Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte insbesondere die Fraktion der LINKEN und der GAL daran erinnern, was Manfred Braasch, Geschäftsführer des BUND und außerdem einer der Mitinitiatoren des Volksbegehrens "UNSER HAMBURG – UNSER NETZ", in einem Interview im Juni noch vor dem Volksbegehren gesagt hat:
Auch wenn diese Stimmen alle wirksam sind, heißt das, dass Sie nicht einmal die Stimmen der GAL und der LINKEN zusammengenommen bekommen haben. Sie haben die Macht nicht, die Machtfrage ist nicht in Ihrem Sinne beantwortet, akzeptieren Sie das. – Vielen Dank.
Wer den Antrag der GAL-Fraktion aus Drucksache 20/1405 annehmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Gegenprobe. – Enthaltungen? – Das ist mit großer Mehrheit abgelehnt.
Wir kommen zum Punkt 7 der Tagesordnung, Drucksache 20/1052, der Großen Anfrage der FDP-Fraktion: Situation des Jugendstrafvollzugs in Hamburg.
Diese Drucksache möchte die FDP-Fraktion an den Ausschuss für Justiz, Datenschutz und Gleichstellung überweisen. Wird das Wort gewünscht? – Frau Kaesbach, bitte.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom 31. Mai 2006 die Landesparlamente hinsichtlich der künftigen gesetzlichen Ausgestaltung des Jugendstrafvollzugs verpflichtet – ich zitiere –:
"Er muss jedoch durch gesetzliche Festlegung hinreichend konkretisierter Vorgaben Sorge dafür tragen, dass für allgemein als erfolgsnotwendig anerkannte Vollzugsbedingungen und Maßnahmen die erforderliche Ausstattung mit den personellen und finanziellen Mitteln kontinuierlich gesichert ist."
Hauptgesichtspunkte sind hierbei laut Bundesverfassungsgericht die Bereitstellung ausreichender Bildungs- und Ausbildungsmöglichkeiten, geeignete Formen der Unterbringung und Betreuung sowie angemessene Hilfen für die Entlassungsvorbereitung. Darüber hinaus hat das höchste deutsche Gericht den Parlamenten die Verpflichtung zur Beobachtung und, nach Maßgabe der Beobachtungsergebnisse, zur Nachbesserung aufgegeben.
Meine Damen und Herren! Leitbild für den Jugendstrafvollzug ist der Erziehungsauftrag. Weiterhin muss der Gefangene befähigt werden, künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen. Der Staat muss aber auch sicherstellen, dass die Allgemeinheit vor weiteren Straftaten geschützt ist. Dieses Spannungsfeld stellt sowohl Justizbehörde als auch Politiker vor eine große Herausforderung. Ziel unserer großen Anfrage zur Situation des Jugendstrafvollzugs in Hamburg war eine Bestandsaufnahme nach circa zwei Jahren
Gesetzesvollzug. In einigen Bereichen bewerten wir Liberale das neue Gesetz und seine Anwendung in der Jugendhaftanstalt Hahnöfersand sehr positiv. Bestimmte Sachstände werfen jedoch Fragen auf.
Der Anteil des offenen Vollzugs hat auch im Bereich des Jugendstrafvollzugs zugenommen; hier einige Zahlen. Die durchschnittliche Belegung im offenen Vollzug betrug im Jahr 2007 noch sieben, vom Januar bis zum 15. Juli 2011 bereits 13 Plätze. Das ist für die erste Hälfte dieses Jahres eine Steigerung um 200 Prozent. Lockerungen werden sowohl im offenen als auch im geschlossenen Vollzug seit Inkrafttreten des neuen Hamburgischen Jugendstrafvollzugsgesetzes deutlich häufiger vorgenommen. Beispielsweise wurden noch im Jahr 2009 291 Ausgänge vorgenommen, im Jahr 2010 waren es 746 und im ersten Halbjahr dieses Jahres haben bereits 642 Ausgänge stattgefunden. Ähnliche Steigerungen sind für die Freistellung für einen durchschnittlichen Zeitraum von zwei Tagen zu konstatieren.
Offene Fragen stellen sich für uns Liberale vor allem in den Bereichen Behandlungsmaßnahmen, Disziplinarmaßnahmen, Gesundheitskosten, Qualifizierung des Personals im Jugendstrafvollzug und bezüglich der Evaluation. Aus der Antwort des Senats auf unsere Anfrage konnte ich die einzelnen Behandlungsmaßnahmen entnehmen. Ich liste hier einige Beispiele zur Verdeutlichung auf: Es findet eine Entspannungsgruppe mit dem Ziel des Stressabbaus statt, weiter eine Akupunkturgruppe zur Suchtminderung, soziales Training mit dem Ziel der Aufarbeitung von sozialen Verhaltensdefiziten. Allerdings wurde diese Maßnahme, das soziale Training, in diesem Jahr zumindest bis zum 15. Juli nicht angeboten, weil die dafür zuständigen Mitarbeiter ausgefallen sind.
Dies war nur ein kleiner Ausschnitt der Behandlungsmaßnahmen, deren Angebotsvielfalt wir aber begrüßen. Es stellt sich hier nur die Frage, wie die Zielerreichung, nämlich die Wiedereingliederung der jugendlichen Häftlinge in die Gesellschaft, sichergestellt werden kann. Meiner Ansicht nach kann es nicht sein, dass keine Datenbasis hinsichtlich der Teilnahme an den Maßnahmen vorliegt.
Für uns Liberale ist es unabdingbar, dass zeitnah die einzelnen Behandlungsmaßnahmen hinsichtlich ihrer Wirksamkeit wissenschaftlich evaluiert werden. Laut der Großen Anfrage findet dies derzeit nur für das Trainingsprogramm "CAN Stop" statt beziehungsweise beteiligt Hamburg sich an einer bundesweiten Evaluation. Bei dem Trainingsprogramm "CAN Stop" handelt es sich um ein Rückfall-Präventionstraining für Jugendliche und Heranwachsende mit einem problematischen Cannabiskonsum. Hierüber würde ich gern im Justizausschuss mehr erfahren.
Die Antwort zur Großen Anfrage weist außerdem einen deutlichen Anstieg der Disziplinarmaßnahmen aus. Hier stellt sich natürlich die Frage, worin dieser Anstieg begründet ist. So wurde noch im Jahr 2009 19-mal vom erzieherischen Gespräch Gebrauch gemacht, während diese Maßnahme im Jahr 2010 bereits 55-mal und im ersten Halbjahr dieses Jahres 35-mal durchgeführt wurde. Das Verbot der Teilnahme an einer Stationsaktivität wurde im Jahr 2009 einmal, im Jahr 2010 zehnmal und von Januar bis Juli 2011 elfmal ausgesprochen. Wie leicht erkennbar ist, ist das ein deutlicher Anstieg.
Auch bei dem starken Anstieg der Gesundheitskosten beziehungsweise der Behandlungsmaßnahmen in allen Bereichen des Jugendstrafvollzugs seit 2010 haben wir Liberale Nachfragebedarf. Betrugen die Ausgaben für den Medizinischen Dienst und Sachleistungen im Jahr 2009 noch gut 80 000 Euro, waren es in 2010 schon gut 108 000 Euro. Bei den Arzneimitteln ist eine noch erheblichere Steigerung auszumachen. Wurden hierfür im Jahr 2009 noch 3335 Euro ausgegeben, so beliefen sich die Kosten im Jahr 2010 auf 12 763 Euro und im ersten Halbjahr dieses Jahres bereits auf 10 620 Euro. Diese Kostensteigerungen bedürfen natürlich der näheren Klärung.
Eine Grundvoraussetzung für einen funktionierenden Jugendstrafvollzug, der den Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts gerecht wird, ist gut qualifiziertes Personal. Aus diesem Grund sehen wir Liberale die negative Entwicklung bei der Jahresstundenzahl, bei der Aus- und Fortbildung, insbesondere bei den internen Angeboten von 2010 auf 2011, sehr kritisch. Betrug die Jahresstundenzahl der Aus- und Fortbildung im Jahr 2010 noch 2320 Stunden, so waren es im ersten Halbjahr 2011 nur noch 528 Stunden. Hier muss man im Fachausschuss noch einmal der Frage nachgehen, worauf der Rückgang begründet ist.
Meine Damen und Herren! Wir Liberale sind der Auffassung, dass sich die Bürgerschaft auch weiterhin aktiv mit der Situation des Jugendstrafvollzugs befassen muss. Hierzu verpflichtet uns schon das Bundesverfassungsgericht. Aus diesem Grunde möchte ich kritisch anmerken, dass der Verzicht der Aufnahme einer jährlichen Berichtspflicht des Senats gegenüber der Bürgerschaft in das Hamburgische Jugendstrafvollzugsgesetz, wie es andere Bundesländer sehr wohl vorsehen, eine vertane Chance darstellt.
Ich hoffe aber, dass auch zukünftig im überfraktionellen Wege der Selbstbefassung eine regelmäßige Begleitung der Situation des Jugendstrafvollzugs im Justizausschuss möglich sein wird. Beispielsweise könnte ich mir auch eine externe Sitzung des Justizausschusses beziehungsweise
Wir beantragen eine Überweisung der Drucksache an den Justizausschuss, damit sich die Fachpolitiker aller Fraktionen mit den offenen Fragen der Antwort auf unsere Große Anfrage befassen können. – Vielen Dank.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Das zur Debatte angemeldete Thema ist recht allgemein formuliert. Gleichwohl ist es sehr wichtig und auch wir Sozialdemokraten nehmen es sehr ernst.
Ich sage noch etwas zum Hintergrund. Ich bin froh, dass wir über das jetzige Gesetz reden und wir uns nicht mehr in Zeiten der justizpolitischen Finsternis wie unter Roger Kusch und Ronald Schill bewegen.
Das war eine Zeit, in der man sehr wenig über den Begriff der Resozialisierung gesprochen hat. Das Bundesverfassungsgericht jedoch fordert, dass sie im Mittelpunkt stehen muss. Es herrschte damals auch eine andere politische Überzeugung, nämlich dass der Fokus der politischen Ausrichtung nicht auf der Resozialisierung liegen sollte. Es folgte dann das Bundesverfassungsgerichtsurteil, das Sie zitiert haben, Frau Kollegin Kaesbach, aus dem Jahre 2006, in dem das, was wir alle sicherlich begrüßen, gefordert wurde, nämlich dass der Jugendstrafvollzug endlich eine gesetzliche Grundlage bekommt. Die hatte er bis dahin nämlich nicht. Wir waren dann in dem Stadium, in dem wir aufgrund der Föderalismuskommission schließlich den Strafvollzug auch auf Länderebene gesetzlich zu regeln hatten.
Dann war leider die damalige CDU-Alleinregierung nicht klug genug, darauf zu schauen, dass wir einen einigermaßen einheitlichen Jugendstrafvollzug in Deutschland bekommen. Es gab damals einen sogenannten Neuner-Entwurf; daran waren auch SPD-Regierungen beteiligt und CDU-Regierungen sowieso. An diesem Neuner-Entwurf hatte sich der damalige CDU-Senat leider nicht beteiligt. Dann hat er es unter der schwarz-grünen Regierung korrigiert. Und da gehe ich darauf ein, was Sie sagten, Frau Kollegin Kaesbach. Der Anstieg des offenen Vollzugs liegt unter anderem auch daran, dass der offene Vollzug in diesem neuen, von Schwarz-Grün beschlossenen Gesetz, das sich an dem Neuner-Entwurf orientiert hat, einen anderen Stellenwert bekommen hat. Der offene Vollzug sollte nämlich gleichrangig mit dem ge
Ja, aber es erklärt sich sicher auch damit, dass sich seit dem Jahre 2009 die Rechtslage schlicht und einfach geändert hat.
Die Grundlage war der Neuner-Entwurf. Dieses Fundament schien auch der SPD damals ausreichend, um dem Strafvollzugsgesetz, über das wir gerade sprechen, und dessen Anwendung zuzustimmen.
Ich komme zu Ihrer Anfrage, Frau Kollegin Kaesbach. Grundsätzlich begrüßen wir es natürlich, dass wir uns als Parlament die Forderungen des Bundesverfassungsgerichts anschauen und sehen, wie dieses Gesetz dann in der Praxis umgesetzt wird. Wir kommen deshalb auch Ihrer Forderung nach – das kann ich an dieser Stelle schon sagen –, uns damit im Justizausschuss weiter zu befassen, und werden dementsprechend einer Überweisung zustimmen.
Dies scheint aus meiner Sicht umso notwendiger, weil man manchmal den Eindruck hatte – jedenfalls bei Ihren Presseäußerungen –, dass die Schlussfolgerungen, die Sie daraus abgeleitet haben, nicht unbedingt zwingend sind. Einerseits begrüßen Sie die Liberalisierung des Gesetzes im Vergleich zur Vergangenheit, andererseits stellen Sie dem gegenüber die angestiegenen Disziplinarmaßnahmen. Ich weiß nicht, ob Sie da einen Zusammenhang konstruieren wollen. Das sollten wir im Justizausschuss aufklären. Die Antwort auf Ihre Große Anfrage ist immerhin 22 Seiten lang. Ich denke, hier ist jetzt nicht der Ort, um auf jede Facette dieses so wichtigen Themas einzugehen.
Ich möchte abschließend noch ein paar Worte zu den Eckpfeilern sagen, die für uns Sozialdemokraten im Jugendstrafvollzug wichtig sind. Wir wollen gleiche Chancen für alle Kinder und Jugendlichen, wir wollen keinen zurücklassen. Das fängt für uns bei der Bekämpfung der Ursachen von Jugendgewalt an und hört beim Jugendstrafvollzug nicht auf. Der Senat arbeitet daran, diesen gesetzlichen Paradigmenwechsel umzusetzen, und wir als SPD-Fraktion unterstützen das.
Die speziellen Bedürfnisse der Jugendarbeit sollen bei der Umsetzung der allgemeinen Empfehlungen der Fachkommission Resozialisierung, die im Moment dabei ist, ihre Arbeit langsam zu beenden, berücksichtigt werden. Ein besonderer Fokus der Arbeit im Jugendstrafvollzug liegt aber bei der Ausbildung und der Qualifikation sowie dem Übergangsmanagement.
Der Überweisung an den Ausschuss stimmen wir zu und freuen uns auf die anstehende Fachdebatte mit Ihnen. – Herzlichen Dank.