Mindestens seit Ende der Neunzigerjahre beschäftigt sich auch die EU mit diesem Thema. Sie hat im Jahre 2000/2001 versucht, mit einem ersten Grünbuch auf europäischer Ebene ein Einvernehmen im Umgang mit den Menschen zu finden, die vor allem wegen der Arbeit durch die Länder wandern, sich dort temporär aufhalten – temporär heißt Monate, aber auch Jahre –, möglicherweise Familien gründen und dann noch länger bleiben und keine
Papiere haben beziehungsweise sich nicht im legalen Aufenthalt befinden. Dieses Thema wird auf europäischer Ebene bewegt, von den Kirchen – nicht nur aus humanitären Aspekten, sondern schlicht, um eine Lösung zu finden – und von der Politik und die Debatte dabei ist interessant.
Wenn ich Herrn Dressel richtig verstanden habe, dann sagt die SPD, es sollten soziale Mindeststandards gewährleistet werden; das ist mir neu. Bisher haben wir immer über die Gewährung von Grundrechten geredet. Wenn wir jetzt anfangen, über soziale Mindeststandards zu reden, dann drehen wir die Debatte natürlich noch ein ganzes Stück weiter. EU-weit und auch in der Bundesrepublik wird über die Gewährung von Grundrechten geredet: das Grundrecht auf Bildung – Herr Yildiz hat das gesagt –, das Grundrecht auf den Arbeitslohn, wenn dann hier gearbeitet wird, und auf gesundheitliche Versorgung. Das sind die drei Grundrechte, die auch im Grünbuch der EU aufgezählt werden.
Wie sieht nun die Situation in Hamburg aus? Mit Hilfe der Studie können wir quantifizieren und auch ein bisschen qualifizieren. Wir haben das schon an mehreren Stellen im Detail besprochen. Zum Thema Bildung muss man schlicht und einfach sagen, dass der Schulbesuch in Hamburg für jeden möglich ist, ob mit oder ohne Papiere, ob mit oder ohne Aufenthaltstitel.
Das ist eine Entscheidung, die in diesem Jahr abschließend geklärt wurde. Das Recht auf Einklagen des Lohns ist auch in Hamburg möglich. Nachdem beim Arbeitsgericht durchaus Fehler passiert sind, ist jetzt klar, dass ein arbeitsgerichtliches Verfahren auch ohne Aufheben der Anonymität durchgeführt werden kann.
Das Thema Gesundheit bewegt die Koalition, darüber reden wir morgen noch einmal, da ist eine Lösung in Sicht.
Beim Thema Aufenthalt, Sie haben es als vierten Punkt genannt, muss man sich schlicht und einfach einmal anschauen, was sich eigentlich verändert hat. Die Zahl der Menschen im illegalen Aufenthalt, das wurde in der Studie deutlich, ist gesunken. Das hat auch etwas mit der veränderten Gesetzgebung im Ausländerrecht zu tun. Die Bleiberechtsregelung, auch wenn sie noch nicht das Gelbe vom Ei ist, ist schon ein guter Schritt dahin, Menschen mit einem langen Aufenthalt zu einem Bleiberecht zu verhelfen. Im Übrigen ist die Verlängerung der Frist auf dem Weg, das wissen Sie auch, Herr Dressel.
denn eigentlich Europa im Umgang mit diesen Menschen tut, die überwiegend hierherkommen, weil sie hier Arbeit finden und weil sie auch gebraucht werden. Wir dürfen uns da nichts vormachen. Wie die Hartz-Kommission schon im Jahre 2002 gesagt hat, werden 350 Milliarden Euro durch undokumentierte Arbeit erbracht, Schwarzarbeit, wie man auch so schön sagt. Ungefähr 5 Millionen Menschen arbeiteten 2002 bundesweit in diesem Bereich. Eine andere Zahl finde ich noch wichtiger. Von 3,5 Millionen Haushalten, die eine Haushalts- beziehungsweise Putzhilfe haben, gibt es nur 40 000 angemeldete Arbeitsverhältnisse. Das sind die Dimensionen von Arbeit, die nicht dokumentiert ist, mit denen wir uns beschäftigen müssen.
Es gibt viele Vorschläge von vielen Institutionen, wir brauchen da einen Lösungsweg. In Bezug auf die Umsetzung der drei Grundrechte sind wir in Hamburg auf einem guten Weg. – Danke.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Sich der Realität zu stellen heißt – Frau Möller, das ist ganz richtig gesagt – anzuerkennen, dass sich auch in Hamburg Menschen aufhalten, die über kein Aufenthaltsrecht verfügen. Diese Gruppen sind sehr unterschiedlich. Das können Touristen sein, die legal nach Deutschland eingereist sind, dann aber hier bleiben möchten. Das können EU-Bürger sein, die sich nur vorübergehend hier aufhalten, um zum Beispiel Schwarzarbeit zu machen, die aber durchaus Leistungsrechtsansprüche, wie zum Beispiel eine Krankenversicherung, in ihrem Heimatland haben. Es können aber auch Personen sein, deren Aufenthaltsrecht abgelehnt wurde oder die nie einen Antrag gestellt haben. Diese Menschen müssen befürchten, abgeschoben zu werden, wenn sie ihre Identität preisgeben. Sie tauchen deswegen unter und leben unerkannt, um das Land nicht verlassen zu müssen. Die Studie der Diakonie hat gezeigt, dass die Anzahl der Personen deutlich geringer ist, als wir bisher immer glaubten. Es war die Rede von bis zu 100 000 Menschen. Die jetzige Studie nennt eine geschätzte Zahl von 6000 bis 22 000.
Es muss aber auch gesagt werden, dass diese Menschen nicht in der sozialen Hängematte liegen, sondern sich durchschlagen mit Gelegenheitsjobs, mit illegaler Beschäftigung. Und, das wurde eben auch angesprochen, es gibt Arbeitgeber, die genau davon profitieren, indem sie nämlich niedrige
Deshalb ist die Diskussion über den Umgang damit nicht möglich, ohne dass wir auf die Rechtslage in Deutschland schauen, denn wenn es um die Rechte von Illegalen geht, geht es natürlich auch darum, welche Rechte hier gelten. Es ist ganz klar, dass der illegale Aufenthalt im Bundesgebiet strafbar ist. Wer das unterstützt und zum illegalen Aufenthalt verhilft, macht sich ebenfalls strafbar.
Das Bundesverfassungsgericht hat im Jahr 2006 in einer Entscheidung dargestellt, dass eine Rechtsordnung, die sich ernst nimmt, nicht Prämien auf die Missachtung ihrer selbst setzen dürfe. Andernfalls würden Anreize zur Rechtsverletzung geschaffen, rechtstreues Verhalten diskriminiert und damit die Voraussetzung ihrer eigenen Wirksamkeit untergraben. Genau daran muss sich das staatliche Handeln orientieren.
Das bedeutet auch, dass wir in den öffentlichen Stellen gemäß dem Aufenthaltsgesetz unverzüglich die zuständige Ausländerbehörde informieren müssen, wenn wir im Zusammenhang mit der Erfüllung unserer Aufgaben Kenntnis vom illegalen Aufenthalt eines Ausländers ohne erforderlichen Aufenthaltstitel erfahren. Einschränkungen dieser Meldepflicht für die öffentliche Hand gibt es nur für Angehörige ärztlicher und pflegerischer Berufe. Wir haben gerade im Bundesrat mit dafür gesorgt, dass der verlängerte Geheimnisschutz dahingehend gilt, dass Daten, die aus solchen Verfahren gewonnen worden sind, also zum Beispiel aus Krankenhausbehandlungen, auch von uns nicht an die Ausländerbehörde weitergegeben werden.
Wie sieht es nun aus mit den Rechten? Herr Yildiz, Sie haben es angesprochen. Eine staatliche Gesundheitsversorgung für illegal in Deutschland aufhältige Personen ist durch das Asylbewerberleistungsgesetz sichergestellt. Kein Mensch muss in Notfällen ohne medizinische Versorgung bleiben. Die Voraussetzung dafür ist natürlich, dass Angaben zur Identität und zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen gemacht werden. Es gibt ein Recht – Herr von Frankenberg hat es schon gesagt – auf Krankenbehandlung, aber kein Recht auf Anonymität oder Kostenübernahme durch die Solidargemeinschaft ohne Prüfung der Bedürftigkeit. Auch zum Unfallversicherungsschutz und zum Arbeitsentgelt hat Frau Möller schon das Richtige gesagt. Diese Rechte gelten unabhängig vom Aufenthaltsstatus.
Es ist erkennbar, dass die zivilgesellschaftlichen Helfer und zum Teil auch die politischen Vertreter die Lebenssituation dieser Menschen möglichst umfassend normalisieren und materiell absichern, jedoch dabei die Anonymität nicht aufgeben wollen. Das Dilemma des Staates und meiner Behör
de besteht darin, dass wir einerseits humanitäre Grundsätze nicht verletzen wollen und dürfen, andererseits aber an Recht und Gesetz gebunden sind. Insofern muss ich in meiner Haltung gegenüber Menschen mit illegalem Aufenthaltsstatus zwischen Situationen differenzieren, wo es um die Gewährleistung elementarer Menschenrechte, zum Beispiel das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, geht und wo um Rechte und Leistungen, die in Anspruch genommen werden sollen und einen offiziellen bürgerlichen Status in der Stadt voraussetzen, wie beispielsweise ein Paragraf 5-Schein oder ein Kita-Gutschein.
In der Debatte morgen sollten wir uns einig sein, dass es unser vorrangiges Ziel ist, den Status der Anonymität und irregulären Aufenthalte zu vermeiden und wenn diese Situation eingetreten ist, dann auf eine Klärung hinzuwirken.
Ein jahrzehntelanger illegaler Aufenthalt ist unter jedem erdenkbaren Blickwinkel kein erträglicher Zustand, weder für die unmittelbar noch die mittelbar Betroffenen. Das heißt dann in der Konsequenz, dass wir auch die Rückführung fördern. Das heißt aber auch, dass wir in anderen Fällen Wege in die Legalität suchen. Es kann nicht das Ziel sein, den Status der Anonymität zu normalisieren und diese Menschen mit geduldeten Menschen gleichzustellen. Diese scheinbare Solidarität mit den Betroffenen würde den Gerechtigkeitsgrundsatz eklatant verletzen.
Wir können auch aus Gerechtigkeitsgründen nicht hinnehmen, dass sich illegal in Deutschland lebende und arbeitende Menschen und deren Arbeitgeber nicht an der Finanzierung der Sozialversicherungssysteme beteiligen, im Krankheitsfall dann aber davon profitieren wollen. Unser Sozialstaat baut auf Solidarität. In den Versicherungszweigen beruht die Solidarität darauf, dass man Mitglied ist, Beiträge zahlt und dann auch Leistungen bekommt.
Im staatlich finanzierten System kommt die Solidarität dadurch zum Ausdruck, dass man Steuern zahlt. Schwarzarbeit legt die Axt an diese Solidarität unseres Sozialstaates, sie untergräbt und schwächt die Solidarität.
Mit der Anonymität wäre auch verbunden, dass wir den Bedarf und die Bedürftigkeit gar nicht prüfen können. Jeder normale Bürger in einer sozialen Notlage muss, wenn er Leistungen beanspruchen will, seinen Bedarf geltend machen, aber auch darlegen, dass er diesen nicht selbst finanzieren kann. Es wäre eine gravierende soziale Ungerech
tigkeit, wenn wir an Menschen mit illegalem Status geringere Anforderungen stellen würden als an jeden normalen Bürger in dieser Stadt. Deshalb kann ich nicht befürworten, dass wir Kita-Gutscheine an anonyme Antragsteller geben, weil wir gar nicht feststellen können, inwiefern die Anspruchsberechtigung besteht und ob die Bedarfe berechtigt sind.
Für mich ist aber klar, dass wir im Kinderschutz eingreifen müssen. Auch die Kinder Illegaler fallen unter die Regelung unseres SGB VIII, unter das staatliche Wächteramt, und das heißt, dass wir mit dem Jugendamt verpflichtet sind, darauf hinzuwirken, dass der Status der Illegalität aufgehoben wird, dass diese Kinder in die Legalität geführt werden und dass zum Beispiel Anträge auf Asyl gestellt werden, wenn die Rückführung nicht in Frage kommt. In einem Sozialstaat dürfen wir das zivilgesellschaftliche Engagement privater Initiativen für Menschen mit illegalem Aufenthalt nicht verhindern, sondern müssen tolerieren, dass dafür im Bereich der humanitären Grundhilfe auch öffentlich finanzierte Einrichtungen genutzt werden, wie zum Beispiel Krankenhäuser bei anonymen Geburten. Wie in den meisten anderen Großstädten findet auch in Hamburg die Versorgung primär durch private Initiativen und Beratungseinrichtungen statt, die bislang nicht staatlich gefördert werden.
Mein Fazit ist, dass es unabhängig vom Aufenthaltsstatus das Recht auf Gesundheitsversorgung, Bildung, Arbeitsentgelt und Unfallversicherungsschutz gibt. Da es allerdings weder das Recht auf illegalen Aufenthalt noch das Recht auf Anonymität gibt, übernimmt der Staat die Kosten nur im Rahmen der gültigen Gesetze, wenn sich ein Hilfesuchender an ihn wendet.
Wenn aber Anonymität und Illegalität aufrechterhalten werden sollen, dann bleibt uns nur, die humanitäre zivilgesellschaftliche Hilfe zu dulden, sie staatlicherseits mit viel Fingerspitzengefühl zu unterstützen und diese Institutionen von einer juristischen Verfolgung freizustellen. Andernfalls gefährden wir die Grundlagen des sozialen Friedens und der Rechtsstaatlichkeit.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Frau Möller, Sie haben recht, das Problem der Illegalisierung von Menschen ist nicht neu. Aber es hat in den vergangenen zwei Jahrzehnten Dimensionen angenommen, die alles Vorherige in den Schatten stellen. In den letzten zwei Jahrzehnten, insbesondere in den Neunzigerjahren, sind in erheblichem Umfang Menschen nach Deutschland gekommen, die keine
Aufenthaltspapiere haben oder ihre Aufenthaltsberechtigung verloren haben und hier geblieben sind. Es sind Menschen, die hier leben, arbeiten, vielleicht Freunde finden, Kinder kriegen und großziehen, krank werden, aber es sind Menschen, die es eigentlich gar nicht geben darf, schlimmer noch, die es eigentlich gar nicht gibt, weil sie keine Aufenthaltspapiere haben.
Natürlich ist die Zahl der illegalen Einwanderer zurückgegangen, und zwar einerseits wegen der EUErweiterung und andererseits aufgrund der extrem restriktiven Flüchtlingspolitik. Um das Thema Mauer aufzugreifen: Es gibt eine Mauer um Europa und vor dieser Mauer sterben jährlich unzählige Menschen.
Ich will nichts beschönigen an der einen Mauer, aber diese andere Mauer gibt es auch und das ist einer der Gründe, weshalb in den letzten Jahren nicht mehr so viele Menschen nach Deutschland oder in ein anderes europäisches Land gekommen sind wie zuvor.
Ich finde es hoch interessant, wie Sie mit diesem wichtigen Problem umgehen, und wir können gerne noch ein paar Worte darüber austauschen.
Von unserer Seite gibt es eine grundsätzliche Kritik an der Flüchtlings- und Asylpolitik der EU und der Bundesrepublik Deutschland, die die hamburgische Politik allerdings keineswegs entlastet, auch wenn die CDU dieses Thema ziemlich schöngeredet hat. Hamburg hat nicht die geringste Anstrengung erkennen lassen, auf die Bundespolitik im Sinne einer verantwortungsvollen und offenen Asyl- und Flüchtlingspolitik einzuwirken. Ich frage Sie zum Beispiel, Herr Heinemann, ob Sie sich vorstellen können, was es heißt, als Schatten in einer Stadt zu leben, womöglich über Jahre und Jahrzehnte, inmitten der Gesellschaft und doch von ihr ausgestoßen, massiv ausgeschlossen von den öffentlichen Gütern, von denen ein menschenwürdiges Leben heute abhängiger ist denn je, was es heißt, beizutragen zum gesellschaftlichen Reichtum, ohne wirklich an ihm teilzuhaben?