Protocol of the Session on December 15, 2011

Ich komme zum Schluss. Zwei der Erwartungen an den Schulsenator, die Schulen den Erfordernissen dieser Stadt anzupassen und Schulentwicklung zu unterstützen, werden nicht erfüllt. – Vielen Dank.

(Beifall bei der GAL und bei Robert Heine- mann CDU)

Das Wort bekommt Frau Özdemir.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Die Fraktionen der GAL, CDU und FDP wollen unser Schulsystem mit einem besonderen Anmeldeverfahren beglücken. Die Schulen sollen sich 40 Prozent bis 55 Prozent ihrer Schülerschaft selbst auswählen dürfen. Dabei berufen sie sich auf einen Schulversuch, der vom Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung evaluiert worden ist. An dem Schulversuch haben sich anfänglich sieben Gymnasien und sechs Stadtteilschulen beteiligt, von denen aber sechs Gymnasien abgesprungen sind, weil der Modellversuch für sie nichts gebracht hat.

Die Schulen durften von 2008 bis 2011 35 Prozent bis 55 Prozent der angemeldeten Schülerinnen und Schüler selbst auswählen. FDP, GAL und CDU lesen nun aus der Evaluation heraus, dass der Schulversuch ein Erfolg war. Das ist unseres Erachtens ein völlig unkritisches Herangehen.

(Beifall bei der LINKEN und vereinzelt bei der SPD)

In die Evaluation wurden nur die 13 Schulen einbezogen – Herr Lein erwähnte es auch –, die sich an dem Modellversuch beteiligt haben. Das ist einäugig. Diese Beschränktheit wird nirgendwo in dem Gefälligkeitsgutachten begründet. Das ist ungefähr so, als wenn man einen Modellversuch zu Tempo 80 auf Hamburgs Straßen macht und nur die Autofahrer befragt, wie zufrieden sie damit sind. Was dabei herauskommt, kann man sich denken. Es sind Halbwahrheiten, und solche Halbwahrheiten hat die Evaluation des LI verkündet.

Ich möchte noch einmal die drei Risiken und Nebenwirkungen benennen, die einige noch nicht verstanden haben und zu denen sich in dem Gefälligkeitsgutachten des LI wenig bis nichts befindet.

Erstens: Wenn Schulen gut die Hälfte der Schülerinnen und Schüler auswählen dürfen, heißt das umgekehrt, dass nur noch die Hälfte der Schülerinnen und Schüler aus dem Schulbezirk ihre nächstgelegene Schule besuchen dürfen. Die andere Hälfte der Schülerinnen und Schüler – und das sind Hunderte – muss dann in eine entfernte Schule ausweichen. Das, liebe Grüne, ist auch nicht so gut für den Verkehr.

(Beifall bei der LINKEN und vereinzelt bei der SPD)

Eine zweite Folge besteht darin, dass wohlhabende Eltern ihre Kinder an den sogenannten guten Schulen anmelden. Diese Schulen können sich dann ihre Schülerinnen und Schüler auswählen.

(Dr. Stefanie von Berg)

Wohlhabende Eltern können dem auch mit Geld, Beziehungen und Rechtsanwälten nachhelfen. Der Bildungsmarkt würde damit auch ein Markt für Rechtsanwälte werden. Dies würde die soziale Spaltung und die Bildungsungerechtigkeit in der Stadt, die ohnehin schon skandalöse Ausmaße angenommen hat, enorm vergrößern.

Eine dritte Folge ist eine Veränderung der Schullaufbahn. Schülerinnen und Schüler können nicht mehr einfach in die nächstgelegene Schule gehen, sie müssen sich bewerben. Es wird dann alle möglichen scheinobjektiven Tests geben, und es wird hierbei Gewinner und Verlierer geben. Dieser Sachverhalt lässt sich in dem Gefälligkeitsgutachten des LI nicht verschweigen.

Ich möchte Ihnen drei Zitate aus dem Gefälligkeitsgutachten vortragen.

(Dr. Thomas-Sönke Kluth FDP: Wem gegen- über denn gefällig?)

Seien Sie erst einmal ruhig und hören Sie zu, vielleicht lernen Sie jetzt noch etwas.

(Beifall bei der LINKEN und der SPD)

Ich beginne mit dem Zitat, Herr Kluth, jetzt hören Sie zu.

"Verständlicherweise äußern Eltern, deren Kinder angenommen wurden, keine Kritik. Die Eltern der abgelehnten Kinder hingegen reagieren enttäuscht und setzen sich mit den Koordinatorinnen und Koordinatoren […] auseinander, scheuen sich auch nicht vor juristischen Schritten und setzen vereinzelt so die Aufnahme ihres Kindes durch."

Das zweite Zitat lautet:

"Einige Schulen, die das Besondere Aufnahmeverfahren sehr erfolgreich eingesetzt haben, berichten im Übrigen davon, dass die benachbarten Schulen dies mit Skepsis beobachteten. Die Schule setze sich dem Vorwurf aus, 'die Sahne abzuschöpfen'."

Und das letzte Zitat:

"Die Auswahl nach Leistungen hat laut Schule im ersten Jahr zu massiven Protesten auf Seiten der Eltern und der Grundschulen geführt. Eltern lernschwacher Kinder, die sich von der Schule Hilfe für ihr Kind erhofft haben, seien über die Ablehnung empört gewesen."

Meine Damen und Herren! Wir möchten als Fraktion DIE LINKE Herrn Schulsenator Rabe bei seinem Vorhaben bestärken. Dem Druck der GAL, CDU und FDP sollte er bitte nicht nachgeben, denn das, was gefordert ist, ist ein unsolidarisches Schulsystem.

(Beifall bei der LINKEN und der SPD)

Wir schlagen im Gegensatz zu den anderen Fraktionen einen anderen, sozial gerechten und demokratischen Weg vor, wir wollen nämlich, dass alle Schulen gleich gut sind.

(Beifall bei der LINKEN – Dr. Thomas-Sönke Kluth FDP: Gleich, nicht gleich gut!)

Nein, gleich gut. Und mit gut meine ich auch gut. Ich komme zum Schluss, haben Sie noch etwas Geduld.

Die finnische Kultusministerin wurde einmal in einem Interview gefragt, worin das Geheimnis des finnischen Schulsystems liege. Darauf hat sie geantwortet, dass alle Schulen, egal, ob sie in einem reichen oder in einem armen Stadtviertel von Helsinki oder auf dem Lande liegen, gleich gut sind.

Herr Bürgermeister hat im Wahlkampf davon gesprochen, dass aus allen Schulen Paläste gemacht werden sollen. Dann kann er hier damit anfangen. Es würde schon reichen und wäre ein guter Schritt, wenn alle Schulen in Hamburg gut wären. – Danke.

(Beifall bei der LINKEN und der SPD)

Das Wort bekommt Senator Rabe.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Aufnahmeverfahren ist in der Tat ein Thema, über das man trefflich streiten kann. Das hat zuletzt das Bundesland Berlin erfahren, das dafür anderthalb Jahre Schulpolitik geopfert hat. Den Abgeordneten Hamburgs scheint offensichtlich etwas zu fehlen, wenn man nicht eine neue Reform anschieben kann, die ebenfalls anderthalb Jahre leidenschaftlichen Streit nach sich ziehen würde. Ich möchte davor ausdrücklich warnen.

(Beifall bei der SPD)

Es kann nicht schaden, sich die Zahlen zu vergegenwärtigen. Wir haben rund 115 weiterführende Schulen. 13 Schulen wurde genehmigt, sich einen Teil der Schüler auszusuchen. Von diesen 13 Schulen, das haben Sie sehr schön dargestellt, haben tatsächlich sieben Schulen nach kurzer Zeit gesagt, dass das gar nichts bringe und sie damit aufhörten. Nur noch sechs von 115 Schulen nehmen Schülerinnen und Schüler nach diesem "Besonderen Aufnahmeverfahren" auf, und bei den Gymnasien ist es nur ein einziges. Alle anderen rund 62 Hamburger Gymnasien nehmen Schülerinnen und Schüler nach dem bewährten Hamburger Verfahren auf, das angeblich dazu führt, wie Frau von Berg und Frau von Treuenfels versuchen weiszumachen, dass Schüler sich Schulen nicht aussuchen können und man keine Profile bilden kann. Wie kommt es dann, dass gerade bei den Gymna

(Cansu Özdemir)

sien Schülerinnen und Schüler teilweise zehn, fünfzehn Kilometer weit zu ihrer Wunschschule fahren, wo sie doch angeblich gezwungen sind, das Gymnasium vor der Tür zu wählen? Wie kommt es denn, dass die Hamburger Gymnasien trotz dieses Verfahrens eine Vielzahl von Schulprofilen bilden, wie zum Beispiel die Albert-Schweitzer-Schule mit einem Musikprofil und viele bilinguale Schulen? Wie kommt das alles, wenn dieses Verfahren, das Sie abschaffen wollen, das angeblich nicht ermöglicht? Das Hamburger Verfahren, das bei allen Gymnasien wirkt, führt eben doch dazu, dass die Eltern erstens absolute Wahlfreiheit haben, dass zweitens die Schulen hervorragende Profile ausbilden können und drittens 98 Prozent der Schülerinnen und Schüler die Schule besuchen können, die sie sich ausgesucht haben. Das liegt an einer Sache, die bei Ihrer theoretischen Berechnung, Frau von Berg, schlicht vergessen wurde.

Hamburgs Schulen haben viele Reserven, da die Schülerzahlen so sehr schwanken, dass sie auch im bisherigen Aufnahmeverfahren sehr wohl eine Zeit lang viel mehr Schülerinnen aufnehmen können und sich das dann wiederum durch die Schwankungen ausgleicht, sodass wir Wahlfreiheit haben. Das jetzige Verfahren gewährleistet Wahlfreiheit, hervorragende Profilbildung und größtmögliche Zufriedenheit. Wer dieses abschafft, macht einen schweren Fehler.

(Beifall bei der SPD und bei Norbert Hack- busch DIE LINKE)

Wir sollten uns gelassen anschauen, was Sie dagegensetzen. Sie sagen, die Schulen sollen sich einen Teil der Schülerinnen und Schüler aussuchen. In der Tat gilt es, sich das Gutachten des Landesinstituts anzuschauen. Mir fiel dabei auf, dass die Schulen begutachtet wurden, die das angewendet haben, aber nicht die 113 Schulen in der Nachbarschaft, die das nicht angewendet haben.

Bei der Alternative – Sie schlagen vor, die Schulen sollten sich einen Teil der Schülerinnen und Schüler selbst aussuchen – erkennt immerhin die GAL die Gefahr. Dann suchen die Schulen Schülerinnen und Schüler aus, die sie besonders attraktiv finden. Welche werden das sein? Sie sind leistungsstark, sozial engagiert oder musisch-ästhetisch begabt. In jedem Fall sind es aber Schülerinnen und Schüler, die ein besonderes Leistungsprofil haben. Das bedeutet, Frau von Berg hat zu Recht darauf hingewiesen, eine soziale Schieflage an den Schulen. Jetzt sagen einige von Ihnen, die noch ein bisschen verantwortungsvoll denken, das müsse die Behörde korrigieren. Wie soll ich das denn machen? Soll ich mir die Lohnsteuerkarten der Eltern zeigen lassen, die Bücherregale in den verschiedenen Elternhäusern vermessen lassen oder vorher Aufnahmetests machen lassen? Dass man die soziale Schieflage per Behördenorder wieder herstellen könne, ist eine ganz seltsame Auf

fassung. Das geht nicht, das ist eine unsinnige Forderung. Ganz im Gegenteil gilt es, ein Verfahren zu finden, das gar nicht erst in die Schieflage führt; das muss das Ziel sein.

(Beifall bei der SPD – Erck Rickmers SPD: Bravo!)

Deswegen lohnt der Blick auf die Praxis, und deswegen sollten wir nicht so tun, als ob das nicht funktioniert. Das Hamburger Modell, das bei den Gymnasien bis auf die Klosterschule in allen Fällen angewendet wird, schafft genau das, was Sie wollen: Zufriedenheit, klare Profilbildung und größtmögliche Wahlfreiheit. Deshalb ist das ein absolut vernünftiges Verfahren, und ich kann nicht erkennen, dass wir alle Lust haben sollten, anderthalb Jahre lang Elternkammer, Schülerkammer, Lehrerkammer sowie sämtliche politische Gremien in diesen Konflikt zu führen, sich mit Modellen zu beharken, Schulausschusssitzungen inklusive, und am Ende das zu vergessen, was man eigentlich machen sollte: gute Schulen voranzubringen. Da möchte ich an die Politik meiner Vorgänger anknüpfen. Schwarz-Grün hätten das schon lange machen können und haben es nicht getan, weil sie eine gewisse Weisheit hatten und nicht das kaputt machen wollten, was funktioniert. Dem schließe ich mich an. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Das Wort bekommt Frau Dr. von Berg.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich muss etwas zu dem Vorwurf von Frau Özdemir, wir wären unsolidarisch, sagen. Genau das Gegenteil ist der Fall. Das Problem ist, dass Frau Özdemir nicht verstanden hat, worauf wir hinauswollen und was die Effekte sind. Diese sind deutlich in der Evaluation beschrieben. Das als Gefälligkeitsgutachten abzutun, ist eine Beleidigung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des LIQ. Das finde ich unglaublich.

(Beifall bei der GAL, der FDP und vereinzelt bei der CDU)

Was Herr Lein angeführt hat, ist eine klassische Neiddebatte. Es wird gesagt, dass die guten Stadtteilschulen oder die, die das Aufnahmeverfahren anwenden durften, den anderen Stadtteilschulen etwas weggenommen haben. Das ist aber nicht richtig. Ich kenne viele Eltern, die ihre Kinder mit Gymnasialempfehlung auf der Max-Brauer-Schule angemeldet haben. Die haben gesagt, entweder Stadtteilschule Max-Brauer oder ein Gymnasium. Das heißt nicht, dass die anderen Stadtteilschulen schwach gemacht werden. Die Wirkung ist völlig falsch beschrieben worden, und das kann man so nicht stehen lassen. Herr Rabe hat gesagt, er möchte gute Schulen voranbringen, und genau