Protocol of the Session on March 5, 2009

Das waren Sozialdemokraten, deswegen war es halbherzig.

Heute ist eine neue Debatte erforderlich, damit sich wirklich etwas ändert, und an dieser Debatte müssen sich mehr beteiligen als einige Experten und Expertinnen und einige Fachpolitiker und Fachpolitikerinnen, zum Beispiel auch die Gewerkschaften; leider ist Herr Rose nicht da. Aber die vielen Initiativen von ver.di beziehungsweise der ÖTV, die es noch in den Neunzigerjahren gegeben hat, fehlen heute. Da es eine solche Reformdebatte bisher nicht gibt und da der Entwurf des Strafvollzugsgesetzes ein Kompromiss zwischen unterschiedlichen, ja konträren Auffassungen ist, springt er leider viel zu kurz.

Ich will den Zustand im Hamburger Strafvollzug vor 2001 nicht beschönigen, doch in den letzten Jahren hat es ein gewaltiges Rollback gegeben, nicht nur in Hamburg, aber besonders in Hamburg, das unter den CDU-Justizsenatoren den Schäbigkeitswettbewerb zwischen den Bundesländern gewonnen haben dürfte.

(Harald Krüger CDU: In der DDR war es besser, ich weiß!)

Nein, in der DDR war es nicht besser und deswegen rede ich genau zu diesem Thema.

Der Vollzug wurde unter den Senatoren Kusch und Lüdemann und mit dem jetzt geltenden Strafvollzugsgesetz vollständig zum Verwahrvollzug und das heißt, leider auch zum Verwahrlosungsvollzug. Das Ziel der sozialen Integration wurde aufgegeben. Ein Rechts- und Sozialstaat kann und darf Strafgefangene nicht einfach ausgrenzen. Insofern muss sich der schwarz-grüne Senat daran messen lassen, welche Maßnahmen zur sozialen Integration von Strafgefangenen er unternimmt und hier ist bisher einfach entschieden zu wenig passiert.

Beispiel Vollzugslockerungen: Obwohl die seit 2001 festzustellende dramatische Tendenz, Strafgefangenen Freigang, Ausgang und Urlaub zu verweigern, gestoppt und sogar umgekehrt wurde, sind die Zahlen niedrig und erreichen bei Weitem noch nicht wieder das Niveau von 2001.

(Viviane Spethmann CDU: Das ist auch gut so!)

Das ist umso unverständlicher, als der Lockerungsmissbrauch gegen Null tendiert. Hier fordern wir, Herr Justizsenator, mehr Mut.

Beispiel Ausbildung: Die Zahl der Ausbildungsplätze in Fuhlsbüttel und Hahnöfersand ist seit Jahren rückläufig, die Belegungsquote anhaltend gering; Ähnliches gilt für schulische Abschlüsse. Prüfungen für Realschulabschlüsse finden schon seit Jahren nicht mehr statt. Das ist nicht vorrangig ein Problem der Nachfrageseite, wie von der Justizbehörde behauptet wird und auch von Ihnen, Frau Spethmann – Sie sagten gegenüber der Zeitung "Die Welt", die Häftlinge hätten kein Interesse und würden die Chancen nicht nutzen –,

(Viviane Spethmann CDU: Das habe ich nicht gesagt!)

sondern das ist vorrangig ein Problem der Angebotsseite.

(Beifall bei Dora Heyenn DIE LINKE)

Zum Beispiel wurden Lehrerstellen gekürzt und nach unserer Kenntnis wird häufig Strafgefangenen ohne deutschen Pass eine Aus- oder Weiterbildungsmaßnahme verweigert, und zwar wegen der unsäglichen Praxis, solche Menschen einfach abzuschieben, auch wenn sie hier geboren wurden oder aufgewachsen sind, auch wenn sie hier verheiratet sind und Kinder haben.

(Viviane Spethmann CDU: Das stimmt doch gar nicht!)

Und weil sie abgeschoben werden, bekommen sie in der Praxis oft auch keine Ausbildung, selbst wenn sie eine wollen.

Wenn man, wie wir, von der Unveräußerlichkeit der Menschenrechte, auch von Strafgefangenen, ausgeht,

(Harald Krüger CDU: Oh Mann, oh Mann!)

dann haben Strafgefangene ein Recht auf Inklusion, dann haben sie ein Recht darauf, dass alles getan wird, was staatlicherseits getan werden kann, um ihre soziale Integration zu fördern und nicht etwa ihren Ausschluss zu zementieren, und zwar noch über die Haft hinaus. Das Einsperren von Menschen ist ein tiefer Eingriff in die menschliche Freiheit, Integrität und Würde, die in einem grund- und menschenrechtlich fundierten demokratischen Verfassungsstaat nur unter strengsten Voraussetzungen möglich ist.

(Viviane Spethmann CDU: Die sind doch nicht einfach so drin!)

Alle über den Freiheitsentzug hinausgehenden Einschränkungen – das sage ich vor allem in Richtung CDU und zu Ihnen, Frau Spethmann – stehen unter dauerndem Begründungszwang. Das heißt

unter anderem, dass in den Justizvollzugsanstalten materielle Mindeststandards gelten müssen, sei es in der Relation Gefangener/Strafvollzugsbediensteter oder bei Beratungs- und Hilfsangeboten, sei es bei der Gesundheitsversorgung und Prävention, der Möglichkeit sinnvoller Freizeitgestaltung, der Information und Kommunikation, der Größe und dem Zustand der Zellen, den Aufschluss- und Umschlusszeiten und so weiter und so fort,

(Olaf Ohlsen CDU: Das sagen Sie, die hinter der Mauer gewohnt hat! Unglaublich!)

von anderen ganz zentralen und wichtigen Fragen wie zum Beispiel der Einbeziehung in die Sozialversicherung oder der Entlohnung einmal abgesehen. Von solchen materiellen Mindeststandards ist man weit entfernt. Das gilt für alle Justizvollzugsanstalten in Hamburg und das gilt nicht zuletzt für das nach wie vor berüchtigte Untersuchungsgefängnis. Die bedrückenden Zustände dort sind ansatzweise ans Tageslicht gekommen, nachdem sich in kurzem Abstand zwei Gefangene in den ersten Stunden ihrer Inhaftierung selbst töteten. Einschlusszeiten von 23 Stunden täglich sind unerträglich und sprechen zudem der Unschuldsvermutung Hohn. Nebenbei: Dass das Untersuchungshaftvollzugsgesetz noch immer auf sich warten lässt, halten wir für ein großes und nicht akzeptables Versäumnis.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir haben – zugegeben etwas exemplarisch –, um das Erfordernis von materiellen Mindeststandards zu unterstreichen, die Forderung nach Erhöhung der Richtsätze für die Vollverpflegung von Gefangenen erhoben.

(Viviane Spethmann CDU: Als wenn die nur Wasser und Brot bekämen!)

Auch wenn diese Forderung heute wohl bei einigen wenigen Gegenstimmen abgelehnt werden wird, versprechen wir Ihnen, dass wir in unserem Einsatz für die Durchsetzung materieller Mindeststandards nicht nachlassen werden.

Frau Spethmann, Sie sollten sich fragen, was hinter Ihrem Strafbedürfnis, das in Ihren Worten zum Ausdruck kommt, steckt. Schon Nietzsche hat vor denen gewarnt, die ein solches Strafbedürfnis haben und ihnen geraten, das einmal zu hinterfragen.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir haben einen zweiten, vielleicht noch wichtigeren großen Komplex neben den materiellen Mindeststandards, nämlich die Rechte der Gefangenen, die Achtung und Stärkung ihrer Person; das werde ich hier und heute nicht thematisieren. Diesen Komplex behalten wir uns für weitere Debatten, insbesondere zu dem neuen Strafvollzugsgesetzentwurf, vor.

Lassen Sie mich noch ein weiteres Problem im Zusammenhang mit dem Strafvollzug ansprechen, die offensichtlich höchst angespannte Personalsituation in den JVAs, die einerseits deutlich zulasten der Gefangenen geht, weil zum Beispiel einfache Gespräche auf ein Minimum reduziert sind, andererseits aber auch zulasten des Personals. Diese angespannte Personalsituation schlägt sich in einem hohen und steigenden Krankenstand und in der Zunahme langfristig erkrankter Bediensteter nieder. In Fuhlsbüttel ist innerhalb von zwei Jahren der Krankenstand von gut 8 Prozent auf 13,2 Prozent hochgeklettert. Diesem Zustand muss abgeholfen werden, und zwar dringend.

Zum Schluss will ich kurz noch zwei Punkte ansprechen. Einen Punkt schenke ich mir jetzt, da schließe ich mich Frau Schiedek an, da geht es um die massive Aufwertung des Datenschutzbeauftragten, wo Sie dieselbe Forderung haben wie wir.

Der zweite Punkt ist die prekäre Situation insbesondere am Sozial- beziehungsweise Landessozialgericht. Die unerträglich lange Verfahrensdauer und der nicht abgearbeitete Berg von Verfahren führen dazu, dass der Rechtsschutz für Menschen, die ihn am Dringendsten benötigen, nicht effektiv gewährleistet ist. Deshalb fordern wir eine zusätzliche halbe Stelle Vorsitzender Richter am Landessozialgericht und hoffen, dass mit der Bildung eines vierten Senats eine Entspannung der Situation eintritt.

Wenn wir also den Haushalt ablehnen, machen wir das außerordentlich differenziert, aber unter dem Strich bleibt die Ablehnung. – Danke.

(Beifall bei der LINKEN)

Das Wort hat jetzt der Herr Justizsenator.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Schneider, schwer erträglich finde ich, wenn Sie die bedauernswerten und bedrückenden Schicksale von zwei Personen, die sich, nachdem sie inhaftiert wurden, das Leben genommen haben, in einen Zusammenhang bringen mit den konkreten Zuständen in der Untersuchungshaftanstalt, als wäre es damit getan, die dort inhaftierten Gefangenen nicht 23 Stunden, sondern 20 Stunden einzuschließen, als wäre es damit getan, ein paar Wände zu streichen und dann wären diese Selbstmorde zu verhindern gewesen. Sie wissen ganz genau, in welche psychologische Ausnahmesituation Menschen kommen können, wenn sie inhaftiert werden. Wir tun alles, um das aufzufangen, aber dass Sie diesen Zusammenhang herstellen

(Hans-Detlef Roock CDU: Das ist eine Frechheit!)

und hier so locker darüber hinweggehen und so tun, als müssten wir nur ein paar Euro mehr investieren und dann wäre das zu verhindern gewesen, das finde ich schwer erträglich.

(Beifall bei der GAL und der CDU)

Was die Gewährleistung von menschenwürdigen Zuständen im Vollzug betrifft, ist das schwierig und natürlich ist der Vollzug ein schwerer Eingriff. Es ist gesetzlich gewollt, dass ein schwerer Eingriff in die Freiheit passiert. Aber wir achten innerhalb dessen, was Vollzug leisten kann, sehr genau auf die verfassungsrechtlichen Gebote; da brauchen wir von Ihnen keine Belehrung.

(Beifall bei der GAL und der CDU)

Frau Schiedek, bei aller bemühten Lobhudelei, die Sie hier betrieben haben, haben Sie doch eine Kritik geäußert, und zwar, dass der Justizhaushalt im Wesentlichen ein Ankündigungshaushalt sei; das ist nicht der Fall. Das neue Informationsfreiheitsgesetz ist bereits in Kraft getreten, das neue Strafvollzugsgesetz hat die Behördenabstimmung hinter sich und wird in Kürze den Senat erreichen, die Sozialtherapie ist wieder eigenständig und was Sie in Ihrem Antrag zur Mediation aufgeschrieben haben, machen wir bereits. Wir haben jetzt schon ein verbessertes Ausbildungsangebot, das durch die Justizbehörde finanziert wird und wo wir uns an den Kosten beteiligen. Wir haben eine aktive Öffentlichkeitsarbeit, wir hatten einen sehr gut besuchten Mediationstag, wo wir mit vielen Beteiligten zusammengearbeitet haben und eine gute Resonanz hatten. Deswegen ist das Thema Mediation auf einem sehr guten Wege und man kann sagen, dass es ein sinnvolles Instrument ist, bei dem wir sehr darauf setzen, dass dieses Instrument in der Justiz verstärkt angewandt und gefördert wird, weil sich auch dort ein spezifisch schwarz-grüner Ansatz zeigt, nämlich die Überzeugung, dass die Lösung von Problemen nicht immer nur beim Staat liegt, sondern vielfach bei den Bürgerinnen und Bürgern, denen wir helfen müssen, ihre Probleme selber zu lösen. Das ist ein ganz wichtiger Punkt, der auch eine Leitlinie schwarz-grüner Justizpolitik ist.

(Beifall bei der GAL und der CDU)

Ein schwieriges Thema ist natürlich die Umstrukturierung des Strafvollzugs. Farid, an einer Stelle muss ich dich enttäuschen. Du hast von der Frischzellenkur gesprochen. Frische Zellen wird es im Hamburger Vollzug nicht geben.

(Beifall bei Jens Kerstan und Antje Möller, beide GAL)

Aber wir müssen das Thema sicherlich sehr gründlich angehen, es darf hier keinen Schnellschuss geben. Wir müssen sehr genau prüfen, welche Schritte angemessen sind, und deswegen haben wir auch noch kein Konzept vorgelegt. Bis ins Jahr

(Christiane Schneider)

2000 hinein hatten wir immer weiter ansteigende Gefangenenzahlen und jetzt haben wir ein Drittel Leerstand, obwohl die Gefangenenzahlen kontinuierlich gestiegen sind. Das erste, was man in einer solchen Situation machen muss, ist, sich um verlässliche und solide Daten zu bemühen. Das haben wir gemacht mit der Untersuchung, die bei KrimZ in Auftrag gegeben wurde, und auf der Basis entwickeln wir jetzt ein Konzept. Ich kann verstehen, dass die Bediensteten im Strafvollzug ungeduldig sind, denn es geht um ihre persönliche Arbeitssituation. Es würde jeden beunruhigen zu wissen, es ändert sich etwas, aber man weiß noch nicht was. Aber es wird keine Entscheidung über die Köpfe der Bediensteten hinweg getroffen und diejenigen, die sich öffentlich melden, sind auch im regelmäßigen Dialog mit mir persönlich. Insoweit besteht da überhaupt kein Anlass zur Sorge.

Wir müssen ein gründlich durchdachtes Konzept entwickeln und dabei geht es nicht darum, unbedingt und hemmungslos zu sparen. Aber es ist unsinnig, halbleere Flure zu bewachen, und deshalb ist es nicht verkehrt, die bestehenden Potenziale zu nutzen, die durch Einsparungen und Umstrukturierungen behoben werden können. Wir können dadurch weitere Betreuungsaufgaben übernehmen, müssen aber gleichzeitig auch eine Aufgabenkritik vornehmen, die am Ende eine echte Einsparung sein kann. Wenn es in einem Bereich der öffentlichen Verwaltung Überkapazitäten gibt, dann muss die Verwaltung selbstkritisch gucken, wo auch sie einen Beitrag in schwieriger werdenden Zeiten leisten kann.