Protocol of the Session on September 30, 2010

Wie hat das "Hinwirken" stattgefunden, wie wird es stattfinden? Da erleben wir – ich kann das menschlich sehr gut nachvollziehen – eine leidende, aber schweigende Umweltsenatorin, die offensichtlich an der kurzen Leine des Bürgermeisters gehalten wird und deshalb hier nicht reden darf. Das ist nicht nur schade, weil ich glaube, dass wir inhaltlich einer Meinung sind, sondern es ist auch vor allen Dingen eine große Gefahr für die Grünen, denn es geht um den Kernmarkenbestand der Grünen. Es geht darum, ob ihre Kernkompetenz, der Umweltschutz und insbesondere der engagierte gesellschaftliche Kampf gegen die Atomenergie, weiterhin ihr Markenzeichen bleibt oder ob Sie diese Kompetenz auf dem Altar der schwarz-grünen Koalition für nur noch 18 Monate an der Regierung opfern wollen oder nicht. Das ist die Frage.

(Beifall bei der SPD)

Und wenn Jens Kerstan sagt – ich glaube es ihm auch –, dass er ohne Wenn und Aber gegen Laufzeitverlängerungen ist, dann ist doch die Frage, was es Ihnen wert ist? Ich kann verstehen, wenn eine Koalition Kompromisse macht. Ich war von 1997 bis 2001 als Hinterbänkler, so wie Sie, Herr Beuß, in dieser rot-grünen Koalition und habe dort auch Kompromisse gemacht, die ich nicht in allen Fragen mitgetragen habe. Frau Möller als Fraktionsvorsitzende weiß das auch noch, denn das war nicht nur alles super, was Rot-Grün damals gemeinsam ausgehandelt hat.

(Beifall bei Wolfgang Beuß und bei Egbert von Frankenberg, beide CDU)

Da haben wir alle auch die Hacken zusammengenommen. Die Frage ist aber, wann die Schmerzgrenze für eine Partei und eine Fraktion erreicht ist. Mein Eindruck ist, dass Sie Gefahr laufen, sich wirklich überflüssig in Deutschland zu machen. Wozu brauchen wir die Grünen noch, wenn nicht für die Durchsetzung des Kampfes gegen die Atomenergie und vor allem für den Ausstieg aus dieser Teufelsenergie.

(Beifall bei der SPD)

Ich bringe noch ein letztes Argument vor, denn Jens Kerstan sagte, das mache jetzt noch keinen Sinn, die Bundesregierung müsse erst einmal Fakten schaffen. Es gibt doch so etwas Tolles wie Internet. Ich weiß, dass die Fraktion der GAL dem

(Dora Heyenn)

Fraktionsvorsitzenden noch kein iPhone spendiert, aber ich habe gerade eine E-Mail aus dem Bundestag bekommen. Der Bundestag meldet jetzt, dass die Grünen heute einen Antrag zur Abstimmung stellen wollen mit der Formulierung, – ich zitiere:

"Der Deutsche Bundestag stellt fest: Eine gesetzliche Regelung zur Verlängerung der Betriebszeiten der Atomkraftwerke bedarf der Zustimmung durch den Bundesrat."

Genau das wollen Ihre Kollegen heute in Berlin beschließen. Sie sagen uns, dass wir es in Hamburg nicht beschließen sollten. Darauf müssen Sie eine Antwort geben, die Logik kann selbst ein Grünen-Wähler nicht mehr nachvollziehen. – Vielen Dank.

(Langanhaltender Beifall bei der SPD und bei Dora Heyenn und Christiane Schneider, beide DIE LINKE)

Senatorin Hajduk hat das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Neumann, der Hamburger Senat behauptet nicht, in der Frage des Ausstiegs aus der Atomenergie einig zu sein. Wir geben dies nicht zu erkennen, sondern wir zeigen deutlich unsere Uneinigkeit. Die gibt es in der Tat, man kann beim föderalen System in Deutschland auch Regierungen bilden, in denen man sich an einer Stelle nicht einigen kann, dies aber beim Hamburger Politikprogramm und auch bei anderen bundespolitischen Initiativen sehr wohl der Fall ist.

(Beifall bei der GAL und der CDU)

Ich habe mich positioniert im Rahmen meiner Ressortzuständigkeit und kann mich im Rahmen der Umweltministerkonferenz dazu äußern. Das bespreche ich auch mit dem Bürgermeister. Aber es ist richtig, das sieht man nicht nur auf der Senatsebene, sondern auch auf der Bürgerschaftsebene, dass wir da die Grenze von gemeinsamen Beschlüssen erreichen. Das ist auch für die Öffentlichkeit erkennbar, die sich dann eine Meinung über den energiepolitischen Kurs des Senats bildet. Wir haben zudem Schnittmengen mit Blick auf das Thema erneuerbare Energien.

Eine kleine Bemerkung sei mir gestattet. Ich habe selbst Erfahrungen gesammelt während der Zeit der rot-grünen Bundesregierung. Die Differenzen in der energiepolitischen Frage der Kohleförderung gingen auch an den Kern der grünen Überzeugung, aber es führt nicht immer dazu, dass deswegen nicht ein gemeinsames Regierungsprogramm aufgestellt wird. Man muss darüber nur offen und transparent reden. Herr Kerstan hat das für die grüne Seite sehr deutlich getan,

(Thomas Böwer SPD: Er hat's versucht!)

Frau Stöver für die CDU-Seite. Ich kann es als Umweltministerin und der Bürgermeister oder unser Wirtschaftssenator könnten das auch. Mit dieser Unterschiedlichkeit und auch mit den Grenzen der Gemeinsamkeit können wir in Hamburg trotzdem auch gute Aspekte in der Energiepolitik voranbringen.

(Ingo Egloff SPD: Gut, dass wir darüber ge- redet haben!)

Auch dort hatten wir natürlich schwierige Entscheidungen zu treffen, jedenfalls ich als Umweltsenatorin, das wurde hier schon besprochen. Das will ich der Offenheit wegen noch einmal klarstellen. Wir haben kein Problem damit und müssen nicht herumdrucksen. Es ist schlicht so, dass die Grenze einer Gemeinsamkeit an diesem Punkt erreicht ist und wir damit auch sehr offen umgehen.

(Beifall bei der GAL und der CDU)

Herr Neumann, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Senatorin, vielen Dank, es zeichnet Sie aus, dass Sie offen damit umgehen. Die Frage ist nur, wo die Schmerzgrenze der Grünen erreicht ist. Sie haben im Moment Glück, dass in Nordrhein-Westfalen eine Minderheitsregierung funktioniert. Sie haben Glück, dass sich ein sozialdemokratischer Bürgermeister mit einer rot-grünen Mehrheit in Bremen entscheidet. Sie haben auch Glück, dass die Grünen offensichtlich im Saarland stärker sind bei einer Koalition mit der FDP und der CDU und sich dort durchsetzen können. Ich entnehme Ihren Worten, dass die Hamburger GAL zum Erhalt der Koalition am Ende bereit wäre, auch diesen Verfassungsbruch nicht nur in der Frage der Atomenergie, sondern auch in der Behandlung und Bezeichnung des Bundesrates um des Koalitionsfriedens willen hinnehmen würde. Das ist gut, das haben Sie heute klar bekannt, das wissen die Menschen jetzt, aber dann marschieren Sie bitte nicht durch Hamburg und Berlin und demonstrieren gegen Atomenergie. Lassen Sie auch Taten folgen, daran können Sie gemessen werden. Aber hier stelle ich fest, dass Sie bereit sind, zum Wohle der schwarz-grünen Koalition in Hamburg im Zweifelsfall auch diesen Atomputsch von Frau Merkel mitzutragen. Das ist das Ergebnis der heutigen Debatte. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Herr Beuß, Sie haben das Wort.

(Michael Neumann)

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Es ist ein undurchsichtiges Debattieren über Atomkraft. Ihnen geht es überhaupt nicht um die Sache, sondern Sie wollen einen Keil in diese Koalition treiben.

(Beifall bei der CDU und der GAL – Ingo Egloff SPD: Herr Beuß, jetzt haben Sie uns aber entlarvt!)

Hier ist sowohl vom Fraktionsvorsitzenden der Grünen als auch von der grünen Umweltsenatorin klar und deutlich benannt worden, dass es in der Koalition in dieser Frage wirkliche Unterschiede gibt. Aber, das betonte auch Jens Kerstan, es ist kein ureigenes Hamburger Problem und deswegen können wir in dieser Koalition auch mit diesem Problem so umgehen. Ihnen wird es nicht gelingen, zwischen uns und die GAL einen Keil zu treiben, auch wenn wir in dieser Frage nicht unbedingt einer Meinung sind.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der GAL)

Herr Kerstan, Sie haben das Wort.

(Thomas Böwer SPD: Kannst du das mit dem Keil noch mal erklären!)

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Lieber Herr Neumann, Dora Heyenn hat wenigstens die Debatte ehrlich geführt. Sie hat gesagt, sie wüssten ganz genau, wenn dieser Antrag angenommen werde, werde das in der Sache nichts ändern, aber dieser Senat solle ein Zeichen setzen. Aber wie Sie eine solche Symbolpolitik in puncto Zeichen setzen hochjazzen zu einer Verfassungskrise oder mangelnder Glaubwürdigkeit, sagt viel über Ihr Politikverständnis aus. Es hat aber überhaupt nichts damit zu tun, etwas an der Realität zu ändern.

(Beifall bei der GAL und der CDU – Thomas Böwer SPD: Ihr habt doch beim letzten Mal die Trillerpfeifen verteilt!)

Um einmal bei der Wahrheit zu bleiben, Herr Neumann. Wenn wir über den Atomausstieg der rot-grünen Regierung reden, dann muss man eines sehr deutlich sagen: Der damalige Umweltminister, Jürgen Trittin, musste an den Rand des Koalitionsbruchs gehen, um die SPD dazu zu bringen, einem Atomausstieg zuzustimmen. Das ist auch die Wahrheit.

(Beifall bei der GAL und der CDU – Michael Neumann SPD: Er ist so weit gegangen! Das ist der Unterschied! Ihr bleibt in den Sesseln sitzen!)

Ohne die Grünen in der rot-grünen Regierung hätte es diesen Ausstiegsbeschluss niemals gegeben. Das müssen Sie auch einmal zugeben, meine Da

men und Herren. Sich dann hier hinzustellen und als Gralshüter des Atomausstiegs aufzutreten,

(Wolfgang Beuß CDU: Das ist peinlich!)

ist wirklich peinlich, Herr Neumann. – Vielen Dank.

(Beifall bei der GAL und der CDU)

Frau Heyenn hat das Wort.

Herr Beuß, was Sie eben gemacht haben, war doch ein wenig wie das Singen im Wald. Wenn Sie sagen, es soll kein Keil zwischen die Regierungsparteien getrieben werden, dann müssen Sie auch zur Kenntnis nehmen, dass es in dieser Frage einen Keil gibt. Ich finde es auch sehr gut, wie die GAL und die Senatorin offen damit umgehen. Aber Sie drücken sich – Herr Neumann hat es Koalitionsfrieden genannt – wegen des Koalitionsfriedens jetzt um diese Entscheidung herum und überweisen Anträge, was überhaupt keinen Sinn ergibt. Der Punkt ist doch, was Koalitionsfrieden überhaupt bedeutet. Wird jetzt die Stadtbahn, auf die Sie sich geeinigt hatten, gegen die Laufzeitverlängerung oder gegen die Beteiligung von Hamburg an dem Klageverfahren aufgewertet?

(Wolfgang Beuß CDU: Das ist Quatsch! – Viviane Spethmann CDU: Das ist naiv! – El- ke Thomas CDU: Das ist Quatsch!)

Was bekommen die Grünen denn dafür, dass sie jetzt zurückweichen, das ist die Frage, die man sich als Grüne stellen muss. Gerade wenn die GAL meint, sie sei die Speerspitze der Bewegung gegen Atomkraft, dann gibt es doch für sie trotzdem auch Grenzen. Seien wir einmal ganz ehrlich,

(Wolfgang Beuß CDU: Hier ist nichts ehrlich im Moment!)

wenn unser Antrag, der nichts anderes sagt, als dass sich der Senat einer Klage anschließen solle, dann zum Bruch der Koalition führen sollte, dann sollten Sie das ganz schnell machen.

(Beifall bei der LINKEN und der SPD)

Herr Neumann, Sie haben das Wort.

(Viviane Spethmann CDU: Das ist nur noch Profilierung!)