Protocol of the Session on November 11, 2010

– Sie müssen mir schon zuhören, um qualifizierte Zwischenrufe machen zu können.

(Michael Neumann SPD: Die CDU will nicht mehr überweisen! Das soll sie begründen, machen Sie das mal!)

Die HAG hat außerdem die Ausschreibung "Gesunde Schule" für systemisch angelegte Gesundheitsförderung an Schulen gewonnen. Da kann man sich auch einmal anschauen, warum dieser Preis gewonnen wurde; so schlecht scheint es hier nicht bestellt zu sein.

Nicht zuletzt haben wir als einen wichtigen Baustein auch den von Ihnen bereits erwähnten "Pakt für Prävention". Und wenn Sie Aussagen über den Vortrag des Kollegen aus einem anderen Bundesland machen, dann wundere ich mich schon, dass ich Sie dort gar nicht gesehen haben. Sie geben seinen Vortrag auch falsch wieder, er hat nämlich nicht über rein staatliche Maßnahmen gesprochen, sondern über eine bessere Kooperation von staatlichen und nicht staatlichen Akteuren. Da fand ich Ihren Beitrag ein bisschen zu kurz gegriffen.

Neben dem Berichtsersuchen, auf das ich ausführlich eingegangen bin, fordern Sie in Ihrem Antrag die Nachbesetzung offener Stellen. Ich wünsche mir auch, dass diese Stellen nachbesetzt werden und vor allem, dass sie mit qualifizierten Menschen nachbesetzt werden – darin liegt das Problem. Aber aus meiner Sicht ist die Nachbesetzung dieser Stellen eine Selbstverständlichkeit, an der man stetig arbeitet. Angesichts dessen, dass Sie vor einigen Wochen einen Fünf-Minuten-Beitrag angemeldet haben, um zu kritisieren, dass in einem Antrag etwas stünde, was selbstverständlich sei, finde ich es etwas komisch, dass Sie diesen Punkt in Ihren Antrag aufgenommen haben.

Das Thema des Schulärztlichen und Schulzahnärztlichen Dienstes ist es trotzdem auf jeden Fall wert, noch einmal genauer erörtert zu werden, und daher freue ich mich auf die Diskussion im Ausschuss. – Vielen Dank.

(Beifall bei der GAL und der CDU)

Frau Artus, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin, sehr geehrte Herren und Damen! Liebe Kollegin Heitmann, Sie haben meinem Beitrag wahrscheinlich nicht aufmerksam genug zugehört. Ich habe mir schon Mühe gegeben,

(Carola Veit SPD: Das stimmt! – Wolfgang Beuß CDU: Aber das reicht nicht immer!)

deutlich zu machen, dass es natürlich nicht nur an der Besetzung der offenen Stellen liegt, ob Kinder und Jugendliche gesund aufwachsen, sondern dass das eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist. Insofern fand ich Ihre Verteidigungslinie ein bisschen oberflächlich.

(Beifall bei der LINKEN und der SPD)

Ich möchte kurz noch etwas zum Thema Prävention sagen. Von 2003 bis 2006 führte das Robert Koch-Institut eine umfassende Datenerhebung zur gesundheitlichen Situation von Kindern und Jugendlichen durch, KiGGS, den Kinder- und Jugendgesundheitssurvey. Nach diesen Daten wächst die Mehrheit der Kinder und Jugendlichen in Deutschland gesund auf, wobei allerdings der soziale Status von Bedeutung für ihre gesundheitliche Entwicklung ist. Das dürfen wir bei der vertiefenden Fachdebatte im Ausschuss nicht außer Acht lassen. Deswegen reicht es auch nicht aus, die aufgezählten Projekte ins Feld zu führen. Ich weiß diese Projekte alle zu würdigen und auch das Engagement und die guten Ideen, die dahinter stehen, aber ausschließlich auf Maßnahmen der Verhaltensprävention zu setzen und gesundheitliche Risiken damit zu privatisieren, wird dem Standard nicht gerecht, den wir aufgrund der vorhandenen Ressourcen in diesem Land haben könnten.

(Beifall bei der LINKEN und bei Thomas Bö- wer SPD)

Mitentscheidend für die Änderung von Lebensstilen ist zweifellos die Verhältnisprävention, also die Veränderung gesellschaftlicher Verhältnisse. Ich bleibe einmal bei konkreten Bildern, um Sie nicht zu verschrecken, wenn ich von veränderten gesellschaftlichen Verhältnissen spreche. Wie sehr beispielsweise Werbung in unser Bewusstsein eindringt und unseren Lebensstil beeinflusst, brauche ich nicht weiter auszuführen.

Ein weiteres Beispiel ist die Entwicklung der Mobilität und ihre Rolle bei der Veränderung von Bewegungsgewohnheiten. Ich werde nun auch ein bisschen geschichtsträchtig und gehe noch weiter zurück als meine Kolleginnen Heyenn und Schneider. Während der Neandertaler 42 Kilometer am Tag zurücklegte, waren es bei den Menschen in den Zwanzigerjahren des vorherigen Jahrhunderts noch 23 Kilometer. Und heute bringen wir es auf einen Schnitt von – jetzt würde ich gerne eine Raterunde machen – 600 Metern.

(Arno Münster SPD: So viel?)

Ja, der Kollege Böwer zieht den Schnitt dann noch weiter runter.

Zurück zur Sache. Wie oft fällt dann an Hamburger Schulen auch noch der Sportunterricht aus? Warum nutzen unsere Kinder die städtischen Freiräume nicht für Bewegung und Spiel? Planen wir mit unseren Designerspielplätzen an den Kindern vorbei, wie eine große Hamburger Zeitung im Juli fragte?

(Dr. Andreas Dressel SPD: Man soll nicht al- les glauben, was in der Zeitung steht!)

Über diese und andere Fragen sollte und muss doch dringend nachgedacht werden.

(Linda Heitmann)

Es gibt in Hamburg durchaus viele gute Ideen, da braucht man sich nur die Gesundheitsberichte der Bezirke anzusehen. Auch hier fand ich Ihre Behauptung etwas holzschnitzartig, ich würde alles in Bausch und Bogen wegkritisieren. Das tue ich durchaus nicht, aber ich glaube, die Mehrheit des Parlaments hat mir da auch aufmerksam zugehört.

Es gibt viele Projekte und die Hamburgische Arbeitsgemeinschaft für Gesundheitsförderung, das möchte ich ausdrücklich erwähnen, ist breit aufgestellt und leistet wirklich gute Arbeit. Nur sind Projekte in der Regel befristet und mit der Befristung läuft dann auch die Finanzierung aus. Die Betroffenen arbeiten also ständig unter dem Druck, dass sie ihre gute Arbeit nicht werden weiterführen können. Auch der "Pakt für Prävention" ist befristet. Er soll Ressourcen bündeln, aber Mittel vom Senat sind Fehlanzeige. Ohnehin kann der "Pakt für Prävention" kein Ersatz für ein fehlendes Bundespräventionsgesetz sein, um einen kleinen Ausflug auf die nächsthöhere Ebene zu machen. Nach Paragraf 20 SGB V kann Prävention zwar von den Krankenkassen unterstützt werden, sie ist aber eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe und ohne finanzielle Mittel und Personaleinsatz nicht zu lösen.

Gesundheitsressourcen zu stärken bedeutet auch, in Bildung und soziale Maßnahmen zu investieren. Natürlich dürfen deshalb weder Mütterberatungsstellen noch Beratungszentren wie Sehen/Hören/ Bewegen/Sprechen weggespart werden. Ich hoffe, dass Ihre Zusage gilt, dass das nicht passieren wird. Die Aussetzung der Dokumentation schulärztlicher Untersuchungen in Hamburg, ein bundesweit einmaliger Vorgang, darf sich nie mehr wiederholen. Wir brauchen einheitliche Gesundheitsindikatoren für eine differenzierte und stadtteilbezogene Gesundheitsberichterstattung und belastbare Daten für eine zielgerichtete Gesundheitsförderung. Unser Antrag weist den richtigen Weg dazu.

(Beifall bei der LINKEN und vereinzelt bei der SPD)

Wenn keine weiteren Wortmeldungen vorliegen, kommen wir zur Abstimmung.

Wer stimmt einer Überweisung der Drucksache 19/7434 an den Ausschuss für Gesundheit und Verbraucherschutz zu? – Gegenprobe. – Enthaltungen? – Damit ist das Überweisungsbegehren einstimmig angenommen.

Ich rufe Punkt 16 der Tagesordnung auf, Drucksache 19/7457, Antrag der SPD-Fraktion: Medienkompetenzförderung in Hamburg in der digitalen Ära.

[Antrag der Fraktion der SPD:

Medienkompetenzförderung in Hamburg in der digitalen Ära – Drs 19/7457 –]

Die SPD-Fraktion möchte diese Drucksache an den Kultur-, Kreativwirtschafts- und Medienausschuss überweisen.

Wird das Wort gewünscht? – Herr Grund, bitte.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Unverzichtbare Grundlagen für eine funktionierende Demokratie sind der Zugang zu Informationen und die Kommunikationsfreiheit; ich glaube, da sind wir uns alle einig. Für uns ist das eine Selbstverständlichkeit, über die niemand ernsthaft nachdenkt. In anderen Ländern ist das Thema heiß umkämpft und es ist kein Zufall – wir alle können das verfolgen –, dass die Diktatoren auf der ganzen Welt sich heftig darum bemühen, in ihrem Land auch die Herrschaft über das Netz zu erlangen und Informationsfreiheit zu unterlaufen.

(Michael Neumann SPD: Italien!)

Das Internet ist die bedeutendste wirtschaftliche wissensbasierte demokratisch-gesellschaftliche Entwicklung der vergangenen Jahrzehnte. Neue Wege und Formen der Partizipation wurden uns eröffnet. In der Zukunft ist eine Teilhabe an Ausbildung, Arbeit, Politik und fast allen anderen gesellschaftlichen Prozessen und Entwicklungen ohne das Netz nicht mehr möglich.

Das war die eine, die positive, die goldene Seite der Medaille, die Seite der Chancen. Ich habe dies hervorgehoben, um den Vorwurf zu vermeiden, wir würden in diesem Zusammenhang wieder einmal nur über Ängste und Sorgen, Risiken und Gefahren reden, aber natürlich gibt es diese auch. Die andere Seite der Medaille heißt eben auch: Überbordende Gewalt, Pornografie, Cyber-Mobbing, Belästigung der übelsten Art und die Gefahr, in den Einfluss von Kriminellen zu geraten. Wir alle wissen, dass manchen Eltern wahrscheinlich die Haare zu Berge stünden, wenn sie wüssten, was sich in ihren Kinderzimmern abspielt.

Viele Jugendliche sind ihren Eltern und Lehrern bei der Nutzung der digitalen Medien, technisch zumindest, überlegen. Bei der Förderung von Medienkompetenz, wie wir sie in unserem Antrag verstehen, geht es aber gerade nicht darum, die Funktionsweise von Hard- und Software zu erklären, zumindest nicht hauptsächlich. Es geht um die Frage, wie bewege ich mich souverän und sicher, verantwortungsbewusst und rücksichtsvoll und doch kreativ und erfolgreich im Netz.

Hamburgs Schulen haben eine gute Medienausstattung; aufpassen muss man da eigentlich nur noch, weil das Zeug alle vier bis fünf Jahr veraltet. Die Ausstattung ist also gut, die Medienpädagogik dagegen schwach. Das ist jedenfalls die Analyse

(Kersten Artus)

der Wissenschaftler, die sich damit auseinandergesetzt und genau hingeschaut haben, wie es in Hamburgs Schulen aussieht. Da mag man es noch verstehen, dass so manch länger berufstätige Pädagoge die Themen Medienkompetenzförderung und Medienpädagogik lieber meidet, aber dass es immer noch möglich ist, in dieser Stadt eine Ausbildung zum Lehrer zu absolvieren, ohne medienpädagogische Grundkenntnisse zu erwerben, ist ein handfester politischer Skandal.

(Beifall bei der SPD und bei Dora Heyenn DIE LINKE)

Nach den uns vorliegenden Informationen werden im Moment gerade die freiwillig zu belegenden medienpädagogischen Angebote an den Hochschulen gekürzt und Stellen in diesem Sektor gestrichen. Es werden also selbst diejenigen, die sich feiwillig mit diesem Thema beschäftigen und es sich aneignen wollen, darin behindert. Was will die SPD konkret mit diesem Antrag erreichen?

Unsere erste Forderung: Medienpädagogik muss verpflichtender Bestandteil der Lehrerausbildung in Hamburg werden.

Zweiter Forderungspunkt: Wir schlagen die Einführung eines Medienkompetenzführerscheins vor, der von allen Schülern in ihrer Schullaufahn zu erwerben ist, und zwar nicht nach dem klassischen Muster des Kfz-Führerscheins – es gibt Multiple Choice, man macht seine Häkchen und alles ist gut –, sondern es soll darum gehen, dass man lernt zu lernen, und zwar möglichst über die gesamte Schullaufbahn hinweg. Es gibt inzwischen Beispiele in der Bundesrepublik, wie dafür die richtigen pädagogischen Konzepte zu entwickeln sind.

Wir sind der Meinung, dass es wichtig ist, Vereine, Jungendeinrichtungen, Senioren- und Bürgertreffs mit dem Thema Medienbildung zu befassen und sie bei der Vermittlung entsprechender Aktivitäten zu unterstützen. Wir wollen, dass beispielsweise die Ausbildung von Eltern-Medien-Lotsen, wie sie bei TIDE und in Schleswig-Holstein bereits bestens praktiziert wird und auch nach Hamburg importiert wurde, ausgebaut und gefördert wird.

Wir schlagen vor, stärker in die Peergroups von Jugendlichen vorzudringen, weil die Informationen, die Jugendliche mit in ihren Alltag nehmen, eher aus den Peergroups als aus Schule oder Elternhaus aufgenommen werden. Insoweit ist dieser Punkt besonders wichtig.

Wir schlagen auch vor, eine Medienkompetenzagentur einzurichten und können uns vorstellen, dass die Medienanstalt Hamburg/Schleswig-Holstein diese Aufgabe übernimmt. Zielsetzung sollte es sein, dort außerschulische Aktivitäten zu entwickeln, diese zu koordinieren, zu evaluieren und sie insgesamt aufzubauen und zu unterstützen.

(Vizepräsident Wolfgang Joithe-von Krosigk übernimmt den Vorsitz.)

Sehr wichtig und vielleicht noch wichtiger ist die Frage, dass es in den Bezirken Kompetenzzentren geben sollte, die die Zusammenarbeit mit lokalen Trägern fördern und anschieben – insgesamt also ein gebündeltes Maß an Aufgaben.

Meine Damen und Herren! Die SPD sagt, dass Medienkompetenz nach Lesen, Schreiben und Rechnen zur vierten Kulturtechnik wird. Es wird für unsere Kinder und Enkel immer wichtiger, sich auf diesem Feld qualifiziert bewegen zu können. Das zu fördern und zu unterstützen ist unsere politische Aufgabe. Wir sind gerne bereit, mit den Fraktionen dieses Hauses darüber in den richtigen Ausschüssen ausführlich zu diskutieren und laden dazu ein, diesen Weg gemeinsam zu wählen und ihn zu erörtern.