Protocol of the Session on July 1, 2010

Wir befinden uns in einer Situation mit Gewaltvorfällen, die alle unterschiedliche Ursachen haben, die alle differenziert zu betrachten sind und für die es keine Patentlösungen gibt.

(Beifall bei der GAL und der CDU)

Was wir brauchen, ist eine differenzierte Betrachtung der einzelnen Fälle. Das ist in der ersten Runde im Übrigen ganz gut gelungen, es wird auch in der weiteren Bearbeitung durch die Behörden, durch die Staatsanwaltschaft und auch durch die Senatskommission gelingen. Es muss gelingen, weil wir Lösungen brauchen für Situationen, in denen Jugendliche ohne jede Hemmschwelle sich nicht nur gegenseitig verprügeln, sondern ein Messer ziehen und sich damit tödlich verletzen. Wir brauchen eine Lösung dafür. Wir brauchen eine Lösung für eine zunehmende Gruppe von Jugendlichen in dieser Stadt, die aus vielfältigen Gründen völlig neben unserer Gesellschaft stehen,

(Elke Thomas CDU: Genau!)

die sich überhaupt nicht mehr nähern können. Dafür brauchen wir Lösungen. Der Senator hat deutlich gesagt, dass dies mitnichten in den Möglichkeiten der Polizei läge und auch nicht der Justizbe

hörde, sondern es hat etwas mit Sozialpolitik zu tun, es hat mit Schulpolitik zu tun.

(Elke Thomas CDU: Mit den Elternhäusern zum Beispiel!)

Es hat etwas damit zu tun, dass man die Eltern frühzeitig erreicht. Wir könnten auch darüber streiten, wenn bundesweit die Integrationsmittel gestrichen werden. Man kann an vielen Stellen fragen, welche Maßnahmen eigentlich bei welchen Problemen greifen und welche Maßnahmen bei welcher Gruppe greifen. Aber Sie kommen schlicht und einfach wieder mit einem großen Bogen auf Ihre Lieblingsthemen zurück.

Vielleicht sollte man einmal bei der Polizei anfangen. Bei all den Vorfällen, die wir in den letzten 14 Tagen hatten, weder am Jungfernstieg noch bei dem Angriff nach der Abiturfeier, noch bei den Auseinandersetzungen, die gestern und heute wieder in der Zeitung stehen – zwei Jugendliche, die sich treffen und sich letztendlich mit dem Messer verletzen, zwei Frauen, die sich gegenseitig mit dem Messer verletzen –, geht es nicht darum, dass aufgrund fehlender Polizeipräsenz keine Aufklärung möglich war.

(Elke Thomas CDU: Herr Dr. Dressel, hören Sie zu!)

Deswegen passt auch Ihr Mantra, dass das Problem die fehlende Präsenz der Polizei vor Ort wäre, überhaupt nicht in diese Debatte. Auch die diversen Maßnahmen des Schutzes vor Jugendkriminalität, der Prävention, aber auch die repressiven Möglichkeiten passen heute nicht in die Debatte.

(Beifall bei der GAL und der CDU – Dr. An- dreas Dressel SPD: Was passt denn? Schulpflichtverletzung hat sehr wohl etwas damit zu tun!)

Wir reden über viele verschiedene Fälle, wir reden über Erwachsene, die nach dreieinhalb Jahren Haft nicht den Weg zurück in die Gesellschaft finden. Wir reden über Gruppen, die ganz heterogen zusammengesetzt sind. Wir sollten uns aber vor allem – den Appell will ich noch einmal loswerden – in den Ausschüssen genügend Zeit nehmen, um im Detail darüber zu reden. Wir erwarten von der Senatskommission, dass sie uns detailliert berichtet und wir dann gemeinsam an differenzierten Lösungsmöglichkeiten, an Konzepten arbeiten können, bei denen wir die Menschen, die im Quartier aktiv sind, mitnehmen und uns gemeinsam auf Lösungen einigen. Es kommt vor allem darauf an, dass wir weniger Opfer und weniger Täter in dieser Stadt haben.

(Beifall bei der GAL und der CDU)

Das Wort bekommt Senator Dr. Steffen.

(Dr. Andreas Dressel)

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Worüber reden wir tatsächlich? Es wurden Zahlen aneinandergereiht und Vorschriften heruntergerasselt,

(Dr. Andreas Dressel SPD: Welche Vor- schriften?)

aber um zu ermessen, worum es tatsächlich geht, muss man sich vorstellen, es wäre das eigene Kind gewesen, das am Jungfernstieg erstochen wurde, der eigene Bruder, der nach einer Abiturfeier erstochen wurde oder ein Freund, dem bei der Erfüllung seiner beruflichen Pflichten am Boden liegend ins Gesicht getreten wurde. Ich glaube, dann wird sehr schnell deutlich, über was für ein Thema wir reden und wie ernst das Thema tatsächlich ist.

(Dr. Andreas Dressel SPD: Sehr richtig!)

Wenn Zahlen aneinandergereiht werden, ist das sehr distanziert; das einzelne Schicksal ist schwer genug, um darüber zu reden und zu sagen, was wir als Staat tun können, um das zu verhindern. Niemand möchte in der Situation sein, in der eigenen Familie einen solch schweren Verlust beklagen zu müssen.

(Beifall bei der GAL und der CDU)

Deswegen ist es natürlich notwendig – ich bin mir sicher, dass dies erfolgen wird –, dass es auf diese Vorkommnisse vom letzten Wochenende, auf dieses Eintreten auf den Polizeibeamten, der dann wehrlos am Boden lag, eine angemessene Reaktion der Justiz geben wird, denn bei aller Diskussion, die es über den Polizeieinsatz am Anfang gegeben hat, ist kein Handlungsverlauf denkbar, der irgendeinen Ansatz für eine Rechtfertigung dieses Handelns bieten würde.

(Beifall bei der GAL, der CDU und der SPD)

Frau Schneider, ich hatte mich schon gewundert über Ihr Eingangsstatement und möchte Sie an einen anderen rechtsstaatlichen Grundsatz erinnern, der auch für Polizeibeamte gilt, gegen die Vorwürfe erhoben werden, nämlich die Unschuldsvermutung. Auch hier finde ich die Ableitung, die Sie treffen, und die Generalisierung, die Sie im Hinblick auf Polizeigewalt treffen, schwierig, denn zunächst müssen wir aufklären, wie Sie selbst einleitend gesagt haben, was hier passiert ist. Wir müssen natürlich auch, das ist wichtig, zur Kenntnis nehmen, dass es aufgrund dieses Videos eine sehr verbreitete öffentliche Wahrnehmung gibt, dass die Polizei nicht alles richtig gemacht hat. Ich habe mir das Video selbst angesehen und muss sagen, dass es begrenzte Aussagekraft hat, weil es geschnitten ist und die Umstände nicht sehr klar erkennen lässt. Aber wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass es neben den klassischen Medien mittlerweile das Internet gibt und für viele junge Leute die Wahrnehmung geprägt ist durch eine solche

geschnittene Videosequenz. Deswegen ist es besonders wichtig, dass wir vollständig aufklären, was hier passiert ist, dass wir alles aufklären, was an Vorwürfen gegen die Polizeibeamten erhoben wird. Nur so haben wir eine Chance, die Autorität der Polizei zu stärken, gerade in schwierigen Situationen und Konflikten.

Ich kann Ihnen versichern, Sie brauchen mich dazu nicht extra aufzufordern, dass die Staatsanwaltschaft tätig ist, die Polizeiabteilung hat hier ihre Arbeit aufgenommen. Die Dienststelle Interne Ermittlungen in der Innenbehörde ist tätig. Hier gibt es die bewährte und gut funktionierende Zusammenarbeit.

Herr Hackbusch, es ist mitnichten so, dass nur dann gegen Polizisten ermittelt wird, wenn zufällig ein Herumstehender ein Video aufnimmt. Es gibt eine ganze Reihe von Fällen, wo Polizeibeamte Aussagen gemacht haben, die dann zur Überführung von Kollegen geführt haben. Es waren Fälle, bei denen Polizisten ihre Grenzen überschritten haben. Hier funktioniert die erforderliche Kontrolle der Polizei durch DIE und die Staatsanwaltschaft und es ist absolut notwendig, dass wir das auch weiterhin so machen. Gerade um die Autorität der Polizei in dieser Stadt zu stärken und zu erhalten, müssen solche Zweifel an der Legitimität polizeilichen Handelns ausgeräumt werden.

Ich finde auch ausgesprochen interessant, was in den letzten Tagen in den Medien zu lesen ist. Es war zum Beispiel die Rede von einer Spirale der Gewalt, die sich aufgebaut habe in den letzten Monaten in dieser Stadt. Da würde ich doch die geschätzten Journalistinnen und Journalisten fragen, wo sie die letzten Jahre gewesen sind. Wie war es auf der Weltumseglung oder wie war es, als Sie die letzten Jahre immer im Beachclub gesessen haben? Hamburg hat schöne Seiten, über die man mit schönen bunten Bildern berichten kann, aber Gewalt in dieser Stadt findet statt und hat immer stattgefunden. Es gibt natürlich Kriminalität, es hat sie in den letzten Jahren ständig gegeben, es hat auch Gewaltkriminalität gegeben und deswegen ist dies Phänomen keineswegs neu.

(Beifall bei der GAL und der CDU)

Es ist mitnichten so, dass die Justiz in den letzten Jahren keine Aufgaben gehabt hätte, dass es keine Kriminalität zu bekämpfen gegeben hätte durch Polizei und Justiz. Nicht ohne Grund haben wir ein großes Strafjustizgebäude am Sievekingplatz, nicht ohne Grund haben wir einige große Gefängnisse und betreiben einen enormen Aufwand in diesem Bereich. Angesichts dessen ist die Darstellung, es habe plötzlich einen radikalen Wechsel in der Sicherheit gegeben, falsch.

(Beifall bei der GAL und der CDU)

Herr Ahlhaus hat schon einiges im Hinblick auf die allgemeine Kriminalitätsentwicklung gesagt. Es gibt

aber auch andere Dinge, die sich in eine positive Richtung entwickelt haben. Wir sind in der günstigen Situation, zum Beispiel Haftplätze abbauen zu können, weil wir weniger Kriminalität haben. Wir können also dort Geld herausziehen, um an anderer Stelle tätig zu werden, was wiederum der Gesellschaft zugute kommt. Wir haben beispielsweise in relevanten Verfahrensbereichen sich verkürzende Verfahrensdauern.

Ich sage nicht, dass alles gut sei, ich sage es, damit wir eine zutreffende Grundlage für unser Handeln bekommen. Denn wenn diese Einschätzung zutreffen würde, dass wir einen radikalen Wechsel in der Sicherheitslage für die Bevölkerung hätten, dann müssten wir uns fragen, ob wir nicht alles radikal anders machen müssten in dem, was Polizei und Justiz machen, und das kann in der Tat in die Irre führen. Ich halte es für gefährlich, diese Tendenz so fortzusetzen, weil wir dadurch zu falschen Schlüssen kommen könnten für das weitere Handeln.

Es gibt Defizite, über die wir sprechen, über die wir weiter diskutieren müssen und wo wir auch handeln müssen. Wir müssen ganz klar benennen, wo die Defizite und die Ursachen liegen und wir dürfen dies nicht einseitig auf einzelne Handlungsfelder reduzieren. Zu dem Grundsatz, zu sagen, was ist, gehört es auch, zur Kenntnis zu nehmen, was kriminologische und soziologische Studien in den letzten Jahren ergeben haben.

Hervorgetan hat sich hierbei der Kriminologe Christian Pfeiffer aus Niedersachsen, der dankenswerterweise sehr klar herausgearbeitet hat, welche speziellen Probleme es bei bestimmten Jugendlichen mit Migrationshintergrund gibt. Das muss man benennen, ich finde das wichtig. Ich finde es falsch, darüber hinwegzugehen. Der Vorwurf ist auch falsch, dass wir darüber hinweggingen, denn diese Studien sagen uns ganz klar, dass es bei einem bestimmten Teil von Jugendlichen mit Migrationshintergrund ein Problem mit Gewalttätigkeit gibt, das etwas zu tun hat mit dem Verständnis von männlicher Rolle, das etwas zu tun hat mit Machismo. Deswegen müssen wir natürlich sehr intensiv an dieser Frage arbeiten und das ist in erster Linie eine Aufgabe für die Eltern in den Familien mit Migrationshintergrund. Aus dieser Aufgabe dürfen wir die Eltern nicht entlassen. Es gibt eine Aufgabe für Schule und für Kindergärten, was männliche Rollenvorbilder betrifft. Es ist wichtig, dass wir dies tatsächlich klar benennen.

Aber Untersuchungen sagen uns auch etwas anderes. Sie sagen uns – und da kommt die Aufgabe für die Mehrheitsgesellschaft gerade im Hinblick auf junge Migranten –, dass die Gesellschaft seit 2001 letztlich in Reaktion auf die Anschläge vom September 2001 intoleranter geworden ist. Junge Migranten nähmen insbesondere die Intoleranz gegenüber Muslimen wahr. Das muss uns zu denken

geben. Auch das ist Teil der Wahrheit und auch Teil dessen, worüber wir reden müssen. Die Mehrheitsgesellschaft muss daran arbeiten, nicht jedem Jugendlichen mit Migrationshintergrund mit Vorurteilen gegenüberzutreten, denn das, was als Befund für einen Teil dieser Jugendlichen gilt, gilt mitnichten für alle. Viele der jungen Leute sind integrationswillig, wollen etwas tun, treffen dabei aber auf spürbare, erhebliche Diskriminierung. Hier gibt es viel für uns zu tun.

(Beifall bei der GAL und der CDU)

Das Wort bekommt Herr Warnholz.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich freue mich, dass alle im Hause vertretenen Parteien, bis auf DIE LINKE, einhellig die Angriffe auf unsere Polizeibeamten verurteilen.

(Beifall bei der CDU – Dora Heyenn DIE LINKE: Das stimmt doch nicht, was Sie sa- gen! – Norbert Hackbusch DIE LINKE: Das ist Unsinn!)

Es ist schon eine gewisse Scheinheiligkeit, Herr Dr. Dressel, wenn Sie über die Hamburger Polizei sprechen. Die Kompetenz in diesem Bereich räume ich Ihnen sogar ein, aber jetzt glaube ich nicht mehr, was Sie sagen. Sie wissen ganz genau, dass die Hamburger Polizei mit die modernste Polizei in der Bundesrepublik ist, egal, ob es sich um Radfahrzeuge handelt, um Geräte oder die Ausrüstung.

(Ingo Egloff SPD: Darum geht es doch gar nicht!)

Das ist einfach so, und das wurde hier infrage gestellt.

(Michael Neumann SPD: Wir haben die modernste Reiterstaffel Norddeutschlands!)

Hier wurde sehr viel für die Polizei getan.

(Beifall bei der CDU)

Frau Schneider, es wurde schon angesprochen: Eine Vorverurteilung von Polizeibeamten zu machen – das haben Sie mehr oder weniger getan –, steht Ihnen nicht zu. Der Justizsenator sagte es auch gerade, die polizeiinternen Ermittlungen laufen, warten wir dies doch einmal ab. Ich glaube an die Polizei, ich glaube auch an die Justiz. Sich jedoch ganz anders zu äußern, finde ich äußerst schädlich.

(Beifall bei der CDU)