Protocol of the Session on July 2, 2010

Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Jede Schulstudie bestätigt Hamburgs Schülerinnen und Schülern immer wieder, dass sich ihre Leistungen in den Kernkompetenzen am unteren Ende der Skala aller Bundesländer wiederfinden.

(Wilfried Buss SPD: Seit 2001!)

Ja, seit 2001, seit wir empirische Studien haben, ist es so.

Es muss ganz klar gesagt werden, dass trotz der vielen Reformen der letzten Jahre nach wie vor ein sehr hoher Anteil Jugendlicher in der Klasse 9 die Fähigkeiten zum Lesen, Schreiben und Rechnen nur auf dem Niveau von Grundschülern beherrscht, was absolut nicht hinnehmbar ist.

Zweitens ist die Abhängigkeit des Bildungswegs von der sozialen Herkunft in Deutschland und auch in Hamburg nach wie vor extrem hoch. Das große Problem ist, dass wir das nicht nur empirisch wissen, sondern dass viele Eltern dies auch spüren. Am deutlichsten artikulieren das zurzeit die Eltern mit Migrationshintergrund, die sich zusammengeschlossen haben und für die Schulreform aussprechen. Sie kennen inzwischen die Studien, haben aber auch die Erfahrungen ihrer eigenen Kinder und die von Freunden und Bekannten, die ihnen oft zeigen, dass die eigene Anstrengung nicht ausreicht, weil ihren Kindern von den Lehrerinnen und Lehrern nicht genug zugetraut wird. Sie haben auch die Ungerechtigkeit der Gymnasialempfeh

lung kennengelernt und sich deshalb zu Recht massiv für den Elternwillen eingesetzt, der Gott sei Dank erhalten bleibt. Wir müssen dringend verhindern, dass sich Kinder und Jugendliche schon sehr früh von der Schule abwenden, weil sie nicht glauben, dass sie dort etwas Gutes erwartet, somit der Weg der Integration also nicht gegangen wird, weil er als unrealistisch eingeschätzt wird. Diese Anstrengungen, die Kinder für ihre Bildung auf sich nehmen, müssen Erfolg haben und dürfen nicht durch systematische Benachteiligung, die es in unserem Schulsystem leider gibt, hintertrieben werden.

(Beifall bei der SPD und bei Michael Gwosdz GAL und Kersten Artus DIE LINKE)

Wie Herr Freistedt gesagt hat, dürfen wir auch nicht übersehen, dass diese Studie erneut zeigt, dass auch die Schülerinnen und Schüler an der Leistungsspitze deutlich hinter den Erwartungen zurückbleiben. Auch diesen Kindern, die durch unser Bildungssystem nicht gut genug gefördert werden, nehmen wir Chancen. Einzig erfreulich ist das Abschneiden von Hamburger Kindern im Fach Englisch, was meiner Meinung nach gut zur Stadt passt, aber auch zeigt, dass man mit Bildungspolitik etwas erreichen kann, obwohl man manchmal schon am Verzweifeln ist, wenn diese Studien immer wieder diese schlechten Ergebnisse offenlegen. Auch ich finde es richtig, endlich alle Städte in Deutschland empirisch miteinander zu vergleichen, auch wenn wir ein Problem damit haben, Flächenländer mit Stadtstaaten zu vergleichen, wie Herr Freistedt gesagt hat. Ich teile jedoch auch die Auffassung, dass wir trotzdem bessere Ergebnisse brauchen und uns hinter diesen Statistiken nicht verstecken dürfen.

Die Schulreform setzt deshalb an vielen richtigen Stellen an. Am wichtigsten sind die deutlich kleineren Klassen in der Primarschule, die die Grundlage für individuelle Förderung bilden. Herausgestellt hat sich aber auch, dass der gute Fachunterricht nicht vernachlässigt werden darf, wie insbesondere die Ergebnisse in Englisch zeigen. Deshalb ist es wichtig, den guten Fachunterricht in den Klassen 5 und 6 tatsächlich zu realisieren. Sechs Jahre gemeinsames Lernen bieten die große Chance zu mehr sozialer Gerechtigkeit. Wer in diese Studie tief einsteigt, bemerkt, dass es in Berlin tatsächlich gelingt, in der Empfehlung beim Übergang zum Gymnasium die soziale Herkunft nicht mehr wirken zu lassen. Berlin hat an diesem Punkt ein gerechtes Bildungssystem und was Berlin schafft, das sollten wir mit unserer Schulreform in Hamburg auch erreichen.

(Beifall bei der SPD und bei Andreas Wal- dowsky GAL)

Überfällig ist die Einführung der Stadtteilschule, mit der endlich erreicht wird, dass lernfeindliche Milieus aufgelöst werden, die in Hamburg an vielen

(Marino Freistedt)

Schulen anzutreffen sind, die als sogenannte Restschulen empfunden werden. Die Forscher sind inzwischen erstaunlich genau und sagen auch in dieser Studie, dass die Leistungsunterschiede, die Schülerinnen und Schüler in diesen Schulen beim Leseverständnis haben, zur einen Hälfte auf schlechte eigene Fähigkeiten und zur anderen Hälfte auf institutionelle Diskriminierung zurückzuführen sind. Das heißt, die Schülerinnen und Schüler befinden sich in Milieus, in denen eigentlich überhaupt nicht gelernt wird und man sich gegenseitig nach unten zieht. Auch hier schneidet Hamburg besonders schlecht ab und deshalb brauchen wir dringend die Stadtteilschulen.

(Beifall bei der SPD und bei Michael Gwosdz und Linda Heitmann, beide GAL)

Eine kritische Anmerkung möchte ich zu der vorliegenden Studie machen. Sie ist von der KMK in Auftrag gegeben worden, weil überprüft werden sollte, ob die Schülerinnen und Schüler in Deutschland die Bildungsstandards, auf die sich die KMK verständigt hat, bei einem mittleren Abschluss erreichen. Ich bin etwas überrascht, dass in der Kurzfassung der Studie davon so gut wie gar nicht die Rede ist. Wir haben zwar die BundesländerRankings, die wir uns gerne ansehen, aber im Wesentlichen interessiert uns, ob die Standards, auf die sich die Bundesländer verständigt haben, von Hamburgs Jugendlichen erreicht werden, und hierzu habe ich in der Studie fast gar nichts gefunden. Auf der Homepage der BSB ist zu lesen, dass fast 40 Prozent der Schülerinnen und Schüler in der Jahrgangsstufe 9 beim Lesen nicht die Regelstandards erreichen; sie haben noch ein bisschen Zeit bis zu ihrem Abschluss, aber es ist trotzdem eine erschreckende Zahl. Mit diesem Thema, das wir auch im Schulausschuss auf der Tagesordnung haben, müssen wir uns weiter befassen.

Am wichtigsten aber ist die Abstimmung am 18. Juli und ich hoffe, dass viele Hamburgerinnen und Hamburger, die bisher noch nicht abgestimmt haben, hingehen, damit diese Reform auf den Weg gebracht werden kann. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der GAL)

Herr Gwosdz hat das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Ich gebe Britta Ernst völlig recht, der Vergleich der Großstädte untereinander fehlt, um belastbare Zahlen und Ergebnisse dafür zu haben, wie Hamburg im Vergleich zu München, Frankfurt, Stuttgart und anderen Großstädten dasteht. Das ist aber bislang leider nicht der Fall und es ist klar, dass bestimmte Flächenländer daran kein Interesse haben. Insofern müssen wir heute erst einmal mit der Studie

vorliebnehmen, die uns das Berliner Institut für Qualitätsentwicklung und Bildungswesen mit Ergebnissen bei Neuntklässlern vorgelegt hat.

Trotz eines Teilerfolgs für Hamburg im Fach Englisch belegt diese Studie abermals, dass Bildungserfolg in Deutschland wesentlich von der sozialen Herkunft abhängt. Vereinfacht gesagt gilt, dass die Kinder das werden, was ihre Eltern schon sind. Bundesweit hat ein Kind aus der Oberschicht gegenüber einem Schüler aus einer Facharbeiterfamilie bei gleicher Intelligenz, gleichem Lernvermögen und gleicher Leistung eine viereinhalbmal größere Chance, ein Gymnasium zu besuchen. Gleichzeitig zeigt der Vergleich die hohe Benachteiligung von Jugendlichen mit Migrationshintergrund auf und, wie wir wissen, ist in Hamburg inzwischen jede zweite Erstklässlerin, jeder zweite Erstklässler ein Kind mit Migrationshintergrund. Hamburg hat im Fach Deutsch – auch das ist ein trauriges Ergebnis – eine besonders hohe Differenz in den Leistungen Jugendlicher mit und ohne Migrationshintergrund, wobei wir das schon länger wissen; dafür hätte es diesen Ländervergleich nicht gebraucht, auch die KESS-8-Studie zum Beispiel hat uns gerade ähnliche Ergebnisse geliefert.

Das Ergebnis zeigt uns aber auf jeden Fall, dass wir eine Schulreform brauchen, die Kindern aus Einwandererfamilien bessere Chancen gibt. Mit der um zwei Jahre verlängerten Sprachförderung in der Primarschule, die wir bereits gestern debattiert haben, ist Hamburg auf dem richtigen Weg. Diese Studie zeigt wiederum auch, dass es sinnvoll ist, die Primarschulen in den sozial benachteiligten Gebieten noch besser auszustatten, um somit eine gezielte Förderung zu ermöglichen. Hier setzt Hamburg mit einer Klassengröße von 19 Schülerinnen und Schülern in der Primarschule künftig bundesweit einen Maßstab.

Immer wieder liefern uns diese Studien die Bestätigung, dass Hamburgs Schülerinnen und Schüler noch immer zu schwach sind und sich im Ländervergleich im Fach Deutsch in allen getesteten Kompetenzbereichen unterhalb des deutschen Mittelwerts befinden. Das gilt übrigens leider auch für die erbrachten Leistungen der Gymnasiastinnen und Gymnasiasten. Die Ergebnisse des Ländervergleichs können letzten Endes nicht wirklich überraschen. Es ist, als hätten wir in regelmäßigen Abständen, inzwischen fast jährlich, ein Déjà-vu-Erlebnis; am Anfang war es PISA, vor zwei Monaten KESS 8. All diese Studien zeigen uns immer wieder, wie es um die Hamburger Schülerinnen und Schüler steht, und einmal mehr müssen wir feststellen, dass die schwachen vernachlässigt und die starken nicht genug gefordert werden.

Wir alle in diesem Haus sind nicht mehr bereit, diese Ergebnisse weiter hinzunehmen, Jahr für Jahr dieselbe Botschaft zu lesen, dass die Mädchen besser als die Jungen abschneiden, dass Bil

(Britta Ernst)

dungsgerechtigkeit von der sozialen Herkunft abhängt und dass große Leistungsunterschiede zwischen Schülerinnen und Schülern mit und ohne Migrationshintergrund bestehen. Wir wollen gemeinsam ein leistungsstarkes und chancengerechtes Bildungssystem etablieren, das das alte, auf hohe Selektivität bedachte ersetzt.

Aber das wollen nicht nur wir, sondern über die Grenzen Hamburgs hinaus wünschen sich viele Bundesbürger eine Veränderung in der Bildungslandschaft. Diese Woche erschien eine Forsa-Umfrage im Auftrag des "Stern". In dieser haben einerseits 62 Prozent der Befragten ihre Unzufriedenheit mit dem aktuellen Bildungssystem ausgedrückt, andererseits haben sich 59 Prozent aller Bürgerinnen und Bürger und – das ist wichtig – 64 Prozent aller befragten Eltern für längeres gemeinsames Lernen ausgesprochen; insofern zeigt auch das, dass wir in Hamburg das umsetzen, was Eltern wollen.

Ob Ländervergleich oder Umfrage, sie geben uns die traurige Realität eines kränkelnden Bildungssystems wieder und sind zugleich Ansporn, unseren Kurs fortzusetzen. Wir fühlen uns in unserem Vorhaben bestätigt und bestärkt. Wir schaffen in Hamburg ein System, das die Schwachen fördert und die Starken fordert und in absehbarer Zeit in der Lage sein wird, beste Ergebnisse seiner Schülerinnen und Schüler zu erzielen. Konkret heißt das, dass wir mit gemeinsamem längerem Lernen die soziale Auslese vermindern und die soziale Kompetenz fördern. Die sechsjährige Primarschule ist hierfür gut, weil sie das Entwicklungspotenzial eines Kindes mit höherem Alter und Entwicklungsstand besser eingeschätzt werden kann, weil am Ende der Klasse 6 Eltern und Kinder hinsichtlich der Übergangsempfehlung sicherer sind und die Schullaufbahnprognose eine geringere Fehlerquote aufweisen wird und auch weil der Übergang von der Primarschule auf eine weiterführende Schule wegen der Einführung des Fachunterrichts ab Klasse 4 leichterfällt. Damit lindern wir den sogenannten Sekundarstufenschock, das heißt den Schock, den man hat, wenn man aus der heilen Welt der Grundschule auf einmal auf das Gymnasium oder andere Formen weiterführender Schulen kommt und einen ganz krassen Wechsel erlebt. Je früher die Auslese erfolgt, desto stärker sind Kinder aus bildungsfernen Familien benachteiligt; auch in dieser Hinsicht ist die Primarschule gut.

Wir müssen aber auch immer wieder betonen, dass wir nicht nur die Struktur ändern, sondern eine neue Lernkultur etablieren, die jedes Kind in den Mittelpunkt stellt. Somit verbessern wir die Chancen benachteiligter Kinder, die mehr Zeit und mehr individuelle Förderung brauchen. Unter anderem führen wir auch den Englischunterricht ab der ersten Klasse ein und werden damit die im Ländervergleich gemessenen Englisch-Kompetenzen ver

bessern. Insofern ist ein Ja zur Primarschule auch ein Ja zu besseren Chancen für alle Kinder.

(Beifall bei der GAL, der SPD und der CDU)

Das Wort hat Frau Schneider.

(Vereinzelter Beifall bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren, Herr Präsident! Frau Heyenn ist auf einer Kundgebung für die Primarschule in Billstedt, deswegen vertrete ich sie hier.

(Michael Neumann SPD: Der schulpolitische Koalitionspartner der CDU!)

In der ersten öffentlichen Reaktion über den Bericht überwog die Enttäuschung darüber, dass wieder einmal circa ein Viertel aller Neuntklässler nur Texte auf Grundschulniveau versteht. Zehn Jahre nach PISA hagelt es erneut vernichtende Ergebnisse.

Wenn Sie reden wollen, Herr Neumann, können Sie gerne nach vorne kommen. Sie können sich melden.

(Michael Neumann SPD: Dass Sie mit der CDU einer Meinung sind, genieße ich!)

Auf der anderen Seite vermelden Bildungspolitiker den Erfolg ihres Bundeslands, der durch das vorgenommene Ranking deutlich wurde. Bei Vergleichsstudien ist es ähnlich wie bei Spitzenduellen. Vor einer Wahl sieht sich jeder bestätigt, dass sein Favorit die beste Figur gemacht hat. Bei dieser Studie war es nicht anders. Alle sahen in den Ergebnissen das bestätigt, was sie immer schon gesagt und gefordert hatten. Doch so einfach ist es nicht.

Neben etlichen Ergebnissen, die bereits vorgetragen wurden, möchte ich noch einige andere nennen. 17 Prozent der Menschen unter 30 Jahren haben keinen Berufsabschluss und befinden sich auch nicht mehr in einer Bildungsmaßnahme – dies ist ein neuer Höchststand – und bei jungen Menschen aus Migrantenfamilien sind es sogar 30 Prozent. Das deutsche Bildungssystem bringt 1,3 Millionen mehr Ungelernte hervor, als der Arbeitsmarkt in Zukunft verkraften kann. Zugleich mangelt es an Fachkräften. Besonders dramatisch ist, dass ein Fünftel der Ausbildungsverträge wieder aufgelöst wurde. Das schwankt zwar je nach Ausbildungsbereichen, aber es ist beunruhigend, dass das am häufigsten im Handwerk passiert. Die Betroffenen sind meistens männliche Jugendliche mit oder ohne Hauptschulabschluss. Fast jedes dritte Kind unter 18 Jahren wächst in sozialen, finanziellen und/oder kulturellen Risikolagen auf. Das ist ein doppeltes Problem, weil der Zugang zu guter Bildung immer noch stark von der sozialen Herkunft abhängt. Übergänge in höher qualifizie

(Michael Gwosdz)

rende Schulen nehmen zwar zu, aber Jugendliche mit Migrationshintergrund besuchen häufiger niedriger qualifizierende Schularten. Die weiterhin bestehenden und sogar noch verstärkten Disparitäten beim Übergang vom Primar- zum Sekundarbereich I erfolgen insbesondere nach Geschlecht, sozialer Herkunft und Migrationsstatus. So sind Kinder mit Migrationshintergrund selbst bei gleichem sozio-ökonomischen Status bis zu doppelt so häufig an Hauptschulen zu finden als Kinder ohne Migrationshintergrund. Insgesamt überwiegt die Anzahl der Jungen an Hauptschulen. In Hamburg bildet sich das in den integrierten Haupt-/Realschulen ab, die häufig aber noch sehr den isolierten Hauptschulen gleichen.

Wir haben in der Bürgerschaft intensiv die UNRichtlinie zur Inklusion von Behinderten diskutiert, insbesondere im Zusammenhang mit dem neuen Schulgesetz. Was der Bericht zu dieser Thematik offenlegt, ist ernüchternd bis schockierend. An den Förderschulen in Deutschland werden derzeit 4,9 Prozent der Schülerinnen und Schüler unterrichtet; im Jahr 1999 waren es noch 0,4 Prozentpunkte weniger. Unter den EU-Staaten hat Deutschland damit den höchsten Anteil an Schülerinnen und Schülern, die in Förderschulen unterrichtet werden; vor allem Jungen sind an Förderschulen stark überrepräsentiert. Ausländische Schüler besuchen besonders häufig Förder- und Hauptschulen, machen gar keinen Abschluss und haben besonders große Schwierigkeiten, einen Ausbildungsplatz zu finden. Das alles trifft auch und insbesondere auf Hamburg zu. Es wurde bereits gesagt, dass jedes zweite Kind, das in die Grundschule kommt, einen Migrationshintergrund hat.

Welche Schlussfolgerungen können aus der Studie gezogen werden? Es bedarf enormer Anstrengungen, den Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Kompetenzerwerb zu verringern. Der zunehmenden Kluft in den Bildungsverläufen junger Menschen, die bestehende Bildungsangebote erfolgreich nutzen, und jenen, bei denen Benachteiligungen kumulieren, muss entschiedener begegnet werden. Die zentrale Herausforderung besteht darin, allen jungen Menschen über ein angemessenes Bildungsniveau die gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen. Allein die Tatsache, dass sich nach zehn Jahren in diesem Punkt nichts gebessert hat, macht deutlich, dass in Deutschland endlich das überkommene und unsoziale Dreiklassen-Schulsystem überwunden werden muss.

Wer die Rankings der Bundesländer undifferenziert wertet, vergleicht Äpfel mit Birnen. Da Bildung in Deutschland noch immer stark von der sozialen Lage abhängt, müssen Bundesländer mit hohem Anteil an Erwerbslosen und Armen schlechter abschneiden. Insofern sagt das schlechte Abschneiden der nördlichen Bundesländer weniger etwas über deren Bildungswesen aus als vielmehr etwas

über die größere Armut, die im gegliederten Schulwesen für den Misserfolg in der Schule entscheidend ist.

Dass die Chance, ein Gymnasium zu besuchen, immer noch entscheidend von der sozialen Herkunft abhängt, ist in den Bundesländern durchaus unterschiedlich. Am sozial ungerechtesten geht es in Bayern und Baden-Württemberg zu. Dort haben bei gleichen Leistungen Kinder mit mindestens einem Akademiker-Elternteil eine 6,5-mal größere Chance als ein Arbeiterkind. Am gerechtesten geht es in Berlin zu, wo der Faktor 1,7 beträgt; in Berlin gehen nämlich 93 Prozent der Schülerinnen und Schüler auf die sechsjährige Primarschule. Das lässt für Hamburg hoffen. Wir sind auf einem richtigen Weg.

(Beifall bei der LINKEN und vereinzelt bei der SPD)

Das Wort hat jetzt Frau Senatorin Goetsch.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wenn kurz vor einem Volksentscheid eine neue Bildungsstudie veröffentlicht wird, dann ist es naheliegend, dass viele politische Schlussfolgerungen diskutiert werden, die sich aus den Befunden ergeben könnten, und ich bin sehr froh, dass von der fachlichen Einschätzung aller Abgeordneten in dieser Hinsicht ein sehr großer, klarer und fachlich fundierter Konsens besteht. Auf die politischen Einschätzungen werde ich noch zu sprechen kommen, aber erst einmal möchte ich über die Qualität der Studie als solche etwas sagen.

Während PISA Lesen, Mathematik, Naturwissenschaften in den Mittelpunkt gestellt hat, nimmt die IQB-Vergleichsstudie unter die Lupe, wie gut Neuntklässler im Deutschen und Englischen geschriebene und gesprochene Texte verstehen können; die Kenntnisse in Mathematik und Naturwissenschaften werden dann 2012 überprüft werden. Dieser Ländervergleich ist also nicht PISA, sondern überprüft – das hatten Sie, Frau Ernst, angesprochen –, ob Schüler am Ende der neunten Klasse die Bildungsstandards erreicht haben, die für den mittleren Bildungsabschluss nötig sind. Es ist schon ein großer Fortschritt an sich – wer die KMK kennt, weiß das –, dass sich die KMK überhaupt darauf verständigt hat, gemeinsame Standards zu setzen und sie auch überprüfen zu lassen. Es ist richtig, dass in der Pressemitteilung der KMK das in der Form nicht zu finden war.