Protocol of the Session on May 29, 2008

Es ist geplant, den vorhandenen Lebenslagenbericht mit anderen Berichtsfeldern zu verknüpfen, zum Beispiel der Integration von Zuwanderern, verstärkter Fokus auf Lebenslagen von Kindern

und Jugendlichen und auch Gesundheitsfragen. Ich sage Ihnen aber auch ganz klar, was wir nicht brauchen. Wir brauchen keinen unsystematischen Datenfriedhof, sondern wir wollen einen handlungsorientierten Ansatz. Wir wollen auch keinen schnüffelnden Staat, der alles wissen will, keine Ausforschung der Bürgerinnen und Bürger.

(Christiane Schneider DIE LINKE: Videoka- meras!)

Ich weiß, bei den LINKEN gibt es eine ganz andere Kultur, angefangen bei Ihrem Bundesvorsitzenden bis in Ihre Fraktion hinein.

(Beifall bei der CDU)

Man muss natürlich bei so einer Sache auch Aufwand und Nutzen beachten; das soll keine ABMMaßnahme für die Verwaltung sein, nicht unnötig Kapazitäten binden, denn das hilft im Endeffekt niemandem.

Wir wollen aus diesen Gründen einen interpretierenden und handlungsorientierten Berichterstattungsansatz. Einerseits ist ein genaues Lagebild ganz wichtig für solche Sachen, aber man darf die Bedeutung auch nicht überschätzen, denn viele Risiken und Probleme sind bekannt. Es wurde gehandelt und es wird auch in Zukunft gehandelt. Ich will hier nur beispielhaft den Bildungsbereich nennen, also Menschen ohne Bildungsabschlüsse. Das ist ein Problem, das wir alle kennen. Beim Ausbau der Kitas als Bildungseinrichtung gibt es keinen Dissens, da gibt es sogar gemeinsame Beschlüsse. Ich möchte hier nur beispielhaft die Ausgaben nennen, die in dem Bereich deutlich gestiegen sind. Aber auch kleine Grundschulklassen in sozialen Brennpunkten sind ganz konkrete Handlungen, die die Lage mit Sicherheit verbessern werden.

(Beifall bei der CDU – Wilfried Buss SPD: Mussten wir euch doch erst vorstellen!)

Ich darf noch eines sagen: Das beste Sozialprogramm sind nicht irgendwelche Umverteilungsphantasien, die Sie hier vom Stapel gelassen haben, sondern ist ein stetiges und kontinuierliches Wachstum und das wollen wir in dieser Stadt erreichen.

(Beifall bei der CDU – Christiane Schneider DIE LINKE: Wachstum der Zahl der Millio- näre!)

Im Armutsbericht der Bundesregierung steht auch, dass es bundesweit zu einer erfreulichen Entwicklung gekommen ist und in Hamburg ist die Lage sogar noch besser. Daher ist das sicherlich der richtige Ansatz. Ich möchte es auf jeden Fall nicht erleben, dass Sie wirtschaftlich richtig loslegen, denn dabei kommt bestimmt nichts Gutes heraus, das kann ich mir nun wirklich nicht vorstellen.

(Beifall bei der CDU)

(Wolfgang Joithe–von Krosigk)

Also keine Alibiberichte, sondern eine interpretierende, handlungsorientierte Berichterstattung.

Den Antrag selber werden wir an den Ausschuss überweisen und dort können wir noch einmal Ihre Meinung diskutieren.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der GAL)

Das Wort hat Herr Grund.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Es gibt die Drucksache 18/4891 mit der Überschrift: "Hamburg braucht eine realitätsnahe Analyse von Armut und Reichtum als Voraussetzung sozial gerechter Politik". Der Antrag ist von der SPD-Fraktion in der letzten Legislaturperiode gestellt und von der CDU-Mehrheit abgelehnt worden. Es gibt den Antrag 18/3463: "Wiedereinführung und Weiterentwicklung der Armutsberichterstattung in Hamburg". Er stammt von der GALFraktion, ist hier diskutiert worden, abgelehnt von der Mehrheit der CDU. Ich könnte diese Serie fortsetzen, wir haben nämlich jedes Jahr einen solchen Antrag gestellt.

(Wilfried Buss SPD: Richtig!)

2006 haben wir es dann irgendwann aufgegeben, weil wir merkten, dass es nichts mehr nützt. Dann kam der erste Lebenslagenbericht, nachdem jahrelang gar nichts war. Jetzt haben wir den Antrag der LINKEN.

(Kai Voet van Vormizeele CDU: Das wird wohl nichts Neues sein!)

Der Antrag ist nicht falsch, weil er von den LINKEN kommt. Wir haben ihn selber die ganze Zeit ungefähr so gestellt, also werden wir auch nichts Negatives zu diesem Antrag zu sagen haben, sondern ihn inhaltlich unterstützen.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Wir nehmen natürlich erfreut zur Kenntnis, dass dieser Antrag nicht wie unsere in der Vergangenheit schlicht hinweggefegt wird, sondern immerhin an den Ausschuss überwiesen wird; das lässt hoffen.

(Martina Gregersen GAL: Na, sehen Sie!)

Die CDU hat keine absolute Mehrheit mehr und muss sich mit ihrem Koalitionspartner abstimmen und der hätte Schwierigkeiten, etwas abzulehnen, was er vor ein paar Monaten selber gefordert hat. Also wird das erst einmal an den Ausschuss überwiesen. Das finden wir gut, weil es eine inhaltliche Diskussion darüber geben wird. Wir haben große Erwartungen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der GAL, dass diese inhaltliche Diskussion dann auch wirklich stattfinden wird.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD)

In der Vergangenheit habe ich insbesondere auf das Thema Kinderarmut abgehoben und mir tut es weh, Herr von Frankenberg, wenn Sie in einer ziemlich arroganten Art über die Probleme hinweggehen

(Dora Heyenn DIE LINKE: Richtig!)

und nicht zur Kenntnis nehmen, dass jedes vierte Kind in dieser Stadt unter Armutsverhältnissen groß wird. Wir werden nicht zulassen, dass das weiter hingenommen wird.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Weil das aber in den letzten Monaten immer wieder hier gesagt worden ist, habe ich mir vorgenommen, heute zu diesem Thema zwei andere Schwerpunkte zu wählen, und der erste Punkt ist das Thema alleinerziehende Menschen.

Das Ergebnis der Bundesberichterstattung ist, dass neben dem Thema Arbeitslosigkeit vor allem das Schicksal von alleinerziehenden Elternteilen das größte Armutsrisiko in Deutschland überhaupt ist. Das muss nicht so sein, es ist nicht von Gott gegeben, dass alleinerziehenden Elternteilen quasi die Armut schon halb auf der Stirn geschrieben steht. Da gibt es gute Voraussetzungen, wir können es als reiche Metropole leisten, dafür zu sorgen, dass mindestens alle Elternteile – es sind überwiegend Frauen, wie wir wissen –, die allein erziehen müssen, spätestens dann, wenn sie Arbeit wollen, auch alle Chancen geboten bekommen, diese Arbeit zu erreichen; das ist doch der springende Punkt.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Es geht gar nicht darum, immer nur Geld weiterzugeben, sondern es reicht oft schon aus, den Betroffenen eine reelle Chance zu geben, sich selber zu helfen ganz im Sinne dessen, was im Koalitionsvertrag steht. Gebt den Menschen eine Chance, sich selber zu helfen.

Das hat natürlich vor allem mit den Erziehungsproblemen zu tun und deshalb ist es besonders wichtig, dass gerade Alleinerziehende die Chance eingeräumt bekommen, Kindertagesplätze und Hortplätze auch wirklich zu erhalten und nicht darauf verwiesen werden, dass sie ja keine Arbeit hätten und deshalb auch keine Hortplätze bräuchten. Das muss in dieser Stadt geändert werden, das ist ein wichtiger Ansatz und da müssen wir dranbleiben.

(Beifall bei der SPD und bei Elisabeth Baum DIE LINKE)

Zweiter Punkt: Warum fordert man eigentlich eine Armutsberichterstattung? Viele glauben, die Sozialdemokraten badeten sich darin, in möglichst vielen Statistiken zu kramen; das ist aber nicht der Hintergrund. Uns geht es darum, Gefährdungen zu erkennen und gezielt zu handeln. Nun gibt es ein

(Egbert von Frankenberg)

erkennbar neues Problem. Wer die Berichterstattung der Bundesregierung einigermaßen aufmerksam verfolgt hat, der konnte zur Kenntnis nehmen, dass eine der Kernaussagen war, dass es eine tendenzielle Auflösung der Mittelschichten in diesem Lande gibt. Es war noch vor sieben Jahren so, dass etwa 62 Prozent der Bevölkerung in sogenannten Mittelschichtsituationen lebten. Innerhalb weniger Jahre ist dieser Prozentsatz auf nur noch 54 Prozent gesunken. Insgesamt sind über 4 Millionen Menschen aus der Mittelschicht in die Armutsschicht abgesunken. Das hat vor allem etwas damit zu tun, dass die Niedriglohnentwicklung so gravierend um sich gegriffen hat und wir natürlich viele Jahre hatten, in denen es kaum tarifliche Erhöhungen gegeben hat, jedenfalls real oft sogar sinkende Einkommen. Diese Entwicklung – Arbeitslosigkeit, Niedriglohnentwicklungen, real sinkende Tarifeinkommen – hat dazu geführt, dass immer mehr Menschen in Armutsverhältnisse abrutschen, wirklich bedrohliche Situationen. Es ist an der Zeit, uns analytisch rechtzeitig damit auseinanderzusetzen und zu Handlungsansätzen zu kommen.

Deshalb ist es notwendig, mit dem Thema Niedriglohn und Mindestlohn umzugehen. Es ist einfach ein Irrtum zu glauben, was die CDU neuerdings wieder tut, das Problem sei via Steuersenkungen zu lösen. Das hört man jetzt aus der Bundesregierung. Von der CDU, der Kanzlerin und vor allem aus Bayern kommt der neue Ruf: Senkt die Steuern, um die Armut zu bekämpfen. Mehr Netto für die Arbeitnehmer, heißt es dann immer. Das ist der Hintergrund, aber in Wahrheit ist es eine Schimäre, denn die Personen, über die wir hier reden, zahlen in der Regel gar keine Steuern mehr oder so wenig Steuern, dass diese Steuersenkungen gar nicht ankommen würden.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Deshalb ist es ein Trick, um die alte Linie fortzuführen, nämlich die in Wahrheit ohnehin schon Begünstigten über Steuersenkungen immer weiter zu begünstigen. Das ist die wahre Strategie, die dahinter steckt, und das Vehikel der Debatte um Armut wird eigentlich nur missbraucht. Dagegen müssen wir uns wehren, das ist eine reale Gefahr.

(Beifall bei der SPD)

Es wird Sie nicht wundern, dass wir Sozialdemokraten weiter der Meinung sind, dass es notwendig ist, Mindestlöhne einzuführen. Es ist und bleibt unerträglich, dass auch in dieser Stadt Tausende von Menschen ganztags arbeiten und nicht in der Lage sind, von dieser Ganztagsarbeit ihren Lebensunterhalt zu finanzieren. Sie müssen bei der Stadt ankommen, die Hand aufhalten, Sozialhilfe beziehen und wir als Steuerzahler finanzieren das auch noch.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Auch aus einem anderen Grund ist es unerträglich, der jetzt schon bemerkbar ist. Die vielen Menschen, die durch die Niedriglöhne in Armutsverhältnisse gelangt sind, werden eine bittere Rechnung serviert bekommen, wenn sie in die Altersrente kommen, denn diese Niedriglöhne werden sich natürlich auch bei der Rentenzahlung bemerkbar machen. Das Ergebnis wird sein, dass sie, wenn sie davon nicht leben können, erneut bei der Stadt oder den Gemeinden stehen und sagen, wir brauchen ergänzende Unterstützung.

Meine Damen und Herren! Wenn Sie schon die Menschen wenig interessieren, die davon betroffen sind, so hat Sie in der Vergangenheit wenigstens interessiert, wenn der Staatssäckel belastet worden ist. Deshalb nehmen Sie zur Kenntnis, dass der Verzicht auf Mindestlöhne die Haushalte in Milliardenhöhe belastet und weiter belasten wird, wenn wir nicht gegensteuern.

(Beifall bei der SPD und bei Elisabeth Baum DIE LINKE)

Wir haben Anlass, ganz konkret hinzuschauen, wo in der Stadt die Probleme am größten sind, und darauf kommt es uns Sozialdemokraten besonders an. Wir wissen vieles über die Armutsentwicklung im Bundesvergleich, wir wissen manches über Hamburg, wir wissen aber ganz wenig über die Quartiere, wie sich die Armutsentwicklung in den Stadtteilen auswirkt, welche Folgen das für die Lebenslagen der Menschen hat. Ich setze auf die Damen und Herren der GAL. Unsere Unterstützung werden Sie in diesem Punkt haben, an die Frage konsequent heranzugehen und endlich zu Fakten zu kommen, die uns helfen, die Probleme besser zu lösen. – Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)