Protocol of the Session on September 30, 2010

"…robustere Elemente als eine Polizei nach europäischen Maßstäben. Dazu gehört auch eine modulare Ausbildung im militärischen Sinne."

Die Bundesregierung sagt, dass der Beitrag des Polizeiprojektteams zwar im Benehmen mit NATO und USA stattfindet – Zitat –,

"…aber völlig autark in den deutschen Polizeitrainingszentren."

Angesichts der tatsächlichen Situation wird der deutsche zivilpolizeiliche Ansatz zum Feigenblatt der militärischen Ausrichtung der Polizeiausbildung.

Drittens: Die Sicherheit der entsandten Polizeibeamten ist in keiner Weise gewährleistet und das Risiko wächst von Tag zu Tag. Am gefährlichsten ist die Distriktausbildung. Die Bundesrepublik setzt in der Distriktausbildung 88 Beamte ein, davon 56 als Mentoren. Diese Mentoren begleiten die afghanischen Polizisten bei ihrer Dienstausübung. Konkret heißt das, dass rund zehn gemischte Teams aus jeweils vier Polizisten, vier Feldjägern der Bundeswehr und zwei Übersetzern die afghanischen Polizisten mehrere Monate lang übers Land begleiten. Künftig soll das deutsche Engagement von der Ausbildung – ich zitiere aus der Antwort auf die Große Anfrage – "mehr auf Mentoring- und Monitoringelemente verlagert" werden.

(Glocke)

Erste Vizepräsidentin Barbara Duden (unterbre- chend): Frau Schneider, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Lemke?

(Jörg Hamann CDU: Trauen Sie sich mal!)

– Ich führe den Gedanken zu Ende, dann gern.

Das bedeutet, mehr im Feld zu sein und mehr Begleitung übers Land, was die Mission noch gefährlicher macht. Wie gefährlich der Polizeidienst ist, zeigt die Tatsache, dass seit 2003 4500 afghanische Polizisten im Dienst ihr Leben verloren haben und die Zahl der Anschläge rapide zunimmt: im ersten Halbjahr 2010 landesweit um 90 Prozent, im Norden sogar um 120 Prozent. Es gibt keine sicheren Zonen in Afghanistan.

Jetzt beantworte ich gern Ihre Zwischenfrage.

Vielen Dank.

Ich versuche, den politischen Gehalt von dem zu verstehen, was Sie uns sagen. Verstehe ich das richtig, dass Sie uns sagen wollen, dass Sie dafür

(Christiane Schneider)

plädieren, den militärischen Einsatz zu erhöhen, um erst einmal die Bedingungen dafür zu schaffen, damit die Polizei polizeilich tätig werden kann?

(Jörg Hamann CDU: Das meint sie so, ja!)

Nein. Sie wissen sehr wohl, dass DIE LINKE fordert – und da stehe ich inhaltlich voll dahinter –, die Bundeswehr aus Afghanistan abzuziehen.

(Beifall bei der LINKEN)

Aber ich habe mich in diesem Beitrag darauf beschränkt zu erarbeiten, wie die Polizeimission in Afghanistan aussieht. Die Polizeimission in Afghanistan ist, entgegen den rechtlichen Grundlagen und entgegen ihrem eigentlichen Auftrag, in die Militärmission eingebettet. Dagegen sind wir und deshalb fordern wir auch den Abzug der Polizei,

(Beifall bei der LINKEN)

denn das hat mit dem Berufsbild der Polizei, ihrer Aufgabenstellung und den rechtlichen Grundlagen nichts zu tun.

Ich möchte auch darauf hinweisen, dass nicht zuletzt im Zusammenhang mit der Distriktausbildung, also der engen Zusammenarbeit zwischen Bundeswehr und Polizei, das in Paragraf 8 Bundespolizeigesetz indirekt verankerte Trennungsgebot von Polizei und Militär verletzt wird. Auch deshalb sind die rechtlichen Grundlagen für die Entsendung deutscher Polizeibeamter nach Afghanistan nach unserer Auffassung nicht mehr gegeben.

Viertens: Die deutsche Polizeimission in Afghanistan ist gescheitert. Dazu möchte ich hier nur einige Schlaglichter anführen. Es gibt, wie ich schon sagte, keinen internationalen Gesamtansatz, sondern ein Gegeneinander-Arbeiten und eine Dominanz des Militärischen. Die Ergebnisse der Ausbildungsarbeit sind, das bestätigt auch die Antwort der Bundesregierung auf die schon erwähnte Große Anfrage, kaum auszumachen. Der Zustand der afghanischen Polizei ist verheerend. Korruption ist gang und gäbe, die Beachtung der Menschenrechte ist dramatisch und dazu kommt die Problematik des Drogenanbaus; ich will das nicht weiter ausführen. Aufgrund schlechter Arbeitsbedingungen und schlechter Bezahlung verlassen rund 20 Prozent der ausgebildeten afghanischen Polizisten den Dienst und schließen sich dann meist privaten Sicherheitskonzernen oder oft auch den Aufständischen an. So gehen beispielsweise viele von der deutschen Polizei Ausgebildete zu den Taliban über. Außerdem – das wird von deutschen Ausbildern in Afghanistan auch massiv kritisiert – verschwinden immer wieder massenhaft Waffen aus Polizeibesitz; man kann sich denken, wohin diese geschafft werden.

Die mangelnde Koordination, der militärische Charakter des Einsatzes, die Militarisierung der Polizei

arbeit, die Geringschätzung der Gefahr für die Ausbilder und vor allem für die Mentoren, nicht feststellbare Ausbildungsergebnisse: Ein "Weiter so" darf es nicht geben. Der Polizeieinsatz ist ebenso gescheitert wie der militärische Einsatz. Es wird Zeit, ihn zu beenden. Für Hamburg wird es Zeit, die Hamburger Polizeibeamten zurückzuziehen.

(Beifall bei der LINKEN)

Das Wort bekommt Herr Warnholz.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Schneider, Sie haben eben Bundespolitik gemacht. Dabei haben Sie mit keinem Wort erwähnt, dass alle Polizeibeamtinnen und -beamte, die im Ausland eingesetzt werden, sich freiwillig dafür melden; das wird niemandem befohlen. Wenn sich jemand bei diesem Einsatz nicht wohlfühlt, dann kann er sich, so sieht es die Vereinbarung vor, zeitnah ablösen lassen. Das ist wichtig, es wird also niemand gezwungen.

Mit Ihren Ausführungen haben Sie Ihre Mitgliedschaft in kommunistischen Organisationen wieder einmal deutlich offenbart; vielen Dank dafür.

(Beifall bei der CDU – Heiterkeit bei der LIN- KEN)

Meine Damen und Herren! Der vorliegende Antrag von Frau Schneider kann mich nicht überzeugen. Sie setzen sich, wie alle Fraktionen in der Bürgerschaft, für die Verwirklichung von Grund- und Menschenrechten ein, stellen sich mit Ihrem Antrag aber ausdrücklich gegen die Unterstützung des Aufbaus rechtsstaatlicher Strukturen in Afghanistan. Die Menschen in Afghanistan benötigen eine eigene, funktionierende Verwaltung und dazu zählt auch eine Polizei. Einen paramilitärischen Einsatz, Frau Schneider, wie Sie ihn geschildert haben, hat es zu keinem Zeitpunkt gegeben und wird es auch nicht geben.

(Beifall bei der CDU)

Die Polizei wird als Ordnungsdienst eingesetzt. Ich weiß nicht, wer Ihnen Ihre Information gegeben hat, vielleicht die brandenburgische Regierung, die mit der LINKEN regiert. Wer sonst sollte denn die Einhaltung von Recht und Gesetz in Afghanistan durchsetzen? Wollen Sie diese Aufgabe wirklich bei denen angesiedelt sehen, die über Geld, Macht und Waffen verfügen? Das wäre doch eine Katastrophe.

(Beifall bei der CDU)

Wir als CDU-Fraktion werden am Aufbau rechtstaatlicher Strukturen in Staaten, die unsere Hilfe benötigen, festhalten.

(Vereinzelter Beifall bei der CDU)

(Dittmar Lemke)

Seit 2007 haben mehrere Hamburger Vollzugskräfte im Rahmen von EUROPOL einen Einsatz für die Ziele der Wertegemeinschaft der Vereinten Nationen in Afghanistan geleistet. Derzeit – das ist richtig, Frau Schneider – unterstützen drei Polizeibeamte aus Hamburg die Sicherheitsbehörden in Afghanistan. An dieser Stelle sollte jedoch erwähnt werden, dass sich auch viele Mitarbeiter der Hamburger Verwaltung beim Wiederaufbau von Staaten und deren Infrastrukturen sehr stark engagieren. Ein technischer Angestellter des Bezirksamts Hamburg-Nord hat beispielsweise bereits unter dem Mandat der ISAF einen Beitrag zum Aufbau der Infrastruktur in Afghanistan geleistet, wie der Senat als Antwort auf mehrere von mir gestellte Kleine Anfragen berichtete. Die entsprechenden Drucksachen kann ich gern nachweisen.

(Carola Veit SPD: Nachweisen? Super!)

In der Drucksache 19/4867 vom 22. Dezember 2009 berichtete der Senat zum Beispiel, dass zwei Mitarbeiter der BSU in der Zeit von 2007 bis 2009 unter schwierigsten Bedingungen einen Beitrag zum Wiederaufbau geleistet haben. Mir wurde gesagt, dass dies von den verantwortlichen Vorgesetzten auch gewürdigt worden sei. Ich denke, das ist ein Beifall wert, auch von Ihnen, Frau Schneider.

(Beifall bei der CDU und bei Dr. Andreas Dressel und Michael Neumann, beide SPD)

Die CDU-Fraktion in diesem Hause hat den höchsten Respekt vor den Männern und Frauen der Hamburger Verwaltung, die unter Bedingungen, die schwieriger nicht sein könnten, einen Beitrag für die Zivilgesellschaft in Krisengebieten leisten. Ob – Frau Schneider, das haben Sie vergessen – in Bosnien-Herzegowina, dem Kosovo oder im Sudan, in Sierra Leone, Liberia, dem Libanon oder Georgien, Hamburg kommt überall seinen Verpflichtungen nach, übrigens auch die anderen Bundesländer einschließlich dem linksregierten Brandenburg. Auch zum jetzigen Zeitpunkt, an dem wir über diese Mandate sprechen, gehen Mitarbeiter der Hamburger Verwaltung dort ihrem Dienst nach und leisten zum Wohle der Menschen und mit unseren Steuergeldern entsprechende Hilfe. Mich als Hamburger erfüllt das mit einem gewissen Stolz, wird doch durch diesen Einsatz zumindest ein kleiner Hamburger Beitrag zum Frieden geleistet. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Das Wort bekommt Herr Dressel.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! In einem Punkt, aber auch nur in einem einzigen, stimme ich Frau Schneider zu: Das Parlament sollte sich stärker mit den Ein

sätzen Hamburger Polizistinnen und Polizisten in ausländischen Krisengebieten befassen. Diese Auffassung teilen wir ausdrücklich. Deshalb werden wir, wenn dieses Überweisungsbegehren abgelehnt wird, im Innenausschuss eine Selbstbefassung beantragen, damit wir uns dort damit auseinandersetzen können, wie der Einsatz aussieht, welche Gefährdungen es gibt, wie mit ihnen umgegangen wird und welche Sicherungsmaßnahmen es gibt. Das ist ein Gebot der Verantwortung gegenüber den dort eingesetzten Kollegen der Polizei und das gebietet auch der Respekt gegenüber den Personalvertretungen und dem, was von ihnen geäußert wird. Wir können über ihre Sorgen, die sie zum Ausdruck bringen, nicht einfach so hinweggehen, sondern müssen uns mit ihnen befassen.

Ein anderer Punkt ist die Frage, ob Hamburg isoliert aus diesem Einsatz aussteigen sollte. Ich habe für die Entscheidung Brandenburgs kein Verständnis.

(Beifall bei der CDU und bei Michael Neu- mann und Dr. Dorothee Stapelfeldt, beide SPD)

Wenn ein Bundesland aus einer Sache aussteigt, die gemeinsam begonnen wurde und bei der die Länder zusammen mit dem Bund eine Verpflichtung eingegangen sind, finde ich das schwierig. Schauen Sie sich doch einmal die Zahlen an, was an Polizeikräften ausgebildet wurde. Die deutschen Polizeikräfte nehmen nicht in erster Linie Sicherheitsaufgaben wahr, sondern sie leisten vor allem Hilfe zur Selbsthilfe und bilden afghanische Polizisten aus. Das ist eine wirklich wichtige Verpflichtung und dabei geht es um riesige Größenordnungen. 34 000 afghanische Polizisten waren oder sind in der Ausbildung und das Ziel ist, bis Ende 2012 weitere 5000 Polizeianwärter auszubilden. Das ist eine gute Investition in die Sicherheit und den Frieden in Afghanistan. Da sollte eigentlich sogar noch mehr passieren, weil das wirklich sinnvoll für die Menschen vor Ort ist.

(Beifall bei der SPD und der CDU und bei Horst Becker GAL)

Irgendwann muss es eine Exit-Strategie geben, das eint alle politischen Kräfte im Bundestag. Dass weder die Bundeswehr noch andere Kräfte dort ewig bleiben sollten, ist völlig klar und unsere Partei diskutiert das auch intensiv. Gerade deshalb muss doch aber alles dafür getan werden, selbsttragende Sicherheit vor Ort zu organisieren. Da sind die Polizeikräfte ein entscheidender Baustein, um eine Basis für die regionale Sicherheit in den Städten und Ortschaften zu schaffen. Deswegen ist es so wichtig, dass diese Ausbildung auf einem vernünftigen Niveau weiterläuft und deswegen sollten die deutschen Länder auch daran festhalten, und zwar gemeinsam. Diese Sache sollte sinnvollerweise nicht nur auf einigen Schultern lasten,