Protocol of the Session on November 4, 2009

Es ist in der Tat so, dass wir in diesem und im nächsten Jahr mehr Schulden aufnehmen, als uns Steuereinnahmen wegbrechen. 2012 und 2013 werden wir weniger Schulden machen, als uns Steuereinnahmen wegbrechen. In der Summe werden wir also bis 2013 genau so viele Schulden aufnehmen, wie uns Steuern wegbrechen. Dieses Vorgehen lässt sich ganz einfach mit der verfassungsgemäßen Grenze für die Aufnahme von Schulden begründen, Herr Tschentscher. Wir dürfen nur dann Schulden in Höhe unserer Investitionen machen, wenn das wirtschaftliche Gleichgewicht nicht gestört ist. Wir alle hoffen, dass das in den Jahren 2012 und 2013 nicht mehr der Fall ist. Das heißt, dass wir in diesen beiden Jahren Schulden nur in Höhe der geplanten Investitionen machen dürften. Wir haben für diese beiden Jahre Investitionen von 1 Milliarde Euro geplant. Dem stehen laut Steuerschätzungen Mindereinnahmen durch wegbrechende Steuern von 1,3 Milliarden Euro gegenüber.

Wenn wir Ihrem Zusatzantrag folgen würden, dann müssten wir in diesen beiden Jahren jeweils 300 Millionen Euro zusätzlich zu den Zinsen für die aufgenommenen Schulden einsparen. Da sich bis zum Jahr 2012 die Zinszahlungen auf 250 Millionen Euro kumuliert haben werden, würde das bedeuten, in jedem dieser beiden Jahre 550 Millionen Euro einsparen zu müssen, nämlich genau

(Roland Heintze)

dann, wenn die Wirtschaft wieder anspringt. Das würde den Effekt haben – und wir sind uns alle völlig einig, dass das nicht passieren darf –, dass der Staat mit harten Sparprogrammen die sich wie ein zartes Pflänzchen erholende Konjunktur wieder abwürgt. Wir haben, um das zu verhindern, den Weg mit dem Sondervermögen vorgeschlagen. Das hat nichts mit Haushaltskassen zu tun, das hat einfach etwas mit verantwortungsvoller Finanzpolitik zu tun, in der man sich nicht nur einen Doppelhaushalt anschaut, sondern wir ändern mit diesem Beschluss auch die mittelfristige Finanzplanung.

Ihr Horizont, Herr Tschentscher, beträgt anscheinend nur zwei Jahre. Wenn Sie diese Zeitspanne um nur zwei weitere Jahre verlängern, dann werden Sie sehen, dass Ihre Vorschläge schon rein rechnerisch überhaupt nicht mehr aufgehen, unsere aber sehr wohl. Insofern ist unser Ansatz nicht nur verantwortbar, er ist auch der richtige Ansatz in der konjunkturell schwierigsten Situation seit Jahrzehnten, in der sich diese Stadt und das gesamte Land jetzt befinden.

Herr Tschentscher, sie sagen immer so schön, wir hätten die Betriebsausgaben aufgebläht, das sei die größte Krise und da müssten wir jetzt dringend Ausgaben reduzieren. Schauen wir uns doch einmal an, wofür wir diese Mittel ausgeben: Für mehr Lehrerinnen und Lehrer, um unsere Schülerinnen und Schüler besser zu unterrichten und ihnen zu ermöglichen, bessere Leistungen zu erzielen, für mehr Stellen im ASD, mehr Mittel für Hilfen zur Erziehung und einzelfallbezogene Maßnahmen, um solche Dramen zu verhindern, wie es der traurige Fall Lara war. Und Sie, Herr Tschentscher, sagen, all das sei unverantwortlich.

Sollen wir das wieder zurückdrehen? Sollen wir die Aufstockung des ASD wegsparen? Sollen wir sagen, wir geben keine Hilfen zur Erziehung mehr, um zu verhindern, dass Kinder in zerrütteten Familien verhungern? Ist das wirklich der Ansatz, den Sie vertreten wollen? Ich mag das nicht glauben, das ist wirklich Verantwortungslosigkeit pur, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der GAL und der CDU – Ingo Egloff SPD: Das ist wirklich platt, Ihre Argu- mentation!)

Vor allem frage ich mich, ob die SPD-Fraktion eigentlich zuhört, wenn ihr haushaltspolitischer Sprecher redet. Bei all diesen Maßnahmen, die ich eben geschildert habe, gab es immer dieselbe Reaktion von der SPD-Fraktion: Das ist der richtige Schritt in die richtige Richtung, aber es muss wesentlich mehr gemacht werden. Wenn wir Ihren Vorschlägen nachgekommen wären, wäre der Betriebshaushalt noch mehr vergrößert worden. Und dann hören Sie hier ganz ruhig zu, wenn Ihr haushaltspolitischer Sprecher sagt, diese Aufblähung des Betriebshaushaltes sei ein Drama. Da sollten Sie sich vielleicht einmal zusammensetzen und

sich einigen, was denn jetzt richtig ist und was Ihre Linie ist, bevor Sie hier solche Reden halten.

(Beifall bei der GAL und der CDU)

Es ist schlicht und ergreifend so, dass wir die wegbrechenden Steuereinnahmen durch Schulden ausgleichen. Ich bin mir nicht so ganz sicher, was Sie mit der Wahlkampfkasse, von der Sie immer reden, meinen, denn in einer Kasse sind ja eigentlich Einnahmen, die man nicht ausgibt. Wenn wir aber Schulden in genau der Höhe aufnehmen, in der die Steuereinnahmen wegbrechen und damit den normalen Haushalt finanzieren, wo sollte denn da etwas übrig bleiben? Das müssten Sie mir noch einmal erläutern, Herr Tschentscher.

Sie haben vorhin den Punkt mit den Rücklagen zitiert. Da machen wir es in der Tat etwas anders, damit die Rechnung aufgeht. Wir sind im März, als wir den Haushalt beschlossen haben, davon ausgegangen, dass wir das im Haushalt enthaltene Finanzierungsdefizit durch die Auflösung von Rücklagen erbringen würden. Wir werden diese Rücklagen auch ausgeben, wir werden das nur nicht in den Jahren 2009 und 2010 tun, sondern 2011 und 2012. Wir gleichen dann die fehlenden Steuereinnahmen aus und finanzieren gleichzeitig den Haushalt, dessen Konjunkturprogramm ja auch eine konjunkturelle Wirkung hat, das uns hoffentlich davor bewahrt, dass das Loch, in das wir jetzt fallen, noch tiefer wird.

So schwierig ist die Rechnung doch nicht. Schauen Sie einfach in die Steuerschätzungen. Für 2011 werden 1,3 Milliarden Euro Mindereinnahmen erwartet. Schauen Sie dann in die mittelfristige Finanzplanung, wie hoch die geplanten Investitionen sind, das sind ungefähr 1 Milliarde Euro. Würden wir Ihrem Antrag folgen, würde das doch bedeuten, dass wir pro Jahr 300 Millionen Euro zusätzlich zu den 251 Millionen Euro, die wir für Zinsausgaben eingeplant haben, einsparen müssten. Ich bin wirklich sehr gespannt auf die Sparvorschläge Ihrer Fraktion, wo Ihrer Meinung nach zusätzlich zu den 251 Millionen Euro weitere 300 Millionen Euro im Haushalt eingespart werden könnten, ohne bei den Leistungen für die Bürgerinnen und Bürger in unverantwortlichem Maße zu sparen. Liefern Sie diese Liste gleich mit, wenn Sie in Ihrem Antrag Vorschläge machen, denn sonst sind das auch wieder nur unsolide und nicht verantwortbare Reden, die Sie hier halten; das muss ich einfach mal festhalten.

(Beifall bei der GAL und der CDU)

Es geht in der Tat um ein Sondervermögen. Wir machen das nicht im Haushalt, und zwar aus einem einzigen Grund: Für ein Sondervermögen muss man ein Gesetz erlassen. In diesem Gesetz haben wir festgeschrieben, dass die Zinsen nicht den kommenden Generationen aufgebürdet werden, sondern durch Einsparungen aus dem laufen

den Haushalt erbracht werden. Angesichts der größten Verschuldung, die diese Stadt jemals hat machen müssen, sind die jährlichen Zinsen eine große Summe. Das wird nicht ohne schmerzhafte Einschnitte vonstatten gehen. Das wird eine große Herausforderung. Ich bin jetzt schon gespannt auf die Debatten mit der sozialdemokratischen Fraktion, die hier jetzt so einen großen Spareifer an den Tag legt und das Doppelte einsparen möchte.

Neben der jährlichen Zinszahlung verpflichten wir uns außerdem, und zwar gesetzlich, zur Tilgung des Sondervermögens. 100 Millionen Euro pro Jahr sind nicht so viel. Bei 6 Milliarden Euro kann sich jeder ausrechnen, wie lange die Tilgung dauern wird; das wird lange dauern. Trotzdem ist das eine bedeutsame Weichenstellung, denn in der Vergangenheit wurden Neuverschuldungen immer ohne jede Aussage, wann getilgt wird, aufgenommen. Das ist unser Beitrag zur Generationengerechtigkeit. Wir sagen, wir wollen diese Generation vor dem wirtschaftlichen Absturz bewahren, diese Generation muss aber durch die Erbringung der Zinsen ihren Beitrag leisten. Außerdem verpflichten wir uns, durch einen Tilgungsplan sicherzustellen, dass die Schulden jährlich abgetragen werden.

Das mag Ihnen zu wenig sein, aber ich kenne kein anderes Bundesland in Deutschland, das einen solchen Weg auch nur diskutiert. Auch die Bundesregierung tut dies nicht. Jeder, der sagt, das sei zu wenig, soll sagen, wie mehr geht.

Ich glaube, es ist deutlich geworden, dass wir mit unseren Sparvorschlägen, die wir erarbeitet und hier diskutiert haben, an die Grenze des Verantwortbaren gegangen sind. Wenn Sie jetzt vorschlagen, in den Jahren 2011 und 2012 noch einmal jeweils 300 Millionen Euro an Kürzungen obendrauf zu legen und meinen, das sei verantwortbare Haushaltspolitik, ohne den sozialen Zusammenhalt in dieser Stadt zu zerschreddern, dann sollten Sie uns die Beispiele dafür auch möglichst gleich erbringen, denn sonst halten Sie hier einfach nur eine Fensterrede. Das Peinliche ist wirklich, dass Ihre Rechnung vorne und hinten einfach nicht aufgeht; da hätte ich wirklich mehr von Ihnen erwartet. – Vielen Dank.

(Beifall bei der GAL und der CDU)

Das Wort bekommt der Abgeordnete Dr. Bischoff.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Kerstan, das mit den Fensterreden ist so eine Sache. Ich finde, das eben war eine geniale Fensterrede von Ihnen.

(Beifall bei der LINKEN und vereinzelt bei der SPD – Jens Kerstan GAL: Aber genial! und vereinzelter Beifall bei der GAL)

Gemeinsam mit Herrn Heintze spekulieren Sie auf das kurze Gedächtnis der Öffentlichkeit; das ist doch der Hintergrund. Wenn wir hier die Lage diskutieren, dann sind wir uns alle in einem Punkt einig – so habe ich das jedenfalls von Herrn Tschentscher und in den anderen Verlautbarungen der SPD gehört –, dass die Situation ernst ist.

Ich will keine Rechthaberei betreiben, aber auf eines doch noch einmal hinweisen. Wir haben diesen Doppelhaushalt Ende März verabschiedet und damals – Sie müssten so fair bleiben, das zuzugeben – in die Diskussion eingebracht, dass der Haushalt 2009 Makulatur ist und der Haushalt 2010 es nicht wert ist, überhaupt diskutiert zu werden, und zwar nicht, weil wir so genial gewesen sind und in die Zukunft sehen konnten, sondern genau dieselben Zahlen berücksichtigt haben, die Sie Ihren Planungen auch hätten zugrunde legen können. Herr Walter von der Deutschen Bank hat bereits damals gesagt, dass die Wirtschaft auf einen Schrumpfungsprozess in der Größenordnung von 5 Prozent zulaufen werde. Natürlich war das auch hier Bestandteil der Diskussionen. Das ist ja keine kleine Rezession, das ist eine schwere Belastung für diese Republik und für Hamburg. Wir müssen uns darauf einstellen und offensiv darüber nachdenken, wie die Folgen der auf uns zukommenden Krise im Haushalt mit berücksichtigt werden können. Dazu haben Sie gesagt: Das brauchen wir nicht, das werden wir später machen.

Ein weiterer Punkt ist – und kommen Sie mir bitte jetzt nicht mit Lehrern, dem Klima oder anderen unstrittigen Punkten –, dass wir nicht einfach so tun können, als könnten wir die Investitionen, die unter sehr guten ökonomischen Rahmenbedingungen erdacht wurden, einfach durchziehen.

(Beifall bei der LINKEN)

Das sollten wir nicht machen. Wir sollten uns hinsetzen und das in den Haushaltberatungen überdenken. Wir sind da doch gar nicht so weit auseinander, denn wenn man etwas machen will, dann muss man sich eben auch die Investitionen angucken.

Ich will noch einmal feststellen: Mit der Drucksache, die wir heute beraten und verabschieden, hat die Wirklichkeit Einzug gehalten. Wir haben jetzt November. Sie haben sich also reichlich Zeit genommen – von März bis heute –, um sich auf diese historische Situation einzustellen.

Wir sind uns – bei allen kleineren Akzentunterschieden zur SPD – einig, dass wir diesen Schrumpfungsprozess, den Hamburg jetzt durchläuft, nur kreditfinanziert abfedern können; das ist völlig unstrittig.

Der neue Finanzminister Schäuble hat in einem seiner ersten großen Interviews gesagt, die CDU sei doch nicht Brüning und sie würde doch – also sinngemäß – diesen großen historischen Fehler

(Jens Kerstan)

nicht wiederholen und in der jetzigen Situation eine Kürzungspolitik betreiben. Zumindest 2010 wird ein sehr kritisches Jahr, sowohl auf Bundesebene als auch in Hamburg, da kann man nicht in diesem Maße den Haushalt konsolidieren.

Herr Schäuble sagt, der Markt wird es nicht richten und wir können die Krise auch nicht aussparen, wir müssen politisch etwas tun. Nun machen sie also Steuersenkungen im Bereich Unternehmensteuer und Nachbesserungen bei der Erbschaftsteuer. Aus meiner ökonomischen Perspektive heraus bestreite ich entschieden, dass das nun wirklich konjunkturbelebende Impulse freisetzt.

Schauen Sie sich im neuen Bundesbankbericht die Entwicklung der öffentlichen Investitionen – abzüglich der Abschreibungen – an. Dann können Sie sich eigentlich nur fragen, wie das überhaupt gehen soll, wenn Sie sehen, in welch desaströsem Zustand die öffentliche Infrastruktur ist; das gilt auch für Hamburg. Denken Sie nur an die Schulen, da bekommen wir wegen Ihres Sondervermögens ja noch weitere Auflagen.

In dieser Situation muss man kreditfinanzieren, gar keine Frage, man muss aber auch den Nerv haben, diese schwierige Situation politisch stabilisieren und nach vorne bringen zu wollen. Ich fand es zwar ein bisschen krass, dass Herr Schäuble sagte, man müsse jetzt gleichzeitig Gas geben und bremsen, das hat sich mir nicht so richtig erschlossen, aber dass der Markt es nicht alleine richten wird, sehe ich auch so.

Und jetzt, Herr Kerstan, bekommen wir hier und heute zu hören, was die schwarz-grüne Koalition in den letzten Wochen gemacht habe. Sie jagen doch wöchentlich oder fast im Drei-Tage-Rhythmus ein neues Gespenst durch die Stadt, und zwar nicht, wie wir konsolidieren und stabilisieren können, sondern mit einer Sparpolitik hinter den Kulissen. Zu Recht schreibt das "Hamburger Abendblatt" über unsere Situation, es herrsche

"Heulen und Zähneklappern in Hamburg."

Ich mag den Spruch nicht, dass mehr als 50 Prozent der Wirtschaftspolitik Psychologie ist. Sie zitieren das ja am laufenden Meter. Wenn ich diesen Spruch also einmal als Maßstab nehme, dann machen Sie in dieser Stadt die miserabelste Konjunkturpolitik, die man sich vorstellen kann.

(Beifall bei der LINKEN und vereinzelt der SPD)

Das ist einfach so. Sie können und wollen die Leute gar nicht mitnehmen; Sie entwickeln Horrorszenarien von Kürzungen.

(Wolfgang Beuß CDU: Sie machen das!)

Das ist doch original Herr Kruse.

Ich möchte einmal sehen, was passieren würde, wenn ich mich trauen würde, in den Zeitungen

über die Zusammenlegung von Bezirken und all das, was Sie da an Kürzungen vorhaben, zu spekulieren. Das ist doch nicht auf unserem Mist gewachsen, das ist doch generell Ihr Plan und schwarz-gelb-grüner Mist, den Sie in dieser Situation machen.

(Beifall bei der LINKEN und der SPD)

Sie können das halten, wie Sie wollen, aber das ist wirtschaftspolitisch eine Katastrophe, mir erschließt sich das überhaupt nicht.

Und nachdem Sie alle heiß gemacht haben, vertagen Sie hinter den Kulissen die Lösung des Problems. Man kann tagelang darüber streiten, welchen Anteil die Psychologie bei all dem hat, aber in einer Krise so zu agieren, das ist schlicht politisch unverantwortlich.

(Beifall bei Christiane Schneider DIE LINKE)

Ich habe mich gefragt, warum Sie das machen. Herr Kerstan, Sie haben zu diesem Punkt nichts gesagt, ich habe jetzt eine Vermutung und fände es gut, wenn Sie dazu noch einmal Stellung nehmen würden.