit einer sinnvollen Evaluation. Das steht auch in unserem Petitum, wie wir das schon im Mai vergangenen Jahres mit der Drucksache 20/ 408 vorgeschlagen haben.

Der vierte Punkt unseres Antrags ist nicht redundant, denn wir beantragen, der Bürgerschaft über die Umsetzung bis zum 1. Juni dieses Jahres zu berichten und die Evaluation des Beratungsangebots der Bürgerschaft zum 1. Februar nächsten Jahres vorzulegen. Sie sind an der Stelle zeitlich offen.

(Ksenija Bekeris SPD: Da steht drin, nach einem Jahr! Wir sind da relativ eindeutig!)

Nun zum Punkt Vertraulichkeit der Beratung. Frau Bekeris, Sie haben recht, wenn Sie sagen, das Vertrauen müsste sich von selbst ergeben. Allerdings haben wir die Erfahrung gemacht – und es ist wichtig, das zu beachten –, dass es Menschen mit ausländischen Wurzeln gibt, die durch langjährige Erfahrung ein tiefes Misstrauen gegen staatliche Behörden aufgebaut haben. Daher kann es für eine Beratungsstelle, die sich genau diesen Menschen verschrieben hat, nur gut sein, darauf hinzuweisen, dass die Beratung vertraulich ist und dass

(Dr. Thomas-Sönke Kluth)

die Einrichtung mitnichten ein verlängerter Arm der Ausländerbehörde sein wird.

(Beifall bei der LINKEN)

Das sind durchaus neue Aspekte und ich würde mich freuen, wenn wir das Thema im Ausschuss noch einmal diskutieren könnten. – Vielen Dank.

Das Wort bekommt Herr Yildiz.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Frau Präsidentin! Wir haben ein dreifach gespaltenes Europa. Als erstes ein Europa mit Deutschland, Frankreich und England, dann EULänder wie Polen, die jetzt Freizügigkeit haben, und schließlich haben wir noch ein Europa, das Rumänien und Bulgarien heißt, die nicht die volle Freizügigkeit haben. Die Hochqualifizierten haben die volle Freizügigkeit, aber die kommen in der Regel leider nicht, weil sie andere Länder bevorzugen, die bessere Möglichkeiten bieten. In Deutschland haben wir vergangenes Jahr das 50-jährige Jubiläum der Migration aus der Türkei gefeiert. Die Fehler, die wir in den Sechziger- und Siebzigerjahren gemacht haben, sollten uns eigentlich eine Lehre sein, sodass wir sie nicht wiederholen.

(Glocke)

Falls Irritationen herrschen, das Wort hat ausschließlich Herr Yildiz.

– Vielen Dank.

Wir begrüßen den Antrag der SPD, aber wir schlagen noch weitergehende Punkte, wie Herr Tim Golke es eben dargelegt hat, vor. Herr Kluth sollte einmal durch Wilhelmsburg gehen und sich mit den Menschen dort über deren Probleme unterhalten. Ihre Rede ist realitätsfern.

(Dr. Thomas-Sönke Kluth FDP: Vielleicht häufiger als Sie, Herr Yildiz! Sie lassen Ihren Vorurteilen freien Lauf!)

Wir können einmal zusammen durch Wilhelmsburg gehen und mit den Menschen reden, um zu wissen, wie es da aussieht.

Daher ist es wichtig, dass eine Beratungsstelle für diese Menschen auch den Bereich Bildung und den Bereich Wohnen umfasst. Ich habe regelmäßig Menschen in meiner Beratung, die sogar in Gruppen kommen und nicht einmal wissen, dass ihre Kinder das Recht haben, hier zur Schule zu gehen oder das Recht auf einen Kita-Platz haben.

(Ksenija Bekeris SPD: Nicht alle können al- les haben!)

Deshalb ist es wichtig, dass man diese Bereiche in das Konzept der Beratungsstelle einfügt. Und wer darauf hinweist, dass es andere Beratungsstellen gibt, der muss auch sagen, dass die Menschen dort leider nicht hingehen. Daher ist es sehr wichtig, dass man gemeinsam berät, Ihr Antrag ist richtig, aber er geht nicht weit genug. Daher schlagen wir vor, dass auch unser Antrag überwiesen wird und dass man gemeinsam berät. Wir begrüßen beide Anträge.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich sehe keine weiteren Wortmeldungen mehr, sodass wir zur Abstimmung kommen können.

Wer einer Überweisung der Drucksachen 20/2673, 20/2965 und 20/2999 federführend an den Ausschuss für Soziales, Arbeit und Integration sowie mitberatend an den Ausschuss für Wirtschaft, Innovation und Medien zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. – Gegenprobe. – Enthaltungen? – Das Überweisungsbegehren ist abgelehnt.

Dann lasse ich in der Sache abstimmen. Zunächst zum Antrag der SPD-Fraktion aus der Drucksache 20/2965. Diesen möchte die GAL-Fraktion ziffernweise abstimmen lassen.

Wer Ziffer 1 und 2 des SPD-Antrags seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Gegenprobe. – Enthaltungen? – Das ist mit großer Mehrheit angenommen.

Wer Ziffer 3 annehmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Gegenprobe. – Enthaltungen? – Auch Ziffer 3 ist mit großer Mehrheit angenommen.

Wer Ziffer 4 beschließen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Gegenprobe. – Enthaltungen? – Auch Ziffer 4 ist mit Mehrheit angenommen.

Dann Kommen wir zum Antrag der Fraktion DIE LINKE aus der Drucksache 20/2999.

Wer diesen Antrag annehmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Gegenprobe. – Enthaltungen? – Der Antrag ist mit Mehrheit abgelehnt.

Von der Senatsmitteilung aus der Drucksache 20/2673 hat die Bürgerschaft Kenntnis genommen.

Wir kommen zum Punkt 80 der Tagesordnung, Drucksache 20/2826, Antrag der CDU-Fraktion: Gegen Unfalltod und Pflegebedürftigkeit – Helmpflicht für Minderjährige.

[Antrag der CDU-Fraktion: Gegen Unfalltod und Pflegebedürftigkeit – Helmpflicht für Minderjährige – Drs 20/2826 –]

(Tim Golke)

Diese Drucksache möchte die SPD-Fraktion an den Verkehrsausschuss überweisen.

Wer wünscht das Wort? – Herr Hesse, bitte.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Kollege Quast, liebe Kollegin Timmermann, liebe Kollegin Duden, lieber Kollege Schäfer und sehr geehrte Frau Senatorin Stapelfeldt, die leider nicht da ist – Sie alle, die ich eben namentlich aufgezählt habe, waren es, die am 5. Juli 2007 einen Antrag der SPD-Fraktion eingebracht haben, der die Helmpflicht für Radfahrerinnen und Radfahrer bis zum 14. Lebensjahr gefordert hat. Sie alle, meine sehr verehrten Damen und Herren, die damals hier im Parlament saßen – alle Fraktionen einvernehmlich –, waren es auch, die im Jahr 2007 beschlossen haben zu prüfen, inwieweit eine Helmpflicht in Deutschland eingeführt werden soll, hierzu eine Umfrage in anderen Bundesländern zu machen und diverse andere Dinge zu untersuchen. Sie alle haben dann Ende Januar 2008 eine Information des Senats an die Bürgerschaft bekommen, die sehr ernüchternd war. Zum einen konnte man aus ihr herauslesen, dass die Frage, ob eine Helmpflicht für Radfahrer eingeführt werden soll, in den Bundesländern sehr unterschiedlich bewertet wird. Ich nehme es vorweg, das ist immer noch so, dieses Thema ist immer noch anhängig und wird in allen möglichen Bundesländern sehr, sehr unterschiedlich diskutiert. Und Sie alle, meine sehr verehrten Damen und Herren, waren und sind es auch, die zur Kenntnis nehmen mussten, dass aufgrund von Diskontinuität und Beginn einer neuen Legislaturperiode die Prüfaufträge, die wir damals gemeinschaftlich an den Senat gegeben haben, nicht von Erfolg gekrönt waren.

Vier Jahre später – bevor hier gleich gesagt wird, da habe einer eine alte Idee wieder aufgewärmt und das sei alles schon einmal hier diskutiert worden – kann man durchaus einmal schauen, wie sich die Situation auf unseren Straßen verändert hat, wie sich das Bewusstsein bei Radfahrerinnen und Radfahrern verändert hat und was wir vielleicht mittlerweile an Datenmaterial haben, das es verdient, hinsichtlich der Frage Radhelmpflicht ja oder nein beachtet zu werden.

Die amtliche Getötetenstatistik weist für etwa die Hälfte der tödlich verunglückten Radfahrer Verletzungen des Kopfes als todesursächlich aus. Eine Auswertung des Traumaregisters der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie bestätigt bei schwerstverletzten Radfahrern, die klinisch behandelt wurden, mit mehr als 70 Prozent eine dominierende Rolle des Kopfes als betroffene Körperregion, während die übrigen Körperbereiche deutlich seltener verletzt waren. Aber auch unter den weniger schwer verletzten Radfahrern, das ergibt die Untersuchung, ist der Anteil von Kopfverletzungen

nicht zu vernachlässigen. Eine interdisziplinäre Studie des Universitätsklinikums, der Polizei in Münster – das ist gemeinhin die Fahrradfahrerhauptstadt in Deutschland – und der Unfallforschung der Versicherer erhob über ein Jahr lang alle Radfahrer aus dem Stadtgebiet, die ambulant oder stationär in einem der dortigen Krankenhäuser behandelt wurden. Von den dort behandelten 2250 verletzten Radfahrern wies jeder vierte eine Kopfverletzung auf. Wenngleich eine Vielzahl dieser Verletzungen in Platzwunden, Zahnverlust oder leichter Gehirnerschütterung bestanden, so fanden sich doch auch Frakturen des Schädels oder der Gesichtsknochen sowie eine Reihe von Hirnblutungen. Ich könnte jetzt unendlich so weiter machen. Ich habe hier noch Daten aus der Auswertung der Unfalldatenbank der Unfallforschung der Versicherer, ich könnte aus den Studien der GIDAS-Unfallforschung in Hannover und Dresden vorlesen.

(Vereinzelter Beifall bei der CDU)