Protocol of the Session on September 28, 2011

Den Antrag der GAL lehnt die SPD-Fraktion daher ab. – Danke.

(Beifall bei der SPD)

Das Wort hat Herr Dr. Scheuerl.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Lieber Herr Senator Rabe, die Aktuelle Stunde hat heute gezeigt, ebenso wie der Beitrag meiner Vorrednerin von der SPD, dass hier drinnen anfängt zu gelten, was auch draußen in Hamburgs Wiesen und Wäldern gilt: Die Schonzeit für Rotwild ist vorbei, denn die geht nur von Februar bis Juli.

(Beifall bei der CDU)

Wir unterstützen den Antrag der GAL, liebe Frau Dr. von Berg, vielleicht aber nicht ganz aus denselben Gründen. Fakt ist aber immerhin eines, nämlich dass der Antrag den Finger dort in die Wunde legt, wo er hingehört, und zwar in die verschleppende Schulpolitik, die wir seit Amtsantritt von Herrn Senator Rabe erlebt haben.

(Beifall bei der CDU)

Herr Senator Rabe hat gemeinsam mit seinem Pressesprecher – beide haben langjährige journalistische Berufserfahrung – die Schonzeit von Februar bis Juli vor allem für blumige Schlagzeilen genutzt. Da hieß es einmal, wir würden 600 neue Lehrer bekommen; das war heiße Luft, wir bekommen nur 300. Dann hieß es, die Grundschulen würden alle Ganztagsschulen; das war eine schicke Schlagzeile, aber auch nur heiße Luft, weil es nur um Hortbetreuung am Nachmittag ging. Ordentliche Schulpolitik sieht anders aus, Herr Rabe.

(Beifall bei der CDU)

Ordentliche Schulpolitik – es wurde attestiert im Bildungsbericht 2011 – ist die Schulpolitik der CDU bis 2008. Sie hat dazu geführt, dass wir jedes Jahr weniger Schulabbrecher haben und jedes Jahr mehr Abiturienten. Mit Blick auf die vier Versuchsschulen, die auch als Starterschulen schon das Jahr davor Primarschule gespielt haben, bedeutet das Folgendes – ich gebe ganz kurz einen Blick zurück.

Beim Volksentscheid 2010 scheiterten die Primarschulpläne. Es haben dann einige von den Ideen der Reformpädagogik beseelte Eltern und Lehrkräfte gesagt, sie wollten trotzdem ihre Primarschule haben und sie wollten jetzt einen Schulversuch machen. Das ist soweit in Ordnung. Wir haben bei der Volksinitiative im Rahmen der Verhandlungen mit Schwarz-Grün im Januar 2010 auch gesagt, dass es natürlich Schulversuche geben könne, aber sie müssten im Interesse der Kinder – und um die geht es hier – evaluiert und begleitet werden. Schulversuche müssen begleitet und überprüft werden. Sie können nicht bedeuten, Millionen von Euro auszugeben unter Verletzung des Gebots der Kostenneutralität von Schulversuchen. Es bedeutet nicht, Millionen von Euro dafür

(Ulrike Hanneken-Deckert)

auszugeben, dass auf ideologischen Spielwiesen Experimente gemacht werden mit real existierenden Kindern, die niemand begleitet.

(Beifall bei Robert Heinemann und Roland Heintze, beide CDU)

Wir wissen schon heute – wir haben eine Reihe von Schriftlichen Kleinen Anfragen und Untersuchungen gehabt –, was in diesen vier Versuchsschulen los ist. Es werden weniger Gymnasialempfehlungen erreicht als in den Nachbarschulen im selben Stadtteil. Migrantenkinder werden durch die neuen Lernformen überwiegend benachteiligt, weil sie nämlich nicht den ständigen Sprachkontakt mit ihrer Grundschullehrerin haben, sondern mit Lernprogrammen und Lernblättern allein gelassen werden und weniger Deutsch lernen.

Zum Sommer 2011 hat in den Starterschulen – und diese vier Versuchsschulen gehören dazu – fast die Hälfte der Eltern, die ihre Kinder dort in Klasse 4 hatten, die Kinder abgemeldet. Das heißt, die Eltern selbst wollen diese Schulversuche eigentlich gar nicht. Und viel besorgniserregender ist, dass wir nach den Sommerferien von diversen Eltern in Klasse 5 – die Kinder in den Starterschulen waren schon im letzten Jahr in Klasse 5 – erfahren haben, dass diese Kinder dramatische Lernstandsnachteile im Vergleich zu den Mitschülern älterer Geschwister in den Klassen 5 an den Stadtteilschulen und Gymnasien haben.

Fakt ist, Herr Rabe, dass diese Schulversuche nach dem Schulgesetz – darauf hat Frau Dr. von Berg zutreffend hingewiesen – fachlich evaluiert werden müssen, und zwar von der ersten bis zur sechsten Klasse und darüber hinaus, denn die Kinder, die jetzt in den Starterschulen in Klasse 6 sind, werden das böse Erwachen erst nach den nächsten Sommerferien haben, wenn sie auf die richtigen Schulen, die Stadtteilschulen und Gymnasien, kommen.

Herr Senator Rabe, wir fordern Sie auf, diesen Antrag zu nutzen und dafür zu sorgen, dass schleunigst geschaut wird, was in diesen Schulen passiert mit den Kindern von Klasse 1 bis Klasse 6. Sorgen Sie für eine echte Überprüfung. Deswegen appellieren wir an Sie, dem Antrag zuzustimmen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Frau von Treuenfels hat das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich kann es sehr kurz machen. Abseits der Frage, ob wir für längeres gemeinsames Lernen sind – ich denke, diese Frage stellt sich hier gar nicht –, geht es nur darum, das Schulgesetz umzusetzen und einen Schulversuch zu evaluieren. Darauf haben

sowohl die Kinder ein großes Anrecht als auch deren Eltern.

(Beifall bei der FDP)

Wir stimmen deshalb diesem Antrag zu, ohne Wenn und Aber. Es geht hier nicht um Vergangenheitsbewältigung und auch, liebe SPD, gar nicht darum, irgendwelche Schulfrieden oder Streitereien wieder anzuführen. Ich weiß nicht, ob Ihnen entgangen ist, dass sowohl die CDU als auch die GAL und die FDP diesem Antrag zustimmen. Es geht nicht um Streitereien, es geht nur um die Durchsetzung des Schulgesetzes. Darum bitten wir Sie und deswegen stimmen wir auch diesem Antrag zu. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der CDU)

Danke schön. – Frau Heyenn hat das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wie wichtig Schulversuche sind, hat der gestrige zweite Bildungsbericht für Hamburg gezeigt. Darin heißt es wörtlich auf Seite 22:

"In Hamburg (…) hat ein Kind von Eltern aus der oberen Dienstklasse bei gleicher Lesekompetenz eine 2,6-mal so hohe Chance, eine Gymnasialempfehlung zu bekommen, wie ein Kind, dessen Eltern Facharbeiter oder Arbeiter mit Leitungsfunktionen sind."

Das Traurige ist, dass es durch eine vom Gesetzgeber abweichende Interpretation nach einem mühsamen Kompromiss aller Parteien in diesem Hause, das Schulgesetz zu novellieren, an den Hamburger Schulen wieder Gymnasialempfehlungen gibt nach der vierten Klasse. Das ist ein Rückschritt, und den haben wir der CDU und der SPD zu verdanken. Das manifestiert die soziale Spaltung in unserem Bildungswesen.

Ständig zu beklagen, dass es eine zu enge Kopplung von Schulerfolg oder Misserfolg mit dem sozialen Hintergrund gibt, hilft nicht weiter. Es muss etwas dagegen getan werden. Ganztagsschulen, vor allem die in einer Billigversion, sind kein Allheilmittel. Diese vier Schulversuche – da muss ich Ihnen widersprechen, Frau von Berg, von 400 Grundschulen sind es vier – können nur einen kleinen Beitrag leisten, mit dieser Problematik besser umzugehen. Sie können auch, wenn sie dann wissenschaftlich begleitet werden vom ersten Tag an, Perspektiven für die Zukunft bieten, wie man dieses Problem löst.

Deswegen haben wir von der LINKEN auch diesem merkwürdigen Schulfrieden überhaupt nicht zugestimmt, weil wir uns offen halten wollen für eventuelle neue Erkenntnisse. Wenn sich heraus

(Dr. Walter Scheuerl)

stellt, dass wir einen anderen Weg gehen müssen, um Bildungsgerechtigkeit herzustellen, dann werden wir ihn beantragen, egal, ob die zehn Jahre vorbei sind oder nicht. In diesem Zusammenhang vom Dreißigjährigen Krieg zu sprechen, finde ich total daneben.

Das Problem ist, dass diese vier Schulversuche gegenwärtig nicht wissenschaftlich begleitet werden und das, obwohl in einer Schulausschusssitzung im Januar 2011 beschlossen wurde, dass dies umgehend zu funktionieren habe. Das haben damals auch der CDU-Minderheitensenat und der damalige Bildungssenator Wersich auf den Weg gebracht. Sie haben auch das ZUSE-Institut dazu gebracht, ein Design zu entwickeln, wie eine Evaluation vonstatten gehen muss.

Die Vorredner, Frau von Berg und Herr Scheuerl – da sind wir uns ausnahmsweise einmal einig, Herr Scheuerl – haben darauf hingewiesen, dass die Begleitung eines Schulversuchs von der ersten Minute an geschehen muss, weil man sonst überhaupt keine Auswertung machen kann. Der Zwischenruf von Herrn Heinemann, dass man auch eine nachträgliche Evaluation machen könne, zeigt ziemlich deutlich, dass es dann völlig am Problem vorbeigeht.

Wir wollen doch alle in dieser Stadt wissen, ob es diesen Zusammenhang gibt zwischen längerem gemeinsamen Lernen, mehr Bildungsgerechtigkeit und mehr Zugang zu allen Bildungsformen, unabhängig vom Elternhaus oder nicht.

Deshalb ist es sehr wichtig, dass die Evaluation jetzt sofort beginnt. Man kann natürlich sagen, der Senator ist noch nicht so lange im Amt, es hat Anlaufschwierigkeiten und Starterprobleme gegeben. Aber nun haben wir September und der Senat muss sehen, dass dort etwas in die Gänge kommt. Wir wollen die Evaluation auf jeden Fall und deshalb unterstützen auch wir von der LINKEN den Antrag der GAL.

(Beifall bei der LINKEN und bei Christa Goetsch GAL)

Frau Dr. von Berg.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Auch wenn ich schon wieder Zwischenrufe höre, es sei doch schon alles gesagt worden, möchte ich doch sagen, dass es ein historisches Ereignis ist, dass Herr Scheuerl und ich einer Meinung sind. Ich glaube, das gab es noch gar nicht. Eigentlich müsste man hinterher einen Kaffee darauf trinken.

Ich möchte jedoch auf das Verhalten der SPD eingehen, denn ich finde es wirklich feige.

(Robert Heinemann CDU: Arroganz der Macht!)

Es ist vielleicht die Arroganz der Macht. Ich weiß nicht, was die SPD in diesem Punkt reitet.

Es geht um nichts anderes als darum, dem Schulgesetz Genüge zu tun. Die SPD hat in ihrer Argumentation letztendlich alte Konflikte bemüht, um Vergangenheitsbewältigung zu betreiben, und schippert damit an dieser Debatte vorbei. Was das Verhalten der SPD und die Schulpolitik von Herrn Rabe auch zeigen, ist, dass es nicht der Blick nach vorn ist, der in der Schulpolitik eine Rolle spielt. Es sind keine Visionen für eine neue Schule, es geht nur darum, den Deckel darauf zu halten, Schulfrieden um jeden Preis zu haben, immer nur über die Probleme zu jammern, statt einmal visionär in die Zukunft zu schauen.

Diese vier Schulen können dazu einen Beitrag leisten. Aber das ist anscheinend nicht das, was Herr Rabe im Schilde führt. – Vielen Dank.

(Beifall bei der GAL und vereinzelt bei der LINKEN)

Danke schön. – Wenn keine weiteren Wortmeldungen mehr vorliegen, kommen wir zur Abstimmung.

Wer dem Antrag der GAL–Fraktion aus Drucksache 20/1557 seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen? – Die Gegenprobe. – Enthaltungen? – Der Antrag ist mit Mehrheit abgelehnt.

Meine Damen und Herren! Wir kommen zu den Tagesordnungspunkten 26, 5 und 21, Antrag der FDP-Fraktion: Hilfen zur Erziehung - Schwerpunktsetzung und Evaluation; Große Anfrage der GAL-Fraktion: Sozialpolitischer Rückschritt bei der SPD: Will der Senat den Rechtsanspruch auf individuelle Hilfen zur Erziehung abschaffen und das Kinder- und Jugendhilferecht aushöhlen? und Antrag der CDU-Fraktion: Begrenzung des Ausgabenanstiegs bei den Hilfen zur Erziehung entschlossen voranbringen.

[Antrag der FDP-Fraktion: Hilfen zur Erziehung – Schwerpunktsetzung und Evaluation – Drs 20/1583 –]

[Große Anfrage der GAL-Fraktion: Sozialpolitischer Rückschritt bei der SPD: Will der Senat den Rechtsanspruch auf individuelle Hilfen zur Erziehung abschaffen und das Kinder- und Jugendhilferecht aushöhlen? – Drs 20/1280 –]