Protocol of the Session on November 18, 2009

Von unserer Seite gibt es eine grundsätzliche Kritik an der Flüchtlings- und Asylpolitik der EU und der Bundesrepublik Deutschland, die die hamburgische Politik allerdings keineswegs entlastet, auch wenn die CDU dieses Thema ziemlich schöngeredet hat. Hamburg hat nicht die geringste Anstrengung erkennen lassen, auf die Bundespolitik im Sinne einer verantwortungsvollen und offenen Asyl- und Flüchtlingspolitik einzuwirken. Ich frage Sie zum Beispiel, Herr Heinemann, ob Sie sich vorstellen können, was es heißt, als Schatten in einer Stadt zu leben, womöglich über Jahre und Jahrzehnte, inmitten der Gesellschaft und doch von ihr ausgestoßen, massiv ausgeschlossen von den öffentlichen Gütern, von denen ein menschenwürdiges Leben heute abhängiger ist denn je, was es heißt, beizutragen zum gesellschaftlichen Reichtum, ohne wirklich an ihm teilzuhaben?

Noch immer leben in Hamburg zwischen 6 000 und 22 000 Menschen unter diesen trostlosen, gefährlichen, unwürdigen Bedingungen, ständig in der Angst, abgeschoben zu werden, vielfach schlimmster Ausbeutung unterworfen oder von Schicksalsschlägen bedroht, die zwar jeden von uns treffen können, denen sie aber mehr oder weniger schutzlos ausgeliefert sind – trotz Ihrer schönen Worte, Herr Senator Wersich.

Ich aber sage mit einem Zitat von Hannah Arendt, dass sie

(Senator Dietrich Wersich)

"das Recht haben, Rechte zu haben",

und Hamburg war und ist in der Verpflichtung, dieses Recht auf Rechte nach Kräften zu gewährleisten.

(Beifall bei der LINKEN – Wolfgang Beuß CDU: Wie in der DDR damals!)

In diesem Punkt haben die Senate der vergangenen Legislaturperioden bitter versagt und auch der jetzige Senat hat noch nicht sehr viel bewegt. Frau Goetsch und die Schulbehörde möchte ich von diesem Vorwurf ausnehmen, aber in puncto Schülerregister sind zweifellos noch Fragen offen. Zwar gibt es in Hamburg auch Hilfsstrukturen, aber diese beruhen vollständig auf zivilgesellschaftlichem Engagement. Diesem gebührt allergrößte Anerkennung und Würdigung und ich finde es ungeheuerlich, dass es stattdessen von strafrechtlicher Verfolgung bedroht ist.

(Beifall bei der LINKEN)

Dieses zivilgesellschaftliche Engagement vieler Bürgerinnen und Bürger blamiert den Senat und die Bürgerschaftsmehrheiten der letzten Jahre bis in die Knochen.

(Karl-Heinz Warnholz CDU: Zirkus! – Olaf Ohlsen CDU: Mach Schluss!)

Dieses private Engagement kann jedoch staatliche Aufgaben nicht übernehmen und zum Beispiel das Problem einer ausreichenden Gesundheitsversorgung für illegalisierte Menschen – ein Problem, über das wir morgen noch sprechen werden – nicht lösen. Eine Lösung auf Hamburg-Ebene wäre möglich gewesen, aber man hat es bisher nicht lösen wollen. Ich erinnere nur daran, dass 2005 die Altonaer Bezirksversammlung mit ihrer schwarzgrünen Mehrheit die Verbesserung der Situation der Menschen ohne Papiere beschlossen hatte und unter anderem das bezirkliche Gesundheitsamt mit der Konzeptionierung einer Flüchtlingsambulanz beauftragt hatte. Dieser Vorstoß scheiterte an der Sozialbehörde, Herr Wersich, und ist bis heute nicht umgesetzt worden. Spätestens seit 2005 war der Senat immer wieder mit Forderungen – bis in die Ärztekammer hinein – konfrontiert, konkrete Maßnahmen und Projekte zu entwickeln und in Zusammenarbeit mit freien Trägern, Institutionen und Beratungsstellen für Zugang zu medizinisch notwendigen Leistungen, nicht nur Notfallversorgung, zu sorgen – mit dem Ergebnis, dass der Senat bislang nichts als Absichtserklärungen abgab.

Jetzt liegt die Studie vor, die den Senat und die Bürgerschaft nicht nur auf dem Gebiet der Gesundheitsversorgung mit Handlungsanforderungen konfrontiert. Sie können sich Ihrer Verantwortung nicht mehr entziehen.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich sehe keine Wortmeldungen mehr zum ersten Thema, sodass ich nun vereinbarungsgemäß das vierte, von der GAL angemeldete Thema aufrufe: Die Schulreform bewegt Hamburg für eine gerechtere und leistungsstärkere Schule.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Die Initiative "Wir wollen lernen" hat heute ihre Unterschriften eingereicht, die sie gegen die Schulreform gesammelt hat. Wir nehmen die große Zahl an Unterschriften sehr ernst; offenbar sind genügend für ein erfolgreiches Volksbegehren zusammengekommen. Dass dieses Thema so viele Menschen anspricht und bewegt, ist nicht überraschend, denn es waren immer schon die großen und kleinen Bildungsreformen, die diese Stadt bewegt haben. Kein Wunder, denn schließlich geht es dabei um die Bildungschancen unserer Kinder und somit auch um ihre Zukunftschancen in dieser Welt. Deshalb sollten bei der seit Jahrzehnten größten Schulreform, die nicht nur in Hamburg, sondern bundesweit auf den Weg gebracht wird, auch die Bürgerinnen und Bürger das letzte Wort haben. Im Namen meiner Fraktion sage ich, dass wir das gut und richtig finden.

(Beifall bei der GAL und der CDU)

Jetzt geht es um die Frage, wie wir bei diesem zentralen Thema weiter vorgehen wollen. In die Vorbereitung der Reform waren in einem beispiellosen Prozess für ein solches Gesetz alle davon Betroffenen, Eltern und Lehrer eingebunden und auch in den nächsten Monaten wollen wir für die Reform werben, weiter auf die Eltern zugehen und versuchen, die zweifellos bestehenden Sorgen auszuräumen. Im Kern geht es bei dieser Diskussion darum, ob die Bürgerinnen und Bürger ein neues, gerechteres und leistungsstärkeres Schulsystem haben wollen oder ob sie an dem alten Schulsystem mit seinem sehr hohen Grad an sozialer Auslese, einer sehr hohen Abbrecherquote und den oft ungenügenden Leistungen festhalten wollen.

Bei den vielen Debatten über die einzelnen Punkte dieser Reform wird häufig vergessen, dass der Ausgangspunkt für die Schulreform die PISA-Studie war, die uns gelehrt hat, dass Deutschland im internationalen Vergleich seine Kinder ungenügend bildet und sie somit eine schlechte Ausgangslage für ihre Zukunft haben. Dies gilt in besonderem Maße für Hamburg, denn obwohl kein anderes Bundesland so viel Geld in seine Schülerinnen und Schüler investiert, erzielen wir im Vergleich mit anderen Bundesländern bei den schulischen Leistungen nur unterdurchschnittliche Ergebnisse. Genau aus diesem Grund haben wir versucht, ein neues, leistungsstärkeres und gerechteres Schulsystem zu entwickeln, um das es auch in den nächsten Wochen gehen wird, und zwar ge

(Christiane Schneider)

meinsam mit den Eltern und vielen anderen Interessierten, die Nichten, Neffen, Enkel- oder Patenkinder haben.

In unseren Gesprächen mit ihnen müssen wir deutlich machen, dass diese Reform zwar aus vielen Bausteinen besteht, dass aber keiner dieser Bausteine ungewöhnlich oder unerprobt ist. Alle diese Bausteine – zum Beispiel kein Sitzenbleiben, längeres gemeinsames Lernen, kein Abschulen ab Jahrgangsstufe 7 – gibt es in der einen oder anderen Form bereits in vielen deutschen Bundesländern mit großem Erfolg und ohne große Dramen, wie sie in Hamburg befürchtet werden. Auch in Hamburg praktizieren einige Schulen bereits längeres gemeinsames Lernen und erstaunlicherweise sind es genau diese Schulen, die immer wieder für herausragende Konzepte und sehr gute Ergebnisse ausgezeichnet werden

(Ingo Egloff SPD: Deshalb ist die Langform auch abgeschafft!)

und ihre Schülerinnen und Schüler hervorragend auf die Zukunft vorbereiten.

(Beifall bei der GAL und der CDU)

Wir müssen eine gute und breite Debatte führen und die Mehrheit dieser Bevölkerung davon überzeugen, dass unsere Bildungsoffensive mit all den unterschiedlichen Elementen eine gute und richtige Sache ist, ein wichtiges Projekt, das unseren Kindern und Enkelkindern eine gute Bildung und somit auch gute Zukunftschancen bieten wird. Ich bin der festen Überzeugung, dass es uns gelingen wird, diese Debatte erfolgreich zu führen, und dass wir viele der Vorbehalte, die durch die Unterschrifteninitiative offenkundig geworden sind, entkräften können, um ein gutes, gerechtes und leistungsstarkes Schulsystem für unsere Kinder in dieser Stadt zu etablieren. – Vielen Dank.

(Beifall bei der GAL und der CDU)

Das Wort bekommt Herr Schira.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Das Volksbegehren "Wir wollen lernen" hat ganz offensichtlich weitaus mehr Unterschriften gesammelt, als sie für die Einleitung eines Volksentscheides erforderlich sind. Meiner Meinung nach gibt es zwei Extreme, die sich angesichts dieser Vielzahl von Unterschriften verbieten, nämlich auf der einen Seite zu sagen weiter so, jetzt wollen wir es wissen, klare Kante, Entscheidung oder auf der anderen Seite zu sagen, ist das alles schrecklich, lasst uns das Thema endlich irgendwie vom Tisch bekommen. Beides geht nicht. Wir müssen verantwortlich Politik machen und die klare Meinungsäußerung einer großen Zahl von Hamburger Eltern können und dürfen wir nicht

ignorieren. Schulpolitik ist, wie Jens Kerstan gesagt hat, ein sensibles, hoch emotionales Thema.

(Beifall bei der CDU und der GAL und bei Michael Neumann SPD)

Wir streben ein längeres gemeinsames Lernen im Primarbereich an. Dies ist europäischer Standard, das können wir nicht wegdiskutieren und die Leistungsvergleiche der letzten zehn Jahre zeigen uns, dass wir etwas verändern müssen. Unser Ziel ist es auch, den Zusammenhang zwischen Schulerfolg und sozialer Herkunft aufzulösen. Offenbar gibt es in der Elternschaft Vorbehalte gegen Details dieser Reform und es geistern Schlagworte herum wie Elternwahlrecht, Beibehaltung der Langformschule, Schulorganisation, konkrete Situation vor Ort.

(Ingo Egloff SPD: Das sind keine Schlagwor- te, das sind Tatsachen!)

All das müssen wir aufnehmen und diskutieren. Diese Einwände lassen uns nicht kalt, wir ignorieren sie nicht und fühlen uns verpflichtet, dieses Ergebnis ernst zu nehmen und durch Gespräche mit den Eltern Lösungen in der Schulpolitik zu finden.

(Beifall bei der CDU und der CAL)

Lassen Sie mich Folgendes als Christdemokrat sagen: Wir hatten in der Partei eine sehr intensive Diskussion, die wir sicherlich auch weiterhin haben werden, mit so viel Transparenz und Offenheit, wie ich sie auf anderen CDU-Bildungsparteitagen noch nicht erlebt habe – ich bin seit 1980 Mitglied – und das bei einem für uns ganz besonders schwierigem Thema. Auch für Sie Sozialdemokraten ist es ein schwieriges Thema, wie Sie selbst wissen, darauf komme ich gleich noch zu sprechen.

Ich pflichte Jens Kerstan bei in dem Punkt, dass die Diskussion mit den Eltern und Schülern noch nicht abgeschlossen ist und wir diese Gespräche intensiv fortsetzen müssen. Wir jedenfalls sind zu diesem Dialog bereit und allein die Tatsache, dass wir dieses Thema in der Aktuellen Stunde behandeln, zeigt, dass wir es sehr ernst nehmen und nicht aktueller diskutieren können.

Was genau heißt es aber für uns, Antworten zu finden? Hier und heute kann Ihnen kein verantwortungsbewusster Politiker für dieses Problem ein Patentrezept liefern. Wir haben seit Amtsantritt unseres schwarz-grünen Senats gesagt, was wir wollen. Die SPD hat bisher gesagt, was sie nicht will, und selbst bei dieser Aussage gibt es bei Ihnen innerparteiliche Widersprüche. Also von Ihnen, den Sozialdemokraten, können wir in dieser Frage keine Antwort erwarten.

(Beifall bei der CDU und der GAL)

Wir brauchen sie auch nicht, wir werden sie selbst beantworten und unsere Regierungsverantwortung wahrnehmen.

(Jens Kerstan)

(Beifall bei der CDU und der GAL)

Für uns als CDU-Bürgerschaftsfraktion und, wie ich denke, auch für die Koalition ist klar, dass weitere Gespräche mit den Eltern notwendig sind, um unsere Ziele, nämlich gute Bildung und Chancengerechtigkeit für alle Kinder in Hamburg zu erreichen. – Vielen Dank.

(Anhaltender Beifall bei der CDU und der GAL)

Das Wort bekommt Herr Neumann.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Das waren zum Teil sehr unterschiedliche Reden. Während Jens Kerstan eine Rede nach dem Motto "weiter so, jetzt erst recht" gehalten hat, war bei Herrn Schira neben dem nach diesem Stimmenergebnis unangemessenen parteipolitischen Ausflug zumindest eine gewisse Bereitschaft da, mit denjenigen das Gespräch zu suchen, die offensichtlich nicht nur Probleme mit einzelnen Details haben, sondern sehr große Sorgen und Probleme hinsichtlich der Zukunft ihrer Kinder haben.

(Beifall bei der SPD)

Nicht weil heute Buß- und Bettag ist, den wir leider in diesem Parlament abgeschafft haben, glaube ich, dass die Zeit reif dafür ist, einmal innezuhalten und nicht schon wieder die parteipolitische Kiste aufzumachen. Wie Sie erwähnt haben, gibt es auch in meiner Partei eine sehr große Vielfalt an Meinungen und viele meiner grauen Haare sind diesem Umstand geschuldet, aber wir sind in der Verantwortung, eine Lösung für unsere Stadt zu finden. Es geht bei diesem Thema schließlich um mehr als darum, ob es erlaubt ist, am Wochenende Autos zu waschen oder kommerzielle Videos auszuleihen. Es geht um ein zentrales Thema, bei dem wir Sozialdemokraten immer für einen langfristigen breiten Konsens in der Stadt, aber auch im Parlament plädiert haben, um eine gute Lösung für die Kinder, die Eltern und auch für die Lehrerinnen und Lehrer zu finden.

(Beifall bei der SPD)

Jetzt ist meiner Meinung nach der richtige Augenblick, um innezuhalten und diese parteipolitische Nummer hintanzustellen, denn darum geht es nicht. Vielmehr müssen wir für einen vitalen Bereich, von dem sich viele Menschen in Hamburg betroffen fühlen, eine wirklich tragfähige Lösung finden. Wir Sozialdemokraten haben vorgeschlagen, uns an Bremen zu orientieren. Auch wenn meines Wissens der Hamburger an sich nicht dazu neigt, sich an Bremen zu orientieren, sollten wir es bei diesem Thema tun. Dort ist es nämlich der FDP, der CDU, den Grünen und den Sozialdemokraten gemeinsam gelungen, einen auf zehn Jahre

festgeschriebenen bildungspolitischen Reformprozess zu initiieren. Das halte ich für einen guten Weg und etwas, worauf wir aufbauen könnten. Wir sollten uns das Bremer Konzept einmal gemeinsam anschauen und die Kraft haben, diesen Weg auch in Hamburg zu beschreiten.