Protocol of the Session on June 16, 2004

Wie diese Lebensqualität und -realität aussieht, darüber können wir uns tagtäglich in den Medien informieren. Immer wieder werden auch jetzt Menschen Opfer von Gewalt und leider müssen wir auch jeden Tag hören, dass es zu Messerstechereien kommt. Viele Menschen in Hamburg fürchten sich vor dem Verlust ihres Arbeitsplatzes und fühlen sich allein gelassen mit der Betreuung ihrer Kinder. Es gibt Frust an den Schulen und die Furcht davor, schon in sehr jungen Jahren den Weg in eine gute Zukunft verbaut zu bekommen, verbaut zu bekommen auch durch eine zunehmende Handlungsunfähigkeit eines verschuldeten Staates.

(Andreas Ernst CDU: Danke, SPD!)

1969 wurde das Grundgesetz geändert. Seitdem besteht die Möglichkeit, dass sich Bund und Länder in der Höhe ihrer Investitionen verschulden können. Gleich welche Regierung – sei es im Bund oder im Land –, alle haben immer wieder sehr gern diesen vermeintlich einfachen Weg der Verschuldung gewählt.

Heute lautet ein Maastricht-Kriterium, dass das Staatsdefizit nicht mehr als 3 Prozent des Inlandproduktes betragen darf. Hamburg hat dieses Kriterium zuletzt in den Jahren 1999 und 2000 erfüllt. Für das Jahr 2004 wäre ein Defizit von 1,3 Milliarden Euro zulässig. Aber im Haushaltsplan-Entwurf, den wir heute beraten, klafft ein Loch von 1,6 Milliarden Euro. Die wesentlichen Gründe dafür liegen offen auf der Hand. Wir erleben zum einen einen Einbruch der Steuereinnahmen. Jeden Mai, jeden November ist es so, dass der Senat verkünden muss, dass er weniger Steuern eingenommen hat. Ich selbst – ich weiß nicht, wie es Ihnen da geht – lese seit gut 25 Jahren Zeitungen, höre Radio, schaue fern und höre immer wieder die gleiche Geschichte von Politikern: Der Staat muss sparen, wir müssen weniger Geld ausgeben und die Arbeitslosigkeit muss bekämpft werden. Das Problem, was aber besteht, ist, dass das Gegenteil geschehen ist. Unabhängig davon, ob die Sozialdemokraten oder die CDU die Regierungsverantwortung hatten, wurde ständig mehr Geld ausgegeben und die Schulden stiegen nahezu ins Unermessliche. Die Zeiten des wirtschaftlichen Aufschwungs wurden eben nicht genutzt, um die Kredite, die Investitionen, die damit getätigt worden sind, zurückzuzahlen. Sparen hieß auch in Hamburg, vielleicht manchmal weniger mehr ausgeben, aber niemals wirklich weni

ger Geld ausgeben. Es wurde ständig mehr Geld ausgegeben. Immer wurde bei der Steuerschätzung die Obergrenze der Steuerschätzung als Maßstab genommen. Niemals, wie es eigentlich für Hamburger Kaufleute Sitte ist, die Untergrenze.

Wenn ich mir jetzt den Haushaltsplan-Entwurf und den Finanzplan anschaue, dann ist diese verantwortungsbewusste und hamburgische Tradition auch in diesem Haushaltsplan-Entwurf nicht erkennbar. Wir haben trotz der Ankündigungen des Senates vom angeblichen Sparen, der Überrollung, des Einfrierens, der Umschichtungen, Jesteburg I und II, gleich wie auch immer Sie es genannt haben, festzustellen, dass Sie als CDU, Sie, Herr von Beust als Bürgermeister, eben nicht Geld gespart haben, sondern jedes Jahr mehr Geld ausgegeben haben. Der Steuereinbruch im Jahre 2001 hätte Ihnen Warnung sein müssen. Doch statt bei zurückgehenden Steuereinnahmen zu sparen, haben Sie die Betriebsausgaben um satte 140 Millionen Euro erhöht. Das Ergebnis Ihrer angeblichen Sparbemühungen waren gut 40 Millionen Euro Mehrausgaben für ein sehr dilettantisches Kita-Gutscheinsystem. 40 Millionen Euro und kein einziger Kindertagesstättenplatz mehr in dieser Stadt.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Dazu kommen 50 Millionen Euro Mehrausgaben im Schulbau. Jetzt werden dringende Schulbausanierungen auf Eis gelegt, nur weil Sie nicht in der Lage waren, die Kosten zu kontrollieren. Im Haushaltsausschuss weigerten sich die CDU und der Senat beharrlich, aufzuklären, wo diese 50 Millionen Euro denn geblieben sind. Deshalb beantragen wir als SPD-Fraktion jetzt auch Akteneinsicht, da offensichtlich nur so Licht in das Finanzchaos von Schul- und Finanzbehörde gebracht werden kann.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Dabei ist eines klar, Herr Bürgermeister: Es sind nicht die Bundesregierung in Berlin und nicht Ihre sozialdemokratischen Vorgänger-Bürgermeister, die etwas falsch gemacht haben, sondern Sie allein und Ihr Senat haben in den letzten zweieinhalb Jahren für Mehrausgaben von 230 Millionen Euro in dieser Stadt gesorgt.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Selbst wenn Sie Ihre angeblichen Sparpakete, JesteburgPakete, umgesetzt hätten, hätten Sie damit die selbstverschuldeten Mehrausgaben nicht einsparen können, das heißt, unter dem Strich ist gegenüber 2001 in Hamburg nicht ein einziger Euro gespart worden. Im Gegenteil, Sie haben 230 Millionen Euro mehr ausgegeben.

Ihr Ziel, 2006 einen ausgeglichenen Betriebshaushalt vorzulegen, basierte vor allen Dingen auf der Annahme deutlich steigender Steuereinnahmen. Diese Rechnung wäre nur aufgegangen, wenn sich die Steuereinnahmen bis 2006 um 12,5 Prozent gesteigert hätten, das heißt, um 820 Millionen Euro. Ich sage das ganz selbstkritisch. Dazu reicht selbst meine Fantasie als sozialdemokratischer Oppositionsführer nicht aus zu glauben, dass die Steuern jemals wieder so sprudeln werden.

(Beifall bei der SPD und der GAL – Bernd Reinert CDU: Seit wann haben Sie Fantasie?)

Spätestens nach der Mai-Steuerschätzung ist Ihr Kartenhaus komplett zusammengebrochen.

Dieser Haushalt, den Sie heute vorlegen und den wir in den nächsten Tagen beraten, ist bis auf kleine, kaum wahrnehmbare Änderungen der Haushalt von Schill, von Lange und von von Beust. Der Schuletat ist im Grunde der Etat von Herrn Lange, der Kulturetat ist der von Frau Horáková, der Bauetat ist von Herrn Mettbach und auch der Innenetat atmet immer noch den Ungeist von Herrn Schill. Sie, Herr von Beust, haben trotz der absoluten Mehrheit der Mandate, die Sie hier im Hause haben, nicht die Kraft besessen, den Haushalt den Realitäten Hamburgs anzupassen. Die Wähler haben Ihnen die Möglichkeit dazu gegeben. Sie haben Ihnen eine zweite Chance gegeben, sich von alten Freunden und auch von alten Fehlern zu trennen. Sie haben die Chance nicht genutzt.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Damit ist der Haushalt 2004 ein Dokument Ihres Zögerns und Zauderns. Sie machen schlichtweg dort weiter, wo Sie im Winter 2003 schon einmal gescheitert sind.

Ich will zugeben, dass Hamburg nicht erst seit 2001 über seine Verhältnisse lebt. Schon lange übersteigen die laufenden Ausgaben die laufenden Einnahmen. Aber – und darauf kann man auch stolz sein – der Betriebshaushalt konnte in den Jahren 1999 und 2000 wirklich ausgeglichen werden. Bis dahin gab es ein wirkliches Konsolidierungsprogramm. Es wurden damals noch 2,3 Milliarden DM eingespart. In diesen Jahren wurde wirklich einmal weniger Geld ausgegeben. Ich finde, das ist der Grundsatz für uns. Wir müssen mit dem Geld auskommen, das der Steuerzahler uns anvertraut. Das ist wirklich im Interesse Hamburgs.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Ihr Finanzsenator stellt in fast jeder Pressekonferenz fest, dass die Steuerquote in Deutschland mit 20,3 Prozent zu niedrig sei. Da hat er Recht. Er sagt auch, dass wir mittlerweile in Deutschland auf einem Steuerniveau angekommen sind, das vergleichbar mit dem der Bahamas ist. Auch da hat Herr Peiner Recht. Nun frage ich mich aber, ob es auch Ihr Finanzsenator ist, der wie Sie, Herr von Beust, als Mitglied des Bundespräsidiums der CDU ein Steuersenkungsprogramm um weitere 16 Milliarden Euro fordert. Wenn es richtig ist, was Sie beide immer wieder in Presseerklärungen sagen, nämlich dass die Steuern in Deutschland zu niedrig seien, dann kann ich mir gar nicht vorstellen, wie wir mit einem weiteren Steuersenkungsprogramm von 16 Milliarden Euro, also mit solchen unseriösen Fantastereien, den Haushalt in Hamburg in den Griff bekommen wollen.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Denn für Hamburg würde diese Fantasie der CDU eine weitere viertel Milliarde Euro an Steuerausfällen bedeuten. Das bedeutet ganz konkret für die Menschen, und zwar weit über das hinausgehend, was Sie gestern angedeutet haben, dass wir weniger Geld für Kinderbetreuung, weniger Geld für Sicherheit und weniger Geld für Bildung haben.

Die Diskussion um eine Vereinfachung des Steuerrechts kann man führen und ist in weiten Teilen auch richtig, aber kompliziert dabei ist nicht der Tarif des Steuerrechts, sondern sind die unzähligen Ausnahmen bei der Bemessungsgrundlage. Das macht auch das jüngste Beispiel Vodafone deutlich. Steuervereinfachung ist eben nicht nur eine Frage der Stabilisierung der Einnahmen, sondern ist aus sozialdemokratischer Sicht auch eine Frage

der Gerechtigkeit. Wenn Menschen, die einer Lohnarbeit nachgehen, selbstverständlich ihre Steuern und Abgaben zahlen müssen, dann muss das auch für die gelten, die leistungsstark sind und als Unternehmen in Deutschland, auch in Hamburg, in sehr großem Maße von der öffentlichen Infrastruktur profitieren.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Unser Steuersystem reizt noch immer die Nutzung – manche sagen es – kreativer Steuergestaltung an. Ich sage dazu lieber Steuerhinterziehung, Steuerbetrug. Ein Abbau von Steuersubventionen und Begünstigungen, die Bekämpfung der Steuerhinterziehung, insbesondere auch des Umsatzsteuerbetruges, ist auch in Hamburg notwendiger denn je. Aber, um es Ihnen nicht zu leicht zu machen, es reicht nicht nur, nach Berlin zu zeigen. Der Rechnungshof sieht in Hamburg nicht mehr hinnehmbare Mängel bei der Steuererhebung und damit auch bei der Steuergerechtigkeit. Es wurde – nach Feststellung des Rechnungshofes – in Hamburg im letzten Jahr gegen bundesweit gültige Bearbeitungsgrundsätze verstoßen. Steuerbeamte wurden angehalten, auf die Prüfung bestimmter Tatbestände gänzlich zu verzichten.

(Jürgen Schmidt SPD: Unglaublich!)

Ich will ein Beispiel aus dem Rechnungshofsbericht zitieren, um Ihnen das einmal plastisch vor Augen zu führen. Da gibt es in Hamburg unter anderem eine Hochschullehrerin, die zweimal im Jahr ins außereuropäische Ausland flog, um an nicht näher bezeichneten Workshops teilzunehmen. Dafür machte sie bei der Steuererklärung Werbungskosten in Höhe von fast 40 000 Euro geltend. Das Finanzamt verzichtete komplett auf jede Sachaufklärung und erkannte die Aufwendungen kommentarlos an. Der Rechnungshof spricht dabei von Steuerausfällen in Millionenhöhe.

(Henning Tants CDU: Allein durch diese beiden Reisen?)

Das heißt konkret, dass eine ordnungsgemäße Steuererhebung eben nicht nur eine Frage der Einnahme ist, sondern auch und vor allem eine Frage der Gerechtigkeit unserer Gesellschaft ist.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Gleichzeitig haben wir nämlich auch die Situation in unserer Stadt, dass tausende von Mittel- und Kleinverdienern sehr lange darauf warten müssen, dass sie ihren Lohnsteuerjahresausgleich bekommen, weil bei diesen Leuten auf Heller und Pfennig oder auf Cent und Euro abgerechnet wird. Ich möchte aber auch – ich denke, im Namen des ganzen Hauses – an dieser Stelle dem Rechnungshof für seine Arbeit danken, dass er solche Missstände, aber auch andere Dinge, immer wieder aufgedeckt hat. Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Auch wenn viele Kürzungen nicht strukturell sind, zeigen die, die es sind und gestern angekündigt worden sind, eine deutliche Schwerpunktsetzung.

(Glocke)

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

A C

B D

Die Geschichtswerkstätten und Stadtteilarchive, die Frauenhäuser sowie die Stiftung Naturschutz sind einige Beispiele dafür, dass relativ geringe Sparbeiträge erbracht werden, aber dennoch anerkannt erfolgreiche Arbeit zunichte gemacht werden soll.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Herr von Beust, Sie haben mehrere Lieblingssätze, aber einer ist mir in Erinnerung geblieben. Sie sagen immer: Wer unsere Hilfe wirklich braucht, der wird sie bekommen. – Sie nicken, also habe ich Recht. Doch wenn ich ehrlich bin, mit diesem Hilfeversprechen ist es in der Praxis nicht weit her.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Wie sieht es denn mit der Hilfe in unserer Stadt aus, seitdem Sie Bürgermeister sind? Nehmen wir beispielsweise einmal die Schuldnerberatung. Da dürfte es unstrittig sein, dass man den Menschen, die überschuldet sind, helfen muss. Über ein Jahr müssen Menschen in Hamburg mittlerweile auf eine Beratung warten, um Hilfe zu bekommen. Das kommt Hamburg, damit im Ergebnis uns allen, teuer zu stehen, denn das Abgleiten in Sozialhilfe oder Wohnungslosigkeit kann, wenn man ein Jahr auf Hilfe warten muss, oft nicht mehr rechtzeitig verhindert werden. Nach der angekündigten Schließung des ersten Hamburger Frauenhauses wirkt Ihr Satz – Herr von Beust, ich zitiere Sie noch einmal –:

"Wer unsere Hilfe wirklich braucht, wird sie bekommen"

wie ein weiterer Schlag ins Gesicht.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Die Auslastung der Frauenhäuser liegt bei über 100 Prozent. Rund die Hälfte der Frauen kommt mit Kindern in die Frauenhäuser. In dieser Situation, Frauhäuser zu schließen, ist nicht nur verantwortungslos, sondern schamlos.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Das Vorhaben, in einem Handstreich Kinderkuren zu streichen, geht in dieselbe Richtung. Ich weiß nicht, ob Sie wissen, warum diese 1200 Kinder zur Kur geschickt werden. Ich kann es Ihnen gerne sagen. Es sind Krankheiten des Bewegungs- und Stützapparates, es sind Atemwegserkrankungen, Verhaltensauffälligkeiten oder traumatische Erfahrungen im Elternhaus.