Protocol of the Session on April 1, 2009

reits zugegangen. Da die Drucksache 19/2428 zur strategischen Neuausrichtung der HSH Nordbank soeben auch in zweiter Lesung beschlossen worden ist, gehe ich von Ihrem Einverständnis aus, dass die Sitzung am 8. April 2009 nicht stattfinden soll. Gibt es dagegen Einwände? – Die sehe ich nicht. Dann verfahren wir so.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf, die Drucksache 19/2073, Große Anfrage der Fraktion DIE LINKE.

[Große Anfrage der Fraktion DIE LINKE: Strafvollzug – Drs 19/2073 –]

Diese Drucksache möchte die Fraktion DIE LINKE an den Rechtsausschuss überweisen. Wer wünscht das Wort? – Frau Schneider, Sie haben das Wort.

Meine Damen und Herren, Herr Präsident! Wir haben diese recht umfangreiche Große Anfrage gestellt, um uns über möglichst viele Aspekte des Justizvollzugs in Hamburg ein möglichst realistisches Bild zu machen. Manche Antworten sind nichtssagend und manche Antworten beschönigen die Situation. So beträgt zum Beispiel nach unseren Informationen die Wartezeit bei der Suchtberatung im Jugendvollzug nicht bis zu acht Wochen, sondern durchschnittlich zwei Monate und das heißt in Extremfällen bis zu 16 Wochen. Doch ungeachtet einzelner Probleme bei der Beantwortung ist das Ergebnis aufschlussreich. Ich kann nur auf einige zentrale Punkte eingehen.

Erstens: Der vormals vergleichsweise liberale Strafvollzug in Hamburg war unter den Senatoren Kusch und Lüdemann zum reinen Verwahrvollzug verkommen. Dass sich das im letzten Jahr trotz verschiedener Verbesserungen noch nicht grundlegend geändert hat, wird vielleicht am deutlichsten bei den bedrückend langen Einschlusszeiten. An den Wochenenden sind erwachsene Strafgefangene täglich mindestens fünfzehneinhalb Stunden in ihrer Zelle eingeschlossen, an den Wochentagen arbeitende Gefangene mindestens elfeinhalb Stunden, nicht arbeitende Gefangene 19 bis 20 Stunden. Nicht arbeitende Gefangene schließt Abschiebegefangene, arbeitsunfähige Gefangene und Gefangene im Rentenalter ein. Untersuchungsgefangene, für die die Unschuldsvermutung gilt, sind 23 von 24 Stunden am Tag eingeschlossen. Sowieso sind Gefangene von der Partizipation am gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen.

(Vizepräsident Wolfgang Joithe–von Krosigk)

(Viviane Spethmann CDU: Das hat auch sei- nen Grund!)

Sowieso sind ihre sozialen Kontakte, ohne die Leben nicht lebenswert ist, auf ein Minimum reduziert.

(Viviane Spethmann CDU: Das hat auch sei- nen Grund!)

Sowieso ist der psychische Leidensdruck von Menschen, die eingesperrt und damit einer totalen Institution ausgeliefert sind, die das gesamte Leben beherrscht, enorm. Wenn sie in einer solchen Situation des Ausschlusses auch noch lange Zeit des Tages völlig auf sich selbst zurückgeworfen werden, Stunde um Stunde eingesperrt auf wenigen Quadratmetern, praktisch ohne Möglichkeit, die Zeit sinnvoll und abwechslungsreich zu gestalten, dann werden soziale Fähigkeiten abgetötet, die gefördert und entwickelt werden müssten. Wie soll bei solchen Einschlusszeiten womöglich über viele Jahre hinweg das Ziel der sozialen Integration von Gefangenen erreicht werden? Das ist Verwahrvollzug, der das Anliegen der individuellen und sozialen Entwicklung der Gefangenen de facto aufgibt.

Zweitens: Wir kritisieren ein weitgehendes Desinteresse des Senats an den Folgen von Haft. Die eigentliche Strafe, Frau Spethmann, der Freiheitsentzug, geht einher mit einer Fülle von Folgen und Wirkungen, die im Urteil ungenannt bleiben, jedoch äußerst gravierend sind.

(Viviane Spethmann CDU: Für die Opfer auch!)

Viele Gefangene sind zum Beispiel überschuldet. Wie viele? Diese Daten werden nicht erfasst, obwohl die Überschuldung die soziale Integration nach der Haftentlassung enorm erschwert. Viele Gefangene verlieren infolge der Haft ihre Wohnung. Wie viele? Auch diese Daten werden nicht erfasst. Was man eigentlich für wirksame und nachhaltige Integrationskonzepte wissen müsste, weiß man nicht.

Ein weiteres Beispiel: Am Stichtag 7. Mai 2008 verbüßten 106 Gefangene in Hamburger Justizvollzugsanstalten eine Ersatzfreiheitsstrafe, das heißt, sie konnten eine gegen sie verhängte Geldstrafe nicht bezahlen. Wir fragten, wie viele von ihnen zuvor Hartz IV bezogen hätten. Es ist schließlich ein wichtiger gesellschaftlicher Vorgang, wenn Menschen ins Gefängnis müssen, zum Beispiel, weil sie mehrfach schwarzgefahren sind, weil die Hartz-IV-Regelsätze die Kosten der Mobilität nicht abdecken. Wir fragten vergeblich, weil nämlich das von der Bundesagentur für Arbeit zur Verfügung gestellte EDV-System diese Daten nicht erhebt. Wie viele der Ersatzstrafler verloren ihre Wohnung, weil die Unterkunft seit dem 15. August 2007 nur noch bei einer Haftdauer von bis zu sechs Monaten übernommen wird? Antwort – Zitat –:

"Eine Erfassung der begleitenden sozialen Umstände des Wohnungsverlustes ist im Dokumentationssystem der Fachstellen aufgrund des hohen Auswertungsaufwandes nicht vorgesehen."

Fazit: Um die über den Freiheitsentzug hinausgehenden Folgen der Haft, die das Leben mehr oder weniger bestimmen und die soziale Integration ungeheuer erschweren, zu minimieren, braucht man Konzepte. Kenntnisse und Interesse sind Voraussetzungen für nachhaltige Konzepte; hieran mangelt es unseres Erachtens erheblich.

Drittens: Ähnliches gilt für das Problem der Gesundheitsversorgung. Mit Interesse habe ich die Debatte über die Große Anfrage der GAL zum Thema Gesundheit in Haft aus dem Jahr 2005 nachgelesen, in der die GAL zu Recht die beschämende Interesselosigkeit, ja Ignoranz des seinerzeitigen Senats anprangerte. Wir haben etwas andere Fragen gestellt, weil wir uns für bestimmte Gesichtpunkte interessierten, vor allem für Konzepte der Gesundheitsförderung in Haft.

Das Ergebnis der Befragung: Konzepte und Projekte für Gesundheitsförderung in Haft gibt es nicht. Es gibt keine Studien über gesundheitliche Versorgung und Vorsorge in Hamburger Haftanstalten und es sind auch keine geplant, auch nicht über Zahngesundheit. Sie wissen nichts über die Infizierung von Gefangenen mit Hepatitis oder HIV, obwohl es sich um hochinfektiöse Krankheiten handelt. Genau dasselbe haben Sie übrigens 2005 dem CDU-Senat vorgeworfen. Ich könnte die Reihe noch fortsetzen, belasse es aber dabei.

Gefangene kommen in der Regel und ganz überwiegend aus Bevölkerungsgruppen, deren gesundheitliche Situation nicht besonders gut ist. Mit der Inhaftierung wird die Gesundheit von Gefangenen weiteren Belastungen ausgesetzt, Belastungen, die durch die Rahmenbedingungen der Haft entstehen,

(Zuruf von Viviane Spethmann CDU)

durch kleine Zellen, Bewegungseinschränkungen, unzureichende Ernährung, überproportional starke Verbreitung von Erkrankungen wie Drogen- und Alkoholabhängigkeit, Infektionskrankheiten, psychischen Störungen, Selbstverletzungen, Suizid, alle Formen von Gewalt, Einschränkungen der Intimsphäre, Hygieneprobleme und so weiter.

Gesundheitsstabilisierung und Gesundheitsförderung in der Haft muss fester Bestandteil der sozialen Integration sein. Wir sehen eine wichtige Aufgabe darin, die besondere und überproportional starke gesundheitliche Belastung von Gefangenen zu analysieren. Es geht uns darum, Strukturen für Untersuchungen, diagnostische Verfahren und Be

ratungen zu schaffen und notwendige Behandlungen einzuleiten.

(Viviane Spethmann CDU: Haben Sie mal an die Opfer gedacht?)

Ein Jahr ist nicht lang und wir wollen nicht kritisieren, dass das alles noch nicht läuft. Aber wir kritisieren, dass nicht zu erkennen ist, dass aktive Gesundheitsförderung überhaupt als Aufgabe erkannt und in Angriff genommen wird. Wenn sich der Rechtsausschuss nach dem Willen der Koalitionsparteien schon nicht mit den Ergebnissen unserer Großen Anfrage befassen soll, soll er sich doch wenigstens, und darauf werden wir dringen, mit den verschiedenen europäischen Richtlinien für die Gesundheitsversorgung und -förderung in Haftanstalten befassen und vielleicht auch mit einigen praktischen Beispielen wie dem des Kantons Genf.

(Viviane Spethmann CDU: Sie zeichnen so ein Sozialbild!)

Viertens: Ich komme abschließend zu einem der ganz großen lange bekannten, aber ungelösten Probleme. Wie ich schon sagte, ist die Überschuldung vieler Gefangener ein wesentliches Wiedereingliederungshindernis, das ist nur die eine Seite. Die andere Seite ist, dass Gefangene weder imstande sind, Angehörige zu unterstützen, noch Wiedergutmachung zu leisten, noch Opfer zu entschädigen. Sie sind auch nicht dazu imstande, wenn sie es wollen. Sie sind dazu nicht imstande, obwohl sie in der Regel arbeiten, und sie sind deshalb nicht dazu imstande, weil sie nicht annähernd angemessen entlohnt werden. Ich habe den Eindruck, das sage ich auch an die Adresse des Kollegen Rose, dass viele, die seit den Siebzigerjahren und bis zu Beginn dieses Jahrzehnts mit Vehemenz für eine angemessene Entlohnung von Gefangenen gestritten haben, resigniert haben. Wir wollen diese Debatte wieder anschieben.

Schauen Sie in die Große Anfrage und die Antworten des Senats. Die Anhebung von jetzt 9 Prozent auf 40 Prozent des Durchschnittslohns wäre mit jährlich circa 10 Millionen Euro nicht übermäßig kostspielig. Im Gegenteil, unterm Strich würde sich eine solche Anhebung sogar voll und ganz auszahlen, die 10 Millionen Euro kämen mit Zins und Zinseszins zurück. Eine Entlohnung, die gerade einmal 9 Prozent vom Durchschnittslohn beträgt, anerkennt den Wert von Arbeit nicht und fördert die Gefangenen nicht, sondern entmündigt sie. Eine solche Entlohnung bestraft die Angehörigen und schädigt die Opfer von Straftaten, Frau Spethmann; sie kommt die Gesellschaft teuer. Eine halbwegs angemessene Entlohnung dagegen stärkt die Würde und Verantwortlichkeit des Gefangenen und seine Existenz als Person, die in der Lage ist, Verpflichtungen zu übernehmen und sich deshalb den Folgen ihrer Straftat ganz anders stellen kann als bisher.

Eine angemessene Entlohnung ist nach unserer Auffassung ein unverzichtbarer Baustein des Resozialisierungsgrundsatzes, dem mit dem nun vorliegenden Entwurf des Strafvollzugsgesetzes in Hamburg wieder Geltung verschafft werden soll. Dazu gehört auch die Einbeziehung der Gefangenen in die Sozialversicherung und nicht zuletzt in die Rentenversicherung. Auch das wäre, lesen Sie es auf Seite 34 unserer Großen Anfrage nach, absolut gesehen nicht teuer und es zahlte sich im Hinblick auf die guten Folgen für die Gefangenen und die Gesellschaft ebenfalls aus, weil die Altersarmut zurückgedrängt würde. Dazu gehört auch die massive Förderung schulischer und beruflicher Qualifizierung. Man kann es nicht anders sagen: Hier ist seit Langem eine Talsohle erreicht und offensichtlich immer noch nicht durchschritten.

Ich komme zum Schluss. Sie wollen diese Große Anfrage nicht an den Rechtsausschuss überweisen. Von der CDU hätte ich in der Tat auch kaum erwartet, dass sie sich nach so vielen Jahren Alleinherrschaft freiwillig einer sachlichen, in die Tiefe gehenden und gründlichen Debatte über die Situation des Justizvollzugs stellt. Von der GAL erwarte ich es, wenn ich zugrunde lege, was sie in der Opposition auf diesem Feld geleistet und gefordert hat. Ich fordere Sie deshalb auf, der Überweisung zuzustimmen.

(Beifall bei der LINKEN)

Vizepräsident Wolfgang Joithe–von Krosigk: Das Wort hat Herr Trepoll.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Auch ohne die üblichen Kopfzeilen hätte man die Große Anfrage sicherlich sofort den Kollegen der LINKEN zuordnen können.

(Norbert Hackbusch DIE LINKE: Nicht der GAL?)

Bereits die Einleitung ist voll von Unterstellungen, Halbwahrheiten und eigenen Vorurteilen, was sich zu unserem Unbehagen auch noch weitere 40 Seiten fortsetzt, ohne dass damit konkrete Erkenntnisse zutage gefördert werden oder ein Mehrwert für den Hamburger Strafvollzug erkennbar wäre.

(Beifall bei der CDU)

Wieder einmal wollen Sie den Hamburger Strafvollzug als Verwahrvollzug geißeln. Sie versuchen erfolglos, diese These durch entsprechend eingefärbte Fragestellungen zu untermauern, um anschließend zu behaupten, es gebe schlechte Haftbedingungen in Hamburger Gefängnissen. Dass dieser Versuch nicht von Erfolg gekrönt sein würde, hätte man Ihnen auch vorher sagen können, verehrte Kollegen der LINKEN. Sie hätten sich die Zeit und vor allem das Papier, auf dem diese unzähligen Fragen geschrieben stehen, sparen können, denn der Hamburger Strafvollzug ist kein Ver

(Christiane Schneider)

wahrvollzug und die Haftbedingungen sind hervorragend und müssen keinen Vergleich scheuen.

(Beifall bei der CDU)

Auch wenn das vielleicht für Sie und Ihre Bemühungen eine bittere Pille ist, müssen wir Ihnen allerdings zugestehen, dass Sie sich mit dieser Anfrage selbst widerlegt haben. Ich möchte Ihnen ein paar Beispiele nennen, die belegen, dass die Haftbedingungen in den Hamburger Justizvollzugsanstalten gut sind und ein angeblicher Verwahrvollzug nur in Ihren eigenen Vorstellungen existiert.

Erstens: Kern der Sozialtherapie in den Hamburger Haftanstalten ist die Abstimmung der Behandlung auf die begangenen Straftaten. Die Therapeuten erhalten ständige Fortbildungen, sodass eine Sozialtherapie angeboten werden kann, die auf neuesten Erkenntnissen und Behandlungsmethoden beruht.

(Wilfried Buss SPD: Ja, wenn genügend Plätze frei sind!)

Wir konnten uns in der letzten Woche auch persönlich in Fuhlsbüttel diesen Eindruck verschaffen und auch Sie, Frau Schneider, haben gesehen, dass dort wirklich Experten arbeiten, die mit viel Engagement bei der Sache sind und denen man mangelnde Qualität sicherlich nicht unterstellen kann.

Zweitens: Die fachliche Diskussion der Strafvollzugskonzepte wird fortlaufend durch die Justizbehörde beobachtet. Daraus wurde das Konzept des differenzierten Strafvollzugs entwickelt, welches für die Gefangenen einen ausschließlich an den persönlichen Erfordernissen ausgerichteten Vollzugsund Behandlungsplan gewährleistet. Es wird keine Gleichmacherei betrieben, es werden nicht alle über einen Kamm geschert, sondern es werden ausschließlich die individuellen Voraussetzungen der Gefangenen berücksichtigt.

Drittens: Durch Paragraf 110 des Hamburger Strafvollzugsgesetzes wurde außerdem für Gefangene die Möglichkeit geschaffen, an Angelegenheiten von gemeinsamem Interesse teilzunehmen. Dies führte bereits in den Justizvollzugsanstalten Billwerder, Fuhlsbüttel und Glasmoor dazu, dass dort Gefangenengremien als Repräsentanten der Gefangenen gewählt wurden, die in regelmäßigen Abständen mit den Anstaltsleitungen zusammentreffen und sich austauschen.

Viertens: Im Rahmen der Entlassungsvor- und -nachbereitung werden zahlreiche Maßnahmen und Hilfestellungen angeboten, zum Beispiel die Vermittlung von Wohnraum und Ausbildungs- und Arbeitsplätzen bis hin zum frühzeitigen Kontakt zu staatlichen und Freien Trägern der Straffälligenhilfe und es ist eben nicht so, wie Sie es dargestellt haben, dass die ehemaligen Gefangenen sozusagen sich selbst überlassen werden.

Fünftens: Die Gefangenen erhalten eine umfassende medizinische Versorgung. Drogenabhängigen Gefangenen wird mit speziellen Therapie- und Behandlungsmaßnahmen begegnet, welche unter anderem von Entzugsbehandlungen über Substitution und Rückfallprävention reichen. Das Aufhängen von Spritzen-Automaten, wie Sie es augenscheinlich mit Ihrer Fragestellung bezwecken, wäre dazu kontraproduktiv, weil dadurch vielmehr die Gefahr geschaffen wird, dass drogengefährdete Gefangene zum intravenösen Drogenkonsum verleitet werden. Die Zeit der Spritzen-Automaten in Hamburger Gefängnissen gehört endgültig der Vergangenheit an und dies wird auch so bleiben, solange wir Verantwortung tragen.

(Beifall bei der CDU)