Protocol of the Session on September 29, 2010

Wenn man sich drittens einmal die wissenschaftliche Diskussion ansieht, dann heißt es dort, man könne dann eine Wahlperiode verlängern, wenn parallel dazu die direkte Demokratie gestärkt werde. Wie wir heute gerade wieder im "Hamburger Abendblatt" lesen konnten, sind wir selbst nach Ansicht von "Mehr Demokratie!" mittlerweile Spitzenreiter in Deutschland. Also spricht auch von dieser Seite nichts gegen eine Verlängerung der Wahlperiode auf fünf Jahre.

(Beifall bei der CDU und der GAL)

Viertens – und ich glaube, das wird noch ein ganz entscheidendes Thema sein, mit Frau Ernst habe ich viel darüber diskutiert – werden alle Parteien künftig viel Zeit und vor allem auch viel Geld für eigenständige Bezirkswahlkämpfe aufwenden müssen, ohne dass es dazu irgendeine zusätzliche Wahlkampfkostenerstattung geben wird, jedenfalls nach unserem bisherigen Stand. Auch aus diesem Grunde, aus Verantwortung für die Parteifinanzen, aber auch für unsere zeitlichen Ressourcen, wäre es klug, den Abstand zwischen zwei Bürger

schaftswahlen zu vergrößern, um diese Ressourcen nicht überzustrapazieren – man könnte vielleicht ergänzen, um auch die Geduld der Bürger und die Widerstandsfähigkeit unserer Straßenbäume nicht überzustrapazieren.

Meine Damen und Herren! Ich habe Ihnen jetzt vier aus meiner Sicht gute Gründe genannt – es gibt noch viele weitere –, warum wir aus meiner Sicht die Legislaturperiode auf fünf Jahre verlängern sollten. Nun weiß ich, dass es in der SPD viele gibt, die das genauso sehen; Johannes Kahrs ist einer von ihnen.

(Dr. Monika Schaal SPD: Der ist jetzt nicht mehr hier!)

Aber es gibt auch viele in der SPD, die diesem Thema noch kritisch gegenüber stehen. Ich respektiere diese Bedenken durchaus, denn die Vorund Nachteile einer solch gravierenden Entscheidung sollte man in der Tat sehr sorgfältig abwägen. Wir wollen der SPD gerne die notwendige Zeit geben, das intern zu diskutieren, gemeinsam mit den Kreisverbänden und mit der Landespartei die Vor- und Nachteile zu prüfen und am Ende zu einer Entscheidung zu kommen. Von daher wollen wir unseren Antrag erst einmal an den Verfassungsausschuss überweisen; vielleicht macht man dort auch noch eine Anhörung. Aber ich appelliere heute an die SPD, sich nicht schon vorab festzulegen, denn, liebe Sozialdemokraten, was Ihr Pressesprecher den Medien gegenüber gesagt hat, als er unseren Antrag kommentierte, klang doch ein bisschen zu sehr nach dem klassischen Oppositionsreflex, nach dem man die jeweilige Regierung immer möglichst schnell loswerden möchte. Vielleicht war die Bürgermeisterwahl, die kurz vorher stattgefunden hatte, ein bisschen schuld daran, dass die Oppositionsreflexe hoch kamen. Ich hatte bis dahin nicht gedacht, dass Sie schon jegliche Hoffnung aufgegeben hätten, irgendwann selbst wieder an die Regierung zu kommen. Von daher bitten wir Sie, noch einmal darüber nachzudenken und unserem Antrag dann zu einem späteren Zeitpunkt zuzustimmen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und der GAL)

Das Wort bekommt Herr Steinbiß.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren! Die Regierungskoalition möchte also gern unsere Verfassung ändern,

(Kai Voet van Vormizeele CDU: Ja!)

dafür sorgen, dass die Bürgerinnen und Bürger künftig nicht mehr nur alle vier Jahre, sondern alle fünf Jahre an die Urne gerufen werden. Offensichtlich teilen Sie die Einschätzung, dass dieses im Hinblick auf die Interessen der Hamburgerinnen

(Robert Heinemann)

und Hamburger eine etwas unpopuläre Entscheidung ist, die auf Unverständnis stoßen wird, denn ganz im Gegensatz zu anderen Themen haben Sie bei diesem Vorhaben kaum Lärm im Vorfeld gemacht, wie wir es sonst kennen. Man hat doch sehr den Eindruck, dass hier etwas durch die kalte Küche eingeführt werden soll.

(Beifall bei der SPD)

Zutreffend ist, dass es in vielen Bundesländern, aber auch im Bundestag den entsprechenden Trend gibt, die Wahlperiode zu verlängern. Aber kann das wissenschaftlich abgesicherte und gern genutzte Argument, das machen alle so, hier wieder einmal als Begründung herhalten? Ich glaube nicht.

(Heiterkeit bei der CDU)

Sehen Sie mir doch bitte nach, dass ich die Frage nach dem Sinn dieser Verfassungsänderung aufwerfe. Was bedeutet das für Hamburg? Unabhängig davon, dass andere Parlamente strukturell nicht mit der Hamburger Bürgerschaft vergleichbar sind, macht es grundsätzlich Sinn, sich zu überlegen, welche Vor- oder Nachteile eine solche Verlängerung mit sich bringen würde, außer natürlich, dass die Gewählten länger in ihrem Amt bleiben. Tatsache ist, wie Ihnen, sehr geehrte Damen und Herren der Regierungskoalition, hinreichend bekannt sein wird, dass die Akzeptanz einer gewählten Regierung bei der Bevölkerung Jahr für Jahr sinkt. Schon vor diesem Hintergrund ist es kein richtiger Schritt, wenn die Zeit noch um ein Jahr verlängert wird. Ich befürchte, wenn man heute die Hamburgerinnen und Hamburger fragen würde,

(Vizepräsident Wolfhard Ploog übernimmt den Vorsitz.)

würden viele von ihnen sagen, dass die vier Jahre eigentlich schon ausreichen.

(Beifall bei der SPD)

Glaubt man jedenfalls den Umfragen, dann haben Sie es mit Ihren bisherigen schwarz-grünen Glanzleistungen geschafft, dass die Mehrheit in Hamburg sich eine andere Regierung wünscht. Unabhängig davon ist festzuhalten, dass keine Hamburgerin und kein Hamburger diesen Bürgermeister, der jetzt leider nicht da ist, gewählt haben. Trotz der nur vierjährigen Periode müssen wir noch fast zwei Jahre mit einem nicht vom Wähler legitimierten Bürgermeister leben; das ist doch furchtbar.

(Beifall bei der SPD)

Aber keine Sorge, Sie sind nicht die schlechtesten, die Bundesregierung hat es sogar geschafft, innerhalb von zwei Monaten jegliche Akzeptanz zu verspielen. Ich kann natürlich nicht für eine Verlängerung sein, ganz und gar nicht. Gesetzesänderungen brauchen Zeit, aber vier Jahre sind meines Erachtens genug.

(Hjalmar Stemmann CDU: Ortwin Runde hat vier Jahre ganz ohne Legitimation regiert!)

Sehr beachtlich ist auch der Wandel in der GAL. Noch in der letzten Legislaturperiode waren Sie Opposition und als solche strikt gegen eine Verlängerung. Nunmehr besteht dort plötzlich der Wunsch nach einer Verlängerung und von der GAL ist zu hören, bei Großprojekten seien vier Jahre häufig nicht ausreichend. Da fragt man sich, welche Großprojekte überhaupt gemeint sein sollen, für die dringend noch ein Jahr mehr benötigt wird. Wenn man sich zum Beispiel ansieht, wie von der Regierungskoalition das Großprojekt Schulreform angepackt wurde, dann wären fünf Jahre auch nicht ausreichend gewesen, um das zu schaffen.

(Beifall bei der SPD)

Eigentlich ist es gang und gäbe, dass nach einem Regierungswechsel die begonnenen Großprojekte fortgeführt werden. Bekanntlich wurden in Hamburg auch die Großprojekte Moorburg und Elbvertiefung fortgeführt. Lediglich die jetzige Bundesregierung hat es geschafft, das Großprojekt "Ausstieg aus der Atomkraft" nicht fortzuführen, eine sehr unrühmliche Ausnahme. Aber das vermeintliche Argument der Großprojekte verfängt beim genaueren Hinsehen nicht. Eine Verlängerung der Legislaturperiode kann auch nicht mit dem Argument legitimiert werden, wie Sie es taten, verehrter Kollege Heinemann, dass heute Volksentscheide die Einflussnahme der Bürger auch zwischen den Wahlen ermöglichen. Ja, die direkte Demokratie boomt in Hamburg, anhand des Schulentscheids ist dies wieder einmal deutlich geworden. Es gibt also verstärkt den Wunsch der Bürgerinnen und Bürger, bei wichtigen und großen politischen Entscheidungen mit eingebunden zu werden.

(Michael Neumann SPD: Wenn der Senat Mist macht!)

Und dieses Verlangen soll nun zurückgestoßen werden? Ich möchte in diesem Zusammenhang an die schwammigen Andeutungen des Bürgermeisters in seiner sogenannten Regierungserklärung erinnern. Danach ist zu befürchten, dass uns demnächst noch weitere Änderungswünsche im Hinblick auf Volks- und Bürgerentscheide ins Haus stehen. Vielleicht können Sie dazu noch etwas sagen.

Bitte bedenken Sie, das verstärkte Nutzen der direkten Demokratie ist auch immer eine deutliche Kritik des Souveräns an denen da oben.

(Beifall bei der SPD)

Volksentscheide sind weder eine bessere Form der Demokratie noch eine Alternative zum allgemeinen Wahlrecht. So lange wir in einer repräsentativen Demokratie leben, sind Wahlen das wichtigste Instrument zur Willensbildung der Bürgerinnen

und Bürger und das höchste legitime Mittel für die Politik.

Trotz der von Ihnen gerühmten Vorteile, Herr Heinemann, muss man unter dem Strich sagen, dass die Verlängerung der Wahlperiode einen Demokratieverlust für die Bürgerinnen und Bürger bedeutet.

(Beifall bei der SPD und bei Kersten Artus und Christiane Schneider, beide DIE LINKE)

Eine Entscheidung über die Verlängerung der Wahlperiode kann und darf gegen eine Mehrheit der Bevölkerung nicht beschlossen werden. Das Parlament muss die Bevölkerung bei dieser Entscheidung einbinden und mitnehmen. Wenn dies nicht geschieht, wird es nur zu einer weiteren Politikverdrossenheit kommen. Eine Verlängerung der Wahlperiode bedarf daher einer längeren Diskussion, auch in der Stadt. Eine solche Entscheidung muss von den Menschen mitgetragen werden, die von dieser Reform besonders betroffen sind. Das sind die Bürgerinnen und Bürger der Stadt, denen ein Verlust von Demokratie droht; dies sollten Sie nicht vergessen. – Danke sehr.

(Beifall bei der SPD und bei Christiane Schneider DIE LINKE – Zurufe von der CDU)

Das Wort bekommt Herr Müller.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich finde es etwas schade, dass wir jetzt sehr viel Polemik gehört haben. Herr Heinemann hat sich doch sehr viel Mühe gegeben, Argumente vorzutragen, die dafür sprechen und die in den anderen 14 Bundesländern bisher auch zum Tragen gekommen sind,

(Beifall bei der GAL und der CDU)

auch mit einer sozialdemokratischen Regierung. Nun wollen Sie eben so auf dieses Angebot reagieren. Weil wir das nicht großartig in der Presse verkündet haben, unterstellen Sie uns gleich wieder niedere Motive. Ich habe es eher so verstanden, dass dieser Antrag ein Gesprächsangebot an die SPD sein sollte, bei dem wir extra keinen Druck im öffentlichen Raum für Sie produzieren wollten. Sie drehen dies wieder um, das finde ich schade.

(Ingo Egloff SPD: Sie sind so freundlich zu uns, Herr Müller!)

Möglicherweise sind Sie jedoch momentan gar nicht in der Lage, anders mit so einem Vorschlag umzugehen.

(Beifall bei der CDU)

Ich nenne zwei Gründe, warum ich persönlich und meine Fraktion uns nach sehr langer Diskussion diesem Vorschlag jetzt positiv zugewendet haben, weil wir uns nämlich in der vergangenen Legisla

turperiode, als es die Debatte schon einmal in Hamburg gab, dagegen ausgesprochen hatten. Tatsächlich war eines der stärksten Argumente der Ausbau der direkten Demokratie in Hamburg. Das war unter dem Vorgängersenat, als wir in der Opposition waren, nicht der Fall. Dort wurden zwei Volksentscheide gekippt, es wurde auch am Gesetz herumgebastelt, sodass aus unserer Sicht damals die direkte Demokratie erschwert wurde. In einer solchen Situation haben wir Grüne damals gesagt, dass eine Verlängerung der Legislaturperiode nicht gerechtfertigt wäre, weil dann auf beiden Ebenen ein Demokratieverlust stattgefunden hätte.

Nun haben wir gemeinsam in diesem Haus, das erinnern Sie vielleicht noch, liebe Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten, die Verfassung geändert. Wir haben eine politische Verbindlichkeit von Volksentscheiden in der Verfassung verankert. Wir haben uns alle zusammengesetzt, die Bürgerentscheide auf Bezirksebene zu verbessern und werden vermutlich noch in diesem Jahr die Bürgerschaft mit neuen Vorschlägen hierzu zu erreichen versuchen.

Wir haben auch gehört, dass sich Hamburg jetzt wohl an der Spitze der direkten Demokratie befindet. Aus unserer Sicht würde sich ein Jahr Verlängerung daher ableiten, dass man sagen kann, in diesen fünf Jahren haben die Bürgerinnen und Bürger durchaus die Möglichkeit, die Politik der Regierung zu korrigieren. Wir sehen übrigens die direkte Demokratie – das ist vielleicht auch ein kleiner Unterschied zur Sozialdemokratie – nicht als eine Generalkritik an denen da oben, sondern wir haben es immer so empfunden, dass einzelne Projekte durchaus kritisiert werden von den Bürgerinnen und Bürgern. Dies geht aber auch einher mit deren Zufriedenheit mit der Gesamtpolitik des Senats. Als Beispiel dafür, dass dies einmal so war – daran können Sie sich erinnern, liebe SPD –: 2004 beim Volksentscheid über den Verkauf der Krankenhäuser sagten die Bürger, sie wollten den Verkauf nicht, gleichzeitig hat aber die CDU die absolute Mehrheit erhalten. Hier sieht man, dass die Bürger sehr wohl zwischen denen da oben und einzelnen Projekten unterscheiden können.

(Beifall bei der CDU)

Auch in Bayern hat die CSU sehr lange mit der direkten Demokratie ihre Regierung halten können. Vor diesem Hintergrund glaube ich, dass Ihre Einschätzung, werter Kollege, da nicht ganz greift.