Protocol of the Session on July 1, 2010

Gehen wir einmal zurück in die Zeit des Nationalismus, in die Zeit vor dem 1. Weltkrieg, ins Jahr 1913. Wie war denn das in Europa? Das Großbürgertum und die Adligen haben sich in Europa schon immer frei bewegt. Sie haben sich in Baden-Baden getroffen oder im Sommer an der Côte d'Azur oder bei kulturellen Events in Paris. Sie haben auch keine Kommunikationsschwierigkeiten gehabt, das Großbürgertum und die Adligen haben auf Französisch parliert. Und die Wirtschaft brauchte vor 1914 auch nicht unbedingt eine europäische Einigung. Deutschland war auch damals schon Exportweltmeister auf dem Kontinent und konnte seine Wirtschaft ohne große Probleme ent

wickeln. Der europäische Gedanke ist kein Gedanke, den nur die Wirtschaft und die Reichen und Schönen brauchten, die hatten ihr Europa längst realisiert.

Die Antworten auf die Große Anfrage zeigen, dass der europäische Gedanke deshalb heute so wichtig ist, weil die EU mittlerweile auch eine starke soziale Komponente hat und dem Normalbürger hilft.

(Beifall bei Christiane Blömeke und Martina Gregersen, beide GAL)

Die wirtschaftliche und soziale Entwicklung ganzer Regionen oder auch die Fortbildung für Menschen werden zielgerichtet gefördert und damit hat die Europäische Union bereits jetzt ein soziales Fundament, auf dem wir in Zukunft weiter aufbauen können. – Vielen Dank.

(Beifall bei der GAL und der CDU)

Der Abgeordnete Joithe hat das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Herr Waldowsky, Sie müssen mit mir vorlieb nehmen nach Ihrem Geschichtsvortrag, der teilweise ziemlich am Thema vorbeiging. Bei näherer Durchsicht dieser Großen Anfrage wird deutlich,

(Jörn Frommann CDU: Haben Sie's über- haupt gelesen?)

wofür bei Anfragen der CDU an den Senat die Abkürzung GA steht: Gefälligkeitsanfrage. Die CDU fragt nach, damit der Senat sein arbeitsmarktpolitisches und soziales Engagement darlegen kann; Frau Ahrons hat dies in ihrem Vortrag auch eindeutig bewiesen.

Die laufende siebte Förderperiode des Europäischen Sozialfonds steht unter der Maxime Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit und der Beschäftigung.

(Barbara Ahrons CDU: Tue Gutes und rede darüber!)

Die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmer konnte in Hamburg tatsächlich durch die ESF-Förderung gesteigert werden. Die Beschäftigung von Langzeiterwerbslosen, wie erwähnt, konnte jedoch nicht gesichert werden. Und das ist eigentlich auch nicht die Hauptaufgabe des Fonds. Allerdings liest sich die Liste der Bezieher von Zuwendungen, der wir diese Große Anfrage verdanken, wie das "WHO'S WHO" im Trägersumpf unserer Stadt: Hamburger Arbeit, SBB, "Mook wat", "einfal", "passage", "Quadriga". Hier finden sich alle Hamburger Träger wieder, die maßgeblich an der Armuts- und Erwerbslosenindustrie beteiligt sind.

(Jörn Frommann CDU: Jui, jui, jui, jetzt geht's los!)

(Andreas Waldowsky)

Ja, starke Worte, Herr Frommann.

Die Zuwendungen stellen eines sicher, die Arbeitsplätze der eingesetzten Anleiter und Geschäftsführer. Die Sinnhaftigkeit der hochtrabend Projekte genannten Maßnahmen ist hier zweitrangig. Ein Beispiel aus meinem reichhaltigen Erfahrungsschatz: Da wurden zum Beispiel bei SBB Verstärker für Gitarren hergestellt als Entwicklungshilfe für Lateinamerika. Auf Nachfrage, mit wem man denn im Bereich Entwicklungshilfe im Lande zusammenarbeite, um die geforderte Nachhaltigkeit zu sichern, erhielt ich die Antwort, das könne man selbst. Klar, solange man das Spielmaterial zugewiesen bekommt, nämlich die Erwerbslosen, läuft der Laden von selbst. Bei SBB ist das wohl sogar die Philosophie der Firma. Mit EinEuro-Jobbern als Entwicklungshelfer rollt der Euro in die richtige Richtung, nämlich in Richtung SBB.

Die Träger werden gut bedient, unter anderem auch Handels- und Handwerkskammer mit jeweils über 3 Millionen Euro; also alles bestens, Frau Ahrons.

(Barbara Ahrons CDU: Das stimmt doch al- les nicht!)

Die Stadt setzt den geringstmöglichen Betrag ein, um den höchstmöglichen Betrag aus dem ESF zu erhalten, und das ist durchaus legitim. Was sich wirklich hinter den Projekten, wie zum Beispiel "Fit auf den Weg", "Qua-Fit" und "proFit by Basics" verbirgt, will man dann schon gar nicht mehr so wirklich wissen, es muss irgendetwas mit Fitness-Studios zu tun haben. Auch "Worklife" klingt richtig hübsch, viel besser als das herbe Arbeitsleben; und "GOAL" passt nun haargenau in unsere Fußball-Weltmeister-Welt. Den Arbeitsplatz kann man sich dann beim Elfmeter-Schießen sichern. Wer vorbeischießt, bekommt die Rote Karte und muss bei Pluspunkt noch einmal von vorne anfangen.

(Ekkehart Wersich: Du kennst Dich ja gut aus mit den Fußballregeln!)

Laut Programm sollte die ESF-Förderung in Hamburg eigentlich – Zitat –

"[…] stärker auf die Beschäftigungsaufnahme und Beschäftigungssicherung ausgerichtet werden."

Hiervon ist allerdings nichts zu bemerken. Stattdessen wird der Bereich der behördennahen Beschäftigungsträger weiter aufgebläht, ohne dass eine nachhaltige und messbare Integration, Frau Ahrons, gerade von Langzeiterwerbslosen in den ersten Arbeitsmarkt erreicht wird. Statt der direkten Integration in Betriebe werde Mithilfe der ESF-Förderung nur dauerhaft Arbeitsplätze der Arbeitnehmer der Beschäftigungsgesellschaften gesichert. Für die Erwerbslosen wird hingegen nur für einen dauerhaften Verbleib in Maßnahmen gesorgt.

Schließlich braucht man sie als Spielsteine; ohne sie kein Moos.

Im Oktober 2007 gab es schon einmal öffentliche Kritik an der Vergabepolitik in Bezug auf die ESFMittel; das "Hamburger Abendblatt" titelte:

"Wird 'Hamburger Arbeit' bevorzugt?"

Die Kritik wurde damals zurückgewiesen; auch ein bewährter Träger müsse sich dem Wettbewerb stellen. Tatsächlich gilt aber für die weit überwiegende Zahl der geförderten Projekte: Wer einmal in die Förderung aufgenommen wurde, kann in der Regel mit der Fortführung rechnen.

Bei einem Video-Talentwettbewerb wird in Hamburg ein "Hamburg-Star" gesucht; auf der diesjährigen Großveranstaltung "ESF im Dialog" am 14. September wird der Wirtschaftssenator die Gewinner prämieren. Wir meinen, ESF-Mittel kann man auch sinnvoller einsetzen. Wir holen uns die Fachleute aus dem Oderbruch, um hier endlich den Trägersumpf trockenzulegen. Das schafft dann auch mehr Arbeitsplätze, und zwar reguläre. Meine Fraktion wird dem Überweisungsbegehren der Sozialdemokraten zustimmen. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der LINKEN)

Senator Gedaschko hat das Wort.

Sehr verehrte Damen und Herren! Sind 180 Millionen Euro herausgeschmissenes Geld trockenzulegen durch die Helden vom Oderbruch? Oder handelt es sich um eine sinnvolle Ausgabe für die Menschen in Europa und speziell in Hamburg? Ich glaube, wir finden eine Antwort, wenn wir uns einmal die grundlegenden Ziele des ESF ansehen. In ihren Grundansätzen vor über 50 Jahren sind sie schon zitiert worden, aber sie wurden inzwischen aktualisiert. Die Europäische Union hat mittlerweile die Lissabon-Strategie aufgesetzt und das nicht aus Spaß, sondern weil die Europäische Union als Wirtschaftsraum schlicht und ergreifend im Wettbewerb steht mit der gesamten Welt.

Nun kann man überlegen, ob wir die Menschen und die Unternehmen, insbesondere die Kleinunternehmen, sich selbst überlassen oder sich die EU hier strukturell aufstellt und hilft und unterstützt, weil sie ein Ziel vor Augen hat. Ich glaube, da ist es klüger, diesen Weg zu gehen. Ich fand es schade, dass gerade in der letzten Rede ziemlich despektierlich mit der Arbeit derjenigen umgegangen wurde, die damit beauftragt sind.

Es gab dabei in der Vergangenheit, Frau Badde hat es gesagt, Probleme; die wollen wir gar nicht wegdiskutieren. Aber, Frau Badde, Sie haben auch deutlich gemacht, dass gerade mit der Periode ab

(Wolfgang Joithe-von Krosigk)

2007 die Verhältnisse komplett umgekehrt wurden. Und das gebietet dann auch die Fairness zu sagen, dass wir Lob von ungewohnter Seite bekommen haben. Wenn der Bund der Steuerzahler das Verfahren, das wir in Hamburg haben, als Benchmark bezeichnet und transparent, dann haben wir das wohl nicht so ganz schlecht gemacht.

(Beifall bei der CDU und der GAL)

Wenn die LINKE sagt, das alles sei ein Selbstbedienungsladen, dann entspricht das schlicht und ergreifend nicht der Wirklichkeit, wie sie beispielsweise von außen durch den Bund der Steuerzahler gewürdigt wurde.

Worum geht es jetzt im Einzelnen? Es geht eben nicht um die großen Unternehmen, noch nicht einmal um die mittelständischen Unternehmen im klassischen Sinne, sondern wir fördern in Hamburg insbesondere die kleinständischen Unternehmen, die sonst den Anschluss verlieren, weil sie nicht in der Lage sind, eigene Forschungs- und Entwicklungsmaßnahmen zu finanzieren. Von diesen kleinständischen Unternehmen konnten wir über 5000, das ist eben schon einmal gesagt worden, unterstützen. Wir haben als zweite Säule die Arbeitsuchenden, insbesondere junge Menschen, Menschen mit Migrationshintergrund und allgemein benachteiligte Bevölkerungsgruppen, unterstützt. Und wenn wir unsere jetzige Arbeitslosenstatistik ansehen, dann sind die Erfolge doch erkennbar. Wir können doch feststellen, dass Langzeitarbeitslose gerade auch im letzten Monat verstärkt wieder Anschluss an den ersten Arbeitsmarkt gefunden haben. Zu sagen, das bringe nichts, entspricht nicht der Realität.

Wichtig ist auch noch Folgendes: Es geht um 180 Millionen Euro, davon kommen 90 Millionen Euro vom Bund, aber 11 Millionen Euro werden von privater Seite aufgebracht. Das ist natürlich auch ein Mehrwert, der genannt werden muss. Es sind nicht allein Hamburger Steuergelder, sondern es kommen noch 11 Millionen Euro aus privater Schatulle hinzu.

Wenn wir uns einmal ein Jahr zurückversetzen, galt es damals, in kurzer Zeit möglichst schnell gegenzusteuern. Und hier hat sich die Flexibilität des ESF bewiesen. Uns ist es gelungen, in ganz kurzer Zeit zahlreiche Instrumente aufzusetzen, mit denen wir sowohl den betroffenen Menschen, als auch den betroffenen kleinständischen Unternehmen helfen konnten. Diese Hilfe wäre im Jahre 2009 auf andere Weise kaum möglich gewesen, weil so erhebliche finanzielle Mittel so spontan gar nicht zur Verfügung gestanden hätten. Insofern ist auch hier die Bedeutung des ESF gar nicht hoch genug einzuschätzen.

Bisher hat es 25 466 Teilnehmer in den Maßnahmen gegeben. Der Schwerpunkt, den wir hier setzen, wird deutlich, wenn ich Ihnen sage, dass da

von 11 362 Menschen mit Migrationshintergrund vertreten waren.

Meine Damen und Herren! Die EU hat allerdings allen, die das ESF-Programm anwenden, eines ins Stammbuch geschrieben: Wir müssen künftig verstärkt über dieses Instrument informieren. Das halte ich auch für richtig, damit sich eben keine Legendenbildung à la LINKE festsetzt, sondern deutlich wird, was die Europäische Union bewirkt und wie sie es bewirkt. Jede Maßnahme wird selbstverständlich – und auch hier hat der Bund der Steuerzahler ein Lob ausgesprochen – evaluiert und einem Controlling unterworfen. Die Maßnahmen, die nicht erfolgreich sind, werden vorzeitig abgebrochen; man lässt sie nicht erst auslaufen. Allerdings, und die Zahl ist auch schon genannt worden, waren das bisher zum Glück erst fünf Maßnahmen von den vielen, die genannt wurden.

Insofern ist es gut, dass es den ESF gibt, es ist gut für die Menschen in Hamburg und gut für die kleinen Unternehmen in Hamburg. – Danke sehr.

(Beifall bei der CDU und der GAL)

Wenn keine weiteren Wortmeldungen vorliegen, kommen wir zur Abstimmung.

Wer stimmt einer Überweisung der Drucksache 19/6232 federführend an den Wirtschaftsausschuss und mitberatend an den Europaausschuss zu? – Gegenprobe. – Enthaltungen? – Damit ist das Überweisungsbegehren abgelehnt.

Dann stelle ich fest, dass die Bürgerschaft von der Großen Anfrage aus der Drucksache 19/6232 Kenntnis genommen hat.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 22 auf, Drucksache 19/6468, Bericht des Umweltausschusses zum Thema Windenergie in Hamburg.