Protocol of the Session on December 16, 2010

(Beifall bei der CDU)

Es ist ganz klar, dass Armut sich nicht verfestigen darf. Große Sorge bereiten natürlich Transferleistungsbezieher in zweiter und dritter Generation und deswegen finde ich es sinnvoll, dass in diesem Zusammenhang das Bildungspaket diskutiert wird. Ich möchte noch einmal ausdrücklich betonen, dass wir hier die Leistungen um 5 Euro erhöhen.

(Wolfgang Joithe-von Krosigk [DIE LINKE]: Das ist zynisch! – Christiane Schneider DIE LINKE: Toll!)

Man hat den Eindruck, wir würden den Menschen etwas wegnehmen. Um einmal die Dimensionen klarzumachen: 5 Euro zusätzlich bedeuten – das hat nichts mit zynisch zu tun – über 400 Millionen Euro Mehrausgaben im Bundesetat. Auch das Bildungspaket kostet 740 Millionen Euro, die Leistung folgt hier dem Kind und es wird insgesamt 1 Milliarde Euro mehr ausgegeben. Wenn man Sie so reden hört, entsteht allerdings der Eindruck, als würde den Menschen etwas weggenommen. Das ist völlig schief, wie Sie argumentieren.

(Beifall bei der CDU)

(Wolfgang Joithe-von Krosigk)

Stärkere Anhebungen sind im Hinblick auf die Entwicklung der Haushaltslage gegenwärtig kaum vertretbar und man darf nicht nur die Haushaltslage der öffentlichen Hand betrachten. Auch die normalen Arbeitnehmerhaushalte und Rentner haben in den letzten Jahren nicht gerade üppige Mehrrunden gehabt. Daher muss man das alles im Zusammenhang berücksichtigen.

Was Sie eben erzählt haben, ist ziemlich danebengegriffen. Sie haben wiederholt, was Herr Gysi uns vor ein paar Tagen im Deutschen Bundestag erzählt hat, und versucht, hier sozusagen als Westentaschen-Gysi im Hamburg-Format das Gleiche noch einmal in Ihren eigenen Worten vorzubringen, aber stetige Wiederholung schafft keine Wahrheit.

(Beifall bei der CDU)

Wahr ist vielmehr, dass das Bundesverfassungsgericht nicht mehr Geld, sondern mehr Transparenz gefordert hat. Dem ist die Bundesregierung in meinen Augen sehr sinnvoll nachgekommen. 230 einzelne Ausgabenposten wurden überprüft, ob sie regelbedarfsrelevant sind oder nicht. Die Entscheidung ist somit transparent, schlüssig und sachgerecht und die Auflagen des Bundesverfassungsgerichts werden voll und ganz erfüllt.

(Wolfgang Joithe-von Krosigk [DIE LINKE]: Da ist der Paritätische Wohlfahrtsverband aber anderer Meinung!)

Der Regelsatz steigt auf 364 Euro und ich möchte nur einmal daran erinnern, dass es zu rot-grünen Zeiten noch 345 Euro waren. Hinzu kommen Miete, Heizkosten und Kranken- und Pflegeversicherung, das muss man auch berücksichtigen. Das Existenzminimum ist somit gesichert und mehr soll und kann Hartz IV nicht sein. Es ist nicht als Dauerzustand gedacht, sondern als Hilfe in einer Notsituation. Die Angemessenheit muss auch im Verhältnis zu den Menschen, die ihren Lebensunterhalt selbst bestreiten und nicht so viel verdienen, gewahrt sein. Ich kann überhaupt nicht nachvollziehen, dass Sie hier von Manipulationen reden, da die Vergleichsgruppe, die hier genannt worden ist, in meinen Augen sachgerecht ist.

Im Rahmen des Bildungspakets, für das 740 Millionen Euro vorgesehen sind, werden zum Beispiel neu die Kosten für Mittagessen, Sportvereine und Musikunterricht übernommen. Kein Kind wird aufgegeben, das ist ein richtiger Grundsatz, denn wir brauchen jedes Kind für die Zukunft unseres Landes.

Auch der Antrag als solcher, den Sie heute eingebracht haben, ist in meinen Augen unsinnig. Sie wollen den Bundesrat zur Untätigkeit auffordern, aber Sinn und Zweck ist es doch, einen verfassungswidrigen Zustand zu beheben, und da sagen Sie, dass wir am besten gar nichts machen. So ist zumindest das Petitum Ihres Antrags und das ergibt in meinen Augen wenig Sinn. Das Gebot der

Stunde ist keine Blockade, sondern die Übernahme von Verantwortung für die Menschen in unserem Land, und das schafft man bestimmt nicht, indem man sich gegenseitig das Leben schwer macht oder nicht versucht, sachgerecht an den Themen zu arbeiten.

Nun kann man sich natürlich fragen, warum DIE LINKE immer wieder ein Thema anmeldet, das gar nicht so richtig in die Bürgerschaft gehört, sondern eher ein Bundesthema ist. Hartz IV ist der Weckruf der SED im Westen gewesen, das ist sozusagen Ihr Gründungsmythos. Was Romulus und Remus für Rom sind, sind Hartz IV und Schröder für DIE LINKE.

(Lachen bei der LINKEN)

Daher müssen Sie immer wieder auf diesem Thema herumreiten, mehr kann man dazu nicht sagen.

(Beifall bei der CDU)

Das Wort hat Frau Badde.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Herr von Frankenberg, die sachliche Auseinandersetzung ist immer noch keine Blockade und das ist das, was wir auch im Bundesrat einfordern werden, aber ich werde noch etwas zu den Gründen sagen.

Die Entscheidung über die Regelsätze ist, wie Herr Joithe-von Krosigk schon betont hat, äußerst aktuell, da morgen die Abstimmung im Bundesrat stattfindet. Fest steht aber bereits, dass dies die erste Niederlage des schwarz-gelben Bündnisses im Bund sein wird, selbst wenn der Hamburger Rumpfsenat sich hier wenig einsichtig zeigt und dem Gesetzesentwurf zustimmen wird. Wir Sozialdemokraten fordern aber den Senat im Sinne des vorliegenden Antrags auf, morgen ebenfalls die Zustimmung zu verweigern.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Die Grundlagen dieser Regelsätze haben wir bereits vor einigen Wochen diskutiert; deshalb will ich unnötige Wiederholungen vermeiden. Hier sei nur kurz erwähnt, dass die Sätze unabhängig von der konkreten Höhe in einem äußerst zweifelhaften Verfahren ermittelt worden sind, Herr Joithe-von Krosigk hat das schon betont. Willkürlich wurden Faktoren bei der Berechnungsmethode verändert. Die repräsentative Bevölkerungsgruppe wurde kurzerhand verkleinert und bestimmte Kostengruppen wurden aus der Statistik einfach herausgerechnet, was bei einem statistischen Modell überhaupt nicht geht. Das ist nicht nur systematisch unzulässig, sondern auch menschenunwürdig. Es werden hier Leistungen versagt, die jedem Menschen mit geringem Verdienst zugebilligt werden wie das Bier, der Glühwein oder die Reinigung.

(Egbert von Frankenberg)

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Die Rechtmäßigkeit dieser Berechnung ist daher von Experten in der Bundestagsanhörung ganz stark in Zweifel gezogen worden bis hin zur Verfassungswidrigkeit. Diese Regelsätze verfestigen Armut, weil sie Einkommen einbeziehen, das selbst wieder Hilfebedürftigkeit auslöst. Das Argument, die Regelsätze müssten jetzt ganz schnell gesetzlich verabschiedet werden, weil ansonsten die erhöhten Sätze nicht ausgezahlt und die Bildungsleistungen nicht erbracht werden können, ist völlig fadenscheinig. Selbstverständlich können Leistungen aufgrund einer Rechtsverordnung erbracht werden und selbstverständlich können Leistungen auch unter Vorbehalt bewilligt werden. Hier werden wieder die Schwachen in unserer Gesellschaft vorgeschoben, denen angeblich die Leistung ab dem 1. Januar 2011 verweigert werden müsste. Das ist ein faules Argument.

(Beifall bei der SPD)

Besondere Kritik aber richtet sich gegen das Bildungspaket. Es ist zugegeben nicht einfach, die verschiedenen Leistungen, die das Paket beinhaltet, in so kurzer Zeit umzusetzen. Doch sind zweierlei Dinge hier falsch gemacht worden. Inhaltlich können die Bildungsleistungen denjenigen Kindern nicht versagt werden, deren Eltern mit ihrem Arbeitseinkommen knapp über dem Regelsatz liegen. Das ist gerade das Argument von Herrn von Frankenberg gewesen, hier eine Abschirmung vorzunehmen, aber den Kindern wird es dann gleich schlechter gehen, nur weil man durch Arbeitseinkommen 2 Euro mehr hat. Der Ausschluss der Geringverdiener wirkt jeder Zielsetzung, sowohl dem Vorrang der Arbeit als auch der gerechten Förderung aller Kinder, entgegen. Hier muss unbedingt nachgebessert werden. Formal wird ein Bürokratiemonster aufgebaut. Die ARGEn, zukünftig die gemeinsamen Einrichtungen, müssen für jede einzelne Leistung Formularberge entwickeln. Hier hätten die einzelnen Leistungsträger direkt in die Pflicht genommen werden müssen, das heißt insbesondere die Bildungsträger. Team.arbeit.hamburg muss sich jetzt damit abstrampeln, die Voraussetzungen der Leistungsgewährung erst einmal zu ermitteln.

Aber nicht nur dieser falsche Ansatz der Leistungsgewährung ist zu kritisieren, sondern auch die Durchführung gerade in Hamburg. Sofort nach Ankündigung des Gesetzes hatte sich Hamburg mit der Sozialbehörde aufgedrängt, Prototyp für die Bildungskarte zu werden. Es wurden wundersame Kostenersparnisse am Horizont gesichtet, können doch jetzt Leistungen, die die Stadt freiwillig erbringt wie der Mittagessenszuschuss in Schulen und die Jugendmusikschule für Geringverdiener und Sozialleistungsempfänger, über den Bund abgerechnet werden.

(Antje Möller GAL: Ganz so war's dann auch nicht!)

Was sich nun in der eiligen Ausführung zeigt, ist ein Organisationschaos. Während team.arbeit.hamburg sich verzweifelt bemüht, die einzelnen Leistungsarten zu ermitteln und die Bewilligung zu bewerkstelligen, können einzelne Behörden ihrerseits gar nicht mitteilen, wo welche Art von Leistung überhaupt erbracht wird. Es gibt anscheinend keine zentrale Erfassung von Leistungen im eigenen Zuständigkeitsbereich, ja nicht einmal ein Bemühen, diese Erfassung angesichts der neuen Rechtslage nachzuholen. Noch schlimmer ist dann, dass man vor dem Hintergrund, selbst nichts auf die Reihe zu bekommen, die Streichung der eigenen Leistungen aus dem Landeshaushalt bereits vorgenommen hat, so geschehen beim Mittagessenszuschuss an den Schulen. Diese dilettantische Ausführung eines wichtigen sozialpolitischen Vorhabens ist diesem Senat in hohem Maße vorwerfbar und gilt es zu beseitigen. Es ist also nicht alleine ein Bundesthema, von dem wir hier reden, und daher werden wir dem Antrag der LINKEN zustimmen.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Das Wort hat Herr Lieven.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Zunächst möchte ich einen Irrtum aufgreifen, der Ihnen, Herr von Frankenberg, unterlaufen ist, als Sie sagten, Hartz IV wäre grundsätzlich als kurzfristige Hilfe konzipiert und so müsse man es auch verstehen. An der Neuregelung der SGB-II-Regelsätze hängen auch die SGB-XII-Regelsätze, das ist die Grundsicherung, von der Menschen langfristig abhängig sind. Auch der Begriff der Sockelarbeitslosigkeit sollte Ihnen geläufig sein und Sie wissen, dass es für viele Menschen eben keine kurzfristige, sondern durchaus eine so langfristige Situation ist, in der auch einmal eine Waschmaschine kaputtgehen kann. Und da sind wir schon mitten in den Problemen, dass die pauschalierten Leistungen der gegenwärtigen Regelsätze vollkommen unzureichend sind.

(Beifall bei der GAL und vereinzelt bei der SPD und der LINKEN)

Wenn Sie sagen, trotz 5 Euro mehr klinge es fast so, als würde es um eine Reduzierung gehen, dann ist festzustellen, dass 5 Euro tatsächlich keine wirkliche Erhöhung sind. Wenn ich mir den gestern von der ILO veröffentlichten "Global Wage Report" anschaue, der feststellt, dass Deutschland in den letzten zehn Jahren der Einkommensminusmeister gewesen ist – inflationsbereinigt minus 4,5 Prozent der Bruttolöhne –, dann ist das die Situation, die wir haben, und diese ist vor allen Din

(Elke Badde)

gen dadurch zustande gekommen, dass wir einen wachsenden Niedriglohnsektor haben. Dieser wachsende Niedriglohnsektor ist nun genau der Sektor, auf den bei der Berechnung der Hartz-IV-Regelsätze zugegriffen wird und der auch noch verkleinert worden ist. Es ist ein Zirkelschluss aufgebaut worden, in dem Armutslöhne herangezogen worden sind, um ein Existenzminimum zu berechnen, und das führt tatsächlich zu einem nicht auskömmlichen Existenzminimum. Das muss man wirklich angreifen, so kann eine Bundesregierung nicht verfahren und dann sind 5 Euro mehr eben keine Erhöhung, sondern wirklich ein Almosen, also von Hartz IV auf Hartz V und mehr nicht.

(Beifall bei der GAL und vereinzelt bei der SPD und der LINKEN)

Ihre Rhetorik, Hartz IV sei der Weckruf der SED, ist sehr abgeschmackt.

(Dora Heyenn DIE LINKE: Ich fasse es nicht!)

Das erinnert mich an die spätrömische Dekadenz eines anderen Politikers,

(Arno Münster SPD: Hieß er Fischer?)

der wahrscheinlich bald auf dem Abstellgleis der Geschichte landen wird, und mit solchen Sprüchen kommt man genau dahin. Das ist Wahlkampf und das ist sehr abgeschmackt.

(Beifall bei der GAL, der SPD und der LIN- KEN)

Im Hinblick auf die von der LINKEN aufgeworfene Vermutung, dass die Bundesregierung sich schon die nächste Verfassungswidrigkeitsbestätigung einhandelt, weiß ich nicht, ob es verfassungswidrig sein wird, aber es wird sicherlich geklagt werden. Es gibt natürlich einen Ausgestaltungsspielraum und den hat die Bundesregierung hier ganz offensichtlich mindestens bis an die Grenzen ausgenutzt.

(Michael Neumann SPD: Nicht alles, was legal ist, ist auch legitim!)

Es ist deutlich gemacht worden, dass die Verengung der Zielgruppe, das Zusammenstreichen der Einkommensstichprobe, die unzureichende Ableitung der Regelbedarfsstufen 2 und 3 und die Nichtneuberechnung der Kinderregelsätze zumindest handwerkliche Mängel an diesem Gesetz sind, und ein handwerklicher Mangel ist auch, dass das jetzt so spät kommt. Zum 1. Januar 2011 muss es umgesetzt sein, morgen befasst sich der Bundesrat damit und es ist klar, dass es in den Vermittlungsausschuss gehen wird. Daran werden auch die drei Hamburger Stimmen nichts ändern. Die Stimmen aus dem Saarland werden nicht kommen und es wird dann sicher ein sehr spannendes Vermittlungsverfahren. Ich hoffe, dass sich die Bundesregierung da tatsächlich noch ein ganzes

Stück bewegt. Sie muss sich im Interesse der Betroffenen ein ganzes Stück bewegen, da es für die Betroffenen eminent wichtig ist, dass sich hier in wirklich kurzer Zeit etwas ändert.

Ein Wort noch zu dem Mandat, das der Senat jetzt für die morgige Abstimmung hat oder nicht hat. Ich habe gestern gehört, wie Herr Ahlhaus sagte, dass dieser Senat sich als geschäftsführender Senat verstehe, der die Stadt weiter verwalte, aber natürlich keine grundsätzlichen Beschlüsse fassen oder das Land in einer Weise positionieren werde, wenn man dafür keine Mehrheit hat. Aus diesem Grunde werden wir den Antrag der LINKEN auch unterstützen, da der Senat diese klare Botschaft haben sollte.