Protocol of the Session on June 16, 2010

die einfach nur sagen, sie brauchen zusätzliches Geld vom Staat, weil die anderen es auch bekommen. Das brauchen wir nicht, aber das ist nicht das Problem.

Der Staat heutzutage muss viele zusätzliche Aufgaben lösen, die in der Vergangenheit nicht gelöst werden mussten. Wir haben die Situation, dass viele Familien in dieser Stadt nicht mehr in der Lage sind, ihre Kinder nicht verelenden zu lassen und auch Nachbarschaften nicht verhindern, dass Kinder teilweise elendig zu Tode kommen. Dort muss der Staat mit vielen Mitteln eingreifen, was

auch richtig ist. Natürlich wird der Staat im Bereich der Vereinbarkeit von Beruf und Familie viel stärker in Anspruch genommen als das noch vor 20, 30 Jahren der Fall war. Aber all diese zusätzlichen Aufgaben sind nicht mit zusätzlichen Einnahmen verbunden. Wir haben sogar eine Debatte in dieser Stadt, bei der man schon fast den Eindruck gewinnen könnte, staatliche Leistungen seien nur dann richtig und gut, wenn sie umsonst sind, als ob solche staatlichen Maßnahmen nicht auch ihren Preis hätten, den die Bürgerinnen und Bürger bereit sein müssen zu bezahlen.

(Wolfgang Rose SPD: Fragt sich nur, wel- che!)

Es gibt auch ideologische Verblendungen. Wenn ich mir die Bundesregierung anschaue und dort eine kleine Partei an der Regierung sehe, die unabhängig davon, was in dieser Welt gerade los ist, nur ein einziges Ziel hat, das Goldene Kalb, um das sie tanzt, nämlich Steuern zu senken, dann ist natürlich auch das ein Problem. In einer Situation, in der der Staat immer mehr machen muss und auch soll, ist ein weiteres Abschmelzen der Steuereinnahmen der falsche Weg und führt dazu, diesen Staat zu demontieren, was nicht richtig ist. Auch hier braucht es eine Umkehr, das muss einmal ganz deutlich gesagt werden.

(Ingo Egloff SPD: Das haben wir nie bestrit- ten!)

Aber wenn man sich in dieser Situation befindet, dann muss man sich – auch wir Politiker, auch die Verwaltung – ehrlich fragen, ob wir angesichts dieser zusätzlichen Aufgaben richtig aufgestellt sind. Wenn man die notwendigen Dienstleistungen nicht mehr bezahlen kann, bei denen wir uns alle einig sind, dass sie der Staat erbringen muss, die Mittel im Moment aber begrenzt sind, dann muss man sich schlichtweg und ergreifend die Frage stellen, ob es der richtige Weg ist, Dienstleistungen einzuschränken.

Dieser Senat glaubt, dass das nicht richtig ist, sondern dass der richtige Weg ist zu überprüfen, ob die Verwaltung richtig aufgestellt ist, ob es nicht viel wichtiger ist, die Dienstleistungen zu erbringen anstatt vor Ort an vielerlei Stellen die gleichen Verwaltungsbeamten vorzuhalten und man das nicht in manchen Punkten zentral erledigen kann. Diese Frage ist nicht einfach und erfordert viel Ehrlichkeit von uns, auch von den Parteien. Ist das, was wir in der Vergangenheit nie antasten wollten, eigentlich im Sinne der Bevölkerung? Wir werden in diesem Bereich viele Debatten führen und darum bin ich vorhin auch Herrn Neumann gegenüber scharf geworden, der im Moment nicht im Raum ist.

(Michael Neumann SPD: Doch, ich höre zu!)

Wir haben gemeinsam beschlossen, trotz Krise mehr Geld in den Bereichen Kinderbetreuung und Schule auszugeben. Wenn wir das gemeinsam ge

tan haben, dann würde es uns auch gut anstehen, über die Folgen dieses Tuns nachzudenken und darüber, welcher Beitrag aufseiten der Politik und der Verwaltung notwendig ist, um diese zusätzlichen Aufgaben zu erbringen. Ohne einen solchen Beitrag werden wir nicht die Akzeptanz der Bürgerinnen und Bürger in der Stadt für notwendige Maßnahmen erringen. Darum würde ich mich freuen, wenn Sie diese Haltung anlässlich einer Regierungserklärung des Bürgermeisters bei den harten und schwierigen Aufgaben in den nächsten Monaten ablegen und eine Debatte darüber führen würden, was dieser Staat leisten kann, was er leisten soll und was vielleicht im Moment nicht mehr notwendig ist.

Lassen Sie mich einmal sagen, warum wir zuerst diese Debatte führen müssen. Als einfachste Schritte anlässlich knapper öffentlicher Kassen akzeptiert man die zusätzlichen Ausgaben, macht einen Einstellungsstopp und Nullrunden im öffentlichen Dienst. Der öffentliche Dienst muss dann dafür bezahlen und an die Strukturen geht man nicht heran, die bleiben so wie sie sind – die Bediensteten des öffentlichen Dienstes, die dort gute Arbeit machen, mussten in der Vergangenheit einen sehr großen Beitrag leisten –, anstatt einmal darüber nachzudenken, ob denn reale Aufgaben wirklich noch notwendig sind.

Darum bin ich froh, dass wir diesen einfachen Weg nicht gehen, sondern erst eine Aufgabenkritik durchführen

(Wolfgang Rose SPD: Ah, von Aufgabenkri- tik haben wir noch nichts gesehen!)

und dann darüber nachdenken werden, an welchen Stellen man Einnahmen verbessern kann. Das ist ein ehrlicher und notwendiger Ansatz, um diese Krise zu bewältigen.

(Beifall bei der GAL und der CDU)

Aber am Ende des Tages werden wir vielleicht angesichts dieser gigantischen Aufgabe – es lässt sich gar nicht leugnen, 500 Millionen in einem Jahr, aufwachsend auf eine Milliarde – in eine Situation kommen, wo man bei aller Aufgabenkritik, bei aller Effizienzsteigerung feststellen muss, dass wir bei den schwierigen und harten Belastungen nicht darum herumkommen, dem öffentlichen Dienst auch etwas aufzuerlegen. Ich weiß sehr genau, dass das Weihnachtsgeld gerade in den unteren Besoldungsgruppen ein wichtiger Bestandteil ist. Es gibt einige Beschäftigte im öffentlichen Dienst, die mittlerweile sogar einen zweiten Job annehmen, um ihre Familie durchzubringen; das wissen wir. Um nicht noch schärfer einschneiden und vielleicht an Maßnahmen herangehen zu müssen, die notwendige Dienstleistungen

(Vizepräsident Wolfhard Ploog übernimmt den Vorsitz.)

für die Bürgerinnen und Bürger sind, werden wir irgendwann an den Punkt kommen, wo es auch um Einnahmeverbesserung geht.

Und da bin ich froh über die Worte des Bürgermeisters – auch von der Seite unseres Koalitionspartners –, dass dann Gedanken über Einnahmeverbesserungen nicht tabu sein dürfen und, was wir bisher immer versucht haben zu erreichen, starke Schultern mehr tragen müssen. Diesen Punkt vernachlässigt die Bundesregierung zurzeit sträflich und darum werden wir im Bereich Spitzensteuer und Reichensteuer mit Sicherheit einen konstruktiven Beitrag leisten. Selbst wenn es zu einer Debatte um die Anpassung der ermäßigten Mehrwertsteuersätze oder die Streichung von Subventionen, die ökologisch schädlich sind, kommen sollte, bin ich mir sicher, dass dieser Senat eine konstruktive Rolle im Bundesrat spielen wird.

Das ist eine wichtige Botschaft, wenn es darum geht, dem öffentlichen Dienst, aber auch den Bürgern einiges zuzumuten, denn letztendlich ist der Staat zu wichtig für zu viele Menschen in dieser Stadt, als dass man ihn so unterfinanziert lassen kann, was bisher ein Teil unserer Probleme war.

Meine Damen und Herren! Insofern will ich dem Bürgermeister aber auch in einer Sache zustimmen.

(Zurufe: In einer Sache!)

In der einen entscheidenden Sache.

Bei den vor uns liegenden schwierigen Aufgaben haben wir in Hamburg gute Voraussetzungen, dieses zu bewältigen, da wir in manchen anderen umkämpften Bereichen – und dafür bin ich auch sehr dankbar – die Kraft gefunden haben, gemeinsam zu agieren, nämlich im Bereich Bildung angesichts einer schwierigen Situation.

Ich würde mich freuen, wenn es mit Ihnen gelingen würde, die notwendigen Debatten darüber zu führen, wofür der Staat da ist, was wir tun können und was er dafür braucht. Aber man muss auch den Bürgerinnen und Bürgern sagen, dass alles seinen Preis hat und sie dafür auch mit höheren Steuern zahlen müssten. Wenn wir diese Debatte gemeinsam führen und dies konstruktiv tun, hat diese Stadt eine bessere Chance, aus der Krise herauszukommen, als viele andere in diesem Land. – Vielen Dank.

(Beifall bei der GAL und der CDU)

Das Wort bekommt Frau Heyenn.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Nach vielen Rauchzeichen aus der Senatsklausur in den öffentlichen Blättern wurde uns heute eine Regierungserklärung angekündigt, die es in sich haben wird. Diesem An

spruch, Herr Bürgermeister, sind Sie nicht gerecht geworden.

(Beifall bei der LINKEN und der SPD)

Darüber hinaus müssen wir von der LINKEN bemängeln, dass von dem parlamentarischen Brauch abgewichen wurde, den Inhalt den Fraktionen, insbesondere den Oppositionsfraktionen, zur Verfügung zu stellen. Das halten wir für unhanseatisch. Und mein Fraktionskollege Norbert Hackbusch würde sagen, das gehört sich nicht, und das finde ich auch.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir haben heute kein Ergebnis für ein Sparkonzept des Senats erhalten, wir haben erste grobe Umrisse und vage Vorschläge vom Bürgermeister gehört. Das Zauberwort, darauf hat Herr Neumann schon hingewiesen, ist das Wort Effizienz. Und mit Effizienz sollen in öffentlichen Unternehmen und in der Verwaltung 150 Millionen Euro eingespart werden. Wie das konkret passiert, haben Sie uns leider nicht verraten, aber das wäre wichtig gewesen. Wir haben letztendlich eine grobe Überschlagsrechnung in drei Blöcken bekommen. Wir von der LINKEN werden uns damit intensiv auseinandersetzen und das machen wir ebenfalls in einer Fraktionsklausur.

Vor 20 Tagen hat Ole von Beust in einem Zeitungsinterview gesagt, wir hätten in Hamburg jahrzehntelang über die Verhältnisse gelebt. Nun weiß ich nicht genau, wen Sie, Herr Bürgermeister, mit wir gemeint haben, Sie haben heute nur von Schulden gesprochen und Herr Neumann hat auch seine Interpretation dazu beigetragen. Ich möchte hinzufügen, dass auch die CDU-geführten Senate das Tafelsilber der Stadt verscherbelt haben, um weiter über ihre Verhältnisse leben zu können.

Ich habe gelesen, dass Herr Frigge, der Senator für Finanzen, in einer Zeitung sagte, es werde sogar überlegt, den HHLA-Anteil der Stadt weiter abzusenken auf 50,1 Prozent. Also geht es weiter so mit dem Leben über die Verhältnisse.

Fest steht aber, dass viele Hamburgerinnen und Hamburger, insbesondere viele Kinder in dieser Stadt, weit unter zumutbaren Verhältnissen leben müssen und das muss geändert werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Selbstverständlich müssen die starken Schultern mehr tragen als die schwachen. Wir von der LINKEN werden uns damit auseinandersetzen und wir werden auch darüber diskutieren, welchen Beitrag der Regierungsapparat, die Abgeordneten und die Fraktionen leisten können. Das haben wir 2008 getan und das werden wir jetzt wieder tun. Dem verschließen wir uns nicht, da haben wir eine große Verantwortung.

(Jens Kerstan)

Wir begrüßen, dass der Bereich Bildung von den Kürzungen ausgenommen wird. Hamburg hat hier allerdings auch einen großen Nachholbedarf. Im Vergleich zu den anderen Bundesländern steht Hamburg mit seinen Bildungsinvestitionen von 2,9 Prozent vom BIP seit Jahren an vorletzter Stelle im Vergleich zu anderen Ländern in der Bildungsreform. Die Bildungsreform, die jetzt angestoßen wurde und von der wir hoffen, dass sie umgesetzt werden kann, kann nur gelingen, wenn genügend finanzielle Ressourcen zur Verfügung gestellt werden. Das hat der Senat vorgelegt und da hat er auch unsere volle Unterstützung. Das haben wir gestern im Schulausschuss gemeinsam mit der anderen Oppositionspartei noch einmal unterstützt.

Bei der Heraufsetzung der Kita-Gebühren hat der Senat allerdings nicht unsere Unterstützung. Wir möchten noch einmal ausdrücklich darauf hinweisen, auch frühkindliche Bildung ist Bildung und an Bildungsausgaben darf nicht gespart werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Der Bürgermeister hat heute deutlich gemacht, ebenso Herr Kerstan, dass die Haushaltssituation sehr dramatisch ist, aber das kommt doch auch keineswegs überraschend. Herr Kerstan, Sie haben immer nur das Gemälde von der weltweiten Finanzkrise aufgezeigt, als sei das der einzige Grund dafür, dass wir heute über diese Thematik diskutieren müssen.

Man muss doch sehen, dass es im Grunde drei Punkte sind, die zu der heutigen Situation geführt haben. Das eine ist der fortgesetzte Wahnsinn der Steuersenkungen auf allen Ebenen in den letzten Jahrzehnten.

(Beifall bei der LINKEN)

Der zweite Punkt ist die Deregulierung des Arbeitsmarkts. Warum haben wir denn so wenige Steuereinnahmen – unter anderem auch, weil gerade hier in Hamburg extreme Dumpinglöhne gezahlt werden; das muss aufhören.

Der dritte Punkt ist die Finanz- und Wirtschaftskrise. Sie haben darauf aufmerksam gemacht, dass sich das Problem so darstellt: Wie viele Aufgaben hat der Staat, welche Aufgaben kann er sich leisten und welche soll er sich leisten. Diese Frage hätten Sie als Regierung problematisieren und Ihren Standpunkt darstellen müssen. Aber sowohl der Bürgermeister als auch Sie haben nur Fragen gestellt, jedoch keine Antworten vorgeschlagen. Da müssen wir dann gemeinsam die Verantwortung übernehmen. Diese Diskussion muss geführt werden, weil der momentane Spielraum immer stärker eingeschränkt wird.

Vonseiten der schwarz-gelben Bundesregierung und auch vom schwarz-grünen Senat haben wir heute wieder gehört, dass der Gesamtumfang der Aufgaben im öffentlichen Dienst zur Disposition ge

stellt wird. Es wird nur sehr vornehm umschrieben mit dem Begriff Effizienz. Das ist der falsche Weg und ein falscher Ansatz.

Was die Sparvorschläge, die heute in groben Umrissen vorgestellt wurden, für die Stadt insgesamt bedeuten, können wir heute überhaupt noch nicht abschätzen, weil es noch nicht nachvollziehbar und viel zu vage ist. Die, die am wenigsten Einkommen haben in dieser reichen Stadt, werden am stärksten belastet. Dies ist als Eindruck entstanden, das hat der Bürgermeister noch einmal bestätigt. Er hat darauf hingewiesen, dass diese Befürchtung in der Bevölkerung vorhanden ist und sie besteht auch nicht zu Unrecht. Ich möchte nur an diese Wahnsinnsidee der Bundesregierung erinnern, dass Hartz-IV-Bezieher, die Eltern werden, keinen Anspruch mehr auf Elterngeld erhalten sollen. Das kann doch wohl nicht wahr sein.