Protocol of the Session on May 29, 2008

Frau Ernst, natürlich ist dieser Vertrag besser als dasjenige, was vor 50 Jahren vereinbart worden ist oder in Nizza. Natürlich ist das besser, es steht aber nicht für das, was wir gegenwärtig in diesem Staat und in Europa brauchen und vor allen Dingen nicht für das, was wir sozial brauchen; das ist der Streit bei diesem Punkt.

Zum Schluss: Es ist unverschämt, uns in irgendeiner Weise – gerade uns – in Verbindung mit Nazis und Faschisten zu bringen.

(Beifall bei der LINKEN – Frank Schira CDU: Das hat bisher keiner gemacht!)

Diese Art und Weise kann ich wirklich nicht akzeptieren und mit der verunglimpfen Sie alles, was an Kritik vorgebracht wurde. Wir haben hier keine allgemeinen Sachen gebracht wie Herr Frank, sondern mein Beitrag war konkret auf Hamburger Beispiele bezogen. Hamburger Positionen müssen hier verteidigt werden und das wäre eine Aufgabe des gesamten Parlaments.

(Beifall bei der LINKEN)

Das Wort bekommt der Abgeordnete Farid Müller.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Hackbusch, der Eindruck, der hier entstanden ist, ist der, dass Sie innenpolitische oder auch Hamburger Probleme missbrauchen und instrumentalisieren wollen, um die Europaidee zu torpedieren. Aus dem gleichen Grund sind die Volksentscheide über die Verfassung in Frankreich und den Niederlanden übrigens gescheitert, weil dort für innenpolitische Probleme Europa als Sündenbock herhalten musste. Deswegen haben wir die Entwicklung, dass jetzt ein neuer Vertrag, der nicht mehr Verfassung heißt, zustande gekommen ist.

Wir Grünen waren immer dafür, über so eine Verfassung abzustimmen, aber wir wollen keine nationalen Volksentscheide über ein Europathema. Wir haben damals gesagt, als die Debatte in Deutschland lief, wenn, dann darf es ein europaweites Re

ferendum geben, gegen das dann Frankreich oder Deutschland, die Niederlande oder Luxemburg auch kein Veto einlegen, sondern dann geht es darum, ob das europäische Volk in der Mehrheit dafür ist; das wäre wirklich europapolitisches Denken.

Sie haben uns heute nicht gesagt, wie Sie sich so einen Volksentscheid überhaupt vorstellen, aber nach Ihrer heutigen Rede zu urteilen wäre es natürlich ein nationaler Volksentscheid gewesen, in dem Sie das soziale Thema, das ohne Frage in Europa und auch in Hamburg wichtig ist, dazu missbrauchen, Europa zu diskreditieren und das machen wir nicht mit.

(Beifall bei der GAL und der CDU)

Wenn wir über Volksentscheide reden, dann frage ich mich, wo denn Ihre Initiativen zur Grundgesetzänderung sind. Wir haben vor Jahren gemeinsam einen Antrag in den Bundestag eingebracht, von Ihnen habe ich derzeit überhaupt noch nichts gehört. Wenn man sich hier hinstellt und solche Dinge anmeldet, dann muss man irgendwann einmal in dieser Frage aktiv sein, sonst ist das nicht glaubwürdig. Ich glaube, dass Ihre Mitglieder in der Fraktion – wie ich Herrn Bischoff kenne, da er auch Mitglied im Bündnis zur Rettung des Volksentscheids ist – an sich ganz klare Befürworter der direkten Demokratie sind. Man fragt sich nur, warum Sie diesen populistischen Hebel jetzt anlegen, um Europa mit der sozialen Frage in so ein Bündel zu bringen, dass die Leute verängstigt sind und deswegen, weil es hier soziale Probleme gibt, Europa ablehnen. Wie ernst meinen Sie es mit der direkten Demokratie? Ich habe eher das Gefühl, dass Sie dazu ein sehr taktisches Verhältnis haben.

(Beifall bei der GAL und der CDU)

Dieses Gefühl ist auch nicht so einfach gekommen, sondern, das wurde hier schon angesprochen, es gab in Berlin ein Volksbegehren – das haben wir alle gehört, das ging national durch die Medien – und Ihr Senat hat gleich angekündigt, egal, wie es ausgeht, wir werden es auf jeden Fall nicht umsetzen; ein sehr taktisches Verhältnis zur direkten Demokratie.

(Ingo Egloff SPD: Das kennen wir in Ham- burg aber auch!)

Wenn man dann auch noch sagt, wir lehnen diesen Vertrag ab – vielleicht haben Sie doch noch den einen oder anderen Part gelesen –, dann wissen Sie, dass zum ersten Mal mit diesem Lissabon-Vertrag, so er denn zustande kommt, ein europaweites Referendum möglich sein wird mit einer Million Unterschriften. Da gibt es zum ersten Mal eine europäische Meinung und so etwas abzulehnen, verstehe ich nicht und ich glaube, auch die Hamburgerinnen und Hamburger verstehen es nicht.

(Norbert Hackbusch)

(Beifall bei der GAL, der CDU und vereinzelt bei der SPD)

Weitere Wortmeldungen zum ersten Thema sehe ich nicht.

Ich rufe das zweite, von der CDU-Fraktion angemeldete Thema auf:

Jeder Mord wird konsequent verfolgt und bestraft

Es wird zusammen mit dem vierten, von der GALFraktion angemeldeten Thema debattiert:

Kein kultureller Dispens für Mord

Wird das Wort gewünscht? – Das ist der Fall. Die Abgeordnete Machaczek hat es.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Jetzt geht es um Morsal, ein junges Mädchen aus Hamburg mit afghanischen Wurzeln, eine junge Frau, die noch in der Pubertät war. Wie wir heute ahnen, fast wissen, war sie völlig verzweifelt zwischen der Lust, als junge Frau die Welt zu entdecken und dem Martyrium, das ihr die archaisch-patriarchalische Struktur der eigenen Familie, der eigenen Mutter, des Vaters und der Geschwister antat, eine Familie, die offensichtlich im Geiste nie in Deutschland angekommen ist. Es ist unerträglich, wie manche Menschen – ich betone: manche Menschen – aus anderen Kulturen unsere freiheitlichen Werte und unser Rechtssystem mit Füßen treten.

(Beifall bei der CDU und bei Nebahat Güclü GAL)

So stehen wir vor der Frage, wie wir uns dafür Respekt verschaffen können, denn abgeschreckt war der kriminelle Bruder nicht. Eine Möglichkeit ist diese öffentliche Debatte, die zurzeit überall geführt wird, auch in der muslimisch geprägten Gesellschaft. Es ist gut, dass sämtliche Medien die Abscheu des übergroßen Teils der Gesellschaft transportieren. Dieses muss noch stärker dazu führen, dass Eltern, die ihre Kinder nicht lieben, sondern misshandeln, geächtet werden, damit diese Verbrechen als ehrlos gebrandmarkt werden, und dieses muss vor allem in den sogenannten eigenen Kulturkreisen geschehen.

Meine Damen und Herren! Wer in dieser Debatte schweigt, lässt die Opfer allein. Untersuchungen und eigene Gespräche zeigen leider, dass diese Schandmorde nur die Spitze eines Eisbergs sind. Es sind so viele Mädchen und Frauen bedroht, oft werden sie nur unterschwellig an ihrer freien Entfaltung gehindert. Daher mein erneuter Appell, diese Taten noch viel stärker im sogenannten eigenen Milieu zu ächten. Migrantenorganisationen

müssen noch vielfältiger, als sie es heute schon tun, ihr Gesicht zeigen. Dadurch könnte man vielleicht aktiver die Ausgrenzung dieser brutalen Strukturen betreiben. Es muss immer wieder laut gesagt werden, dass es nie eine Rechtfertigung für Mord und Gewalt gibt, keine aus traditionellen Motiven und schon gar keine aus religiösen Motiven.

(Beifall bei der CDU und der GAL)

Niemand darf die Verletzungen der Würde des Menschen akzeptieren, für welches Motiv auch immer, denn viele Menschen sind gerade nach Deutschland gekommen, weil wir ein freies und offenes Land sind, ein Land, in dem sich Frauen und Männer gleichberechtigt entfalten dürfen. Solche Morde, die verquere Ehrvorstellungen haben, dass Väter und Brüder ihre Frauen und Schwestern mit Gewalt ihre zumeist auch noch doppelbödigen Moralvorstellungen aufoktroyieren, besudeln nun wirklich die Ehre der hier lebenden rechtschaffenen Zuwanderer. Also: Wer mordet, kann seine Ehre nicht retten, sondern er verliert diese. Diese Ansicht muss sich in einigen Teilen unserer Gesellschaft noch stärker durchsetzen.

(Beifall bei der CDU und der GAL)

Es darf auch keine klammheimliche Freude geben, wenn so etwas geschieht.

(Erste Vizepräsidentin Barbara Duden über- nimmt den Vorsitz.)

So werden wir dies zum Anlass nehmen, im Bereich der fordernden und fördernden Integrationspolitik noch stärker die verschiedenen Migrantenorganisationen einzubinden, sie aufzufordern, mitzumachen und sie unterstützen. Wir wollen noch mehr Netzwerke schaffen, die hoffentlich rechtzeitig sich abzeichnende Katastrophen erkennen und dann zügig und effektiv handeln können.

Die Aufarbeitung, soweit sie bis heute geschehen konnte, zeigt, dass unser Rechtsstaat oft zu langsam ist, weil es fast immer Rechtsmittel gibt, die auch Strafantritte verzögern können, gerade in diesem Fall ein ganz großes Problem. Nach Bekanntwerden der kriminellen und entwürdigenden Details aus der Akte von Ahmad O. denkt doch der rechtschaffene Bürger, dass er schon lange hinter Schloss und Riegel hätte sitzen müssen und ich hoffe sehr, dass er jetzt auch bald verurteilt wird.

Meine Damen und Herren! Die Reaktionen der beiden Behörden für Soziales und Schule waren besonnen und richtig. Ab sofort wird man künftig von einem Worst-case-Szenario mit entsprechenden Folgerungen ausgehen, auch schon, wenn möglicherweise lebensbedrohende Gefährdungen aus Familien, wie hier beschrieben, bekannt werden.

Auch wenn es die SPD anders behauptet: Nach den heutigen Gesetzen hätte man Morsal nicht in eine Art Schutzhaft nehmen können.

(Farid Müller)

(Dr. Andreas Dressel SPD: Rechtlich un- möglich, hier von Schutzhaft zu reden!)

Doch dieser Fall hat uns gezeigt, dass wir unsere Instrumente schärfen müssen und auch eine solche Möglichkeit ins Auge fassen müssen.

Mit einigem Befremden lese und höre ich die Äußerungen der SPD zu diesem Thema. Haben Sie denn keine besseren Ideen, als nur auf uns einzuschlagen und so zu tun, als ob so etwas unter Ihrer Regierung nicht hätte passieren können? – Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU und der GAL)

Das Wort bekommt Frau Veit.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! "Jeder Mord wird konsequent verfolgt und bestraft" und "Kein kultureller Dispens für Mord" sind Ihre angemeldeten Themen. Dem stimmen wir voll und ganz zu. Natürlich sollten, wo immer das möglich ist, solche Gewalttaten verhindert werden. Das gehört bei diesem Thema dazu und darüber sollten wir auch reden.

Wir sprechen hier über einen ganz konkreten individuellen Fall von schwerer Gewalt in einer Familie – wir sprechen jetzt davon, Sie haben das eben leider nicht getan –, der nach jahrelanger Entwicklung und immer weitergehender Eskalation sein Ende in einem schrecklichen Mord an einer jungen Frau gefunden hat, und die Begründung dafür, das fürchterliche Unwort vom Ehrenmord, macht betroffen, macht eigentlich sprachlos.

Frau Machaczek, ich bin aber auch erstaunt, dass Sie im Gegenzug davon sprechen, nun sollten wir Eltern ächten. Ich weiß nicht, ob uns solche Formulierungen hier weiterbringen.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD)

Was uns aber auch sprachlos macht und was das Schreckliche an diesem Fall ist, das ist die Tatsache, dass staatliche Stellen seit Jahren Kenntnis von dem Martyrium des Mädchens Morsal hatten. Ich würde gerne wissen, wo eigentlich der für Jugendhilfe, Kinderschutz, Integration, soziale Dienste und Familienhilfe zuständige Senator ist.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Nach all den schrecklichen Fällen und Vorfällen der vergangenen Jahre, nach Jessica und all den anderen, nachdem uns der Senat jahrelang immer wieder das Hohelied des dichten Netzes der Hilfeeinrichtungen hier gesungen hat, müssen wir jetzt schon wieder erfahren, dass das System nicht funktioniert hat. Die Schule, der Kinder- und Jugendnotdienst, die Polizei, die Staatsanwaltschaft, alle waren irgendwann mit Morsal und ihrer Familie befasst, aber eine wirksame Hilfe gab es nicht.