Protocol of the Session on December 10, 2008

(Die Wahlhandlung wird vorgenommen.)

Sind alle Stimmzettel abgegeben worden? – Nein, das ist noch nicht der Fall. Hier vorne gibt es noch Stimmzettel.

Dann frage ich noch einmal: Sind jetzt alle Stimmzettel abgegeben worden? – Das ist der Fall. Dann schließe ich die Wahlhandlung. Das Wahlergebnis wird nun ermittelt und ich setze Ihr Einverständnis voraus, dass wir es im Laufe der Sitzung bekannt geben werden.

Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 10, Große Anfrage der CDU-Fraktion: DDR-Diktatur und Totalitarismus – was wissen Hamburgs Schüler?

[Große Anfrage der Fraktion der CDU: DDR-Diktatur und Totalitarismus – was wissen Hamburgs Schüler? – Drs 19/1227 –]

Diese Drucksache möchte die SPD-Fraktion federführend an den Schulausschuss und mitberatend an den Wissenschaftsausschuss überweisen. Wer wünscht das Wort? – Herr Roock, bitte.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Die vorliegende Große Anfrage haben wir an den Senat gerichtet, weil meine Fraktion die Ergebnisse der Studie des Forschungsverbunds SED-Staat der FU Berlin mehr als erschreckend findet.

(Beifall bei der CDU)

Nicht nur diese, sondern auch diverse andere Untersuchungen und repräsentative Umfragen zeigen, dass fast 20 Jahre nach dem Ende des systemischen Konflikts die Kenntnisse über totalitäre Systeme des Ostblocks und damit auch über die DDR schwinden. Das gilt nicht nur aber besonders für die junge Generation, für die die DDR ausschließlich Geschichte ist und die über keine persönlichen Erinnerungen oder Erfahrungen verfügt. Mit zunehmendem zeitlichen Abstand zum Leben in der kommunistischen Diktatur wird die damalige Lebenswirklichkeit in ein milderes Licht gerückt. Aus unserer Sicht ist es unerlässlich, dass die junge und die nachfolgende Generation umfassendes Faktenwissen über die DDR-Diktatur erhalten.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der GAL)

Daher wollen wir wissen, in welchem Umfang dieses an den Hamburger Schulen Thema des Unterrichts ist. Denn Wissen macht nicht nur schlau, sondern auch urteilsfähig.

Erst, wer die Faktenlage kennt, kann sich eine eigene Meinung bilden. Wir wissen, dass der Anteil derer, die diese Diktatur nachdrücklich ablehnen, in dem Maße steigt, wie konkretes Wissen vorhanden ist. Umso erschreckender ist es, dass in Ostdeutschland jeder zweite und in Westdeutschland jeder dritte Schüler die DDR noch nicht einmal als eine Diktatur ansieht. Aus der Antwort des Senats geht hervor, dass grundsätzlich in allen Schulformen die DDR Unterrichtsstoff ist, jedoch in unterschiedlicher Intensität mit verschiedenen Schwerpunkten. Sicherlich gibt es unterschiedliche Wege, Wissen und Fakten über die DDR zu vermitteln. Als Einstieg dazu können nach unserer Auffassung dabei durchaus Filme wie zum Beispiel "Das Leben der Anderen" dienen. Gleiches gilt für den Be

(Erste Vizepräsidentin Barbara Duden)

such von Gedenkstätten zur Aufarbeitung der DDR-Diktatur. Ein solcher Ansatz kann anschaulich an die Thematik heranführen, muss aber dann im Unterricht vertieft werden. Hierbei ist es sicherlich sinnvoll Zeitzeugen heranzuziehen, wie es das Projekt der Jungen Volkshochschule vorsieht.

Gerade für das Demokratieverständnis Heranwachsender ist das Wissen über die DDR unerlässlich.

(Beifall bei der CDU, vereinzelt bei der GAL und bei Michael Neumann SPD)

Es sollte im Interesse aller demokratischen Parteien sein, dass die Geschichte und das kommunistische System der DDR jungen Menschen bekannt werden. Schönfärberei der Geschichte und Verklärung dürfen wir nicht zulassen. Junge Menschen müssen um das diktatorische Unrechtssystem wissen, das seine Bürger durch Stasi-Spitzel bis ins intimste Privatleben hat überwachen lassen.

(Michael Neumann SPD: Richtig!)

Jugendliche müssen wissen, dass dies nicht ein Beitrag zum Erhalt des Friedens war, sondern allein dem Zweck diente, oppositionelle und demokratische Bestrebungen sofort im Keim zu ersticken und zu sanktionieren. Hierfür war den Protagonisten des SED-Regimes jedes Mittel recht. Erst 1987 wurde die Todesstrafe, die bis dahin 227 Mal verhängt und in mehr als zwei Dritteln der Fälle auch vollstreckt wurde, abgeschafft. Der Schießbefehl an der innerdeutschen Grenze galt bis zum Ende der DDR.

Wir sollten uns davor hüten, ein zweites Mal unsere jüngste Geschichte nicht unmittelbar und konsequent nachfolgenden Generationen zu vermitteln. Aus leidvoller Erfahrung wissen wir, zu welchen Zerwürfnissen, Missverständnissen und fatalen Folgen dies führen kann. Auf deutschem Boden darf nie wieder eine Diktatur entstehen, egal welcher Couleur.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Wir müssen der jungen Generation daher deutlich machen, dass Freiheit weder selbstverständlich noch unbedeutend ist, sondern dass Freiheit für jeden Einzelnen ganz wichtig ist und man sich immer wieder für die Freiheit engagieren muss.

(Beifall bei der CDU, der GAL und der SPD)

Erlauben Sie mir zum Schluss noch eine persönliche Anmerkung, die wirklich auch so zu verstehen ist und ernsthaft meine tiefe Überzeugung ist. Wenn meine Fraktion und ich die Aufklärung der DDR fordern, geht es mir und uns darum, dass alle Facetten umfassend und kritisch untersucht werden, nichts darf davon ausgenommen werden. Das heißt im Klartext: Auch die Rolle und Verantwortung der sogenannten Blockparteien im damaligen zweiten deutschen Staat müssen zweifelsfrei dar

gelegt werden. Dazu gehört für mich genauso selbstverständlich, auch wenn ich den einen oder anderen in der eigenen Partei vielleicht damit treffen werde, die CDU der ehemaligen DDR.

(Beifall bei der CDU, der GAL und der SPD)

Auch ihre Funktion als Teil des Systems und ihre Vereinigung mit der bundesdeutschen CDU muss Bestandteil der Aufarbeitung sein. Das gehört nach meinem Verständnis unbedingt zu dem Lehrstoff, der Schülerinnen und Schülern vermittelt werden sollte. Wir sehen also zwingenden Handlungsbedarf, wir werden an diesem Thema dranbleiben und beantragen deshalb eine Überweisung der Großen Anfrage an den Schul- und Wissenschaftsausschuss. – Danke schön.

(Beifall bei der CDU, der GAL und der SPD)

Das Wort bekommt Frau Oldenburg.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren, lieber Herr Roock! Ich möchte mich bedanken für diese verantwortungsvollen Worte und ich denke, dass wir in diesem Sinne die Debatte auch fortsetzen können. Darüber haben wir uns sehr gefreut.

(Beifall bei der SPD, der CDU und der GAL)

Eine Studie über das Wissen von Schülern über die DDR zeigte vor einigen Monaten eklatante Wissenslücken und ein verzerrtes Geschichtsbild. Einer der Autoren der Studie, Klaus Schroeder, sieht als Ursachen für eine verklärende Sicht der DDR Gespräche in der Familie und die Tatsache, dass das Thema in den Schulen kaum vorkommt. In den Köpfen der Schüler geistern Meinungen umher wie: Die DDR war keine Diktatur, sie war ein Sozialstaat, in dem alle Menschen Arbeit hatten und in dem etwa alle genauso viel verdienten wie heute, Konrad Adenauer und Willy Brandt waren DDRPolitiker und weiter, dass es unter Erich Honecker demokratische Wahlen gab und dass die Stasi ein harmloser Geheimdienst war. Die Mehrheit aller Schüler wusste auch nicht, wer die Mauer gebaut hat, viele tippten auf die Bundesrepublik oder die Alliierten.

Lachen Sie darüber jetzt bitte nicht, wir wissen alle, welche Ergebnisse die Studie in Hamburg gebracht hätte. Ich denke, die Ergebnisse in Hamburg wären nicht sehr viel besser gewesen, zumal unsere Hamburger Schüler noch nicht einmal richtig lesen können, wie gerade eine Studie gezeigt hat. Auf jeden Fall wäre es lohnend, eine solche Untersuchung auch einmal an Hamburger Schülerinnen und Schülern vorzunehmen. Auf die Ergebnisse wäre ich sehr gespannt.

Fast überall wussten die Schüler sehr wenig über die DDR. Insgesamt wussten aber die westdeut

(Hans-Detlef Roock)

schen Schüler mehr über die DDR und sahen den Staat zugleich deutlich kritischer als die ostdeutschen Jugendlichen. Hauptschüler in Bayern wissen zwar mehr über die DDR als Gymnasiasten aus Brandenburg, aber Achtung, selbst diese Tatsache ändert nichts an den Fakten. Die Schüler ignorieren nicht etwa, was sie lernen, sie haben einfach zu wenig DDR im Unterricht. Die Hamburger Rahmenpläne beziehungsweise Bildungspläne sehen zwar vor, dass das Thema DDR in den verschiedensten Klassenstufen behandelt wird, aber es ist ein Thema unter vielen und genießt eigentlich keine Priorität. So sieht es in der Praxis, so habe ich mir sagen lassen, dann vielmehr so aus, dass das Thema DDR häufig am Ende des Schuljahrs behandelt wird, wo es kaum noch genügend Zeit gibt, oder das Thema fällt ganz hinten herunter. Das belegt die Studie nämlich auch.

64 Prozent der Schüler im Westen, 71 Prozent im Osten sagen, das Thema DDR komme überhaupt nicht oder wenn zu wenig im Unterricht vor. So verwundert es nicht, dass im Wissensteil von zehn Schülern fünf aus dem Westen und sieben aus dem Osten an den Fragen scheiterten. Entschuldigend kommt für die Schüler hinzu, dass viele Schulbücher sich nur am Rande mit der DDR befassen und ihre repressive Seite kaum beleuchten. Viele Geschichtslehrer haben Sorge moralisierend zu sein und ihre Schüler nicht richtig zu erreichen. Geschichtsthemen sollten wenn möglich lebensnah vermittelt werden, etwa durch Augenzeugenberichte und Besuche von Gedenkstätten. So waren fast alle Schüler vom Besuch authentischer Orte der DDR-Diktatur berührt. In diesem Zusammenhang möchte ich noch einmal auf die Große Anfrage der CDU verweisen, und zwar auf die Frage 3. Sie lautet:

"Welche Klassen/Stufen welcher Hamburger Schulen haben im Schuljahr 2007/2008 eine Gedenkstätte zur Aufarbeitung der DDR-Diktatur … besucht?"

Hier die Antwort des Senats:

"Die zur Beantwortung benötigten Daten werden nicht gesondert statistisch erfasst. Anlässlich einer aktuell durchgeführten Abfrage an den weiterführenden allgemeinbildenden Schulen haben 73 Schulen angegeben, dass im vergangenen Schuljahr – vorrangig in der Jahrgangsstufe 10 – eine Gedenkstätte …"

und hier weise ich darauf hin, es wurde gesagt:

"… wie zum Beispiel das Stasi-Gefängnis Hohenschönhausen … besucht … haben."

Das bedeutet aber nicht, dass tatsächlich so viele Schulen Hohenschönhausen besucht haben, sondern hier sind wohl auch die Gedenkstätten des Nationalsozialismus mitgezählt worden. Das ist meines Erachtens eine unpräzise Antwort, geht es

in der Frage doch gerade um die Gedenkstätten zur Aufarbeitung der DDR-Geschichte und nicht um die Gedenkstätten des Nationalsozialismus. Festzustellen ist auch, dass die Schulen zur Aufarbeitung der DDR-Diktatur überwiegend den Film "Das Leben der Anderen" besucht haben. Ich möchte gar nicht die Qualität dieses Films schmälern, doch muss die Frage erlaubt sein, ob der Film tatsächlich in realistischer Weise die Unmenschlichkeit der Stasi-Methoden gezeigt hat und ob gerade in der Person des Hauptdarstellers, des leider viel zu früh verstorbenen Ulrich Mühe, ein zu menschliches, positives Bild eines Stasi-Mitarbeiters geschildert wird

(Frank Schira CDU: Die Realität war schlim- mer!)

und damit nicht vielleicht sogar der Zielsetzung, über Personen und die Machenschaften der Stasi in realistischer Weise zu berichten, zuwider läuft.

Es soll den Schülern kein Geschichtsbild oktroyiert werden, aber es sollte im Zusammenhang mit der DDR-Diktatur versucht werden auf Basis von Kenntnissen zu diskutieren. Es ist wichtig, dass es nicht wieder zu einer Verdrängung kommt, wie wir sie schon nach 1945 bezogen auf das NS-System erlebt haben.

(Beifall bei der SPD und bei Andreas Wal- dowsky GAL)

Bis weit in die Siebzigerjahre hinein ist an den Schulen kaum über Faschismus oder Nationalsozialismus in Deutschland diskutiert worden. In der Pflicht steht auch die Landeszentrale für politische Bildung. Das, was die Zentrale bisher zur Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit geleistet hat, scheint uns nach dieser Anfrage arg wenig. Dort ist von einer eventuellen Verstetigung einer Pilotveranstaltung die Rede. Da kann man sich freuen, dass der Landeszentrale überhaupt etwas zu diesem Thema eingefallen ist.

Lassen Sie mich abschließend noch etwas bemerken: Es darf bei einer Behandlung des Themas DDR nicht sein, dass die Westdeutschen an sich schon einmal die Guten und die Ostdeutschen die Bösen sind. Wenn dieser Eindruck entsteht, dann kommen wir nicht zu einer – heutzutage sagt man nachhaltig …

(Beifall bei der SPD, der CDU und vereinzelt bei der GAL)