Protocol of the Session on May 29, 2008

Und es ist selbstverständlich, dass wir hier – wie wir das auch schon gemeinsam auf der Pressekonferenz am Dienstag gemacht haben – die Bereiche, die die Behörde für Soziales und meine Behörde anbetreffen, nicht nur in der Analyse, im Sachstand und in der Aufklärung angehen, sondern – auch sehr schnell am Dienstag in den Bereichen, die uns betreffen – erste Schlussfolgerungen ziehen. Ich werde sie gleich im Einzelnen und im Detail noch einmal aufführen. Wichtig ist dabei aber, dass wir wirklich diese gesellschaftliche Debatte brauchen, die notwendiger denn je ist. Es geht nicht darum, in irgendeiner Form etwas zurückzuhalten oder zu verheimlichen. Deshalb haben die Fraktionen auch die Debatte "Kein kultureller Dispens für Mord" angemeldet. Es ist schon sehr und zutiefst schockierend. Solch ein Mord ist eine Schandtat und diese junge Frau, Morsal, hatte versucht, von dem Recht auf Selbstbestimmung in Deutschland Gebrauch zu machen. Das ist nicht gelungen. Da gibt es jetzt mehrere Gründe für das, was da zwischen Selbstbestimmung und Bindung passiert ist. Es ist richtig, was hier schon mehrfach gesagt wurde: Für einen Mord kann es nie eine Rechtfertigung geben, keine soziale, keine kulturelle und keine religiöse. Mustafa Yoldas, der Vorsitzende des SCHURA, hat in einer Zeitung richtig gesagt – Zitat:

"Wer einen Ehrenmord begeht, der besudelt aus Sicht der Religion seine Ehre."

Im Senat sind wir uns gemeinsam einig – das haben wir auch sehr deutlich am Dienstag in der Pressekonferenz gesagt –, dass wir alles Mögliche tun werden und müssen, um Mädchen und junge Frauen vor derartiger Gewalt zu schützen. Es geht um Schutz vor Gewalt und das ist eine gesellschaftliche Aufgabe, das ist unsere Pflicht und eine staatliche Aufgabe. Wir haben ressortübergreifend in der Behörde für Soziales und in der Behörde für Bildung den Umgang mit diesem Fall kritisch analysiert – kritisch analysiert und erste Konsequenzen gezogen. Das ist noch kein Recht oder Anspruch auf Vollständigkeit. Aber wir müssen und werden Mädchen und Frauen aus Familien, die unter patriarchalischer Gewalt leiden, wirksam helfen.

Deshalb sind wir dabei, unsere Schutz- und Hilfsangebote zu intensivieren und besser zu koordinieren. Und wenn hier gefragt wird, wer dafür eigentlich zuständig war: Es war der ASD eingeschaltet, es waren Hilfsangebote da. Aber es gibt das weitere Problem und darauf müssen wir immer wieder zurückkommen, dass trotz dieser Hilfsangebote, trotz der Betreuung des ASD und trotz der Betreuung des Beratungslehrers in der Schule dieses Mädchen immer wieder zwischen der Bindung an die Familie und dem Wahrnehmen der staatlichen Hilfe zerrissen war. Das ist eine ganz schwierige Situation, in der wir tatsächlich etwas verbessern müssen.

(Carola Veit SPD: Dann sollen neue Ange- bote angeboten werden!)

Jeder Fall muss individuell ernst genommen werden – das ist unsere Leitlinie.

Ich möchte Ihnen jetzt sagen, welche neuen gemeinsamen Schwerpunkte wir dafür in den beiden Behörden setzen. Künftig werden Fälle mit hoher Gefährdung immer – und das ist wichtig – mit einem Worst-Case-Szenario eingeschätzt, also aus der Perspektive des schlimmstmöglichen Verlaufs bis hin zu einer möglichen Tötung. In den Schulen werden umgehend – das wird erst in den Dezernaten und dann in den Lehrerkonferenzen sein – für jeden Einzelfall Szenarien erörtert und in Absprache und Zusammenarbeit mit anderen Institutionen gehandelt. Wir haben an einem Punkt entdeckt, dass die rechtliche Lage so war, dass die Kinder vor einem Schulwechsel ins Ausland einfach telefonisch abgemeldet werden konnten. Das war die Rechtslage. Das ist ein Punkt, der sofort geändert wird. Die rechtliche Grundlage wird jetzt gerade in meinem Haus erarbeitet. Das geht sowieso nur schriftlich und die Schulen müssen überprüfen können, wie glaubwürdig die Abmeldung ist. Wenn Lehrerinnen und Schulleitungen Verdacht auf Gefährdung durch Gewalt oder Zwangsheirat haben – das kommt jetzt wieder vor den Sommerferien vermehrt auf uns zu –, müssen die Eltern natürlich sofort zum Gespräch mit Unterstützern und Betreuern, möglichst mit interkultureller Kompetenz, in die Schulen kommen. Das ist vollkommen klar und wird gerade vorbereitet.

(Carola Veit SPD: Das ist aber nicht pas- siert!)

Jede Schule und jede andere der zuständigen Institutionen muss interkulturell geschulte Lehrkräfte und Betreuer haben, besser noch Lehrkräfte mit interkulturellem Hintergrund. Wir brauchen Fachleute, die die Situation kompetent einschätzen können und in den Familien akzeptiert werden. Darin liegt eine große Problematik. Das müssen und werden wir bei Neueinstellungen umgehend berücksichtigen.

(Beifall bei der GAL und der CDU)

(Christiane Schneider)

Ressortübergreifende Schutzmaßnahmen und Hilfsangebote bleiben in einer Hand, damit die beteiligten Institutionen wie Soziale Dienste, Schule, Jugendhilfe, Polizei, Justiz und weitere öffentliche Stellen koordiniert handeln und das betroffene Mädchen eine beständige Betreuung an seiner Seite hat. Frau Veit, wir waren gemeinsam im Sonderausschuss Jessica.

(Carola Veit SPD: Umso erstaunlicher sind Ihre Äußerungen! – Gegenruf von Jens Ker- stan GAL: Und Ihre Äußerungen sind absto- ßend!)

In diesem Einzelfall ist, obwohl Hilfe aus einer Hand vorhanden war, kein Erfolg erreicht worden, weil die Problematik in dieser patriarchalisch geprägten Situation verkannt wurde.

(Carola Veit SPD: Warum gab es keine Fall- konferenz?)

Da müssen wir heran.

Ein weiterer Punkt: Um Misshandlungen und andere Gefährdungen zu verhindern, werden wir Interventionsketten ausarbeiten. Das ist gerade für die Lehrkräfte ganz wichtig, um die Signale zu erkennen und dafür sensibilisiert zu werden, geeignete Hilfen einzuschalten – ich sage bewusst geeignete Hilfen, die in dieser Situation auch wirken – und dann mit den Sozialen Diensten für eine feste Betreuung zu sorgen. In den Schulen soll die aktive Ansprache und Aufklärung und die Arbeit mit Jungen und deren Eltern verstärkt werden. Das haben wir auch im Koalitionsvertrag so vereinbart.

Die Sozialbehörde wird die Gewaltberatungsstellen LÂLE und i.bera, die stark beansprucht werden und sich erfolgreich für Mädchen und Frauen einsetzen, kurzfristig mit 60 000 Euro mehr ausstatten. Das sind zwei bis vier Stellen, je nachdem, wie viele Personen mit diesen Hintergründen dort eingestellt werden können. Bei Warnhinweisen auf eine schwere Bedrohung soll auch der Schutz vor der eigenen Familie konsequenter umgesetzt werden. Der familiengerichtliche Beschluss einer Trennung von der Familie kann Mädchen helfen, aus dem Dilemma zwischen Flucht und Bindung herauszukommen.

(Carola Veit SPD: Das haben Sie nicht ein- mal geprüft!)

Es ist aber eben bei diesem Einzelfall nicht gelungen, eine stabile Beziehung zwischen denjenigen Personen herzustellen, die Morsal betreut haben. Das ist nicht gelungen und das ist eines der großen Probleme, die gelöst werden müssen.

Viele Mädchen sind von Zwangsheirat bedroht. Darauf zielt das Projekt DAPHNE ab – aktiv gegen Zwangsheirat mit dem Motto, Entscheidungsträger in Verwaltung und Politik zu sensibilisieren und die Öffentlichkeit auf das Verbot der Zwangsheirat aufmerksam zu machen. Bei diesem europäischen

Projekt ist Hamburg mit dabei. Das wird verstärkt werden. Verbreitet sind, wie ich anfangs schon ansprach, die Ferienverheiratungen von Schülerinnen in ihren Herkunftsländern während der Sommerferien. Wenn Lehrkräfte vor den im Juli beginnenden Sommerferien davon erfahren, werden sie umgehend Hilfeeinrichtungen einschalten. Neben bestehenden Einrichtungen wie Frauenhäusern und Mädchenhaus werden wie im Koalitionsvertrag vereinbart zusätzliche Einrichtungen geschaffen, zum Beispiel ein Wohnprojekt speziell für Frauen, die vor einer Zwangsverheiratung Schutz suchen.

(Beifall bei der GAL und der CDU)

Bei den gefährdeten Mädchen und Frauen und ebenso auch in der Öffentlichkeit sind viele der Angebote gar nicht bekannt. Das ist auch eine große Lücke, die wir feststellen müssen. Wir wollen daher gemeinsam mit allen beteiligten Behörden über die Hilfeeinrichtungen und über die neuen Maßnahmen informieren. Dass sich mit diesem konsequenteren Vorgehen ein Mord wie an Morsal letztlich verhindern lässt, können wir nicht garantieren. Da müssen wir ehrlich und realistisch bleiben. Aber wir werden alles dafür tun.

Das Selbstbestimmungsrecht von Frauen und Mädchen ist ein hohes Gut, das auch hier hart erkämpft wurde und längst noch nicht vollständig umgesetzt und durchgesetzt ist. Wie alle Grundrechte gilt es für alle Menschen. Wir sind in Gesellschaft und Politik dazu verpflichtet, diejenigen, die ihr Recht auf Selbstbestimmung verwirklichen wollen, zu schützen und zu bestärken. – Danke schön.

(Beifall bei der GAL und der CDU)

Das Wort bekommt Herr Dr. Dressel.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Goetsch, in der Opposition hätten Sie vermutlich eine andere Rede zu diesem Fall gehalten.

(Klaus-Peter Hesse CDU: Es ist nicht jeder so populistisch wie Sie, Herr Dr. Dressel!)

Und es stehen Fragen im Raum, die Frau Veit gestellt hat und die nicht beantwortet worden sind, konkrete Fragen, die sich mit diesem Fall beschäftigen. Da sind Sie ausgewichen, obwohl dieses Parlament einen Anspruch darauf hat, das vom Senat zu erfahren.

(Beifall bei der SPD)

Ein Zitat von Frau Machaczek fand ich gut:

"Wer in dieser Debatte schweigt, lässt die Opfer allein."

(Zweite Bürgermeisterin Christa Goetsch)

Dazu gehört an allererster Stelle die konsequente Aufarbeitung dieses schrecklichen Martyriums, das hier passiert ist.

(Beifall bei der SPD)

Ich nenne einmal ein paar Punkte, Frau Veit hat einige davon schon angesprochen. Der Senat rühmt sich immer so, er hätte überall die Anzahl der Monate, bis ein Verfahren zur Anklage kommt, verkürzt. Dieser Fall kann offensichtlich nicht damit gemeint gewesen sein. Es gibt Misshandlungsfälle aus dem Jahre 2006, die immer noch nicht vor dem Richter gelandet sind – ein Skandal, wie wir finden. Dazu kann man nur sagen: Wenn solche Verfahren so unerträglich lange dauern, wo es doch wichtig ist, gerade bei solchen Tätern frühzeitig eine Grenze zu setzen, dann ist es nicht verwunderlich, dass diese Täter irgendwann sämtliche Grenzen überschreiten.

(Beifall bei der SPD)

Insofern muss auch hier nach der Verantwortung der Justiz gefragt werden. Und es ist schon interessant, dass sich Herr Dr. Steffen zwar am Anfang der Aufklärung dazu geäußert hat, aber in den letzten Tagen doch merkwürdig stumm zu diesem Fall geworden ist. Unsere Meinung ist klar. Dieser Täter hätte wesentlich früher hinter Schloss und Riegel gehört.

(Beifall bei der SPD)

Frau Schneider hat die Frage, ob man auch gegen den Willen des Opfers an dieser Stelle Strafverfolgung ermöglichen kann, schon angesprochen. Sie hatten den Paragrafen 230 genannt. Das heißt, der Staat ist nicht machtlos in einer solchen Situation. Er kann durchaus auch gegen den Willen des Opfers und wenn das Opfer sagt, es wolle an dieser Stelle keine Strafverfolgung, mit besonderem öffentlichen Interesse dazu kommen, eine Strafverfolgung einzuleiten, und er darf in dieser Situation die Hände nicht in den Schoß legen. Das ist tragischerweise hier passiert.

(Beifall bei der SPD)

Dann die Frage des Sorgerechtsentzugs und der Inobhutnahme, wo Frau Machaczek dieses unmögliche Wort von der Schutzhaft gebraucht hat: Es geht um Inobhutnahme nach dem Kinderjugendhilfegesetz, nicht um Schutzhaft. In Paragraf 42 KJHG steht ausdrücklich, dass das Jugendamt berechtigt und verpflichtet

(Thomas Böwer SPD: Und verpflichtet!)

und verpflichtet – ist, auch bei Gefahrensituationen Inobhutnahmen vorzunehmen. Und Sie sprechen von Schutzhaft. Das ist wirklich eine unerträgliche Entgleisung.

(Beifall bei der SPD)

Es ist klar – das hat Frau Veit angesprochen: Wenn alle Behörden, die hier Erkenntnisse gehabt haben, die Erkenntnisse zusammengetragen hätten, dann wäre in diesem Fall die Gefahr für Leib und Leben offensichtlich gewesen und das ist ein schweres Versäumnis, das in diesem Fall zu verantworten ist.

(Beifall bei der SPD)

Dann die Ablenkungsmanöver, die wir in den letzten Tagen mitbekommen haben – ein bisschen war das hier heute wieder der Fall, auch in der Landespressekonferenz am Dienstag. Viel integrationspolitische heiße Luft, über manche Sachen können wir gerne reden – aber das ersetzt eben nicht die konkrete Aufarbeitung dieses Falls. Das ist eine Frechheit gegenüber der Öffentlichkeit, gegenüber dem Parlament und auch gegenüber den Medien. Ich nenne zum Beispiel unsere Kleine Anfrage. Wir warten bis heute auf die Beantwortung dieser Kleinen Anfrage, die genau die Aufarbeitung dieses Einzelfalls ermöglichen soll.

(Unmutsbekundungen bei der CDU und der GAL)

Stattdessen kommen an der Stelle viel heiße Luft und viele Ankündigungen, was man alles besser machen könnte. Wir sind an der Stelle sehr dankbar, dass – wo wir schon nicht die Antwort bekommen haben – dann zumindest in "Der Welt" von heute die Aufarbeitung, die wir vom Senat erwartet haben, passiert. Wir müssen informiert werden, was in diesem Fall gelaufen ist und was schief gelaufen ist.