Protocol of the Session on June 16, 2010

"Mir ist schlecht geworden, als Herr Freytag die Finanzlage der Stadt dargestellt hat."

Da stellt sich mir nur die Frage, Herr von Beust, warum Sie das erst zwei Jahre später erkannt haben, wo Herr Kerstan schon zwei Jahre früher viel klüger war. Sie haben es nach dem Pfingstfest erkannt. Nun glaube ich nicht, dass der Heilige Geist zu Ihnen gesprochen hat. Ich glaube eher, dass die Lage so dramatisch geworden ist und Sie sich so verhalten haben, wie es die CDU immer tut, immer nur das zuzugeben, was sich nicht mehr leugnen lässt.

(Beifall bei der SPD – Barbara Ahrons CDU: Glauben Sie eigentlich das, was Sie da er- zählen?)

Sie sprachen auch davon, dass die wirkliche Lage der Stadt sich hinter einer kreativen Bilanzierung verborgen habe. Das bedeutet übersetzt, dass Sie uns damit also allen Ernstes erzählen wollen, die Finanzsenatoren Peiner und Freytag hätten hinter dem Rücken des Bürgermeisters die Bilanzen gefälscht. Nichts anderes versteckt sich hinter dem Vorwurf gegenüber Herrn Peiner und Herrn Freytag, man habe den Haushalt kreativ geführt. Dazu haben Herr Peiner und Herr Freytag sich schon im "Hamburger Abendblatt" geäußert und ich bin gespannt, was die beiden Herren zur Ehrenrettung ihrer eigenen Leistung sagen werden. Das wird bei Herrn Freytag weniger sein als bei Herrn Peiner, aber ich bin sicher, er wird es nicht auf sich beruhen lassen, hier von Ihnen als Sündenbock dargestellt zu werden. Die Verantwortung für diese Politik tragen nicht diese beiden Herren allein, die tragen Sie.

(Beifall bei der SPD)

Dann und wann haben Sie hier Regierungserklärungen gehalten und 2008 haben Sie gesagt, ich zitiere wieder:

"Zweitens ist uns in Sachen Kosten ein Stichwort sehr bewusst, …"

jetzt lachen Sie bitte nicht –

"… und zwar Haushaltsdisziplin."

sagte der Bürgermeister damals.

"Wir brauchen eine große Haushaltsdisziplin, denn was wir als neue Prioritäten benannt haben, werden wir ohne neue Schulden finanzieren […] Diese Koalition steht für eine nachhaltige Haushaltspolitik."

Zitatende. –

Nachhaltige Haushaltspolitik, das kann nur ein schlechter Scherz sein. Wir wissen mittlerweile, was die CDU darunter versteht: den hemmungslosen Marsch in den Schuldenstaat.

(Beifall bei der SPD)

Sie haben uns vorgeworfen – das ist auch in der Diskussion zwischen Jens Kerstan, Karl Schwinke und Ingo Egloff immer wieder Thema gewesen –,

wir wüssten nicht, was unter Kreativwirtschaft zu verstehen ist. Ich habe mittlerweile verstanden, was die CDU unter Kreativwirtschaft versteht, offensichtlich finanzpolitische Tricksereien. Das ist Ihre Kreativität, aber das ist gewiss nicht das, was sich Grüne darunter vorgestellt haben.

(Beifall bei der SPD)

Der Höhepunkt ist allerdings, und das haben wir heute hier auch zwei- oder dreimal gehört, dass Sie auch noch gesagt haben – Zitat –:

"Wir haben über unsere Verhältnisse gelebt."

(Viviane Spethmann CDU: Was haben Sie denn für Vorschläge?)

Ein Satz, der vielen Menschen unserer Stadt wie Hohn in den Ohren klingen muss, denn die Frage ist doch, wer hat denn in unserer Stadt wirklich über seine Verhältnisse gelebt. Ich habe mir ein paar Zahlen angeschaut. Nehmen wir den Bereich einer Ihrer Nachfolger, Herrn Ahlhaus, Innere Sicherheit. Sie haben vier von 28 Polizeikommissariaten dichtgemacht. Wir haben nach Aussagen des Senats – das sind die Zahlen, die Herr Dressel abgefragt hat – heute 150 Polizistinnen und Polizisten weniger auf der Straße als noch im Jahre 2001.

(Kai Voet van Vormizeele CDU: Schlichtweg falsch!)

Finden Sie ernsthaft, dass wir bei der Sicherheitslage und dem Sicherheitsempfinden der Menschen in U- und S-Bahnen da über unsere Verhältnisse leben, 150 Polizisten weniger als unter Rot-Grün? Ich finde nicht, im Gegenteil.

(Beifall bei der SPD)

Schauen wir uns den Bereich der Kindertagesstätten an. Hamburg ist aus dem Tarifvertrag für die Kitas ausgestiegen. Das heißt, die gut 9000 Erzieherinnen und Erzieher in unseren Kindertagesstätten werden deutlich schlechter bezahlt, als es der ohnehin schon nicht üppige Kita-Tarif eigentlich vorsieht. Leben diese Erzieherinnen und Erzieher über ihre Verhältnisse? Auch da ist genau das Gegenteil der Fall und es wird für uns zunehmend unerträglich, dass Sie zwar auf der einen Seite immer wieder die Bedeutung von Bildung beschwören, manchmal auch garniert mit dem Hinweis frühkindliche Bildung – heute haben Sie es vergessen –, aber gleichzeitig die Erzieherinnen und Erzieher unserer Stadt so mies bezahlen. Das ist unanständig.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Schauen wir uns an, was im Bereich der Schulen passiert ist. Bevor wir die erfolgreichen gemeinsamen Verhandlungen zur Primarschulreform geführt haben, war festzuhalten, dass 80 Lehrerinnen und Lehrer weniger in den Schulen beschäftigt sind als

noch im Jahre 2001. Auch hier finde ich nicht, dass wir über unsere Verhältnisse leben.

Ich kann Ihnen aber sagen, wo Sie über Ihre und über unsere gemeinsamen Verhältnisse gelebt haben und leben. Das ist nur eine kleine Auswahl und das müssen Sie ertragen: Das ist der Bau der Elbphilharmonie mittlerweile mit 323,5 Millionen Euro, der geplante Bau der HafenCity Universität mit 67 Millionen Euro, der Neubau der Baubehörde mit 200 Millionen Euro oder die Kostenexplosion beim Messeneubau mit 50 Millionen Euro. Wir sind uns einig und das ist eine richtige Entscheidung, dass der Umzug der Universität endlich vom Tisch ist, aber damals planten Sie 2,5 Milliarden Euro. Sie verschenken unsere Krankenhäuser

(Kai Voet van Vormizeele CDU: Für die Sie keine Rücklagen gebildet haben!)

und dabei vergessen Sie, dass die Pensionsbelastung komplett bei uns geblieben ist, alleine in den nächsten drei Jahren sind das 120 Millionen Euro, auch für die Rückkehrerinnen und Rückkehrer. Der Bau der Sackgassen-U-Bahn U4 in die HafenCity: 323,6 Millionen Euro. Die Pferdestaffel unserer Polizei: einmalig 400 000 Euro und dann Betriebskosten von 200 000 Euro jährlich. Die Zockereien bei der HSH Nordbank: 2,2 Milliarden Euro Vermögensverlust. Anmieten von zigtausend Quadratmetern im Überseequartier: fast 4 Millionen Euro. Die Verzehnfachung von Pressesprechern und Wasserköpfen in der Verwaltung, die Doppelstrukturen insbesondere auch in den Vorzimmern der Senatorinnen und Senatoren: 170 Millionen Euro. Dann natürlich das Entscheidende: der unterirdische Schießstand unserer Polizei mit 30 Millionen Euro und – darüber werden wir heute noch diskutieren – für 8,5 Millionen Euro ein europäischer Werbefeldzug von Schwarz-Grün für die Umweltstadt.

Das ist nur eine kleine Auswahl, auch wenn es Ihnen wehtut, aber alleine diese Investitionen und Betriebsausgaben bringen es auf insgesamt 5,737 Milliarden Euro. Da haben Sie über die Verhältnisse unserer Stadt gelebt. Werfen Sie es nicht den Menschen vor. Sehen Sie ein, dass Sie selbst die Fehler gemacht haben, und nicht die Menschen dieser Stadt.

(Beifall bei der SPD und bei Elisabeth Baum DIE LINKE)

Deshalb ist es auch einfach, die Frage zu beantworten, wer in Hamburg über seine Verhältnisse gelebt hat. Das sind eben nicht die Menschen, die einen starken und handlungsfähigen Staat brauchen, sondern es sind Sie – insbesondere Sie, meine Damen und Herren von der CDU –, die sich Ihre Zustimmung zu dem grünen Koalitionsvertrag in großen Teilen mit Schulden erkauft haben. Sie haben über unser aller Verhältnisse gelebt. Sie haben das Geld mit vollen Händen aus dem Fenster

geworfen und Sie sind mit Volldampf in den Schuldenstaat marschiert. Das zeigt nur eines: Sie sind mit dieser Politik gescheitert, Sie sind am Ende.

(Beifall bei der SPD)

Herr von Beust, gestatten Sie mir auch noch ein persönliches Wort zu Ihnen.

(Frank Schira CDU: Um Gottes willen!)

Sie sitzen sage und schreibe seit 1978 in diesem Parlament. Da war ich acht Jahre alt und Sie waren hier schon Abgeordneter. Jetzt sitzen Sie fast zehn Jahre auf dem Stuhl des Ersten Bürgermeisters. Ich glaube, Sie haben kein Recht, den Menschen vorzuwerfen, sie hätten über ihre Verhältnisse gelebt.

(Frank Schira CDU: Das hat er doch gar nicht gesagt!)

Sie wussten immer, was in dieser Stadt passiert, Sie haben viele Entscheidungen in dieser Stadt mitgetragen und deswegen tragen Sie dafür auch die Verantwortung.

(Rolf Harlinghausen CDU: Gegenüber Ihrer Rede hat ein Plattfisch ein hohes Niveau!)

Sie nennen Beispiele und sagen, dass Taschenspielertricks vorgenommen worden seien. Wer hat denn entschieden, dass die SAGA die GWG kauft? Was war das denn anderes als ein Taschenspielertrick? Beim Sondervermögen Schulbau reden Sie von Transparenz. Für die 40 zusätzlichen Stellen, die Sie geschaffen haben, ist vielleicht Transparenz vorhanden, aber für den Rest nicht. Das sind genau die Taschenspielertricks, die Sie Ihren Vorgängerinnen und Vorgängern vorgeworfen haben. Und deshalb glaube ich, dass Sie sich in weiten Teilen exakt so verhalten haben, wie Sie es bei Ihrer Elitenschelte den Menschen in Hamburg vorgeworfen haben: vollmundige Reden gehalten, aber am Ende wie der Kaiser ohne Kleider dagestanden.

(Beifall bei der SPD)

Sie werden nicht müde zu betonen, dass Sie mit Ihrer Aufgabe als Bürgermeister in Hamburg zufrieden seien. Ob das die Hamburgerinnen und Hamburger noch sind, wird sich zeigen. Auch bei den Vorschlägen, die Sie zur Erhöhung des Spitzensteuersatzes gemacht haben, möchte ich einmal in Erinnerung rufen: Auch wenn der Bürgermeister es nicht wirklich ausstrahlt, aber er ist als Erster Bürgermeister einer von 16 Ministerpräsidenten dieser Republik. Als solcher sind Sie im Übrigen auch im Bundesvorstand der CDU. Auch dort ist es Ihre Aufgabe, die Interessen unserer Stadt und die Interessen der Menschen in Hamburg zu vertreten. Deshalb frage ich Sie, was Sie denn getan haben, um die verrückte und aus meiner Sicht asoziale Steuerpolitik der Bundesregierung zu stoppen. Was haben Sie getan, um das Steuerprivileg für

Hoteliers zu verhindern, das Sie heute beklagen und das uns, wie Sie sagen, einen dreistelligen Millionenbetrag kosten wird? Was haben Sie getan, um die Kompensation für das Wirtschaftswachstumsbeschleunigungsgesetz für die Länder herauszuholen? Selbst Peter Harry Carstensen – man kann ihn nicht gerade als Avantgardisten der Politik beschreiben – hat mehr für sein Land Schleswig-Holstein herausgeholt als Sie. Sie haben entweder nicht stattgefunden oder Sie sind gar nicht erst zu dem Termin hingegangen. Sie haben im Bundesvorstand der CDU den Quatsch, der dort beschlossen wurde, nicht verhindert. Das ist Ihre Verantwortung.

(Beifall bei der SPD)

Es gibt andere Beispiele.

(Rolf Harlinghausen CDU: Jetzt weiß ich auch, warum Sie in der Opposition sitzen!)

Wir fordern doch nicht, dass dieser Bürgermeister zum Einzelkämpfer mutiert, das will ihm keiner zumuten. Aber wir haben Herrn Müller, den Ministerpräsidenten aus dem Saarland, der unter anderem auch mit den Grünen koaliert. Er macht Vorschläge, die aus meiner Sicht sehr sinnvoll sind. Selbst der Wirtschaftsrat der CDU fordert zumindest eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes. Sie haben heute immerhin auch begonnen, sich in diesem Bereich zu bewegen. Die Frage ist nur, was von dem geschehen wird, das Sie hier angekündigt haben. Sie werden jedenfalls unsere Unterstützung bei der Erhöhung des Spitzensteuersatzes haben – wobei die Durchschlagkraft der SPD-Fraktion im Bundesvorstand der CDU wahrscheinlich gering ist –, denn es ist eine richtige und notwendige Maßnahme, auch wenn Sie, das ist heute deutlich geworden, über Jahre die Hamburgerinnen und Hamburger hinsichtlich der wirklichen Kassenlage systematisch hinters Licht geführt haben. Sie haben gemeinsam mit Herrn Freytag immer wieder das Märchen von dem angeblich aus eigener Kraft ausgeglichenen Haushalt erzählt. Heute wissen wir, das war ein Lügenmärchen, und das Schlimme ist, Sie wussten es, es war eine bewusste Entscheidung. Sie haben die Hamburgerinnen und Hamburger hinters Licht geführt.

(Beifall bei der SPD – Farid Müller GAL: Und was will die SPD?)