Protocol of the Session on February 25, 2010

(Jens Kerstan)

Frau Präsidentin, sehr verehrte Damen und Herren! Die Zahl der Handwerksbetriebe in Hamburg hat sich im Jahr 2008 – das ist die jüngste Zahl, die uns statistisch vorliegt – auf 16 000 erhöht; damit einher geht natürlich auch ein Arbeitsplatzaufbau. Und wenn wir heute verzeichnen können, die aktuelle Statistik wurde gerade vorgelegt, dass im Dezember, mitten in der größten Weltwirtschaftskrise, die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze in Hamburg erneut angewachsen ist und nicht abgenommen hat und wir uns damit entgegen dem Bundestrend bewegen, dann ist natürlich auch das Handwerk daran beteiligt, insbesondere die Betriebe, die neue Arbeitsplätze schaffen. Diese Handwerker starten zunächst mit kleinen Unternehmen in der Größenordnung von drei bis fünf Mitarbeitern und Betriebe dieser Größe bieten in der Regel die meisten Aufwuchspotenziale für neue Arbeitsplätze.

Nun wurde gesagt, diese Handwerksmeister hätten aber die Gelder gar nicht in Anspruch genommen. Aber sehen Sie sich die Regelung doch einmal an. Warum ist das so? Weil sie nach zwei Jahren, wenn sie Erfolg nachgewiesen haben, den zweiten Teil der Prämie bekommen. Wann wurde denn mit dem Programm begonnen?

(Barbara Ahrons CDU: 2006!)

Im Jahr 2006 und da haben nur sechs Betriebe die Prämie in Anspruch genommen. Von denen haben es aber auch tatsächlich schon zwei innerhalb dieser Zeit geschafft. Das heißt, der wahre Aufwuchs kann doch erst noch kommen; das geht doch mathematisch gar nicht anders, hier wurde doch eine Milchmädchenrechnung aufgestellt. Insofern halte ich es erstens für richtig, die Vergabe staatlicher Gelder natürlich auch an eine Anforderung zu binden; ich stimme Herrn Kerstan da völlig zu. Geld zum Hinterherwerfen haben wir nicht, gerade in diesen Zeiten, sondern da muss man sich auch nach der Decke strecken. Zweitens haben wir natürlich neben dieser Gründungsprämie speziell für das Handwerk einen ganzen Strauß von Maßnahmen zur Unterstützung von Betriebsgründungen. Wir haben gerade jüngst mit dem Wirtschaftsausschuss im Haus der Wirtschaft eine Sitzung gehabt und dort erfahren können, was alles möglich ist; wir in Hamburg brauchen uns gerade hier nicht zu verstecken. Für das Handwerk gibt es mit dieser Prämie noch eine zusätzliche Spezialität und das ist auch angemessen, denn die Chancen sind da. Deshalb finde ich es auch gut, dass wir die Maßnahme verlängern.

Wir sollten uns dann allerdings auch gemeinsam fragen – jetzt haben wir das für ein Jahr geregelt –, was wir hinterher machen. Die Haushaltshoheit liegt bei Ihnen. Ich würde mich freuen, wenn es weitergehen würde. – Danke schön.

(Beifall bei der CDU und der GAL)

Wenn keine weiteren Wortmeldungen mehr vorliegen, können wir zur Abstimmung kommen.

Wer sich dem Antrag der CDU-Fraktion aus Drucksache 19/5350 anschließen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Die Gegenprobe. – Enthaltungen? – Damit ist der Antrag einstimmig angenommen.

Wir kommen zu Punkt 40 der Tagesordnung, Drucksache 19/5343, dem Antrag der SPD-Fraktion: Förderung kooperativer Ansätze in der Wirtschaftspolitik.

[Antrag der Fraktion der SPD: Förderung kooperativer Ansätze in der Wirtschaftspolitik – Drs 19/5343 –]

Wer wünscht das Wort? – Herr Schwinke, bitte.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Der SPD-Fraktion geht es mit diesem zur Debatte angemeldeten Antrag um eine aktive Diskussion und verstärkende Belebung der Genossenschaftsidee, die gerade in Hamburg auf eine große und wirtschaftlich erfolgreiche Geschichte zurückblicken kann. Sowohl nach dem Ersten als auch nach dem Zweiten Weltkrieg haben die Baugenossenschaften entscheidend dazu beigetragen, die Wohnraumversorgung zu verbessern. Heute sind die Baugenossenschaften mit über 100 000 Wohnungen neben SAGA GWG das Rückgrat der Hamburger Wohnungswirtschaft. Die mitgliederstärkste Genossenschaft vor Ort ist übrigens die Hamburger Volksbank mit über 37 000 Mitgliedern.

Dass die Genossenschaften für unsere Stadt von besonderer Bedeutung sind, kommt auch in der Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg zum Ausdruck. Dort wird die genossenschaftliche Selbsthilfe als Grundelement einer demokratischen Wirtschaftsordnung hervorgehoben. Es ist also eine ständige Aufgabe dieses Parlaments, sich dieses Themas anzunehmen. Bei meinen Recherchen habe ich aber festgestellt, dass diese Bürgerschaft sich bisher nicht mit diesem Thema beschäftigt hat. Daher ist es an der Zeit, das zu ändern.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Ob dies die Mehrheit der Abgeordneten von CDU und GAL auch so sieht, werden die nachfolgenden Beiträge zeigen.

(Jörn Frommann CDU: Nein!)

Die in unserem Antrag vorgestellten Beispiele aus anderen Ländern sollen aufzeigen, dass es lohnend ist, auch für Hamburg eigene Initiativen zu bestimmen und diese in den Fachausschüssen der

Bürgerschaft voranzubringen. Ich bin gespannt, ob CDU und GAL dies auch so sehen und sich über den heutigen Tag hinaus an einer Debatte in der Bürgerschaft und in Hamburg beteiligen wollen.

Die Genossenschaften sind traditionell wirtschaftlich erfolgreich, weil sie sich in ihrer unternehmerischen Ausrichtung an den Bedürfnissen der Menschen orientieren. Deshalb gibt es heute weltweit Genossenschaften und deshalb sind Genossenschaften besonders dann gefragt, wenn gesellschaftliche, wirtschaftliche oder politische Veränderungen von den Menschen eine Neuorientierung verlangen. Wer will leugnen, dass wir uns in solchen Zeiten der Veränderung bewegen. Kooperative Ansätze, ob im Kleinen oder im Großen, sind innovativ und richtungweisend.

(Beifall bei der SPD)

Freiberufler schließen sich zu Dienstleistungsgenossenschaften zusammen, um gemeinsam ihre Marktchancen zu verbessern. Die Experten sind sich einig, dass Unternehmen, die in Kooperationen zusammenarbeiten, auf globale Herausforderungen flexibler reagieren können als zentral gesteuerte Großkonzerne. Genossenschaften sind auch im Handwerk traditionell ein wirtschaftliches Erfolgsmodell. Es bleibt aber auch hier noch genügend Gestaltungsraum, um die Kooperation von kleinen und mittleren Unternehmen auszubauen, Kompetenzen zu bündeln und Großaufträge bewältigen zu können.

Genossenschaften können auch als Modell für die Unternehmensnachfolge oder für die Weiterführung von Betriebsteilen durch die Belegschaft dienen. Das ist insbesondere für Familienbetriebe im Handwerk eine Option. Die Fortführung florierender Unternehmen darf nicht an der Nachfolgefrage scheitern.

(Beifall bei der SPD)

Die Unternehmensrechtsform Genossenschaft zeichnet sich durch hohe Flexibilität aus. Die eingetragene Genossenschaft kann drei Unternehmer zusammenführen, aber auch Hunderte von Menschen in einer Kommune, die gemeinschaftlich Solaranlagen installieren, Schwimmbäder vor der Schließung retten oder sogenannte Tante-EmmaLäden wiederbeleben. Energiegenossenschaften liegen heute ebenso im Trend wie Ärztegenossenschaften. Bundesweit sind inzwischen 15 000 Ärzte in mehr als 50 Genossenschaften zusammengeschlossen. Die High-Tech-Branche und vor allem die IT-Branche, aber auch der gesamte Dienstleistungsbereich liefern beeindruckende Beispiele und haben noch viel Potenzial für Genossenschaftsgründungen. Die IHK Nürnberg hat diese Zeichen der Zeit erkannt, informiert breit über den vielversprechenden Trend und gibt Beispiele für erfolgreiche Genossenschaften.

Für die Handelskammer scheint das kein Thema zu sein; Genossenschaften finden hier überhaupt nicht statt. Das muss sich ändern.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Es würde sich lohnen, wenn sich auch die Handelskammer hier auf der Höhe der Zeit bewegen würde. Auch Baden-Württemberg ist längst weiter,

(Thomas Böwer SPD: Richtig!)

dort wurde bereits ein Förderprogramm aufgelegt. In Hamburg ist dies bisher kein Thema. Das FDPgeführte baden-württembergische Wirtschaftsministerium fördert jede Gründungsprüfung und -beratung mit 750 Euro. Darüber hinaus werden mittelständische Kooperationen durch Beratung unterstützt und für Freiberufler werden Kooperationsberater eingesetzt. Diesem guten Beispiel sollte Hamburg folgen.

(Beifall bei der SPD und bei Elisabeth Baum DIE LINKE)

Die Gründung von Genossenschaften muss unterstützt, erleichtert und gefördert werden. Wir haben heute die paradoxe Situation, dass gerade die Genossenschaften, die weltweit als das Instrument der Selbsthilfe gelten, in Deutschland durch alle Förderkriterien fallen. Als Genossenschaftsgründer erhalten sie keine Unterstützung, weil sie weder ein Arbeitnehmer sind, der sich selbstständig macht, noch der Gesellschafter eines Unternehmens. Weil über Möglichkeiten der Genossenschaft noch viel zu wenig bekannt ist und selbst die Berater in der Existenzgründung kaum Bescheid wissen, brauchen wir eine verstärkte Öffentlichkeitsarbeit und Best-practice-Beispiele.

(Beifall bei der SPD)

So wollen wir auch die Förderung von Schülergenossenschaften in Hamburg anregen. Schülerfirmen sind nichts Neues, aber die Kombination mit der Genossenschaftsidee kann der jungen Generation neue Perspektiven für eine demokratische und soziale Wirtschaftsform eröffnen. Ein vom Genossenschaftsverband in Hannover gefördertes Projekt wurde im Jahr 2008 von der Deutschen UNESCO-Kommission als UN-Dekade-Projekt "Bildung für Nachhaltige Entwicklung" ausgezeichnet.

Meine Damen und Herren! Die Genossenschaftsidee liegt gerade in den Zukunftsbranchen im Trend. Dazu gehört auch die Kultur- und Kreativwirtschaft. Kooperative Netzwerke, zu denen sich selbstständige Kreative zusammenschließen, sind auch hier der Schlüssel zum Erfolg. Es gibt bereits Kreativgenossenschaften in Hamburg. Wir müssen diesen Ideen und den vorhandenen Potenzialen nur zum Durchbruch verhelfen.

(Beifall bei der SPD, der GAL und der LIN- KEN)

Genossenschaften sind kreativ, weil sie von den Ideen ihrer Mitglieder leben. Seien Sie kreativ und stimmen Sie unserem Antrag zu. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Das Wort bekommt Frau Özkan.

(Dirk Kienscherf SPD: Da sind Sie sprach- los, was?)

Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren! In der Tat wundert uns, warum Sie gerade jetzt einen solchen Antrag stellen. Ich habe im Hinblick auf Ihr Petitum – Sie haben das Marcora-Gesetz genannt – einmal gegoogelt. Es lässt sich einiges finden, was aber weit in die Vergangenheit zurück reicht. 1994 veröffentlichte der italienische "Corriere della Sera" eine umfangreiche Abhandlung, sicherlich informativ, und 2006 hat es eine Änderung des Genossenschaftsgesetzes gegeben. Ich wundere mich, warum wir das hier debattieren, gehe aber gerne darauf ein.

Wir als CDU sind im Grundsatz mit Ihnen einig, dass genossenschaftliche Selbsthilfe, Selbstverwaltung und Selbstverantwortung Grundelemente der demokratischen Wirtschaftsordnung sind.

(Vizepräsident Wolfhard Ploog übernimmt den Vorsitz.)

Wie in den meisten europäischen Ländern spielen Genossenschaften auch in Deutschland eine bedeutende Rolle, sie sind wichtige Akteure in der Marktwirtschaft. Wir wollen das gar nicht in Abrede stellen. Die Genossenschaftsidee ist im öffentlichen Bewusstsein verankert, mehr als Ihnen von der SPD anscheinend bewusst ist. Es wundert mich, dass Sie in Ihrem Petitum davon ausgehen, dass das nicht der Fall sei. Das deutsche Genossenschaftswesen umfasst – das haben Sie selbst ausgeführt – etwa 5300 Genossenschaften mit rund 17 Millionen Mitgliedern. Das heißt, dass jeder vierte Bürger Mitglied einer Genossenschaft ist. Daher reagieren wir mit Verwunderung auf Ihre Unterstellung, das Genossenschaftsmodell sei in der Öffentlichkeit nicht bekannt. In Hamburg ist das große Spektrum genossenschaftlicher Einrichtungen vertreten. Sie haben einige genannt, ich will nur einige hinzufügen. Die BÄKO HANSA ist eine Konsumgenossenschaft von Bäckereien, die MEGA Malereinkaufsgenossenschaft und die Banken haben Sie schon genannt.

Im Einzelhandel spielt der Zusammenschluss von kleinen und mittelständischen Unternehmen zur Kompensation struktureller Nachteile gegenüber Großbetriebsformen ebenfalls keine unerhebliche Rolle. Entsprechende Potenziale werden sinnvoll genutzt; ich verweise auf EDEKA und viele andere.

Die SPD fordert besondere Beratungseinrichtungen für Genossenschaftsgründer. Wir haben ein gut funktionierendes Beratungsnetz für Gründungen in jeglicher Unternehmensform. Unsere Anlaufstelle für entsprechende Beratungen ist die Hamburger ExistenzgründungsInitiative H.E.I. Sie können sicher sein, dass Ihnen hier auch im Falle einer Genossenschaftsgründung die richtigen Hilfestellungen gewährt werden. Die Praxis zeigt aber – und das ist Realität –, dass die Mehrzahl der Existenzgründer eine Einzelgründung anstrebt. Es gibt zudem bereits öffentlich geförderte Beratungseinrichtungen mit besonderem Know-how hinsichtlich Genossenschaftsgründungen, zum Beispiel die Lawaetz-Stiftung. Auch der Zentralverband deutscher Konsumgenossenschaften mit Sitz in Hamburg bietet eine Vorortberatung zum Thema Genossenschaftsgründung an. Hier kann sich jeder Interessierte konkret zu den vielfältigen Fragen des Genossenschaftsrechts beraten lassen und Unterstützung nicht nur vor, sondern auch während und nach der Gründungsphase erhalten.

Hinsichtlich Ihrer Forderung nach einer gleichberechtigten Information über Genossenschaften kann ich Ihnen zusichern, dass keine Rechtsform bevorzugt oder benachteiligt wird.

(Beifall bei Barbara Ahrons CDU)

Bei der Wahl der Rechtsform können staatliche Beratungsstellen wie die H.E.I. sowieso nicht beraten, sondern können nur auf Rechtsanwälte oder Beratungsgesellschaften verweisen, die dann eine Risikoabwägung vornehmen und rechtliche Beratung zuteil werden lassen. Sicher kennen Sie das H.E.I.-Scheckheft aus dem Hamburger Coachingprogramm für Existenzgründerinnen und Existenzgründer. Im Scheckheft 2010 wird, wie bereits in seiner Vorgängerversion, unter anderem ein Seminar zur Wahl der Rechtsform ausgeschrieben. Welche Frage auch immer ein Kursteilnehmer haben mag – ich kenne das aus vielen Gesprächen –, hier kann und wird er eine entsprechende Auskunft bekommen.

Nicht zuletzt darf ich Sie auch daran erinnern, dass mit der Novelle des Genossenschaftsgesetzes 2006 auf Bundesebene die Gründung von Genossenschaften, insbesondere von kleinen Genossenschaften, aufgrund der Entlastung von bürokratischem Aufwand erleichtert wurde. Gerade für Handwerksbetriebe sind gute Bedingungen für zwischenbetriebliche Kooperationen angelegt, die einen verlässlichen und stabilen Rahmen gewährleisten.

Genossenschaften werden schon heute hinsichtlich Beratung und Finanzierungshilfen gleichberechtigt neben anderen Unternehmensformen gefördert. Bei dieser Ausgangslage, das möchte ich noch einmal unterstreichen, verzichten wir in Hamburg gern auf die Zwangsinstrumente, die Sie in Ihrem Antrag fordern. Der Markt regelt das und die