Protocol of the Session on December 15, 2011

Ich würde mich freuen, wenn sich die SPD auf Bundesebene, vielleicht könnte von Hamburg ein Impuls kommen, doch noch entscheiden könnte, einem PUA zuzustimmen; das könnte auch die CDU machen. Dann hätten wir ein Gremium, das Zeugen befragen kann. Wir kennen das Spiel. Man kann sich dann noch viel tiefer in den Komplex der Zusammenarbeit zwischen Ländern und Bundesebene hineinknien, wie das weder in Hamburg noch in Thüringen möglich ist.

Wir brauchen einen PUA, wir brauchen eine viel weitergehende Debatte über Rechtsextremismus, über den Umgang mit dem, was wir gern Fremden

feindlichkeit nennen, was aber in Wirklichkeit Rassismus ist, in dieser Stadt und in der deutschen Gesellschaft. Wir müssen im Übrigen auch wegkommen vom Redenhalten bezüglich des NPD-Verbots. Wenn man dies angeht, dann muss man es konkret tun, dann müssen auch die V-Leute aus der NPD heraus. Das taktische Aufklärungsinteresse muss zurückstehen, wenn wir hier wirklich etwas verändern wollen. Der Innensenator hat sich in dieser Angelegenheit ein bisschen aus dem Fenster gehängt. Ich hoffe, dass dann in Hamburg tatsächlich der Anfang gemacht wird, um einem NPD-Verbotsverfahren eine Chance zu geben.

Ich bin gespannt darauf, was wir überhaupt im Innenausschuss noch hören werden. Das sagte auch Herr Voet van Vormizeele, denn wir mussten bei der letzten Sitzung schon feststellen, dass die Vertreter und Vertreterinnen des Senats immer sehr schnell sagten, dass sie uns zu diesen Fragen leider keine Antworten mehr geben könnten, weil alles bei der Generalbundesanwaltschaft liege. Wenn wir natürlich weiterhin diese Situation haben, dann wird uns die Überweisung nichts helfen. Aber vielleicht sind wir im Frühjahr weiter und erhalten doch Antworten auf unsere Fragen oder auf die Fragen im Antrag der LINKEN, die wir uns aber wohl alle stellen.

(Beifall bei der GAL und der LINKEN)

Herr Jarchow, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Frau Schneider, wir sind uns einig in der Verurteilung dieser Taten, und wir sind genauso wie Sie fassungslos gewesen bei dem Ausmaß der Gewalttätigkeit der Terrorzelle in Thüringen. Die Mordserie der rechtsextremistischen Terrorzelle hat offenbart, dass die Sicherheitsarchitektur in Bund und Ländern auf den Prüfstand zu stellen ist.

Insbesondere auch den Opfern und ihren Angehörigen sind wir es schuldig, dass alle Vorkehrungen getroffen werden, damit für die Zukunft die offensichtlich begangenen Fehler ausgeschlossen werden können. Nur so kann auch das Vertrauen der Bevölkerung in die Sicherheitsbehörden wieder hergestellt werden.

Meine Damen und Herren! Um es ganz klar zu sagen: Wir als FDP sehen bisher keinen Anlass zur Kritik am Staatsschutz und Verfassungsschutz in Hamburg.

(Beifall bei der FDP und der SPD – Dora Heyenn DIE LINKE: Das glaube ich Ihnen nicht!)

Beide haben bereits bei der Beratung im Innenausschuss deutlich gemacht, dass bisher keine Erkenntnisse über Versäumnisse der Hamburger Be

(Kai Voet van Vormizeele)

hörden vorliegen. Derzeit wird immer noch eine Vielzahl von Verfahren erneut unter den neuen Erkenntnissen auf eine rechtsextremistische Motivation überprüft; das ist auch richtig so. Dieses offensive Vorgehen unterstützen wir. Außerdem begrüßen wir, dass Hamburg sich auch offensiv in die Ermittlungen des BKA einbringt.

Bereits in der letzten Sitzung hat sich der Innenausschuss mit dem Thema aufgrund einer Selbstbefassung, unter anderem der FDP-Fraktion, gewidmet. Dankenswerterweise wurde sowohl vonseiten des Staatsschutzes als auch des Verfassungsschutzes dem Ausschuss ausführlich Bericht erstattet und auch den Abgeordneten Rede und Antwort gestanden. Hierbei wurde auch die Einschätzung des Landesamtes bezüglich des rechtsextremistischen Terrorismus seit Ende der Neunzigerjahre thematisiert.

Vor diesem Hintergrund, Frau Schneider, wundere ich mich über die Ausführungen in der Begründung Ihres Antrags. Auch die Behauptung, die Verfassungsschutzbehörden hätten viele Fragen zu beantworten, ist ein wenig nebulös. Der Verfassungsschutz in Hamburg hat bereits bereitwillig damit begonnen. Ich gehe auch davon aus, dass wir uns als Innenausschuss noch einmal nach dem Abschluss der durch Generalbundesanwaltschaft, BKA und Landesbehörden wieder aufgenommenen Ermittlungen mit dem Themenkomplex befassen werden. Wenn sich die Aussagen auf alle Behörden in der Bundesrepublik beziehen und wenn sich Ihre Aussagen darauf beziehen, dann haben Sie vermutlich recht. Eine schonungslose Aufklärung der Vorkommnisse und eine umfassende Fehleranalyse mit den jeweiligen Konsequenzen sind ohne Frage unabdingbar.

Sehr geehrte Frau Schneider, insoweit fände ich es sinnvoll, wenn wir Ihren Antrag dahingehend verändern könnten, dass eine erneute Berichtspflicht nach dem voraussichtlichen Ende der Ermittlungen frühestens im Frühjahr 2012 vorgesehen wird. Hinsichtlich der im Antrag genannten Petita bin ich mir im Einzelfall nicht sicher, ob diese in einer öffentlichen Sitzung beziehungsweise einem Bericht des Senats an die Bürgerschaft derzeit beantwortet werden können. Zum einen wird durch die Generalbundesanwaltschaft beziehungsweise durch das BKA ermittelt, und zum anderen schätze ich, dass einige Fragen lediglich im Parlamentarischen Kontrollausschuss beantwortet werden können, aber dann leider ohne uns.

Diese und weitere inhaltliche Fragen sowie politische Bewertungen würde ich mir gern für die Beratung im Ausschuss vorbehalten. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und bei Karin Prien CDU)

Das Wort hat nun Herr Senator Neumann.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir sind uns einig in diesem Haus, dass diese Anschläge und Morde nicht nur Anschläge und Morde gegen Zuwanderinnen und Zuwanderer und gegen eine Polizistin gewesen sind, sondern dass es ein Angriff war auf unsere Art zu leben, auf unsere pluralistische, demokratische und freiheitliche Rechtsordnung. Deswegen treffen uns auch zu Recht diese Anschläge, und zu Recht fordern wir alle gemeinsam, auch in diesem Parlament, schnellstmögliche Aufklärung, um zu begreifen, wie es in Deutschland möglich sein konnte, dass diese terroristische Organisation so vielen Menschen das Leben nehmen und so viele Morde verüben konnte.

(Beifall bei der SPD, der FDP, der LINKEN und vereinzelt bei der CDU)

Wir haben im Innenausschuss begonnen, aufgrund der Anträge verschiedener Fraktionen in Selbstbefassung dies zu behandeln. Vielleicht bin ich auch mit der falschen Wahrnehmung und der falschen Optik ausgestattet, aber ich nehme manchmal subkutan wahr, dass die Tatsache zu kritisieren sei, dass die Generalbundesanwaltschaft das Ermittlungsverfahren an sich gezogen hat. Es ist aber ausdrücklich nach unserer Rechtsordnung verboten, während des laufenden Ermittlungsverfahrens, das auch ausdrücklich der Generalbundesanwalt für sich reklamiert hat, in Ausschüssen und an anderer Stelle darüber zu berichten. Das ist keine Vortäuschung oder ein Verschleiern, weil man nicht antworten will, sondern das ist Teil unserer Rechtsordnung. Vielleicht nehme ich das auch falsch wahr, wenn Sie das so sagen, Frau Möller, das will ich nicht ausschließen.

(Antje Möller GAL: Das würde ich ganz deut- lich so sehen, dass Sie das falsch wahrneh- men!)

Dann sind wir uns auch in dieser Frage einig, das freut mich, Frau Möller. Ich habe versucht, es extra so einzuleiten. Vielleicht nehmen Sie sich einfach bei der Diskussion heraus, das wäre eventuell eine kluge Entscheidung. Ich selbst halte es nicht für klug.

Wir werden von unserer Seite – und ich fand, im letzten Innenausschuss auch sehr angemessen – zu jeder Zeit über neue Tatbestände und neue Sachstände berichten. Wir haben auch im Innenausschuss gemeinsam vereinbart, dass wir, sobald neue Sachkenntnisse und Sachstände vorhanden sind, sie jederzeit vortragen und berichten werden.

Aber ich will umgekehrt auch sagen, dass wir darauf angewiesen sind, was der Generalbundesanwalt ermittelt. Wir sind darauf angewiesen, was die

(Carl-Edgar Jarchow)

Damen und Herren in Thüringen ermitteln und endlich an Informationen an Bund und Länder weitergeben. Ich finde es manchmal etwas schwierig, Vorgänge, die in Thüringen ihren Ausgangspunkt genommen haben, dazu zu nutzen und davon abzuleiten, dass bereits in den Neunzigerjahren ein Versagen des Verfassungsschutzes in Hamburg erfolgt sei. Man hätte doch von Hamburg aus Erkenntnisse haben müssen, um Thüringen rechtzeitig Bescheid geben zu können, was sich hier entwickelt. Davor möchte ich warnen. Ich kann verstehen, dass wir alle gemeinsam darüber entsetzt sind. Aber ich will auch sagen, dass wir in der Hamburgischen Bürgerschaft über die Leistungen und Nicht-Leistungen des Hamburger Verfassungsschutzes sprechen, des Hamburger Staatsschutzes und der Hamburger Polizei.

(Heike Sudmann DIE LINKE: Und der Ham- burger Neonazis!)

Deswegen sage ich ganz deutlich: Was wir dazu beitragen können, werden wir auch beitragen. Aber anders herum will ich in Hamburg keine Diskussion führen, die richtigerweise in Thüringen oder in Berlin zu führen ist. Das haben die Hamburger Polizisten auch nicht verdient.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der CDU und der FDP)

Deswegen möchte ich noch einen Hinweis geben. Ich finde, auch für mich persönlich, diesen Satz "Sie haben es nicht wissen wollen" sehr schwer erträglich. Dass wir uns politisch auseinandersetzen, Frau Schneider, dass Sie mich kritisieren, attackieren und mir Hinweise geben, wie ich meiner Verantwortung angemessener gerecht werde, das ist das natürliche Spannungsverhältnis zwischen Parlament und Senat. Das bin ich gewohnt oder muss mich zum Teil noch daran gewöhnen. Aber dass Sie damit, aus meiner Wahrnehmung heraus, subkutan signalisieren, dass es im Grunde eine stillschweigende Duldung und Mitwisserschaft gäbe, ja sogar ein Hinnehmen,

(Heike Sudmann DIE LINKE: Ein Weg- gucken vielleicht!)

ist etwas, was ich nicht gut und nicht richtig finde. Wenn man es bösartig verstehen wollte, finde ich diese Behauptung schlichtweg unanständig.

(Beifall bei der SPD, der CDU und der FDP)

Arbeiten Sie sich an mir ab und auch an meiner Verantwortung. Ich werde mich dem auch jederzeit stellen. Aber ich glaube, Pauschalverurteilungen gegenüber den Kolleginnen und Kollegen sind nicht angebracht. Wenn Sie Hinweise oder gar Beweise haben, dass sich in Hamburg solche Kolleginnen und Kollegen in irgendeiner Weise nicht so verhalten haben, wie wir es gemeinsam für richtig halten, dann bin ich der Erste, der diese Hinweise aufnimmt. Aber das muss dann auch auf den Tisch

gelegt werden und nicht mit Fragezeichen leicht angedeutet werden, denn das ist eine subkutane Botschaft, die ich langfristig nicht für richtig halte, auch nicht für unsere Akzeptanz der Sicherheitsbehörden in unserem Land. Das haben die Kolleginnen und Kollegen ausdrücklich nicht verdient, die tagtäglich ihren Dienst leisten.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der CDU und der FDP)

Ich bin froh, dass Sie Herrn Leyendecker zitiert haben. Er ist ein Journalist, der sich sehr um unsere Demokratie verdient gemacht hat. In einem Interview im Deutschlandfunk hat gerade Herr Leyendecker sehr selbstkritisch denjenigen gegenüber, die im Journalismus engagiert sind, gesagt, dass auch sie und er selbst es nicht gesehen hätten, es vielleicht auch nicht wahrgenommen hätten.

(Norbert Hackbusch DIE LINKE: Und wer noch?)

Das macht doch deutlich, dass wir heute sicherlich klüger sind vor fünf oder zehn Jahren. Aber es macht auch deutlich, dass es vielleicht keine Verschwörung und Blindheit der Sicherheitsbehörden gab, sondern es gab offensichtlich – vielleicht auch in dem Sinne, wie Frau Möller es andeutete – ein gesellschaftliches Wahrnehmungsproblem, aber nicht mit dem Vorsatz des Nicht-Wollens – und das ist mir wichtig.

(Beifall bei der SPD)

Ich will etwas zum Stichwort V-Personen sagen. Auch bei dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts handelt es sich um ein Stück Papier, ein wichtiges Dokument, das zwar häufig zitiert, aber ähnlich wie die PISA-Studie oder die Bibel, selten gelesen wird. Und es wurde häufig auch nicht verstanden. Bei diesem Beschluss handelt es sich darum, dass es ein Minderheitsvotum gab. Und eine Minderheit der Richterinnen und Richter war der Auffassung, dass die Herangehensweise, wie sie damals gewählt wurde, nicht richtig war. Die Mehrheit der Richterinnen und Richter war der Auffassung, dass es zulässig ist.

Wenn sie bei V-Personen vom Abschalten sprechen – ich finde das immer eine merkwürdige Formulierung –, dann will ich den Hinweis geben, dass die Mitgliedschaften in verschiedenen rechtsextremen Organisationen nicht so trennscharf sind, wie sie vermutlich innerhalb und zwischen den Parteien sind. Viele Menschen sind in der NPD, aber auch in rechten Kameradschaften und in noch ganz anderen Organisationen. Wenn es jetzt dazu kommt, dass das NPD-Verbot endlich initiiert wird, wird Hamburg seinen Beitrag leisten, um sicherzugehen, dass ein NPD-Verbot erfolgreich sein wird. Aber pauschal zu sagen, das Bundesverfassungsgericht habe vorgeschrieben, alle V-Personen abzuziehen, ist auf den 28 Seiten des Bundesverfassungsgerichts, die ich dazu gelesen habe, an kei

(Senator Michael Neumann)

ner Stelle und auch in keiner Fußnote zu finden. Von daher bitte ich darum, damit aufzuhören, ständig Berichte zu fordern.

Der Senat hat mit seinem Vorstoß bereits im Juni auf der Innenministerkonferenz einen Vorschlag gemacht, wie man die NPD verbieten kann. Das ist damals von den Kollegen der B-Länder nicht angenommen worden. Jetzt hat es endlich gefruchtet, wir haben in Wiesbaden diesen Beschluss gefasst. Ich bin persönlich sehr froh, dass die Ministerpräsidentenkonferenz gerade heute einstimmig den Beschluss gefasst hat, ein NPD-Verbot einzuleiten. Ich glaube, darauf kann auch die Hamburgische Bürgerschaft und können wir Hamburgerinnen und Hamburger ein Stück weit stolz sein, dass dieser Startschuss mit von Hamburg ausgegangen ist und dass jetzt genau der von uns vorgeschlagene Weg beschritten wurde. Von daher denke ich, dass wir gemeinsam einen guten Auftakt gegeben haben, endlich der NPD auch verfassungsrechtlich den Garaus zu machen.

(Beifall bei der SPD)

Ich will jetzt nicht alles wiederholen, was bereits im Ausschuss berichtet wurde. Die Hamburger Polizei und der Staatsschutz wickeln alle Fälle der letzten 13 Jahre auf, die auch nur im Entferntesten auf Zusammenhänge mit dem rechtsextremen Umfeld schließen lassen könnten. Das sind über 100 Tötungsdelikte, Banküberfälle und Sprengstoffdelikte.

Der Stand heute, um 21.45 Uhr, ist, dass es bei der Überprüfung auf Grundlage der Informationen, die wir bisher aus Thüringen bekommen haben, keinerlei Hinweise gibt auf rechtsextremistische Verwicklungen. Genauso überprüfen wir alle anderen Fälle noch einmal, setzen alles auf den Prüfstand, und wir unterstützen entsprechend auch personalstark die wieder aufgelebte Untersuchungskommission beziehungsweise die besondere Aufbauorganisation beim Bundeskriminalamt. Wir haben nämlich Interesse, diesen Fall aufzuklären, weil ein Hamburger Bürger Opfer dieser Mörderbande geworden ist, und das ist die verdammte Pflicht, die wir zu erfüllen haben, die Täter zu ermitteln und, wenn es möglich ist, ihnen auch noch die Strafe angedeihen zu lassen, die entsprechend von den Gerichten festgelegt wird. Das ist Aufgabe der Hamburgerinnen und Hamburger.

(Beifall bei der SPD und bei Jörg Hamann CDU und Carl-Edgar Jarchow FDP)