Protocol of the Session on February 24, 2010

(Präsident Dr. Lutz Mohaupt übernimmt den Vorsitz.)

Meine Damen und Herren! Ich darf Ihnen nun mitteilen, dass abweichend von der Empfehlung des Ältestenrats die Fraktionen Einvernehmen darüber erzielt haben, dass der Tagesordnungspunkt 3 vertagt werden soll. Es handelt sich dabei um die Wahl eines vertretenden ehrenamtlichen Mitglieds der Kommission für Bodenordnung, Drucksache 19/5271.

Darüber hinaus teile ich Ihnen mit, dass die Fraktionen der CDU und der GAL zu den Tagesordnungspunkten 45 und 46 ihre gemeinsamen Anträge aus den Drucksachen 19/5348 und 19/5349 zurückgenommen haben. Somit entfällt die für morgen vorgesehene erste Debatte.

Des Weiteren wird im Einvernehmen mit den Fraktionen hiermit eine weitere Sitzung der Bürgerschaft am 3. März 2010 angesetzt. Die Tagesordnung dazu wird Ihnen gesondert zugehen.

Wir kommen nun zur

Aktuellen Stunde

Dazu sind vier Themen angemeldet worden, und zwar von der Fraktion DIE LINKE

8. März, Internationaler Frauentag: Auch nach 99 Jahren sind Frauen den Männern immer noch nicht gleichgestellt: Was wurde in Hamburg bislang versäumt?

von der CDU-Fraktion

(Präsident Dr. Lutz Mohaupt)

Wachsen mit Weitsicht – Hamburg setzt Maßstäbe

von der SPD-Fraktion

SchlaglochCity Hamburg – böses Erwachen nach dem Winterschlaf (des Senats)

und von der GAL-Fraktion

Wachsen mit Weitsicht – Hamburgs neues Leitbild

Die Fraktionen sind übereingekommen, das zweite und vierte Thema gemeinsam zu debattieren.

Ich rufe zunächst das erste Thema auf. Wird das Wort dazu gewünscht? – Frau Artus hat das Wort, bitte schön.

Herr Präsident, ich wünsche Ihnen als erste Rednerin, die von Ihnen aufgerufen wird, für Ihre Amtszeit ein gutes Händchen, viel Erfolg und stets ein ausgleichendes und großzügiges Wesen.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Sehr geehrte Herren und Damen! Als in Deutschland 1911 der Internationale Frauentag das erste Mal gefeiert wurde, gab es noch kein Frauenwahlrecht, das kam 1919. Jahrzehnte später folgten weitere Schritte, die Frauen Unabhängigkeit ermöglichten: die freie Wahl des Berufs und die freie Wahl, sich vom Ehemann zu trennen, Vergewaltigung in der Ehe wurde unter Strafe gestellt. 1981 erkämpften die Heinze-Frauen in Gelsenkirchen vor dem Bundesarbeitsgericht das gleiche Entgelt wie ihre männlichen Kollegen. Sie waren damit die Wegbereiterinnen für den Anspruch auf Lohngerechtigkeit.

Heute stellen wir fest: Wir treten so gut wie auf der Stelle. Frauen verdienen trotz besserer Schulabschlüsse ein Viertel weniger als Männer und haben sehr viel geringere Chancen auf einen beruflichen Aufstieg. Je höher die Position, desto öfter ist sie von einem Mann besetzt; je schlechter der Job bezahlt ist, desto wahrscheinlicher ist es, dass eine Frau ihn ausfüllt. Sind sie zudem Migrantin, behindert, alleinerziehend oder in ihrer letzten Lebensphase, steigt ihr Armutsrisiko weiter.

Männermacht wirkt sich auch lebensbedrohend aus. Für Frauen ist häusliche Gewalt nach wie vor das größte Gesundheitsrisiko. Wie wir gestern noch einmal eindrucksvoll bei der Präsentation des Internet-Notrufs erfahren haben, werden in Hamburg täglich sechs bis elf Frauen schwer sexuell genötigt.

In Hamburg wird jede Menge Geld ausgegeben, um die Folgen der Frauendiskriminierung abzumildern, zum Beispiel mit Frauenprojekten, Frauenhäusern oder auch der Arbeitsstelle Vielfalt. Nur an die Ursachen geht keiner so richtig konsequent

heran, im Gegenteil. Die Freie und Hansestadt Hamburg sorgt nicht einmal dafür, dass Frauen vernünftig bezahlt werden. So weigert sich der Senat bislang, eine Kostenzusage für den Tarifabschluss im Sozial- und Erziehungsdienst zu geben. Ebenso fatal wirken sich der zu langsame Ausbau der Kitaplätze, das sozial ungerechte Kita-Gutscheinsystem und die fehlende Rechtsverbindlichkeit des Anspruchs auf einen Kitaplatz für Kinder in allen Altersgruppen aus. Der Pflegenotstand und die Privatisierung der Krankenhäuser wirken ebenfalls destruktiv auf Gleichstellungsbegehren.

In die Daseinsvorsorge wird fast ausschließlich nur noch unter Wettbewerbsgesichtspunkten investiert. Die Frauenarbeitsplätze in diesem Bereich werden dadurch aber nicht höher bewertet oder besser bezahlt, sondern die Beschäftigten werden weiter ausgelaugt.

Frauen haben endlich den Anteil an den Ressourcen der Gesellschaft zu erhalten, der ihnen zusteht. Es ist die Hälfte und nicht ein Viertel weniger. Es ist die Hälfte von allem: von den Jobs, vom Geld und von der Macht.

(Beifall bei der LINKEN und bei Anja Dom- res SPD)

Appelle und Soll-Regelungen in Gleichstellungsgesetzen reichen nicht aus, das haben die vergangenen Jahre mehr als bewiesen. Daher hat die Fraktion die LINKE zwei Anträge in die Bürgerschaft eingebracht. Der eine fordert ein Gleichstellungsgesetz für die Privatwirtschaft, der andere die umfassende Überarbeitung des Gleichstellungsgesetzes im öffentlichen Dienst. Für eine Kostenzusage zur Übernahme des Tarifabschlusses im Sozial- und Erziehungsdienst haben wir für diese Bürgerschaftssitzung ebenfalls einen Antrag gestellt.

Nach wie vor fordern wir, den 8. März in Hamburg zu einem Feiertag zu erklären,

(Beifall bei der LINKEN)

denn nur, wenn der Kampf um die Frauenrechte eine herausragende Würdigung erhält, wird sich diese Gesellschaft wirklich nachhaltig verändern.

Ebenso fordern wir, ein Gender Budgeting einzuführen, damit sich endlich auch der Haushalt an Geschlechtergesichtspunkten orientiert und die eingenommenen Steuern gerechter verteilt werden.

Auch die SPD könnte vorbehaltlos unseren Antrag für ein Gleichstellungsgesetz unterstützen und muss keinen Zusatzantrag stellen. Im November hat euer Bundesparteitag in Dresden beschlossen, dass ein Gleichstellungsgesetz für die Privatwirtschaft endlich zu verwirklichen ist; daher verstehe ich den Zusatzantrag überhaupt nicht.

Es ist genug Zeit vergangen. Hamburg kann Vorreiterin bei der Geschlechtergerechtigkeit werden

(Präsident Dr. Lutz Mohaupt)

und wir werden Sie daran erinnern, wenn Sie diese Chance verpassen. Mit der Frauendiskriminierung muss endlich Schluss sein.

(Beifall bei der LINKEN und vereinzelt bei der SPD)

Das Wort hat die Abgeordnete Koop.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Frau Artus, ich teile natürlich Ihre sachliche Analyse. Was die Frauenpräsenz anbetrifft, haben wir, wie Weber sagt, durchaus dicke Bretter zu bohren. Wie immer ziehe ich aber einen etwas anderen Schluss als Sie. Der 8. März steht vor der Tür und wir werden wieder Bilanz ziehen mit den bekannten, wenig erfreulichen Ergebnissen; Sie haben es dargestellt.

Als ich Landesvorsitzende der Frauen Union war, habe ich meinen Frauen immer gesagt, es dürfe keine parlamentarische Sitzung vergehen ohne eine frauenrelevante Debatte. Damit habe ich allerdings nicht immer die gleiche gemeint. Es ist bedauerlich, dass wir sie immer führen müssen, das hat dann so etwas cartooneskes an sich, ceterum censeo, wir müssen die Frauen nach vorne bringen. Für die Neusprachler: Ich verweise auf das Murmeltier. Ich will das nicht ins Lächerliche ziehen. Es muss aber schon etwas mehr geschehen, als immer wieder die gleichen Argumente mit unterschiedlichem Tenor und unterschiedlicher Vehemenz vorzutragen; es muss etwas Neues in die Debatte hineinkommen.

Eigentlich – ich habe das bei der Vorbereitung für diese Sitzung überprüft – könnten wir hier unsere Reden vom vergangenen September noch einmal halten. Die wären nach wie vor relevant, es hat sich nicht viel verändert. Allerdings hat die Arbeitsstelle Vielfalt auch jetzt erst ihre Arbeit aufgenommen und wir wissen, dass das Gras nicht schneller wächst, wenn man daran zieht.

(Dora Heyenn DIE LINKE: Man kann es zu- mindest versuchen!)

Wir müssen schon abwarten, dass sich das, was sich die Koalition hinsichtlich der Gleichstellung von Frauen in Arbeitswelt und Gesellschaft vorgenommen hat, in der Arbeitsstelle etabliert und dann auch umgesetzt wird. Die Mannschaft, die dort arbeitet, wird ganz bestimmt gute Ergebnisse erzielen können.

Nun mag das im Augenblick nicht für jeden das dringlichste Problem sein, wenn ich hier einmal in das Plenum schaue, aber zur Bewältigung der Wirtschaftskrise, die zur Zeit mehr Aufmerksamkeit zu fesseln vermag, brauchen wir das Potenzial aller fähigen Köpfe. Das bedeutet bei immer weniger zur Verfügung stehendem Fachpersonal: Her mit den Frauen.

(Beifall bei Kersten Artus und Elisabeth Baum, beide DIE LINKE)

Es ist bedauerlich, dass bei der Frage nach der Frauenpräsenz stereotyp immer wieder nur die Quotierung genannt wird. In Europa wird inzwischen bei jeder Gelegenheit die Quotierung in Norwegen zitiert; vor zehn Jahren hätte ich vielleicht ähnlich reagiert. Mittlerweile habe ich gemerkt, dass jede Zwangsmaßnahme mehr oder weniger deutlich subtilen Widerstand nach sich zieht, in diesem Fall bei denjenigen, die die Quotierung annehmen müssen, aber auch bei denjenigen, die durch sie vorankommen.

Leistungsstarke Frauen sind immer häufiger so weit, dass sie einen Posten gern annehmen, aber auch nach dem damit verbundenen Preis fragen. Nach einer Untersuchung hat die norwegische Regelung dazu geführt, dass immer mehr Posten auf immer weniger Frauen verteilt werden, die dann letztendlich an der Überlastung scheitern. Zudem sind viele Aktiengesellschaften in GmbHs umgewandelt worden. All das wollen wir nicht. Ob sich die Strukturen wirklich nachhaltig ändern, ist darüber hinaus noch nicht überprüft. Wenn nur die Spitze mutiert, was wird aus dem Mittelbau?

Man sollte sich auch einmal bei den Aufsichtsratsbesetzungen überlegen, ob es nicht grundsätzlich wichtig wäre, die Anzahl zu begrenzen und nur zwei Posten zu verteilen. Diese werden dann automatisch umfangreicher sein und dann erhalten auch Frauen ihre Chance; nicht, dass ich etwas gegen die Quotierung an sich hätte, verstehen Sie das nicht falsch.

(Dora Heyenn DIE LINKE: Aber?)

Sie war erforderlich und sinnvoll, aber hauptsächlich in Bereichen, in denen sowieso quotiert wird, zum Beispiel in den Parteien,

(Michael Neumann SPD: Wo gibt es das denn? Was haben Sie denn für eine Quo- te?)