Protocol of the Session on November 9, 2011

Wenn Sie eine kluge Entscheidung fällen wollen, dann kann ich Ihnen nur raten, die Ausladung in eine Einladung umzuwandeln. Wir als DIE LINKE werden jedenfalls im Auftrag der GEW Herrn Pit Katzer einladen, an der Anhörung teilzunehmen. Ich bin sehr gespannt, ob Sie auch der GEW verbieten, dass dieser Experte zur Anhörung kommt.

(Beifall bei der LINKEN, der FDP und bei Dr. Walter Scheuerl CDU und Christa Goetsch GAL)

Das Wort bekommt Senator Rabe.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Vor rund 20 Jahren haben in Hamburg Eltern, Lehrerinnen und Lehrer gesagt, es muss doch einen Weg geben, um zu vermeiden, dass Schülerinnen und Schüler auf die Sonderschule abgeschoben werden, Schüler, die ein Down Syndrom haben, Schüler, die schwer sprachgestört sind, Schüler mit Lernbehinderungen oder Schülerinnen und Schüler, deren IQ in der Tat wir bei Forrest Gump nicht an den Durchschnitt heranreicht. In den Neunzigerjahren haben diese Eltern zusammen mit der Politik in Hamburgs Schulen eine solche Möglichkeit eröffnet. Wir waren damals in ganz Deutschland bewunderter Spitzenreiter. Heute wissen wir, das war richtig, denn Wissenschaftler haben inzwischen genau diese Frage untersucht. Sie haben drei Antworten gegeben auf die Frage, ob dies eigentlich vernünftig sei.

Erstens: Schülerinnen und Schüler, die eigentlich bisher an der Sonderschule waren, lernen sogar besser, wenn sie mit Schülerinnen und Schülern zusammen lernen, die durchaus durchschnittlich oder sogar hochbegabt sind. Sie lernen besser als auf der Sonderschule.

Zweitens: Die anderen Schülerinnen und Schüler lernen aber dadurch nicht schlechter, sie lernen genauso gut wie vorher.

Drittens: Sie lernen sogar in einem Aspekt besser – das möchte ich Ihnen, Herr Scheuerl, noch einmal ausdrücklich sagen –, nämlich beim sozialen Miteinander. Hier haben sie Kinder, um die sie sich kümmern müssen, auf die sie Rücksicht nehmen müssen und mit denen sie anders umgehen als mit normalen Gleichaltrigen. Also haben auch die Begabteren sehr große Vorteile davon – ich darf es so lax formulieren. Deshalb wissen wir heute, dass es richtig war.

Dieser Senat wird die große Aufgabe anpacken und die Regeln so aufstellen, dass der gemeinsame Unterricht in Zukunft an allen Hamburger Schulen möglich ist.

(Beifall bei der SPD)

Wenn wir diese Aufgabe jetzt anpacken wollen, dann spare ich mir einen Rückblick auf die letzten zehn Jahre und möchte lieber mit Ihnen gemeinsam schauen, wo wir augenblicklich stehen.

Dieses Haus hat sich in der letzten Legislaturperiode von ganz links bis ganz rechts einstimmig darauf geeinigt – das möchte ich gerade der CDU in Erinnerung rufen –, die allgemeinbildenden Schulen zu öffnen und den Schülerinnen und Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf zu sagen, dass sie willkommen sind und gut beschult werden. Diese richtige Entscheidung von damals gilt es in der neuen Legislaturperiode umzusetzen und sie nicht über Bord zu werfen. Das ist mein wichtigster Appell an dieses Haus: Lassen Sie uns gemeinsam das umsetzen, was wir in der letzten Legislaturperiode beschlossen haben. Jetzt ist es an der Zeit.

(Beifall bei der SPD)

Dabei sollten wir uns übrigens nicht bei unsinnigen Debatten verkämpfen; dieser kleine Schlenker sei mir gestattet.

Seit acht oder neun Jahren, vielleicht schon viel länger, ist es üblich, dass wir Expertenanhörungen im Schulausschuss durchführen. Es war immer ein ungeschriebenes und von allen respektiertes Gesetz, Experten einzuladen, aber nicht Experten in dem Sinne, dass jede Fraktion ihre Parteigänger, also Lehrer, benennt und sie dann alle aufeinander losgehen lässt, sondern Experten von Universitäten, von Verbänden und Gewerkschaften. Wir haben uns auch immer gemeinsam daran gehalten, Frau Heyenn, auch in der letzten Legislaturperiode. Ich war selbst Vorsitzender des Schulausschusses. Dieser Common Sense ist immer berücksichtigt worden.

Bevor Ihre Zwischenfrage kommt, die ich gern zulasse, Frau Heyenn, lassen Sie mich einen Punkt nennen, der die Zwischenfrage noch ein wenig modifizieren kann. Selbstverständlich können die von der FDP oder von der LINKEN nominierten Experten dort auftreten, aber nur wenn klar ist, für wen sie sprechen. Sie sprechen dort nicht als Behördenvertreter. Ich habe keine Lust, dass diese Hochpolitisierung der Behörde aus den letzten Jahren mit frischen Kräften fortgeführt wird und jede Fraktion ihre beliebigen Lehrer benennt, die sich dann alle dort verhauen. Wenn es dagegen die Möglichkeit gibt, dass die von Ihnen benannten Lehrer als Verbandsvertreter auftreten oder als Gewerkschaftsvertreter, dann können sie das gern. Das war immer Common Sense. Daran lasst uns arbeiten.

Es tut mir sehr leid, dass das Ganze so spät kommt, aber ich bin leider auch erst vor einem Tag mit dieser Frage von der Kanzlei konfrontiert worden. Deshalb sei mir dieser kurze Ausflug gestat

(Dora Heyenn)

tet. Ich denke, wir schaffen das, Aufregung ist hier fehl am Platze.

Jetzt Ihre Zwischenfrage.

(Glocke)

Ich merke schon, Sie beide können das fast ohne mich regeln. Jetzt kommt die Zwischenfrage von Frau Heyenn.

Erst einmal muss ich richtigstellen, dass Pit Katzer kein Parteigänger unserer Partei ist. Das weise ich zurück.

(Senator Ties Rabe: Akzeptiert!)

Der zweite Punkt ist, dass wir einen Namen genannt haben, aber daraus ging nicht hervor, in welcher Funktion. Ich verstehe Sie jetzt so, dass als Vertreter der Gewerkschaft GEW Pit Katzer durchaus als Experte teilnehmen kann. Ist das so richtig?

(Vizepräsidentin Dr. Eva Gümbel übernimmt den Vorsitz.)

Selbstverständlich. Dann haben wir das geklärt.

Wir bleiben bei der Frage, wie nun die Situation ist. Seit der Schulgesetzänderung ist Folgendes passiert: Man hat die Türen der allgemeinbildenden Schulen aufgerissen und den Schülern gesagt, dass sie, wenn sie bisher in der Sonderschule waren, zuhauf kommen könnten, um das einmal biblisch auszudrücken. Was machen nun die Schüler? Sie kommen tatsächlich, viermal so viele wie bisher. Darüber sollten wir uns eigentlich freuen, denn tatsächlich stellt sich heraus – da haben Sie recht, Frau Heyenn –, dass die Schulen auf diesen Ansturm nicht vorbereitet sind.

(Dora Heyenn DIE LINKE: Richtig!)

In den Schulen sind nämlich die Ressourcen in den letzten zehn Jahren eher nach dem Motto vergeben worden, dass die Schule, die so etwas gerade macht, ein paar Ressourcen bekommt, eine andere auch etwas bekommt, aber weitere zehn dann wieder nicht. Aber die Kinder interessiert es gar nicht, woher die Ressourcen kommen, sie klopfen da an, wo sie wohnen. Nun haben die einen riesiges Glück, weil sie in eine Schule kommen, die dies seit zehn Jahren macht und viel Personal an Bord hat. Die anderen dagegen klopfen an einer Schultür an und dort ist niemand, der sich mit ihnen beschäftigt und auch keine Erfahrung damit hat. Deswegen ist es jetzt unsere Aufgabe, für ein vernünftiges System zu sorgen, damit die Lehrerinnen und Lehrer, die diesen Bereich beherrschen, auch dort sind, wo die Schüler sind, und

nicht zufällig irgendwo, wohin die vorigen Regierungen sie einmal geschickt hatten. Dieses Konzept müssen wir jetzt auf den Weg bringen.

In einem ersten Schritt haben wir schon gehandelt, denn wir haben gesehen, welche Not an den Schulen herrscht. Deswegen hat diese Regierung 5 Millionen Euro in über 100 Stellen investiert, um zu helfen. Das war ein erster Schritt und das ist aller Ehren wert. Kein anderes Bundesland hat solche Ressourcen zur Verfügung gestellt, gerade für den Bereich Inklusion. Das zeigt, wie wichtig es uns ist. Deswegen war uns diese Sache 5 Millionen Euro und über 100 Stellen wert. Das kann man ruhig einmal anerkennen.

(Beifall bei der SPD)

Aber damit sind wir nicht am Ende. Jetzt müssen wir ein Konzept erarbeiten. Es tut mir leid, dass diese Debatte so früh stattfindet, aber wir hatten uns, auch in der Behörde, darauf verständigt, Ende November Eckpunkte zu präsentieren. Ich will aber trotzdem ein paar Punkte nennen, die mir wichtig sind bei einem zukünftigen Konzept.

Erster Punkt: Ich stehe zu dem Schulfrieden hier im Hause, weil ich gern alle mitnehmen möchte. Das bedeutet, dass ich das Wahlrecht der Eltern, die, wenn sie wollen, auch noch die Sonderschule wählen können, nicht anrühre. Selbstverständlich bedeutet dies, dass Eltern, wenn sie wollen, ihre Kinder auch auf die Sonder- und Förderschulen schicken können. Dieses Wahlrecht ist der eine Eckpunkt, der bleibt.

Der nächste Eckpunkt: In Zukunft müssen die zusätzlichen Lehrer, die man dafür braucht, dort sein, wo die Kinder sind, und nicht zufällig dort, wohin die bisherigen Regierungen sie einmal verteilt haben. Das bedeutet jedoch, dass wir gemeinsam mutig sein müssen und umverteilen. Ich kann natürlich nachvollziehen, dass dort, wo jetzt sehr viele Lehrer sind, gesagt wird, dieses hohe Niveau – ich übertreibe ein wenig, drei Lehrer auf drei Schüler – müsse jetzt auf ganz Hamburg bezogen werden. Aber wer so denkt, fährt die Inklusion an die Wand, weil wir auch schauen müssen, wie wir dies unter den bisherigen Gegebenheiten schaffen. Deswegen gilt es hier, fair zu verteilen, und zwar dorthin, wo die Kinder sind. Das werden wir sicherstellen.

Wir werden noch etwas sicherstellen. In den nächsten Jahren kommen immer mehr Kinder, die von den Förderschulen weggehen hin zu den allgemeinbildenden Schulen. Deswegen müssen wir dafür sorgen, dass auch in Zukunft genügend Ressourcen vorhanden sind. Das ist nicht so leicht, denn in den Sonderschulen braucht man zwar weniger Lehrer, aber diese Menge reicht nicht, um den Aufwuchs an den allgemeinbildenden Schulen sicherzustellen. Also brauchen wir ein System, das nicht nur morgen funktioniert, sondern in den näch

(Senator Ties Rabe)

sten drei Jahren ein zukunftssicheres System darstellt.

Nächster Punkt: Ich wünsche mir dabei eine gemeinsame Kraftanstrengung, die jedoch schwierig werden wird. Ich sage noch einmal ganz klar, dass wir 5 Millionen Euro zusätzlich investiert haben, aber jetzt müssen wir auch versuchen, dies durch Umschichtung im System so zu gestalten, dass es bei den Kindern optimal ankommt. Umschichtung heißt, dass mehr als die 5 Millionen Euro obendrauf unter den gegebenen Rahmenbedingungen schlicht nicht vermittelbar sind. Wir haben viele Probleme in der Stadt zu bewältigen und müssen schauen, wie wir das schaffen. Ich bin aber sehr zuversichtlich und komme hiermit zu einem der letzten Eckpunkte.

Ich verspreche, dass wir ein Förderkonzept auflegen, das in den Ressourcen über all das hinausgeht, was alle anderen westdeutschen Bundesländer für notwendig halten. Wir haben in dem Gutachten gelesen, dass es für ein Kind, das zusätzlich in der Klasse sei, vernünftig sei, eine Doppelbesetzung des Unterrichts im Umfang von drei bis sechs Stunden zu organisieren. So lautet die Meinung der Gutachter. Die meisten Bundesländer sagen, das sei die Obergrenze, wenn die Wissenschaftler drei bis sechs Stunden sagten, dann würden sie dies als zwei bis vier Stunden interpretieren. Wir hingegen werden das als Vorgabe nehmen und in unser Inklusionskonzept mit einarbeiten.

Was ist eigentlich mit dem bisherigen System? Die bisherigen Sonderschulen fürchten um ihre Zukunft, ihnen brechen die Schüler weg. Hier müssen wir in der Tat ansetzen und eine neue Form schaffen, die diesen Schulen eine Zukunft gibt, aber die auch respektiert, dass es nicht mehr so viele Schulen sein können. Das bedeutet selbstverständlich, dass es noch welche geben wird, aber nicht mehr wie jetzt 40, sondern mit Sicherheit deutlich weniger. So ein System müssen wir auch auf den Weg bringen, und ich wünsche mir dabei eine Zusammenarbeit der Förderschulen und der sogenannten REBUS-Beratungsstellen, denn sie haben ähnliche Kompetenzen und können in diesem Zusammenhang sicherlich ein stabiler Faktor sein.

Zum guten Schluss: Es muss sanft starten. Rin in de Kartüffeln, rut ut de Kartüffeln haben wir schon mehrfach gehabt. Ich würde gern einen Übergang erreichen, der nichts zerstört, was im Moment funktioniert. Das heißt, das System soll in Zukunft langsam von unten hochwachsen. Was jetzt da ist, wird dadurch nicht tangiert.

Ich denke, das sind vernünftige Eckpunkte. Ich habe sie mir nicht ausgedacht, sie gehen aus dem hervor, was wir gemeinsam in der letzten Legislaturperiode beschlossen haben. Ich wünsche mir sehr, dass wir dies ernst nehmen, was wir damals

gemacht haben, und dass wir es tatsächlich schaffen, diesen schwierigen Prozess weiterzugehen. Ich weiß, dass es schwierig ist, aber in den Neunzigerjahren hat man für unmöglich gehalten, was sich damals ein paar angeblich Verrückte ausgedacht haben. Sonderschüler an allgemeinbildenden Schulen, wie kann das klappen, hieß es damals. Aber es hat geklappt. Ich denke, diesen Optimismus sollten wir auch haben, wenn wir an diese Sache herangehen. Die Probleme sind lösbar und ich wünsche mir, dass wir uns bei den weitergehenden Beratungen und Anhörungen genau darum kümmern und unseren Konsens fortsetzen. – Vielen Dank, meine Damen und Herren.

(Lang anhaltender Beifall bei der SPD)

Die Abgeordnete Frau von Berg hat das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich möchte kurz auf einige Punkte eingehen. Es geht nämlich um das Kindeswohl, das hier immer wie eine Monstranz vor sich her getragen wird. Es wird gesagt, dass die Sonderschulen unbedingt da sein müssten, damit das Kindeswohl nicht gefährdet sei. Deshalb müssen wir einmal gemeinsam den Begriff Kindeswohl definieren. Wer sich mit dem Thema auskennt, weiß, dass Kindeswohlgefährdung wirklich etwas damit zu tun hat, dass Leib und Leben gefährdet sind.

Auf einen zweiten Punkt möchte ich deutlich hinweisen – das hat auch Herr Rabe richtig gesagt –, nämlich dass die Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf mehr und besser in den allgemeinen Schulen lernen. Deswegen ist dieses Kinderrecht auch so wichtig. Dies wurde durch verschiedene Studien nachgewiesen.

Frau von Treuenfels hat ein Zitat von mir gebracht; ich hätte gesagt, dass in der letzten Legislaturperiode das Konzept nicht vorgelegen habe. Das Zitat ist nicht von mir, sondern aus der Antwort der Behörde. Nicht, dass jemand denkt, ich würde meiner Vorgängerin vorwerfen, sie habe kein Konzept vorgelegt.

Frau von Treuenfels hat gesagt, dass wir alle Sonderschulen vorhalten müssten, damit diese heterogenen Kinder auch richtig gebildet werden können. Das ist ein falscher Schluss aus der Heterogenität von Kindern. Nicht die Kinder müssen sich der Schule anpassen, sondern die Schule passt sich dem Kind an. Das müssen wir gemeinsam stemmen, das ist sehr wichtig.

(Beifall bei der GAL und der LINKEN und vereinzelt bei der SPD)