Wir hatten eine Kleine Anfrage gestellt und gefragt, was Sie denn eigentlich täten. Die Antwort auf die Kleine Anfrage war in der Tat verheerend. Frau Heyenn, Sie haben das schön dargestellt, es war tatsächlich bei den konkret benannten Maßnahmen erwähnt worden, dass es jetzt einen PowerPoint-Vortrag gäbe für die Schulen, in dem über die umfangreichen Berufsmöglichkeiten der Schüler informiert werden sollte. Das war die einzige richtig greifbare Maßnahme. Wir haben noch einmal nachgefragt, wie es eigentlich mit den Studienplätzen sei. 2004 gab es in Hamburg für Studienanfänger 10 928 Studienplätze. 2009, fünf Jahre später, 319 mehr, das sind 11 247 – alles Zahlen der Wissenschafts- und Schulbehörde.
Aber in diesen fünf Jahren, in denen 319 Studienplätze mehr geschaffen worden sind, stieg allein die Zahl der Hamburger Abiturienten um 1400, und zwar ohne G8 und doppeltem Abiturjahrgang, einfach deswegen, weil wir ständig mehr Abiturienten haben. Da soll mir keiner erzählen, dass da irgendetwas gewachsen sei, ganz im Gegenteil treffen die Abiturienten auf weniger Studienplätze als ihre Kolleginnen und Kollegen noch vor fünf Jahren.
Was wird dann empfohlen? Es war darauf hingewiesen worden, Greifswald. Ich habe das Unvergnügen als Vater von drei Kindern, mein erstes Kind jetzt zu finanzieren, es studiert in Kiel, muss ja sein. Wenn man sich das ausrechnet, heißt das 20 000 Euro pro Nase, wenn jemand fünf Jahre studiert.
Ich vermisse ein wenig eine Broschüre aus der Schulbehörde, die den Eltern empfiehlt, wie sie diese 20 000 Euro erübrigen sollen, statt des Ratschlags, dass die Kinder doch in Greifswald, Bayern oder Thüringen studieren sollten. Ich glaube, das sind keine ernsthaften Auswege.
Die SPD hat deshalb im Juli letzten Jahres einen Antrag gestellt, es müsse mehr Studienplätze und mehr Ausbildungsplätze geben und man müsse
prüfen, ob die Abiturprüfungen nicht entzerrt werden könnten – also ein ganzes Bündel von Maßnahmen. Was haben der Senat und die Regierungsfraktionen gemacht? Sie haben den Antrag abgelehnt, das konnte man beinahe schon erwarten.
Wenn man wenigstens etwas getan hätte. Nach einer Weile traf man sich mit der Handelskammer und sagte, man wolle jetzt zusammen 1130 Ausbildungsplätze auf den Weg bringen. 5000 neue Abiturienten gegenüber 1130 Ausbildungsplätzen – man hat bei diesen Rechenkunststücken schon den Eindruck, dass auch einige Planer in der Schulbehörde zu kurz zur Schule gegangen sind.
Dass sich die Wirtschaft über ein Überangebot an Ausbildungssuchenden jetzt freut, ist kein Wunder. Aber besser wäre es gewesen, wenn die Abiturienten sich darauf gefreut hätten, dass sie jetzt die Schule verlassen und in Hamburg eine Perspektive finden. Noch besser wäre es, wenn nicht nur die Abiturienten sich freuen könnten, sondern wenn vor allem die anderen Schülerinnen und Schüler sich freuen würden, denn die wahren Leidtragenden des doppelten Abiturjahrgangs sind vermutlich die Haupt- und Realschüler in Hamburg. Sie werden nämlich jetzt – darauf hat Frau Heyenn richtig hingewiesen – auf die Konkurrenz bei der Ausbildungsplatzsuche treffen und das ist eine Konkurrenz, der sie kaum gewachsen sind. Sie sind diejenigen, die jetzt in den Warteschleifen oder in der Arbeitslosigkeit landen und um ihre Zukunft bangen müssen. Das weiß die Schulbehörde auch. Auf besagte Kleine Anfrage – übrigens nachzulesen in der Drucksache 19/3162 – und die Frage, was denn die Schulbehörde sonst noch für Maßnahmen auf den Weg gebracht habe, um diesem doppelten Abiturjahrgang gerecht zu werden, heißt es zu den Berufsschulen:
"Hierfür stehen im beruflichen Schulwesen Vollzeitbildungsgänge zur Erlangung von beruflichen Teilqualifizierungen […] zur Verfügung."
Im Schuljargon ist das vielleicht unverständlich, aber genau das ist eine der beruflichen Warteschleifen, die wir seit einem Jahr geißeln und immer sagen, das dürfe nicht sein, das solle abgeschafft werden.
Es ist besonders spannend, dass gerade diese empfohlene Maßnahme bei der Konsolidierungsberatung des Senats genannt wird als ein Bereich, der eingespart werden solle, und zwar nicht irgendwann in weiter Ferne, sondern genau jetzt, wo der doppelte Abiturjahrgang kommt, werden beispielsweise im Berufsvorbereitungsjahr 170 Plätze gestrichen. Da kommt der Abiturjahrgang, es setzt der Verdrängungsprozess ein und Sie streichen. Da muss man ehrlicherweise sagen, dass man diese Planung beim besten Willen nicht mehr Planung nennen kann, dazu ist sie zu chaotisch. Wer wis
sen will, warum Eltern und Schüler sich beim Wort Schulreform in Hamburg mittlerweile ängstlich abwenden, der muss sich diese Geschichte des doppelten Abiturjahrgangs ansehen.
DIE LINKE fordert nun, dass der Senat über seine Aktivitäten Rechenschaft ablegen soll. Das unterstützen wir selbstverständlich. Es kann nicht schaden, auch wenn eine ehrliche Antwort über diese Rechenschaften vermutlich auf eine halbe Seite passen würde. Sinnvoller wäre es aber gewesen, wenn der Senat wirklich etwas Konkretes unternommen hätte, um Hamburgs Schülerinnen und Schülern eine Zukunft zu geben. – Vielen Dank.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Frau Heyenn, Herr Rabe, Sie haben jetzt große Worte darüber geschwungen, dass es kein Problembewusstsein aufseiten des Senats und der schwarz-grünen Koalition gäbe, insbesondere kein Problembewusstsein, sagten Sie, Frau Heyenn, für das Unsicherheitssystem der Warteschleifen.
Wir hätten das angeblich nicht im Blick. Sie haben da sehr weit ausgeholt, nicht nur bezogen auf den doppelten Abiturjahrgang, sondern Sie haben generell gesagt, für das Unsicherheitssystem der Warteschleifen gäbe es kein Problembewusstsein. Sie wissen genau, dass wir als einen der ganz wesentlichen Bestandteile unserer Schulreform auch die Reform des Übergangssystems von der Schule in den Beruf im Blick haben. Das Konzept ist bereits verabschiedet, die Umsetzung läuft gerade.
Es gibt Ziele wie die Erhöhung der Bildungsbeteiligung, die Lernerfolge und die Ausbildungsreife zu verbessern und die Übergänge von Schule in den Beruf mehr zu vernetzen.
Nur noch kurz ein paar Stichworte, weil wir es schon häufiger im Schulausschuss diskutiert haben. Es gibt Konzepte für eine nachhaltigere und bessere Berufsorientierung, eine Fokussierung der Angebote auf Jugendliche ohne hinreichende Qualifikationen. Ein ganz wesentliches Element, damit die Warteschleifen keine verschwendete Lebenszeit sind, ist auch die Einführung von anrechnungsfähigen Qualifikationen. Das alles ist in der Mache und es wirkt sich in dieser Situation auf den doppelten Abiturjahrgang aus.
Sie formulieren außerdem, dass acht Jahre vergangen seien und wir jetzt angeblich eine Situation hätten, in der das völlig überraschend mit dem doppelten Abiturjahrgang käme.
Klar wissen wir seit acht Jahren, dass dieser doppelte Abiturjahrgang kommt, aus unterschiedlichen Sichtweisen; beim Kollegen Freistedt aus der Sichtweise der Regierung, bei uns ein paar Jahre aus der Sichtweise der Opposition. Wir wissen natürlich auch, dass es rund 5000 Abiturientinnen und Abiturienten mehr gibt. Nur weil Senatorinnen und Senatoren wie Gedaschko, Goetsch und Gundelach ohne großes Getue Hamburg auf diese Situation vorbereiten, heißt das noch lange nicht, dass es kein Problembewusstsein gibt und nichts geschieht.
Aber ich wiederhole es gern noch einmal: Es wird seit langem daran gearbeitet, Rahmenbedingungen in Hamburg zu schaffen, um dem erhöhten Bedarf an Ausbildungsplätzen für den doppelten Abiturjahrgang zu kompensieren. Es gibt das Aktionsbündnis "Bildung und Beschäftigung", die Mitglieder erwähne ich nicht mehr. Wir haben ungefähr 5200 Abiturientinnen und Abiturienten mehr zu erwarten, es werden allein 1300 zusätzliche Ausbildungsplätze im Bereich der Handelskammer geschaffen, es werden 250 Ausbildungsplätze bei der Stadt geschaffen. Es gibt 100 zusätzliche Angebote im dualen Bildungsangebot, beim Bachelor, bei der Handwerkskammer. 400 dieser zusätzlichen Ausbildungsplätze hat die Handelskammer bereits eingeworben. Und auf die Messe nächste Woche mit den 2600 Ausbildungsplatzangeboten hat Marino Freistedt schon verwiesen. Das alles sind Maßnahmen, die bereits greifen und die zeigen, dass daran gearbeitet wird.
Ein weiterer Punkt, den Sie in Ihrem Antrag fordern zur Vorbereitung auf die Situation: Sie möchten eine Studien- und Ausbildungsplatzbilanz, in der auch das Nachfragepotenzial nach den Studienplätzen aus den fünf norddeutschen Ländern abgefragt werden soll. So etwas lässt sich allerdings nicht beziffern, weil sich die Abgänger mehrfach auf unterschiedliche Studienplätze bewerben, weil wir gleichzeitig in Hamburg Bewerbungen aus anderen Bundesländern, auch aus Süddeutschland, haben. Deswegen ist so eine Bilanz erst einmal gar nicht möglich.
In Bezug auf das Studium in Hamburg steigt die Zahl der Studienanfängerplätze stetig seit 2005/ 2006 um rund 1000 Plätze. Diese zusätzlichen Bedarfe an Studienplätzen, die wegen des doppelten Abiturjahrgangs entstehen, sind bereits durch den Hochschulpakt 2020 abgedeckt, allerdings bundesweit, denn Sie wissen, dass auch andere Bun
desländer mit dem doppelten Abiturjahrgang folgen. Deswegen ist es auch eine Aufgabe, der sich alle Bundesländer gemeinsam stellen und nicht Hamburg allein. Die Universitäten und Hochschulen in Hamburg planen auch, zum nächsten Studienjahr 2010/2011 800 weitere Studienanfänger aufzunehmen. In der Laufzeit von 2011 bis 2015 wird es dann in der Summe rund 4400 zusätzliche Studienanfänger im ersten Hochschulsemester an Hamburgs Universitäten geben, wenn sie sich denn bewerben. Insofern werden die äußeren Rahmenbedingungen für die Aufnahme des Studiums verbessert.
Ein Punkt, der sehr wichtig ist und immer ignoriert wird und vielleicht auch ein Hintergrund dieser Diskussion ist, ist die Frage, ob man denn unbedingt in Hamburg studieren muss oder eventuell auch in andere Städte gehen kann. Ich selbst habe das auch gemacht, sonst wäre ich nicht in Hamburg. Wir haben gar keine Möglichkeit, Hochschulzugangsberechtigungen nach einer Landeskinder-Regel zu vergeben. Wir können mehr Studienplätze in Hamburg schaffen und dann können sich natürlich auch Hamburgerinnen und Hamburger darauf bewerben, aber es wäre verfassungswidrig, wenn wir die Hamburger Abiturientinnen und Abiturienten bevorzugen würden. Die Studienplätze werden nach Leistung vergeben und so ist das auch in der Vergangenheit gewesen. Von 9812 Studienanfängerinnen in Hamburg im Jahr 2008 waren es ganze 3721 Studienanfängerinnen, die ihre Hochschulzugangsberechtigung auch hier in Hamburg erworben haben. Das zeigt umgekehrt übrigens auch, dass hohe Mobilität – es sind über 6000 Menschen aus anderen Städten – bei Studierenden völlig selbstverständlich ist und nicht irgendetwas Obskures, das man hier als diffuses, abstruses Argument diffamieren müsste.
Man kann auch durchaus arbeiten. Ich hatte auch keine Unterstützung und bin nach Hamburg gegangen. Ich habe hier gearbeitet und mir das Studium in Hamburg selbst finanziert; das ist eine Möglichkeit.
(Beifall bei der GAL und der CDU – Dora Heyenn DIE LINKE: Bei Bachelor und Ma- ster wollen Sie noch arbeiten?)
Ich gebe zu, dass dies damals allerdings unter anderen Studienbedingungen gewesen ist; mit einem Diplomstudiengang hat man mehr Möglichkeiten. Darüber müssen wir natürlich nachdenken bei der Verbesserung der Konsequenzen, die aus der Einführung der Reform des Bachelor- und Master-Studiensystems gezogen werden, nämlich dass es durchaus möglich sein soll, dass Studierende sich nicht nur 60, 70 Stunden in der Universität mit dem Studium beschäftigen, sondern auch die Chance haben, andere Erfahrungen zu sammeln.
Ein weiterer Punkt, auf den Marino Freistedt noch nicht eingegangen ist, ist Ihre Forderung, zusätzliche Wohnheimplätze zu schaffen. Das ist in der Argumentation und Logik sehr interessant, denn Sie fordern auch zusätzliche Maßnahmen für die Hamburger Abiturienten, den doppelten Abiturjahrgang hier. Sie kritisieren gleichzeitig Hinweise darauf, dass für das Studium das gesamte Bundesgebiet zur Verfügung stehe. Wenn nun die Forderung lautet, die Hamburgerinnen und Hamburger sollten hier studieren, warum dann eigentlich zusätzliche Wohnheimplätze für sie?
Es ist aber der Bürgerschaft auch schon mitgeteilt worden in einer Antwort auf eine Große Anfrage, dass es unter anderem einen Neubau durch das Studentenwerk von rund 500 Plätzen in Studentenwohnanlagen gibt. Es haben auch weitere private Investoren Anträge gestellt für zusätzliche Studentenwohnungen und insofern gibt es auch ein steigendes Angebot an Studentenwohnheimplätzen in Hamburg. Gleichzeitig allerdings, das ist auch Fakt, ist so eine Investition in Studentenwohnheime langfristig, Vorfinanzierung, Planung und Bau dauern Jahre. Also kann man aus der heutigen Situation heraus natürlich nicht für den doppelten Abiturjahrgang, der in diesem Herbst möglicherweise das Studium aufnimmt, noch in diesem Bereich reagieren.
Zusätzliche Plätze sind geschaffen worden und im Bau, in Bezug auf den jetzigen doppelten Abiturjahrgang hilft dies allerdings wenig.
Ein weiterer Punkt aus Ihrem Antrag ist die Frage nach möglichen Planungen des Senats zur Entlastung der Eltern für den Fall, dass ein Kind auswärts ein Studium beziehungsweise eine Ausbildung aufnimmt. Hier muss man darauf verweisen, dass Studienfinanzierung wie BAföG eine Zuständigkeit des Bundes ist und keine Hamburger Regelung.
Was ich überhaupt nicht verstehe, ist Ihre Forderung nach ausgewiesenen zusätzlichen Ausgaben für den doppelten Abiturientenjahrgang, weil ich nämlich insgesamt die Logik des Antrags nicht verstanden habe. Ich kann aus Ihrer Begründung noch ein wenig nachvollziehen, dass es einen Bericht geben solle, der sich an die Öffentlichkeit wendet, um zu informieren. Wenn man die Punkte aus dem Antrag durchliest, fragt man sich, warum er nicht "Große Anfrage" tituliert ist, denn letztendlich stellen Sie nur Fragen. Gut, vielleicht ist es richtig in einem Bericht für die Öffentlichkeit, nur was nützt es ihr, wenn detailliert nachgewiesen wird, wo, aus welchem Haushaltstitel eventuell eine Maßnahme ergriffen und finanziert wird.
Ein sehr wichtiges Argument in der Debatte ist, dass der doppelte Abiturjahrgang zu einem Verdrängungswettbewerb nach unten führe. Um dem und um dem demografischen Wandel zu begegnen, um Hamburg generell besser vorzubereiten, unternimmt man aber eine Vielzahl von Anstrengungen, die auch dem doppelten Abiturjahrgang zugute kommen, aber eben nicht nur seinetwegen unternommen werden, wie zum Beispiel die Reform des Übergangssystems. Insofern kann man nicht trennscharf sagen, welcher Cent exakt im Haushalt ausgegeben wird im Hinblick auf einen doppelten Abiturjahrgang oder generell, um den Schülerinnen und Schülern ihre Chancen bei der Suche nach einem Studien- oder Ausbildungsplatz zu verbessern.