Protocol of the Session on September 29, 2010

(Beifall bei der SPD und bei Dora Heyenn DIE LINKE)

Das Wort hat Herr Goldberg.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich möchte noch einmal kurz auf die beiden Wortmeldungen von Herrn Dr. Tschentscher eingehen.

Zur Tragödie erster Teil, dem Vorwurf der Umverteilung: Sie haben recht, es findet eine Umverteilung statt. Es findet eine Umverteilung in den Bereichen statt, wo Ausgabenerhöhungen geplant und durchgeführt werden. Es findet zum Beispiel eine Umverteilung aus der Kasse der Steuerzahler in die Erhöhung an Kita-Aufwendungen, die wir aus dem Stadtsäckel bezahlen, statt. Es findet eine weitere Umverteilung aus der Kasse der Steuerzahler für die erhöhten Aufwendungen im Be

reich Kosten der Unterkunft im Bereich Sozialbehörde statt. Es findet eine weitere Umverteilung statt zugunsten der Schulen, zur Reduzierung der Klassenfrequenzen, zur Erhöhung der Lehrerzahlen – dem haben Sie übrigens auch zugestimmt. Und es findet noch eine Umverteilung statt, nämlich in der Kulturabgabe aus der Kasse der Hoteliers für die Kultur, für die Stadt.

Der Tragödie zweiter Teil war Ihre zweite Wortmeldung. Es ist gut, dass die SPD dazu steht, dass auch sie Schulden gemacht hat – keiner hat es bisher geahnt –, und zwar vor allen Dingen in den ersten fünf Jahren nach dem Krieg zum Wiederaufbau; so klang das gerade. Dramatisch, Herr Dr. Tschentscher, wirklich dramatisch.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU)

Die SPD-Regierungen haben angefangen, Schulden zu machen, als die Wähler anfingen, ihnen wegzulaufen und Wahlgeschenke verteilt werden mussten.

(Jan Quast SPD: Ach, deswegen machen Sie das!)

Die Schuldenspirale hat Anfang der Siebzigerjahre angefangen, da war der Krieg ungefähr 25 Jahre vorbei und damit kommen Sie heute an. Was soll das, Herr Dr. Tschentscher?

(Beifall bei der CDU und der GAL)

Ich werfe Ihnen gar nicht vor, dass die SPD Schulden gemacht hat, Herr Dr. Tschentscher, sondern dass Sie so tun, als trügen Sie für die Verschuldung der Stadt keine Verantwortung. Noch einmal: Sie sind Teil des Problems, wie wir alle, aber Sie sind kein Teil der Lösung. Sie haben nicht einen einzigen Vorschlag, der substanziell zur Einsparung beitragen könnte. Das werfe ich Ihnen vor. Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass. Sie tragen keine Verantwortung.

(Beifall bei der CDU und der GAL)

Das Wort hat Herr Dr. Bischoff.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Drei Bemerkungen möchte ich doch noch zu dieser Debatte machen.

Erstens, Herr Frigge, und auch Herr Goldberg, Sie haben ja völlig Recht. Wir haben sicherlich strategisch-ideologische Differenzen zwischen Regierung und Opposition.

(Beifall bei der CDU – Dora Heyenn DIE LINKE: Das ist auch gut so!)

Das können Sie rauf- und runterdeklamieren, das würde keiner von uns in Frage stellen. Aber wir führen – und das werfe ich Ihnen und auch dem

(Dr. Peter Tschentscher)

Bürgermeister vor – hier keine popelige Finanzdebatte, wir diskutieren über Hamburgs Zukunft. Sie können sagen, wir seien Teil des Problems und nicht der Lösung, das ist aber nicht wahr. Wir haben Hamburgs Zukunft genauso im Auge wie Sie und der entscheidende Punkt ist, dass Sie großen Schaden in vielen gesellschaftlichen Bereichen anrichten und – das ist für mich noch viel schlimmer – damit die Parteienverdrossenheit und die Distanz zur demokratischen Willensbildung fördern.

Herr Kerstan, ich kann mir gar nicht vorstellen, dass Sie Herrn Frigge nicht widersprechen können. Natürlich ist diese Stadt, wie München, wie Köln, wie Frankfurt, wie im Übrigen 70 Prozent aller Kommunen, unterfinanziert und wir lösen dieses Problem nicht. Herr Ude aus München, auch nicht meine politische Kragenweite, sagt, das, was jetzt gemacht wird und wo Sie Hamburg in meinen Augen blamieren, sei schlechteste Strohhalmpolitik. Wir können diese Not der Kommunen und der großen Städte nicht damit lösen, was Sie uns hier präsentieren. Das ist keine Antwort auf die Zukunftsherausforderungen; um dieses Problem geht es.

(Beifall bei der LINKEN und der SPD)

Herr Kerstan, wir sind uns einig, dass wir verrottete Schulen hatten. Herr Tschentscher, Sie müssen nicht nur die 27 Milliarden Euro, sondern auch die 3 Milliarden Euro, die wir im sogenannten Schattenhaushalt haben, dazurechnen. Auch die Universitäten waren unterfinanziert, die Straßen – das war doch nicht der Winter –, die Grünflächen, alles unterfinanziert. Und dann, Herr Buss, war auch die Kultur strategisch unterfinanziert. Wir wehren uns natürlich mit Händen und Füßen erst gegen Frau von Welck, dann gegen Herrn Stuth, dass man anfängt, herumzulaborieren indem man sagt, die Galerie der Gegenwart kann man vielleicht zumachen oder auch Bestände verkaufen. Das geht nicht und das lösen Sie auch nicht mit einer Kulturtaxe. Wenn Sie zu einer strategischen Diskussion bereit sind, dann haben Sie uns doch an Ihrer Seite, das können wir doch zusammen machen.

(Farid Müller GAL: Das Problem Ihrer Dis- kussion ist, dass da nichts bei rauskommt!)

Drittes Argument, warum ich den Eindruck habe – Herr Müller, der kann ja falsch sein –, dass Sie unglaubwürdig werden zum Beispiel beim Altonaer Museum. Das renovieren Sie vorher in einem aufwendigen Prozess – das haben Sie offensichtlich nicht durchdacht – und dann machen Sie die Bude zu. Das ist Blödsinn, das versteht keiner.

(Beifall bei der LINKEN und der SPD)

Genau dasselbe – Herr Tschentscher hat es gesagt – bei der HCU. Die wollten wir nicht, wir haben gesagt, wir sehen überall die Löcher, da scheint der Boden durch. Wir müssen das wenige Geld, das wir haben, anders anlegen. Sie haben

das alles in die Tonne getreten. Bleiben wir doch ehrlich: Sie mieten 50 000 Quadratmeter an und veranstalten einen Umzugszirkus mit Bezirksämtern und sonst etwas. Das wird niemand in der Stadt verstehen, das ist keine solide Politik unter den Bedingungen knapper Finanzen.

(Beifall bei der LINKEN und der SPD)

Meine Damen und Herren! Es liegen mir zum ersten Thema der Aktuellen Stunde keine weiteren Wortmeldungen vor. Wir kommen zum zweiten Thema:

Flüchtlingsunterkunft Horst schließen – Flüchtlinge in Hamburg menschenwürdig unterbringen!

Wird dazu das Wort gewünscht? – Das ist der Fall. Herr Yildiz hat das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die heutige Aktuelle Stunde möchte ich dazu nutzen, um auf die menschenunwürdige Praxis der Flüchtlingsunterbringung aufmerksam zu machen. Letzte Woche habe ich die Zentrale Erstaufnahmestelle für Flüchtlinge in Nostorf/Horst besucht.

(Erste Vizepräsidentin Barbara Duden über- nimmt den Vorsitz.)

Die Zustände sind unerträglich. Die Zimmer sind mit vier bis acht Menschen überbelegt, Privatsphäre gibt es nicht. Schwangere Frauen schlafen in eingesackten Betten mit sehr dünnen Matratzen, starke Rückenschmerzen sind die Folge. Minderjährige werden durch Altersfiktivsetzung zu Erwachsenen gemacht und mit Erwachsenen zusammen untergebracht. Familien mit Kindern werden entgegen der Zusage im Koalitionsvertrag weiterhin in Horst untergebracht. Den Kindern wird damit die Möglichkeit des Schulbesuchs genommen. Die sanitären Anlagen lassen zu wünschen übrig. Es gibt zu wenig Duschen und die Duschen haben noch nicht einmal einen Vorhang. Kulturelle Ernährungsgewohnheiten werden kaum berücksichtigt. Die Menschen haben nicht die Möglichkeit, für sich selbst zu kochen. Die medizinische Versorgung ist mangelhaft. Menschen, die eigentlich ins Krankenhaus müssen, bekommen vom Arzt lediglich Schmerzmittel. Frauen, die im fünften, sechsten oder achten Monat schwanger sind, werden weder vom normalen Arzt noch von einem Frauenarzt betreut. Die Menschen leben isoliert im Nirgendwo zwischen Lauenburg und Boizenburg, abgeschnitten von sozialen Kontakten sowie rechtlicher Betreuung für ihre Asylverfahren.

Diese Zustände sind nicht länger hinnehmbar.

(Beifall bei der LINKEN)

(Dr. Joachim Bischoff)

Ich appelliere an den Senat, die Unterbringung für Hamburger Flüchtlinge in Horst sofort zu beenden und Flüchtlinge in Hamburg angemessen unterzubringen.

(Beifall bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren! Bitte führen Sie sich vor Augen, was diese Menschen alles durchgemacht haben. Sie haben Schlimmes erlebt. Sie sind vor Krieg, Verfolgung, Hunger und Umweltkatastrophen geflohen. Viele dieser Menschen sind traumatisiert, sie sind nach Europa geflohen, um ihr Leben zu retten. Sie haben die Hoffnung auf eine bessere Zukunft in Deutschland. Und was bieten wir ihnen hier in Hamburg an? Wie heißen wir diese Menschen in Not willkommen? Statt über die Probleme zu reden und ihnen Hilfe anzubieten, werden diese Menschen in Polizeiwachen durchsucht und müssen sich nackt ausziehen. Anschließend pferchen wir sie in Lager weitab von der Zivilisation ein. Ihren Geschichten von Flucht und Vertreibung schenken wir keinen Glauben und bedrohen sie gleichzeitig mit der Abschiebung in die Kriegsgebiete und die schlechten Lebensverhältnisse in den Herkunftsländern.

Sieht so eine humane Flüchtlingspolitik aus? Meiner Ansicht nach nein. Wären nicht zahlreiche Flüchtlinge in Hungerstreik getreten, hätte niemand von den Zuständen in Horst Notiz genommen. Ich fordere den Senat auf, sich endlich seiner Verantwortung für Flüchtlinge in Horst zu stellen und die Forderungen der Hungerstreikenden ernst zu nehmen.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Forderungen lauten: bessere Verpflegung, medizinische Versorgung und schnellere Umverteilung. Das Mindeste ist, endlich die Vereinbarungen im Koalitionsvertrag durchzusetzen, dort keine Familien mit Kindern und Kranke unterzubringen. Kinder, die aufgrund fiktiver Altersfestsetzungen als erwachsen eingestuft, umverteilt und gemeinsam mit Erwachsenen untergebracht wurden, müssen sofort nach Hamburg gebracht werden. Auch das Besuchsverbot, das seit Beginn des Hungerstreiks gilt, muss sofort aufgehoben werden. Ich fordere den Senat auf, den Vertrag mit Mecklenburg-Vorpommern umgehend aufzulösen und sich für die Schließung der Unterkunft Nostorf/Horst einzusetzen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Das Wort bekommt Herr van Vormizeele.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Begriff "menschenverachtende Zustände" ist viel beschworen worden. Dazu möchte ich eines deutlich hervorheben: Nicht nur Hamburg, sondern ganz

Deutschland bemüht sich, den Menschen, die hierher gekommen sind, eine menschenwürdige Unterkunft zu bieten, und damit sind wir auch sehr erfolgreich. Keiner würde auch nur annähernd auf die Idee kommen, Flüchtlingen menschenunwürdige Zustände zuzumuten.

(Beifall bei der CDU)

Vielleicht sollten wir noch einmal die Realitäten betonen. Wir haben im Koalitionsvertrag vereinbart, dass wir aus der Außenstelle Horst aussteigen wollen. Das können wir nicht so einfach nebenbei tun, denn wir sind vertraglich gebunden und haben die erste Kündigungsoption im Herbst des nächsten Jahres. Wenn wir uns daran nicht hielten, müssten wir weiter zahlen

(Christiane Schneider DIE LINKE: Sie brau- chen aber keinen hinzuschicken!)